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Lichter in der Dunkelheit
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Die Regentropfen führen einen erbitterten Kampf gegen die rigoros vorgehenden Scheibenwischer. Die Frontscheibe gleicht einem Wasserfall. Nur mit Mühe kann Tom die Straße vor ihm sehen. Das Schicksal meint es Heute nicht gut mit ihm. Erst der Streit und jetzt Flucht. Nicht einmal hierbei ist das Glück auf seiner Seite.
Er hat sich entschlossen die Umgehungsstraße zu nehmen. Leider. Etwas marode, doch im Normalfall entspannter. Sie führt durch einen endlos langen, dichten Mischwald. Wenn die Sonne ihn durchflutet, ein Naturschauspiel der besonderen Art. Ist das Fenster offen, kann man sogar harmonisches Vogelgezwitscher genießen. Entgegenkommende Autos sind dabei eher eine Seltenheit und stören den Genuss nicht.
An diesem Abend ist alles anders. Links und Rechts eine schwarze Mauer aus großen Bäumen, angestrichen mit unzähligen Wassertropfen. Sie wirken, als schauen sie grimmig auf einen herab. Die einzigen Töne, die Tom wahrnehmen könnte, sind die kräftigen Windböen, welche durch den Wald sausen und so manch grünes Blatt mit sich reißen.
Die Fahrt kommt ihm ausgesprochen lang vor. Er schaltet das Autoradio ein. Rauschen, stotternde Moderatoren, verzerrte Musikstücke. Spontan lässt er seinen Kopf hängen, es entgleitet ihm langer tiefer Seufzer. Eine Kapitulation vor dem Schicksal in Begleitung von verstörenden Geräuschen aus dem Radio. Mit einem grotesken Ton beendet es seinen Dienst. Tom erwacht aus seinem leichten Trance. Zwei grelle Lichter blenden seine Augen, er muss einige Male blinzeln um vor ihnen die Konturen eines langen Balkens zu erkennen. Die Lichter und ihr dumpfer Freund sind nahe, zu nahe. Die Gefahr übermannt Tom. Das Adrenalin schießt durch seinen Körper. Mit voller Kraft tritt er auf die Bremse. Die Reifen rutschen und quietschen auf dem nassen Asphalt. Er nimmt jede Unebenheit der Straße wahr. Der Kopf ist leer, geflutet von dem Licht. Tom fragt sich nur, ob es das mysteriöse weiße Licht ist, das die Menschen kurz vor ihrem Tod zu sehen glauben.
Ein leichter, doch spürbarer Ruck, quittiert das Stehen seines Autos. Doch nicht Tod, bemerkt er süffisant.
Tom schluckt einen riesen Kloß herunter. Jetzt erst spürt er, wie wild sein Herz pocht. Jeder Schlag ist wie ein dumpfer Stoß um aus seinem Brustkorb zu entkommen. Er legt seinen Kopf mit der Stirn voran auf das Lenkrad nieder, schließt die Augen und will davon fliegen. Ein paar Atemübungen später richtet er sich wieder auf. Die Lichter erleuchten den Innenraum seines Autos. Tom fühlt sich schutzlos und beobachtet. Diese zwei riesen Taschenlampen entblößen ihn. Mit etwas Verzug nimmt er wieder den einst so finsteren Balken wahr, der ihn von den monströsen Taschenlampen trennt oder gar beschützt.
Ein Stamm. Einige Äste und Zweige, nur wenige alte Blätter. Dennoch, ein völlig banaler Baumstamm. Es macht Klick. Ein Geistesblitz. Autoscheinwerfer! Die Situation klärt sich vor Tom's geistigen Auge auf. Sein Herz führt jetzt einen langsameren Rhythmus an und hat wohl beschlossen, das ein Ausbruch nicht nötig ist. Erleichterung.
Die Scheinwerfer sind zu grell. Tom kann das gegenüberliegende Auto nur schemenhaft erkennen. Den Fahrerraum kann er schon gar nicht einsehen. Vielleicht ist der andere Fahrer verletzt? Oder er hat einfach einmal Glück und dort wartet die neue Frau seines Lebens. An so einem Abend hält er alles für möglich. Auf jeden Fall muss er nachsehen was auf der anderen Seite des Baumes auf ihn wartet. Er gibt sich einen letzten Ruck. Schaltet den Motor aus und lässt seinen Gurt zurückschnallen. Ausgestiegen und den Regenschauer völlig außer Acht gelassen, prassen ihm die grüßen fülligen Tropfen auf den Kopf, der Wind treibt sie gegen seinen Körper. Er ist kurz davor wieder im Auto Schutz zu suchen, aber befindet, dass es jetzt eh egal ist. Tom lässt die Tür zu knallen, doch der Sturm lässt nur ein leises Klicken zu. Er springt gekonnt über den Stamm.
Würde er einen Blick zurückwerfen und in sein Auto schauen, könnte er dort ein kleines Schattenschauspiel, der Äste und Zweige des daliegende Baumes, beobachten. Die Schatten spielen ineinander, je nach Windrichtung entstehen neue Formen. Er würde dort Gegenstände oder gar Tiere entdecken können. Hätte er genauer geguckt, dann sähe er sogar die markante, verzerrte Fratze, deren Augen einem zu folgen scheinen.
Unbedacht des Theaterstückes hinter ihm, gelangt Tom an die Fahrerseite des fremden Autos. Die Tür ist offen. Niemand sitzt darin. Der Motor läuft und brummt leise vor sich her, die Anzeigen leuchten, aus dem Radio kommt ein knisterndes allzu bekanntes Rauschen.
Seine Nase zieht einen geliebten Duft ein. Er hat ihn schon oft gerochen, verehrt ihn seit dem ersten Tag. Vor wenigen Stunden umspielter der Duft noch seine Nase. Lieblich, verspielt, kein reines Parfüm. Eine Mischung zwischen Duft und Aura. Unbeschreiblich schön, vor allem Einzigartig. Tom ging davon aus, ihn nie wieder zu riechen, umso verwirrter ist er, gerade hier draußen den gleichen Geruch wahrzunehmen. Ein komischer Zufall.
Auch wenn Tom einem Moment warm ums Herz geworden ist, beginnt doch nun die Kälte seine Beine zu erklimmen. Seine Kleidung ist mittlerweile völlig durchnässt. Er beschließt seinem Bauchgefühl zu folgen und setzt sich in das fremde Auto. Es wirkt anziehend, nicht einladend, eher fordernd. Tom setzt sich auf den Fahrersitz. Die nassen Sachen pressen sich an seinen Körper. Ein ekliges Gefühl, welches ihm eine Gänsehaut beschert. Überall in diesem Auto schwebt dieser Duft. Das kann doch kein Zufall sein. Er schaut sich im Innenraum um. Die Sitze, selbst das Handschuhfach sind leer. Zudem ist kein Fleck zu sehen, klinisch rein.
Ob der Regen währenddessen stärker geworden ist, weiß er nicht. Doch klingen die Tropfen, welche auf das Auto niederfallen, bedrohlicher und beklemmender als zuvor. Viel mehr wie tausende Patronen, die es zum Ziel haben, das Auto zu durchlöchern. Die Fenster bestehen nur noch aus fließendem Wasser. Sehen kann er nichts.
Tom ist ratlos. Legt den Kopf in den Nacken, betrachtet die Decke. In Gedanken durchläuft er die Szenarien. Was kann passiert sein? Vermutlich ist der Fahrer Hilfe Suchen gegangen, doch wieso ist er nicht einfach mit dem Auto umgekehrt? Viel seltsamer ist es, dass der Motor noch läuft und die Tür offen stand. Tom befindet, dass es jetzt an der Zeit ist Hilfe zu rufen. Selbst wenn es nur der Pannendienst ist. Mittlerweile hat Tom kein großes Bedürfnis mehr, hier draußen auf sich gestellt, Detektiv zu spielen. Er tastet an seiner Hosentasche. Sie ist leer. Einen kurzen Herzstillstand später, fällt ihm wieder ein, dass sein Handy auf dem Beifahrersitz seines eigenen Autos liegt.
Tom ist schon mit einem Bein aus dem fremden Wagen heraus gestiegen, als das Auto von einem Stoß durchzogen wird. Er plumpst zurück in den Sitz. Glasscherben schießen gegen seinen Körper, instinktiv reißt er seine Arme hoch - schützend vor den Kopf. Das Radio dreht wie von Geisterhand auf, das Rauschen wird von Signaltönen aller Art durchbrochen. Diese vermischen sich mit grausigen klagenden Schreien von seiner Rechten. Noch nie in seinem Leben hat er solche Laute gehört. Selbst seine eigenen panischen Töne können diese nicht übertreffen. Dabei schreit er sich die Seele aus dem nassen, fröstelnden Laib. Das unmenschlichen Heulen zieht durch Tom's Mark, ihm wächst eine Gänsehaut, die zu explodieren droht.
Das Auto hört nicht auf zu schaukeln und vibrieren. Die Arme um den Kopf geschlungen wirft Tom sich auf die Straße. Hart schlägt schlägt er auf den wässrigen Steinboden auf. Sein Blick richtet sich zurück in das Auto. Er starrt in die, vom Fenster aufgeschlitzte, Schnauze eines Hirsches, welcher mit seinem Geweih im Auto feststeckt und wild ausschlägt.
Eine bekannte saure Flüssigkeit sprudelt in Tom's Mund, bahnt sich ihren Weg ins Freie und lässt seinen Hals brennen. Er will nur noch weg von hier. Kriecht auf allen Vieren, trotz schmerzenden, aufgeschürften Gelenken, auf die offene Straße hinaus. Irgendwann schafft er es aufzustehen und zu rennen. Er läuft solange bis das klagende Kreischen verstummt und sackt bitterlich zusammen.
Ihm fehlt der Atem. Seine Muskeln lassen ihn wissen, dass er zu weit gegangen ist. Tom legt sich schlaff auf den Rücken, wird Eins mit der Straße. Eine weitere Unebenheit neben vielen. Die Patronenhülsen aus den Wolken verhindern das er seine Augen offen lassen kann. Die Ohren nehmen nur das explosive Aufplatzen jedes einzelnen Tropfen um ihn herum wahr. In einer anderen Welt wäre das die reinste Entspannung. Eine frische Gesichtsmassage mit friedlichen beruhigenden Naturklängen. Doch Heute hat alles etwas geheimnisvolles, riskantes und gefährliches an sich.
Vor seinen Augen kreist die entstellte und vernarbte Tierschnauze. Die Schreie gleiten leise durch seinen Verstand und hinterlassen kleine Risse. Seine Augen zucken wie wild. Tom will einschlafen und wenn es sein muss, auch auf dieser Straße wieder aufwachen. Es soll endlich wieder Tag und alles Gut sein.
Tom weiß nicht wie lange er dort wie ein Häufchen Elend dar gelegen hat, doch er schafft es sich noch einmal aufzurichten, ähnlich eines alten müden Greises mit morschen Knochen. Sein Körper kommt ihm jetzt viel schwerer vor. Die durchtränkten Sachen kleben an seinem Körper wie eine zweite Haut, seine Schuhe stoßen bei jedem Auftritt Wasser zu allen Seiten heraus - von den nervigen plumpen Geräuschen ganz abgesehen. Er fühlt sich nicht nur so, sondern er ist ein wandelnder Matschhaufen. Tom's Schritte sind langsam und kurz. Es bedarf auch keiner Eile zu seinem persönlichen Tatort zurückzukehren.
Das Ziel ist sein Auto, der Wille der Rückwärtsgang, eine Drehung und dann Vollgas.
Eine letzte Kurve. Eigentlich sollte er die Lichter längst sehen, doch die Sicht bleibt geschwärzt. Jeder weiterer Meter lässt die Konturen eines Autos erkennen, welches mit der Front zu ihm gerichtet ist. Aber er sieht nur ein einziges. Langsam und vorsichtig tastet Tom sich voran. Der Regen wird allmählich lichter. Der Wind weicher. Bald erkennt er, dass es sich um seinen eigenes Auto handelt, welches wie frisch abgestellt, in Ruhe auf seinen Fahrer wartet.
Tom bleibt kerzengerade stehen. Wendet sich hin und her. Schwenkt ungläubig seinen Kopf in alle Richtungen. Der Mund steht ihm offen, die Augen aufgerissen und mit roten Adern durchzogen. Kein umgefallener Baum. Geschweige denn ein verlassenes Auto. Nicht einmal Scherben oder Blutspuren eines verendenden Tieres auf der Straße. Er geht auf die Knie, sucht den Boden ab, das aufkommende Mondlicht, lässt aber nichts aufblitzen. Selbst der umliegenden Waldrand wird unter die Lupe genommen, keine einzige Spur, weder eines Tieres, noch eines Menschen oder gar Reifens.
Tom bricht fassungslos zusammen, die ersten Tränen des Abends ersetzen eben würdig den vergangen Sturm.
Erst im Morgengrauen rafft sich Tom ein aller letztes Mal auf. Bewegt sich leblos, maschinell zu seinem Auto zurück. Öffnet die Tür, setzt sich auf seinen gewohnten Platz. Er muss Lachen. Laut und schrill. Der Duft, er ist wieder da. Im ganzen Auto verteilt. Der Stoff der Sitze hat ihn sicher schon in sich aufgezogen.
Der erste aufkommende Sonnenstrahl, lässt etwas neben Tom's Gesicht aufblitzen. An dem Rückspiegel baumelt eine goldene Kette mit einem Anhänger, in Form eines vierblättrigen Kleeblattes. Unglaubwürdig und gebannt untersucht er dieses allzu bekannte Objekt mit seinen Augen. Sein Herz startet einen neuen Ausbruchsversuch. Das irre Lachen weicht einem wimmernden Schluchzen. Tom ist an der Grenze zum Wahnsinn, bemerkt nicht einmal den mysteriösen Schatten den der Anhänger wirft.
Von Panik erfasst, lässt er den Motor aufheulen, wendet des Auto und rast entgegen dem gestrigen Ursprung. Begleitet wird er von einer grausig lachenden Fratze, welche wie eingebrannt auf dem Armaturenbrett verweilt und Tom fixiert.
Egal wie schnell er fährt, noch soviel Zeit vergeht, der dichte Wald nimmt kein Ende. Kein Mensch, Tier oder Auto kommt ihm entgegen. Doch rastlos bestreitet er weiter seinen Weg. Den Wunsch im Herzen, alles ungeschehen zu machen.
Seine Geschichte geistert seit jeher durch die kleine Stadt am Rande des Waldes.
Das junge liebende Paar.
Der Mord aus Leidenschaft.
Die Flucht.
Tod.
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