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Licht

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11.08.2001
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Licht

Es ist späte Nacht oder früher Morgen. Was hat mich aufgeweckt? Licht... Licht fällt ins Zimmer. Stehe auf. Im Haus gegenüber ist Licht. Strömt aus einem Fenster auf die leere Straße, wo Laternen dem Regen als einzigem Fußgänger in dieser Nacht Licht bieten. Ich schaue ins Fenster. Einfache weiße Gardinen sind da aufgehängt. Ist da was? Wie lange ist das Licht schon da? Hinter dem Vorhang ist keine Bewegung. Nur ein Schatten, der ein Mensch, ein stehender Mensch sein könnte, ist zu sehen. Wie ein Schattenspiel, bei dem man die Figuren im eigenen Kopf bewegen muss.
Was treibt der Mensch da? Hat er nichts besseres zu tun, als in dieser verregneten, trostlosen Nacht in seinem Zimmer zu stehen? Hat er Gesellschaft? Spricht er mit seiner Frau, Verlobten, Geliebten? Spricht er mit seiner Katze? Spricht er mit der Spinne, die sicher in einer Ecke seines Zimmers ihr Netz ausgebreitet hat? Er schweigt. Er schweigt bestimmt. Er steht da und sagt nichts. Schaut vielleicht aus dem Fenster, auf den nassen Asphalt mit den kleinen, flachen Pfützen, in denen sich die Laternen spiegeln. Er sucht etwas. Man steht nicht herum ohne zu suchen, nicht in der späten Nacht und auch am frühen Morgen nicht.
Ob er weiß, was er sucht? Ob er zielgerichtet und souverän sein Ziel verfolgt? Nein. Dann würde er nicht am Fenster stehen, sein Schatten auf der weißen Gardine, die ihn vergrößert und verzerrt der Straße übergibt. Vielleicht ist es ein Suchender, dem die Suche selber zur Sucht geworden ist. Der findet, und das so schmerzhaft, mit dem ganzen Herzen, mit Leib und Seele Gesuchte verächtlich in das dunkel klaffende Loch wirft, das die Nacht ist. Denn dunkel ist es ja auch. Nur die Laternen bringen etwas Licht in die nächtliche Leere.
Der Schatten ist weg. Dunkel das Fenster auf der anderen Straßenseite. War es eben erleuchtet? Habe ich es mir nicht nur eingebildet, diesen Umriss im dritten Stock? War ich es, der die schlaflose Nacht mit Licht aufzuhellen versuchte, das aus meinem Fenster hätte kommen können? Oder war da wirklich jemand, der mitten in der stürmischen Nacht den fensterlichen Leuchtturm angezündet hat, um mich in den Hafen zu weisen? Was ist dieses meine Ziel? Es ist spät. Früher morgen schon. Schlafen und nicht nachdenken. Aber eines kreuzt noch meine müden Gedanken, die in der Finsternis träge und faul sind. Bevor die warme Gemütlichkeit des Bettes mit voller Wucht zuschlägt, passiert noch ein Dank meinen Kopf und fliegt durch das halbgeöffnete Fenster nach draußen, in die Nacht. Danke, dass ich in dieser dunklen Stunde ein Bisschen Licht bekommen habe.

 

Sehr atmosphärisch, vor allem wenn man nachts liest...gut, wirklich...
Und schon wieder eine Überschneidung - hier nicht im inhalt, sondern im Stil, am Anfang, jedenfalls - siehe "ein Tag..."

 

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