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Licht und Prozente.

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25.03.2014
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Licht und Prozente.

Licht und Prozente.

Die Nacht war angebrochen. Eine totenstille Zeit in der Stadt. Ganz gewöhnlich für einen Dienstag. In nicht einmal 4 Stunden würden Mütter ihre weinenden Babys stillen. Väter banden sich in 6 Stunden ihre Krawatten. Und Schüler durften sich in 8 Stunden auf dem Pausenhof versammeln und den Dicksten von ihnen erniedrigen.
Jeder ging seiner Berufung nach. Jedes lebende Wesen hatte in irgendeiner Art und Weise eine Mission.
Ausser Ben, Cliff und Jeff.
Wenn man keine Mission im Leben hatte, saß man hier. Auf einer schmutzigen, von perversen Botschaften übersäten Sitzbank. Man trank billiges Zeug aus Pappbechern oder unterhielt sich über Frauen. Und je mehr man trank, desto mehr schweifte man ab in Politik, Sport und Sentimentalitäten. Man sprach über Autos, die man sich gekauft hätte, wäre man nicht hier bei den Nichtsnutzigen gelandet. Und sprach über Bücher, die man mal schreiben wollte.
„Schon komisch“, sagte Ben. „Um die Uhrzeit hatte ich manchmal sogar Feierabend.“
„Und?“, fragte Cliff. „Bisse jetzt froh, dass es nicht mehr so ist?“
„Geht so“, sagte Ben. „Wenn ich damals in der Bahn war, da hab ich die schnarchenden Penner schon beneidet. Keine Kohle, keinen Job, aber guten Schlaf.“
„Klingt nach nem fairen Deal“, sagte Jeff. Eigentlich sagte Jeff nie etwas. Aber wenn er etwas sagte, dann lachte er oder gab ein Urteil ab.
„Schon. Aber, was solls. Jeder Zustand, in dem man sich gerade befindet, ist scheiße.“, sagte Ben.
Er nahm einen großen Schluck von seiner Mische und verzog das Gesicht.
„Hey, hey. Das kannst du vielleicht für dich sagen, du Undankbarer! Hast zu Saufen, hast nen gefüllten Magen und du hast uns!“
Ben hatte keinen gefüllten Magen. Aber er behielt es für sich.
„Hast du das nicht auch, Cliff? Diese Gedanken?“, fragte Ben und verzog wieder das Gesicht.
„Was laberst du da, Mann?“
„Diese Gedanken, mein Freund. Die sich in deinem scheiß Hirn festsetzen, wenn du nichts tust. Dich zur Ruhe setzt. Mein Vater meinte, mein Opa wäre n topfitter Typ gewesen - bis er in Rente ging. Dann kamen die ganzen scheiß Dinger, die sich Demenz oder Knie nennen und klauen dir dein verdammtes Leben. Aber sie verschonen dich, solange du ne Aufgabe has.!“
„Ach, weißt du was, Ben? Du fickst einfach zu wenig“, sagte Cliff und lachte.
Jeff schloss sich ihm an.
„Hör mal, ich hab da noch ne eigene Theorie zu deinen Gedanken entwickelt.“, sagte Cliff.
„Erzähl“, sagte Ben und schenkte sich eine neue Mische ein.
„Warsse schonmal zu so nem Beratungsgespräch im Arbeitsamt?“, fragte Ben.
„Klar“, sagte Ben.
„Klar“, sagte Jeff.
„Ich war da vor einigen Jahren das erste Mal. Da gibts halt nen haufen Snacks und wenn man Hunger hat, gehste da hin und lässt dir was erzählen. Von wegen, jeder hätte Talente und Neigungen, bla bla. Und während sie dir was erzählen, kannst du dich vollfressen.“
„Ja“, merkte Jeff an. „Ist lecker da.“
„Die lieben es also, dich zu füttern, solange sie dir auch irgendeinen scheiß Job vermitteln können, die nicht mal der schwulste Stricher machen würde. Also, er erzählt mir was und ich esse. Und ich esse weiter und er erzählt immer noch. Irgendwann bin ich satt und sage >Mir gehts beschissen, sorry Mister, ich geh nach Hause< und er sagt, in so einer ganz komischen Tonlage, >Da wirds dir nicht besser gehen<. Seitdem denke ich oft drüber nach, was er wohl damit gemeint hatte. Vielleicht haben die im Fraß ja irgendwie so n Dreck reingemacht, der dich von innen auffrisst, wenn du nicht arbeitest. Warste vielleicht mal da? Oder dein Opa, Ben?“
„Nein“, sagte Ben. „Aber coole Story. Siehst du jetzt jeden Tag die toten Snacks in deinen Träumen?“ Er lachte.
Jeff schloss sich ihm an und lachte noch lauter.
„Ihr seid kleine Arschficker. Da versucht man mal, intim und tiefgründig mit euch zu werden und ihr macht euch nur lustig.“, sagte Cliff.
„Intim und tiefgründig“, äffte Ben ihn nach. "Wann hast du das letzte Mal gefickt, Cliff?"
Alle drei brachen in tosendes Gelächter aus.
In einem Moment der Stille nahmen sie von weiter Entfernung etwas war. Ein menschliches Gebrüll wurde immer lauter und nährte sich ihnen. Hin und wieder prallte dieser Jemand hinter der Stimme gegen Blech oder Metall und fluchte. Dann brüllte es weiter und kam immer näher.
„Was zur Hölle ist das denn?“, fragte Cliff.
„Klingt jedenfalls nicht nem Weib“, sagte Ben.
Dann sahen sie die dazugehörige Gestalt. Ein älterer Typ, in einem schlechtsitzenden Jogginganzug. Torkelnd prallte er gegen jedes geparkte Auto und beleidigte sie. Nicht, wie man parkende Autos beleidigte.
Er beleidigte sie wie Menschen.
Dann nahm er die Jungs war, beinahe, als hätte er sie gerochen. Er kniff die Augen zusammen. Als wolle er sicher gehen, dass sie keine Fata Morgana waren. Dann änderte er seinen Kurs und torkelte auf die Jungs zu.
„Scheiße“, sagte Cliff. „Siehst du, was du angerichtet hast, Ben? Durch dein lautes Selbstmitleid hast du die Zombies geweckt.“
Jeff lachte.
„Krieg ich ne Mische?“, fragte der Typ, als er bei ihnen angekommen war. Die Frage hatte ihn einiges seiner Lebensenergie gekostet. Er schwankte so sehr, dass eine landende Mücke ihm höchstwahrscheinlich das Gleichgewicht gestohlen hätte
„Nein“, sagte Cliff. „Haben keine Becher mehr.“
„Dann….Gib mir….die Flasche“, sagte der Typ.
„Verpiss dich“, sagte Cliff.
Der Besoffene wandte sich Ben zu. Der Rausch hatte ihn sofort das schwächste Glied der Gruppe erkennen lassen.
„Krieg ich….krieg ich ne Mische?“, fragte er, diesmal Ben.
„Kannst meine haben“, sagte Ben und reichte ihm den Becher.
Cliff schlug Ben den Becher aus der Hand.
„Lieber soll die Erde den Scheiß haben, als der Arschficker hier.“, sagte er.
„Was soll die scheiße?“, sagte Ben. „Wer weiß, was der Typ bis her erlebt hat, da wird er wohl ne Mische verdient haben, oder nicht?“
„So wie der aussieht, hatte er schon mehr Mischen, als er verdient hatte. Diese Menschen sind noch nichtsnutziger als du und ich, Ben!“
Ehe Ben und Cliff den Streit austragen konnten, mischte sich der Besoffene ein.
„Ich kann machen, dass die Lichter ausgehen“, sagte er.
„Kann ich auch.“, sagte Cliff und stand auf, bereit um auf den Besoffenen draufzugehen. Ben hielt ihn fest.
„Nein“, sagte der Besoffene. „Kannst du nicht.“
Ben drehte sich zum Typen um.
„Was meinst du damit?", fragte er.
"Ich...mach überall das Licht aus!", sagte der Typ.
"Wenn du das schaffst, kriegst du deine Mische.“, sagte Ben. Dann wandte er sich flüsternd den Jungs zu. "Die Aufgabe wird in ruhig stellen."
„Was laberst du da, Ben? He? Du Ficker, der ist doch zu betrunken um seinen eigenen Namen an die Wand zu pinkeln.“
Der Besoffene zog sich die Jogginghose hoch, ging an eine Laterne und versuchte verzweifelt gegen zu treten. Er fiel hin, fluchte, stand auf und trat wieder gegen die Laterne.
Cliff brach in tosendes Gelächter aus und Ben und Jeff stimmten drauf ein. Wenn eins zusammenschweißte, dann war es Krieg mit einem Aussenstehenden oder eine Person, die man lustig fand.
"Seht ihr", flüsterte Ben. "Kaum hat er ne Mission, lässt er uns in Ruhe."
Mittlerweile lehnte der Besoffene an der Laterne und atmete schwer auf und ein. Er murmelte etwas unverständliches vor sich hin. Dann blickte er in den Himmel und schrie.
Urplötzlich donnerte es und Blitze erleuchteten den Himmel.
Der Besoffene grinste ein wenig und schrie noch einmal. Diesmal schlug er mit beiden Fäusten in Richtung des Horizonts. Gleichzeitig schwankte er und wäre beinahe umgekippt, aber dann stand er wieder fest und ließ einige Tritte folgen.
Wieder antwortete der Donner und es begann, in strömen zu Regnen.
„Was…was ist das denn für ein kranker Scheiß?“, sagte Cliff.
Ben und Jeff schwiegen nur. Wasser tropfte ihnen von der Stirn und floss ihnen in all ihre Kleider. Die Becher in ihren Händen füllten sich zunehmend mit Regenwasser.
Dann schrie der Besoffene ein letztes Mal, aus vollem Halse. Und völlige Dunkelheit umgab die Innenstadt.
Aus der Totenstille war urplötzlich eine Verwesungsstille geworden.
Sie hörten die torkelnden Schritte des Besoffenen langsam auf sie zukommen. Die Jungs hielten sich fest.
Er nahm sich die Flasche aus Cliffs Händen und machte sich eine Mische. Sie hörten, wie er einen Schluck probierte und sichtlich zufrieden etwas in den Himmel murmelte.
Dann verschwand er, in die Dunkelheit.
Während der Regen blieb.

 

Hallo MrMncni !

Habe deine Geschichte gelesen und muss gestehen, dass sie sich mir nicht vollständig erschließt. Ich habe in den letzten 10 min. verschiedene Interpretationsansätze entwickelt, aber nichts davon scheint so recht zu passen. Das ist kein (!) negativer Kritikpunkt. Im Gegenteil. Ich mag mysteriöse Geschichten, finde aber schon, dass sie auf irgendeiner Ebene Sinn machen sollten. Hier ist das, was ich letztlich aus der Geschichte mache:
Die drei Protagonisten werden mit einem Mysteriosum konfrontiert. Etwas, dass Ihnen übernatürlich vorkommt. Sie empfinden es als Bedrohung und es nimmt ihnen, die ja sowieso nicht viel haben, auch noch etwas von der Mische weg. Dieses Mysteriosum ist personifiziert in der Gestalt des Besoffenen im Jogging-Anzug. Mein Gedanke ist jetzt, dass dieser Typ metaphorisch für die Gesellschaft stehen könnte, an deren Rand sich die drei Protagonisten befinden. Diese empfinden die Gesellschaft als bedrohlich, als übermächtig, eine Instanz gegen die sie nichts tun können und sie fühlen sich von ihr ausgeraubt. Aber sie sehen auch, dass diese Gesellschaft taumelt und am Ende wird aus der "Totenstille" eine "Verwesungsstille" und der Typ im Jogging-Anzug verschwindet, in der Dunkelheit, die er selbst 'geschaffen' hat.
M.a.W.: Ich verstehe deine Geschichte als den Blick dreier Menschen, die aus der Gesellschaft gedrängt worden sind, auf eben diese Gesellschaft und ihren Verfall.
Ich sehe durchaus die Möglichkeit, dass ich vollkommen neben deiner Intention liege, aber das schöne an Interpretationen ist ja, dass sie eigentlich nicht 'falsch' sein können ;)
Interessant wäre aus meiner Sicht noch die Frage, ob die drei Protagonisten mit Ihrer Einschätzung über die Gesellschaft richtig liegen. Da könnte man u.U. noch ein bisschen mit spielen und dem Leser etwas mehr an die Hand geben. Will man z.B. zum Ausdruck bringen, dass die Gesellschaft nicht so übermächtig ist, wie sie erscheint, könnte man irgendwo am Anfang schreiben, dass Wolken über der Stadt hängen. Damit würde klar(er), dass der Typ im Jogging-Anzug das Gewitter, das zum Stromausfall führt, nicht herbei beschwört.

Zur Kritik:
Wenn du eine klare Absicht hast mit dieser Geschichte, eine (relativ) feste Interpretation bewirken willst, dann solltest du noch ein paar Brotkrumen streuen, die den Leser auf die richtige Spur bringen.
Zudem kommt erst ganz am Ende so etwas wie Spannung auf. Ich könnte mir vorstellen, dass du am Anfang schon einige Leser verlierst. Es wäre cool, wenn es dir gelänge, am Anfang so etwas wie einen Spannungsbogen zu errichten, der einen weiterlesen lässt. Zum Start ein cliffhanger sozusagen. Vielleicht schon einen Hinweis auf den Typen im Jogging-Anzug.
Von der Schreibweise gefällt mir deine Geschichte gut. Viel sehr authentischer Dialog, was sicher nicht leicht zu schreiben ist. Besonders gut gefällt mir dein Titel! Macht neugierig und passt wie Arsch auf Eimer.
Ansonsten sind hier und da noch ein paar kleinere orthographische Fehler drin.

Zusammenfassend: Deine Geschichte hat mir gut gefallen, ich denke aber man könnte noch ein paar Prozent rausholen mit den oben angemerkten Verbesserungsvorschlägen.

Liebe Grüße
Aerete

 

Aber sie sehen auch, dass diese Gesellschaft taumelt und am Ende wird aus der "Totenstille" eine "Verwesungsstille" und der Typ im Jogging-Anzug verschwindet, in der Dunkelheit, die er selbst 'geschaffen' hat.

Im Übrigen ist dies ein bestenfalls komisches Bild - erstmals ist die Aussagekraft gleich Null, zweitens funktioniert das Bild an sich nicht, da Verwesung kein geräuschloser Prozess ist.

Ansonsten eine ordentliche Geschichte á la "Bukovski meets Mystery", der ein weiteres Korrekturlesen guttun würde - wie bereits erwähnt enthält sie einige überflüssige Fehlerchen. Auch zwei der Eingangsaussagen ließen mich stolpern - einerseits wollen Säuglinge meines Wissens gestillt werden, wenn´s ihnen passt, nicht nach Uhrzeit. Zweitens "dürfen" Schüler niemanden "erniedrigen", hier wäre bspw. ein "würde" angebrachter. Zu guter Letzt lässt mich die Verwendung englischer Vornamen stutzen, da meiner Kenntnis nach das Sozialsystem (Stichwort Snacks beim Arbeitsamt) zumindest in den ehemaligen Kolonien sich deutlich vom kontinentaleuropäischen Modell unterscheidet.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo MrMncni,

ich schließe mich Arete an. Das mysteriöse Ende deiner Geschichte gibt zu denken, was ich ebenfalls als etwas positives empfinde. Die drei Freunde wirken sympathisch und es gelingt dir, trotz der kürze, ihnen Persönlichkeit einzuhauchen (Jeff der Wortkarge, Cliff der Abgedrehte, Ben der Schwache).
Die Sprache und Wortwahl wirken ebenfalls passend. Man steht förmlich daneben und belustigt sich über die die drei Weltaussteiger. Die amüsanteste Stelle war für mich Cliff's Arbeitsamt-Verschwörungstheorie. Sehr gelungen!

Hier noch ein paar kleine Fehler, die du korrigieren kannst...

„Warsse schonmal zu so nem Beratungsgespräch im Arbeitsamt?“, fragte Ben.

Es ",fragte Cliff." oder nicht?

Ein menschliches Gebrüll wurde immer lauter und nährte sich ihnen...

nähErte sich ihnen

„Klingt jedenfalls nicht nem Weib“, sagte Ben.

...nicht NACH nem Weib", ...

„Wer weiß, was der Typ bis her erlebt hat, da wird er wohl ne...

bisher (zusammen) erlebt hat, ...

"Die Aufgabe wird in ruhig stellen."

...wird IHN ruhig stellen."

Die paar Fehler sind mir jetzt direkt aufgefallen. Vielleicht liest du nochmal drüber.

Ein menschliches Gebrüll wurde immer lauter und nährte sich ihnen. Hin und wieder prallte dieser Jemand hinter der Stimme gegen Blech oder Metall und fluchte. Dann brüllte es weiter und kam immer näher.

Die Stelle klingt für mich etwas unrund. Dieses "näherte sich ihnen." und gleich im zweiten Satz danach "Dann brüllte es weiter und kam immer näher." Vielleicht eher so etwas in der Art wie "Dann setzte es seinen Lautstarken Weg in ihre Richtung fort." Ist natürlich nur ein Vorschlag!

Aus der Totenstille war urplötzlich eine Verwesungsstille geworden.

Merkwürdig! Was ist denn eine Verwesungstille? Hier musst du meiner Meinung nach auch nochmal ran.

Schönen Sonntag,
Samoner

 

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