Licht und Dunkel
Ich vermisse sie. Ich vermisse ihre Hand auf meiner Haut, wie sie über meinen Körper gleitet, millimeterhoch ohne Berührung, tief in mir. Das Aufrichten feiner Härchen, die Gänsehaut, die sich wellenartig verbreitet, wie eine Schockwelle, ausgehend von ihren Fingerkuppen. Die Knospen hart, das Blut in Wallung, die Vernunft erloschen. Die feuchten Lippen, die jeden Zentimeter meines bebenden Körpers erforschen, mein extatisches Aufbäumen, ihre selten gebremste Wildheit. Sie lebt, verstrahlt Erregung pur.
Nun ist sie fort. Für immer? Was habe ich falsch gemacht?
Sie ist gegangen. Ihre Lippen, ihre Fingerkuppen, die Gänsehaut gingen mit ihr. Ich vermisse sie. Ich bleibe schlaflos, die fehlende Erregung erregt und deprimiert mich.
Sie war meine Erleuchtung, meine Laterne. Das Licht im Dunkel meiner Sehnsüchte. Ihr Schein beleuchtete Dinge, die ich ohne sie nie wahrgenommen hätte, lies mich die Schönheit des Tages sehen. Das Grau in Grau gewann Farbe, offenbarte das Spektrum. Schatten bekamen Konturen und wurden greifbar. Je stärker ihre Präsenz, je stärker meine Erregung, desto mehr verloren sich die Alltäglichkeiten, zerflossen in gleißender Aura. Ihre Flammen, lodernd, züngelnd und heiß ließen sie mich innerlich verbrennen. Erregung überlagerte alles. Ich lebte als Motte, fixiert auf ein einziges Ziel, immer wieder anrennend. Das Flackern des Lichtes waren Momente der Ablenkung, ihrer Ablenkung. Mir stets willkommen, verzögerten sie doch den Moment meines Verglühens.
Aber mit ihr kam auch das Bewusstsein des Fehlens. Ihr Licht schuf meine Dunkelheit. Glück schuf Depression. Erregung schuf Furcht. Furcht vor den Momenten ohne sie, vor dem Warten in der Einsamkeit. Vor dem lauter werdenden Ticken der Uhr. Dem Metronom der Angst. Vor der Schwärze, alles überdeckend. Von ihr hinterlassen.
Als sie ging, lächelte sie, reichte mir die alte Leuchte, die wir als Studenten gemeinsam an einer Baustelle mitgenommen hatten, ging zur Tür und knipste die Dunkelheit an.
Des Nachts, wenn ich allein in unserem Zimmer sitze, wenn ich fest von schmerzhafter Dunkelheit umschlossen werde, zünde ich sie an, erregt, mit zitternden Fingern. Dann ist sie wieder bei mir.
[ 14.07.2002, 15:59: Beitrag editiert von: querkopp ]