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Licht, Dunkelheit und Ratten
Licht, Dunkelheit und Ratten
Das Licht wurde schwächer, flackerte kurz auf und erlosch.
Es war schon das zweite Mal heute.
In der Dunkelheit fand Konstantin das Fahrrad mühelos, setzte sich, und begann in die Pedalen zu treten.
Es dauerte eine Weile, bis das Licht zurückkehrte.
Im schwachen Schein der roten Notbeleuchtung, sah er eine magere Ratte auf dem Tisch sitzen.
Ein alter Bekannter. Herr Konrad. Benannt nach seinem ehemaligen und verhassten Deutschlehrer.
Ein Stück ihres Schwanzes fehlte und an der linken Seite hatte sie einen auffälligen, weißen Streifen, der aussah wie ein Dreizack.
„Psssch! Hau ab, du Drecksvieh!“
Mit einem Quieken sprang das Tier vom Tisch.
Irgendwann begannen seine Waden zu schmerzen.
Konstantin stieg von dem alten Rennrad und lief zu dem großen Tank, um sich ein Glas Wasser abzuzapfen. Seit einer Weile machte er sich große Sorgen über den Zustand des Generators.
Er hatte das Gefühl, jeden Tag ein wenig länger in die Pedale treten zu müssen.
Aus den Augenwinkeln sah er eine Ratte. Sie putzte ihr struppiges Fell und schien ihn überhaupt nicht zu beachten.
Konstantin warf eine Packung Astronautennahrung nach ihr. Die Tüte landete einige Zentimeter vor dem Tier, platze auf und verteilte Trockenobst auf dem Boden.
Die Ratte griff sich eine Pflaume und verschwand.
Anfangs waren ihm die Ratten gern gesehene Gäste. Er sprach mit ihnen, fütterte sie, vertrieb sich die Zeit mit ihnen.
Bis die Tiere ihre Scheu vor ihm verloren.
Sie nagten sich durch die Schränke und begannen seine Vorräte zu plündern. Überall lag Kot.
Also hatte Konstantin einen persönlichen Feldzug gegen die Tiere gestartet,
hatte ihre Nester gesucht, die Jungtiere getötet und nach jedem Tier geschlagen, das ihm zu nahe gekommen war. Die Ratten wurden vorsichtiger.
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„Bäääh!“
Konstantin zog die tote Ratte unter dem Karton hervor. Sie war schon mumifiziert.
Er würde sie bei seinem nächsten Stuhlgang mitnehmen und entsorgen.
Wenigstens war es diesmal keines ihrer Nester gewesen.
Es war ein Graus gewesen, die nackten Jungtiere zu töten.
Er drückte den schweren Hebel nach oben und zog die Tür auf. Ihre Quietschen hallte in dem Labyrinth aus halb verschütteten Gängen.
Was hätte er für eine Taschenlampe gegeben. Er hatte Dutzende Batterien gefunden, doch keine Lampe.
Der modrige Gestank abgestandener Luft, ließ ihn wieder an die ersten Tage in seinem Verlies denken.
Gleich die erste Detonation hatte die Wände einstürzen lassen, den Ausgang zerstört, sämtliche Leitungen gekappt und ihn zur Flucht in den Generatorraum gezwungen, dem einzigen Ort mit Licht. Manchmal wünschte Konstantin sich, die Luftschächte wären mit eingestürzt, oder der Vorratsraum, oder dass er gleich mit den anderen gestorben wäre.
Die Panik der ersten Zeit hatte sich schon lange in Resignation gewandelt. Angst, Einsamkeit, Hoffnung hatte er gelernt zu unterdrücken. Er hatte seine Gefühle zurückgenommen und in den hintersten Ecken seines Verstandes aufeinandergestapelt.
Doch es war ein wackeliger Turm, den er gebaut hatte. Konstantin wusste das, und er hoffte jeden Tag, dass er nicht einstürzen würde.
„Ihr bleibt draußen, verstanden, ich hab schon genug von euch!“, rief er laut, dann trat er in die Dunkelheit.
Behutsam lehnte er die Tür gegen das Schloss.
Niemals hätte er sich getraut, sie ganz zu schließen. Was, wenn er sie nicht mehr aufbekommen würde? Konstantin fröstelte.
Dreizehn Schritte vor, fünfzehn nach links, sieben nach vorne, achtzehn nach rechts.
Eine einfache Schrittfolge, schon unzählige Male gegangen. Mittlerweile musste er eigentlich nur noch dem Gestank folgen.
Konstantin erreichte sein Ziel, schmiss die tote Ratte in den Raum und erleichterte sich.
In der Dunkelheit konnte er die Ratten hören.
Er wusste, sie würden nicht nur die Reste ihres Artgenossen verschlingen, sondern auch seine Ausscheidungen, sobald er den Raum verlassen hatte.
Er schlief auf dem Tisch. Nachts ließen ihn die Ratten in Ruhe, meistens, aber es hatte eine Weile gedauert, bis er sich an das Geräusch ihrer kleinen Krallen gewöhnt hatte.
Nicht, dass er viel geschlafen hätte. Die Last des Betons über ihm machte ihm schwer zu schaffen. Konstantin hatte die zweite Explosion selbst hier unten vernommen. Am nächsten Tag hatte er den Riss in der Betondecke bemerkt.
Manchmal konnte er den Stein über sich arbeiten hören.
Mehr Sorgen bereitete ihm jedoch der Generator.
Vor ein paar Monaten, eigentlich kam es ihm eher wie Jahre vor, hatte er das Fahrrad aufgebockt, und an den Generator angeschlossen. Er musste eine der Leitungen dabei beschädigt haben. Oder die Ratten hatten sie angeknabbert.
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Konstantin erwachte in völliger Dunkelheit. Etwas saß auf seiner Brust. Noch bevor er sich ganz aufrichten konnte, wurde er in die Nase gebissen. Schreiend rollte er sich vom Tisch und fiel unsanft auf den Boden. Sein Brustkorb landete auf einer Ratte und brach ihr das Rückgrat.
Er konnte es brechen hören.
Der Rest strömte quiekend auseinander.
„Ihr Scheißviecher, verpisst euch! Scheiße!“
Konstantin richtete sich auf und betastete seine Nase. Er blutete.
Er brauchte Licht.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis es hell wurde.
Das Licht zeigte ihm eine graue Ratte, ihre kleine Zunge hing seitlich aus dem Maul und ein dünnes Rinnsal Blut lief ihr aus der Schnauze. Herr Konrad knabberte bereits an ihr.
Konstantin spuckte in ihre Richtung.
„Verpiss dich!“
Während er den Generator auflud, wanderten seine Gedanken die einstmals hell erleuchteten Gänge des Bunkers ab. Er glaubte sich zu erinnern, kurz nach dem Eingang einen >Erste-Hilfe-Kasten gesehen zu haben. Rattenbisse konnten sich leicht entzünden und Konstantin wollte nach all den Strapazen und Entbehrungen nicht qualvoll an einer Blutvergiftung sterben.
Nicht, nachdem er seine Selbstmordgedanken fürs erste aufgeschoben hatte.
Vielleicht war ja der Kasten nicht verschüttet worden, sondern lag irgendwo im Dunkel auf dem Boden.
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Die Wände fühlten sich kalt und feucht an, die Luft schmeckte verbraucht.
Es war stockfinster und er konnte die Ratten hören. Ihr geschäftiges Wuseln, immer auf der Suche nach etwas Fressbaren.
Konstantin begann sich zu fragen, wie er hier jemals irgendetwas finden sollte.
Ein Blick zurück zeigte ihm ein schwaches, rotes Leuchten, welches zwischen der angelehnten Tür hervor schien.
Vorsichtig tastete er sich voran. Unter seinen Füßen konnte er unzählige, kleine Steine spüren.
Seine Hände ertasteten einen tiefen Riss in der Wand. Konstantin konnte das Ausmaß an Zerstörung nur erahnen.
Er stieß mit dem Knie schmerzhaft an einen großen Stein.
„Verflucht!“
Er rieb sich die Stelle, und sah dann erneut nach dem kleinen roten Schlitz zurück.
Noch nicht aufgeben, sagte Konstantin sich.
Die Wand machte jetzt einen Knick, hier musste der Kasten gehangen haben.
„Wo bist du?“ Seine Stimme klang kratzig und rau.
Wegen den Ratten wollte er nicht mit den Händen den Boden abtasten, also lehnte er sich mit einer Hand an die Wand, und benutzte sein rechtes Bein, um den Boden entlang zu fahren.
So arbeitete er sich langsam die Wand entlang.
Er berührte etwas Weiches.
Vor seinen Augen erschien das Bild einer verwesten Ratte.
Dann berührte sein Fuß etwas Hartes. Es klang blechern, als er ein zweites Mal dagegen stieß.
Das musste er sein!
Er ließ sich an der Wand hinab und beugte, sich so weit es ging, nach vorne.
Seine Hände griffen in eine Art Mehl, zumindest fühlte es sich so an, dann berührten seine Fingerspitzen den Kasten.
Struppiges Fell strich seine Hand entlang, fast zärtlich.
„Hau ab!“
Blind trat er in die Dunkelheit. Er traf die Ratte, könnte hören, wie sie quiekend durch den Raum flog.
Konstantin grinste breit. Dann lachte er. Ein fast schon verrücktes Lachen, wie er selber fand.
Er beugte sich erneut herab, fand den Kasten und zog ihn an sich.
Der Blechkasten fühlte sich verbeult an, aber nicht leer.
Er klemmte ihn unter den Arm und begann zurück zulaufen.
Nachdem die Wand endete, konnte er geradewegs auf den erleuchteten Türschlitz zusteuern.
Einige Meter davor, langte ihr Schein aus, um ihm den Kasten unter seinem rechten Arm sichtbar zu machen.
Er war braun, ein Gesicht mit einer Gasmaske war darauf zu sehen.
Konstantin schossen Tränen in die Augen. Er konnte sie nicht zurückhalten, der Turm war eingefallen. Es war das erste Mal, dass er hier unten weinte.
Der Kasten war nutzlos. Dann sah er etwas, und plötzlich konnte Konstantin aufhören zu weinen. Vielleicht war dieser Ausflug nicht ganz umsonst gewesen.
Vor ihm, zwischen der schweren Stahltür, steckte eine Ratte fest. Ein Stück ihres Schwanzes fehlte und sie hatte einen weißen Dreizack an der Seite. Irgendwie hatte sie es geschafft, mit dem Oberkörper stecken zu bleiben.
Konstantin wischte sich die Tränen aus den Augen und lächelte.
„Jetzt hab ich dich!“
Er griff den Stahlrahmen der Tür und zog sie mit aller Kraft zu.
Das Licht verschwand und er spürte Teile der Ratte auf seine Schuhe spritzen.
Dann erst wurde ihm klar, was er getan hatte.
Panisch lehnte er sich gegen die Stahltür. Drückte so fest, dass ihm schwindelig wurde. Dann sprang er dagegen, später schlug er sich die Fäuste an ihr blutig. Zuletzt schrie er sie an, beschimpfte und verfluchte sie.
Kraftlos ließ er sich gegen die Tür gelehnt herab. Nach einer Weile spürte er eine Ratte, die die Überreste Herrn Konrads von seinen Schuhen fraß. Er ließ sie gewähren.