Liberte tute me ex inferis
Im Fieber.
Wie im Fieber hackten seine zittrigen Finger auf die klappernde Tastatur ein.
Alles festhalten.
Er wollte nichts verlieren, griff in seinen Gedanken nach verschwommenen Erinnerungen, die sein Bewußtsein verdrängen wollte.
Abschieben.
Ausweisen.
Nicht mehr daran denken.
Doch der andere Teil seine entstellten Ichs wollte sie behalten. Jene Gedanken an die letzten Stunden, die alles veränderten. Kein Glaube mehr, nur noch Verzweiflung. Pure, endlose Verzweiflung.
Und Wut.
Diese allmächtige Wut, die langsam aber sicher sein innerstes Ich mit ihren Klauen zerriß und ihn davon abhielt, klare Gedanken zu fassen.
Er wollte alles aufschreiben.
Hastig vergraulte er die schmierige Stille seiner Wohnung mit dem endlosen Klappern der Tastatur. Er formte Wörter, Buchstaben, eine ganze Geschichte, die jedem, der sie lesen würde in einen Abgrund blicken lassen sollte, so tief, daß es kein Entrinnen geben kann, denn jede Seele würde unter übermächtigem Würgen dort hinunter gezogen. Dort hinein, von wo es keinen Ausweg mehr gibt.
Nein, nicht die sterbliche Hülle der menschlichen Existenz sollte in der Ewigkeit gefangen sein. Sondern die Seele, nur die Seele. Hastig fuhr er sich mit der klebrigen Hand über das rote Gesicht.
Blut.
Dann erneutes Klappern der Tastatur.
Niemand weiß, wie die Hölle aussieht, doch er hatte nun eine Ahnung von dem Unvorstellbaren und er wollte sich retten. Retten vor der verschlingenden Ewigkeit des schreienden Abgrunds, der sich in dieser Nacht für ihn aufgetan hatte.
Tack Tack, Tack Tack.
Erbarmungslos verschluckte die unerträgliche Stille den Klang der Tasten, der sich in einem kaum hörbaren Widerhall nur kurz gegen sein Schicksal wehren konnte.
Plötzlich Hände.
Unter dem Tisch versuchten kalte Hände, sich um seine Fersen zu legen, um dann langsam, aber ganz sicher den Druck zu verstärken und ihn dort hinunter zu ziehen, unter den Tisch, wo -
Hände auf seiner Schulter.
Kalt.
Fest.
Bestimmt.
In Gedanken nicht nur Hände. Eine grauenhafte Fratze. Stumm. Aber da. Ganz nah. Er sah sie nicht, spürte sie nur.
Umdrehen. Nachsehen. Nichts mehr.
Keine Hände, keine Fratze.
Auch nicht unter dem Tisch.
Ruhe für eine kurze Zeit, erneutes Klappern. Nur das Flimmern des billigen Monitors kämpfte gegen die Dunkelheit an, die eine Masse zu haben schien. Schleimig und schwarz wälzte sie sich durch den kleinen Raum. Die Türe zu dem kleinen Flur hinter ihm stand offen. Er wußte es, konnte aber nichts sehen. Und er wußte auch, daß etwas eindringen könnte.
Ohne zu Klopfen.
Seine Finger sausten immer schneller auf die Tastatur, auf der die Buchstaben mittlerweile kaum noch zu erkennen waren – eine krustige Schicht trockenen Blutes hatte sich über die Platikquader gelegt, als wolle irgend etwas verhindern, daß er nun alles auf dem Bildschirm manifestierte.
Er spuckte.
Mit dem Ärmel seines Jacketts versuchte er, sein Werkzeug zu reinigen.
ein hastiges Wischen
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über die Tasten.
Klappern.
Immer schneller füllte sich der Bildschirm mit Worten, die das Unbeschreibliche beschreiben wollten. Mit den begrenzten Möglichkeiten, menschlicher und allzu irdischer Ausdrücke versuchte er das verständlich zu machen, nein, selbst zu verstehen, was ganz und gar nicht menschlich oder irdisch war. Oder war es etwa die Verdammnis allen Irdischen? Hatte er nur das gesehen, was jeder einmal in seinem Leben sehen würde, von dem nur noch niemand zu berichten im Stande gewesen war, weil er nicht mehr berichten konnte?
Um so mehr fühlte er sich dazu berufen, sein Werk zu Ende zu bringen.
Vor ihm ein Fenster.
Dunkelheit.
Im Fenster spiegelte sich der Kampf des schwachen Monitors gegen die wabernde Dunkelheit.
Waren das Schritte?
Er ließ das letzte Tack Tack in im Schlund der Stille verenden und lauschte.
Nichts.
Doch das namenlose Entsetzen drohte wieder, die Kontrolle über seinen zermürbten Körper zu übernehmen. Schon oft hatte er Angst gehabt, doch dies war etwas anderes. Angst ist ein Gefühl; Gedanken, die sich im Kopf einnisten und zu Schweißausbrüchen, vielleicht auch Zittern führen. Hier handelte es jedoch sich um einen Zustand der Seele; Gedanken gibt es nicht mehr, nur noch wirre Bilder, die blitzlichtartig das Dunkel des Gehirns erhellen. Dein Körper, nutzlos, nicht mehr unter Kontrolle.
Lauf.
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Probier es doch...
Wahrscheinlich nur eine Einbildung.
Klappern.
Dann wieder ein kalter Schauer, der sich in einen Würgegriff unbeschreiblichen Grauens verwandelte. Hände, die Fratze, dann die Ähnlichkeit: Sein eigenes, zu einem grauenhaften Grinsen entstelltes Gesicht.
Das Klappern verstummte.