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Thema des Monats Leutnant Skrambels Glaube

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15.04.2002
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Leutnant Skrambels Glaube

Bevor Leutnant von Skrambel das kosmokinesische Rattenschiff in zwei Hälften zerstrahlte, erfand er fix noch eine Religion. Wie wäre es, überlegte er, würden geweihte Priester einem Neumenschlein kurz nach der Geburt dessen beide Extraarme wegschneiden? Die Altmenschen hatten schließlich auch nur zwei solcher Gliedmaßen, und ihnen nachzueifern, sei die oberste Doktrin des Glaubens, der von Skrambel gestiftet ward. Um ein Haar hätte der Leutnant vergessen, dem vorderen Wrackteil des Rattenschiffs den Gnadenstoß zu versetzen, so sehr beschäftigte ihn seine Idee. Aber mit einem beherzten Griff in die Feuerknöpfe erteilte er den Ratten den letzten Segen. Da er gerade mit den anderen zwei Händen eine geeignete heilige Geste erfand, war er froh, dass noch niemand vor ihm seine Religion erfunden hatte. Wie sonst hätte er den wohl gezielten Schuss mit den beiden freien Händen ausführen können, hätte er die überhaupt nicht mehr gehabt?
Nach der Kampfschicht marschierte Leutnant von Skrambel zur diensthabenden Ritualslektorin und trug ihr seine Idee stolz vor.
»Oh, wirklich nicht grässlich«, beschied die doppelbreite Dame und belohnte den Leutnant mit einer entspannenden Massage. Gleichzeitig nahm sie mit den freien Händen Eingaben an ihrem Steuerpult vor. »Ich habe aus Ihrem Vorschlag fix eine heil'ge Schrift erzeugt. Als Versmaß habe ich Ihren Stöhnrhythmus verwendet, auf dass Sie sich jederzeit in diesem Werke wiederfinden, dessen Geiste Ihrer ist.«
Der Leutnant wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wie hoch ist mein Honorar?«
»Na, na«, machte die Ritualslektorin. »Wir wollen doch erst einmal den Erfolg abwarten, bevor wir über läppische Prozente reden.« Sie wedelte mit drei Händen, so dass bunte Diagramme auf die freie Kabinenwand projiziert wurden. »Sie müssen wissen, Herr Kapitän, dass derzeit Religionen hoch im Kurs stehen, bei denen Bluttrank oder Verzehr von Leichenteilen eine Rolle spielen. Amputationsrituale haben es da möglicherweise derzeit schwer.«
»Ich bin leider nur Leutnant«, sagte von Skrambel kleinlaut, »außerdem ist meine Pause für diese Woche jetzt leider vorbei.«
Die Ritualslektorin zog die Brauen hoch. »Leutnant, so so. Verstehe.« Sie machte sich eine Notiz, dann aktivierte sie durch Blinzelschaltung die Ausgangstür. »Auf Wiedersehen, Herr Leutnant. Vergessen Sie nicht am Ausgang die Kollekte zugunsten unseres heiligen Lektorats.«
Der Leutnant rieb sich die Hände, während er überlegte, welchen Teil seines Soldes er spenden konnte, ohne mehr als drei Tage zu hungern. »Ach was soll's«, sagte er dann und spendete sein gesamtes Geld, »das ist es mir wert. Dafür versuche ich, bei der nächsten Angriffswelle einen Extra-Bonus zu erkämpfen.«
»Vielen Dank für die großzügige Spende«, tönte hocherfreut die Stimme der Lektorin, »ich merke mir vor, Sie nächstes Mal mit allen beiden Armpaaren zu massieren, und das obwohl Sie nur Leutnant sind.«
Freudig verabschiedete sich von Skrambel, hastete auf seinen Befehlsstand und fuhr fort, die Kampfschiffe kosmokinesischer Ratten in Weltraumwracks zu verwandeln.
Bei der nächsten Pinkelpause schaute er aufgeregt nach seinen Verkaufszahlen, und siehe da: schon sieben freiberufliche Religionskritiker hatten seine Heilige Schrift gekauft. Es hagelte Kritik an der mangelnden Tiefgründigkeit des Rituals sowie am Versmaß, ein Rezensent aber gab zu, »auf diese elegante Idee« auch gerne gekommen zu sein.
Am nächsten Morgen meldete sich während des Frühstücks die erste bekehrte Spielwelt bei ihrem Gott. Fünfzehn geweihte Skrambelpriester reckten rhythmisch betend frisch abgetrennte Neumensch-Arme gen Himmel und beteten für besseres Wetter.
Der Leutnant spendete der Spielwelt als Belohnung eine reiche Ernte, einen glorreichen Sieg im Krieg gegen die Armee der heidnischen Bluttrinker sowie einen mystischen Propheten, den er nach seinem eigenen Ebenbild schuf (minus zwei Arme natürlich).
Dann kehrte Leutnant von Skrambel zufrieden zurück an seinen Arbeitsplatz und fuhr damit fort, seine heilige Jagdmission zu erfüllen, damit endlich Odin daheim der Erde üppige Ernte spendete.

Thema des Monats Juni/Juli: SF und Religion

 

Hallo Uwe,

da ich schon hier bin und deinen (angenehm kurzen) Text gelesen habe, meine Reaktion: Da sind einige sehr lustige Ideen drin. Das Religiöse, das einerseits verwaltet wird wie Patente und andererseits kritisiert und verbreitet wird wie Literatur. Und am Anfang das Kämpfen als normale Erwerbsarbeit.

Das ist schon kurzweilig! Über Tiefgang will ich hier nicht reden, weil es eigentlich schon sehr viel ist, wenn ein Text es schafft, mich zu unterhalten und zum Schmunzeln zu bringen. ;)

Angenehm ist mir aufgefallen, dass du die Inquit-Verben bei den meisten Stellen mit direkter Rede weggelassen hast oder zum guten alten "sagte" zurückgekehrt bist.

Freundliche Grüße,

Berg

 

Was soll ich sagen? Ein völlig absurder Text... Du bist der seltene Fall, in dem das ein Lob ist.

Es ist eine kurzweilige, knackige Fingerübung. Was soll man da verbessern. Allerhöchstens: Die Bekehrung geht zu schnell! Wo sind die Missionare auf heiliger Mission? Und die Inquisition? Das geht doch so mal gar nicht!

Grüße,
M1Labbe

 

Hallo Uwe!

Zunächst Gratulation zur Namenswahl: Leutnant Skrambel, wirklich passend. In der Geschichte wird ja etwas vermischt.

Der Literaturbetrieb wird in der Geschichte mit einer Religion verglichen.
Manche Themen sind für eine gewisse Zeit heilige Kühe und stehen hoch im Kurs, wie Vampirstorys zum Beispiel, jedes andere Thema hat es schwer auf dem Markt.
Dagegen hilft nur eine kräftige Spende zu entrichten, sprich Druckkostenzuschuss oder entgegen seiner Überzeugung zu predigen bzw. zu schreiben.

Das „kosmokinesische Rattenschiff“. Das ist interessant. Kosmo = wurzellos, und kinese = Steuerung ungerichteter Bewegung. Hmm … Ich interpretiere die Ratten als Atheisten. Warum man dann auf sie eindrischt, statt sie zu bekehren, ist mir nicht ganz klar.
Ach so, ich muss ja noch den Vergleich zum Literaturbetrieb suchen. Hmm … Analphabeten, Dokusoapgucker, iPad-Ignoranten? Auch das hilft mir nicht wirklich weiter.
Oder es ist umgekehrt: Die Wurzellosen und Ungesteuerten sind iPad-Anbeter und diese müssen Odin, einer alten Gottheit, dem gedruckten Buch oder der Weltliteratur, gewissermaßen geopfert werden, um …
Ich fürchte, ich werd schizophren, wie der Leutnant oder der Literaturbetrieb derzeit.

Lieben Gruß

Asterix

 
Zuletzt bearbeitet:

Fast perfekte Interpretation, Asterix :thumbsup:

Die Ratten sind die Leser, bzw. die, die der "Autor" sich "erjagt". Dass er sie dabei umbringt, könnte mit der, äh, Qualität seines Werkes zu tun haben...

Aber bitte nicht zuviel interpretieren. Die Story soll auch auf ihre schräge Art unterhalten und nicht bloß auf der Meta-Ebene funktionieren. Eure bisherigen Kommentare zeigen mir, dass das einigermaßen gelingt. Für mein kleines Experiment (mehr als Fingerübung, würde ich behaupten) schon mehr, als ich erhofft hatte - so, und jetzt geh ich mal wieder eine Religion erfinden...

 

Hi Uwe,

die Religion vermarkten, wie ein Buch, ist eine lustige Idee. Sicherlich verskrampelst du einiges, aber ein paar traurige Tatsachen stimmen jedoch überein: der Missbrauch Gläubiger, das Scheinheilige, Spendengelder, die durch Gewalttaten finanziert werden, die Beschneidung* ... all das packst du in eine kleine Geschichte. Dabei wirkt der Text weder überladen noch unbeholfen. Nebenbei liest sich deine Erzählung mit schmunzelndem Gesicht und das Versmaß dem Stöhnrhytmus anzupassen ... wenn man daran denkt, was Menschen bei der Exegese alles berücksichtigen und für wahrhaftig halten. =)

* zur Beschneidung: die Beschneidung des Jungen im Kindesalter hat seinen Brauch, aber auch seine hygenische Bedeutung. Beschneidet man jedoch Mädchen ist das Körperverletzung. Die Amputation zweier Arme - nach dem Motto, wir haben ja noch zwei - scheint mir, mehr mit Körperverletzung als mit sinnvoller Anpassung an Vorfahren gemein zu haben. Kurz: Für mich kritisierst du die Sinnlosigkeit mancher Bräuche. Genauso gut könnte vor zigtausend Jahren jemand gesagt haben: "hey, schmieren wir uns einen Punkt auf die Stirn."

Ich habe deine Geschichte gern gelesen. Das religiöse Thema hast du meiner Meinung gut verpackt, weil allerhand Andeutung vorhanden sind, diese auch parodiert werden, aber verschiedenartige Interpretationen ermöglichen. Daher würde ich den Vorwurf, deine Erzählung sei nicht tiefgründig, verwerfen.

So viel Verwirrung für heute.

Beste Grüße
markus.

PS: Noch zwei Anmerkungen.

*»Sie müssen wissen, Herrn Kapitän, dass derzeit Religionen hoch im Kurs stehen, bei denen Bluttrank oder Verzehr von Leichenteilen eine Rolle spielen. Amputationsrituale haben es da möglicherweise derzeit schwer.«
Möglicherweise irre ich schwer, aber müsste es nicht "Herr Kapitän" heißen?

es ist es mir wert
das ist es mir wert?
- aber wahrscheinlich hast du das so beabsichtigt.

 

Oh, da hast Du wirklich zwei Fehlerchen gefunden. Um die kümmere ich mich eingehend, danke!

Was die Beschneidung von Jungen angeht: Auch die halte ich für unzulässige Verstümmelung. In der heutigen Zeit sollte es doch in den meisten Zivilisationskreisen möglich sein, dass Wasser und Seife regelmäßig unter der Vorhaut angewendet werden. Bloß weil der Penis für völlig verklemmte Zeitgenossen so eine Art Tabu-Zone ist, heißt das weder, dass man sich da nicht wäscht (oder, wenn man noch zu klein ist, von den Eltern gewaschen wird), noch dass man gleich ein Stück davon abschneidet.
Manche Leute waschen sich nie die Füße. Die sollte man dann auch vorsorglich amputieren.

 

Ein gelungener kleiner Happen für Zwischendurch, mit Potential für eine längere Geschichte, denn manche Ideen rauschen so schnell vorbei, dass man sie kaum genießen kann.

"Kosmokinesisch" habe ich übrigens als "komsmische Chinesen" gelesen. Und "Ratten" sind ein seltsamer Zufall, weil ich gerade parallel Cordwainer Smith "Das Spiel Ratte und Drache" gelesen habe - da sind die "Ratten" ja auch eine kosmische Bedrohung.

Und ja, an Kindern herumschnippeln bloß weil man seine eigenen Komplexe nicht unter Kontrolle hat ist atavistisch, aber noch heute verbreitet. Auch bei uns. Da überlässt man es bloß dem platischen Chirurgen.

 

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