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Leuchtturmwärterleben

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08.11.2001
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Leuchtturmwärterleben

Leuchtturmwärterleben

Viele Jahre, die in Wellen vor ihm lagen. Die sich in einen Rhythmus fügten, der vom Licht geformt wurde. Viele Jahre, in denen er versucht hatte, zu büßen, zu lernen. Zu verstehen.
Und nach diesen Jahren keinen Schritt weiter. Er seufzte, als er die ölige Fischkonserve von sich schob und das halb gegessene Stück Brot zurück auf den Teller rutschen ließ.
Ihre Entscheidung hatte seine Entscheidungen bedingt. Kein Kind zu wollen, konnte sie ihm nicht verzeihen. Nicht zu teilen, was sie träumten, stand zwischen ihnen. Das Leben hatte sich hineingedrängt in ihre Beziehung. All das hatte sich eingenistet, in ihrem glücklichen Lachen, seiner Stimme, einer zärtlichen Stunde und gutem Essen.
Das schlichte Leben an sich war klarer und klarer geworden, bis ihn die Erkenntnis zu erschlagen drohte, dass er nicht mehr von der Zukunft träumte, die sie einmal habe würden, sondern von der Zukunft, die sie in der Vergangenheit einmal hätten haben können.
Die Welt war vor seinen Augen abgelaufen und hatte ihn aus dem Traum herausgesogen, als gehöre er nicht dorthinein. Seine eigene Firma, aufgebaut seit damals, seine Familie, die Aufgaben, die ihn umzingelten, waren klarer hervorgetreten, als je zuvor. Er hatte sich abgewandt.
Die Entscheidung hierherzuziehen, traf er nicht. Sie war gegeben. Hier wo die Klippen sich den Wellen entgegenstemmten, als gäbe es etwas zu verteidigen, das die Mühe wert war, hatte er sich darauf eingerichtet, dass das Verstreichen von Zeit der eigentliche Sinn der Welt war.
Wellen und Gezeiten, die in Symbiose an den Felsen nagten, waren zum Maßstab des Lebens an sich geworden. Auf einer Insel, auf der außer dem Leuchtturm nichts war, als ein Anlegesteg.
Warten auf das Hereinbrechen der Dämmerung, das den Zyklus des Lichts sichtbar machte, den er über das Wasser strahlte. Auf der Galerie stehen, das pulsierende Licht im Rücken und den Horizont betrachten.
Sturmwarnungen im Radio, die von Gefahr sprechen, die in Stunden um ihn herum tobt. Nichts zerstört, weil nichts besteht. Außer dem fernen Dröhnen in den Ohren nichts hinterlässt. In jeder zweiten Woche das Schiff, das die Bestellungen bringt. Und manchmal frisches Obst. Ein Gruß zum Ablegen.
Seine Bestimmung gefunden zu haben, lässt ihn tief atmen. Hier angekommen kostete er zum ersten Mal seit Jahren das Gefühl aus, frei zu sein.
Ihr Gesicht ist nur noch blass. Ihre Stimme übertönt schon lange nicht mehr den Wind, der hier niemals schweigt. Was sie war, füllen jetzt die Wellen und das Licht. Die Gründe kennt er längst nicht mehr. Weder ihre, noch seine eigenen. Dass sie sich entschieden hat, daran denkt er noch manchmal. Dann und wann. Und daran, dass auch er sich entschieden hat. Auf seine Weise, irgendwie. Wenn nicht am Horizont ein Schiff entlangzieht.

"Papa?" Die Stimme drang über den Wind zu ihm. Aber durch den aufziehenden Nebel erreicht sie ihn nur beinahe, verweht um ihn herum. Die Jahre hier oben auf der Galerie habe ihn taub werden lassen, für Rufe von außen.
"Papa, sie warten alle. Im Wohnzimmer!" Stufe für Stufe stieg er den Turm hinab. In einer langsamen Spirale näherte er sich ihrer Stimme. Durch den Nebel gedämpft. Er würde nicht ausweichen können. "Es ist doch Euer Hochzeitstag! Mama sucht schon nach Dir."
Schemenhaft konnte er ihre Gestalt auf dem Steg ausmachen. Eine Hand zu ihm herübergestreckt. Er zwängte sich durch die Tür und trat ihr entgegen. "Ich komme, mein Schatz", hörte er sich sagen. Wie alles auch seine Stimme vom Nebel gedämpft. "Du bist ja noch gar nicht fertig!", nein, er wollte bleiben. Die Stufen wieder hinaufsteigen. Über das Wasser sehen und an die Dinge denken, die wichtig gewesen wären, in der Zukunft von früher.
Er sah an sich herunter, strich gedankenverloren über den groben Wollpullover. "Ja, Liebling, ich zieh mich schnell um." Sie nickte, verließ den Raum und er wandte sich wieder dem Turm zu, der in der beginnenden Dunkelheit seinen Strahl durch den Nebel schnitt.
Nach all den Jahren nun Goldene Hochzeit. Ihre Entscheidungen hatten sich selbst getroffen, das Leben sich verwirklicht, und am Ende blieb ein Turm im Nebel und eine Goldene Hochzeit. Liebevoll schloss er die Tür am Fuße des Turms.
Er würde erst in ein paar Stunden zurückkehren. Für eine lange Zeit. In die Zukunft, die längst Vergangenheit geworden war. Die neblige Luft zog noch einmal in seine Lungen, als er die Klippen verließ und durch die Tür in den Flur trat.

 

Hallo Frauke,

diese Geschichte hat nicht verdient als 0-antworten-story auf seite 2 schon dahinzusiechen!

bevor ich es vergesse Zeile 6: den Teller

Ich möchte sogar so weit gehen, dass in dieser story dein ganzes schriftstellerisches talent zum ausdruck kommt. folgendes zeugt dafür:

Wellen und Gezeiten, die in Symbiose an den Felsen nagten...

...wandte sich dem Turm zu, der in der beginnenden Dunkelheit seinen Strahl durch den Nebel schnitt

Ich möchte gar nicht auf den Inhalt eingehen.

Mir kommt es so vor, dass du nachdem die letzte story (roadmovie-story), die ich nicht so toll fand, alles reingelegt hast in diese geschichte um es allen zu zeigen. Das ist dir auch gelungen.

Frauke nur eine Vermutung!

Ich weiss auch nicht warum diese story keine resonanz findet, sie ist ganz hervorragend geschrieben.

Liegt es daran, dass im grunde genommen wenig passiert?
Das es schon zuviele Beschreibungen, sprich Stimmungsbilder gibt. Liegt es daran, dass keine spannungsmomete vorhanden sind?

Ach... warum soll ich es nicht noch einmal erwähnen, du gehörst für mich zu den Top 10 hier, ich denke dass soll noch einmal gesagt werden, weil man ins zweifeln kommt, wenn diese story nicht gelesen wird!

Liebe grüsse Archetyp

 

Stefan, du alter Charmeur!

Hallo arc,

ich finde nicht, dass zu wenig passiert. Es passiert eine ganze Menge. Ich meine, die Geschichte ist ja auch nicht so lang (im Gegensatz zu der letzten, die ich leider nicht geschafft habe). Und du schreibst wirklich verdammt schön. Sätze wie

Ihr Gesicht ist nur noch blass. Ihre Stimme übertönt schon lange nicht mehr den Wind, der hier niemals schweigt. Was sie war, füllen jetzt die Wellen und das Licht.

Aber so 100 % habe ich es nicht kapiert (Bedenke aber bitte, dass ich auch nicht so ganz helle bin).
Ist es richtig, dass der Mann sich immer wieder in diesen Leuchtturm flüchtet, um diese Freiheit und angenehme Einsamkeit zu spüren? Aber Anfang heißt es, dass sie ihm nicht verzeihen kann, dass er kein Kind will. Am Schluss ist aber eins da? Das habe ich nicht verstanden.
Aber allein schon wegen den schönen Sätzen hat es Spaß gemacht zu lesen.

LG

Jan

 

Hallo arc en ciel,

ich denke, daß der Mann glücklich verheiratet ist (vordergründig gesehen), er aber immer noch über eine andere, vergangene Beziehung und ihre verpaßten Möglichkeiten nachdenkt.
Die Sprache und die durch sie erzeugte Stimmung gefällt mir gut.
Ein Problem sehe ich an folgender Stelle: „konnte sie ihm nicht verzeihen“ „stand zwischen ihnen“ dann aber „All das hatte sich eingenistet in ihrem glücklichen Lachen“ . All das? Außerdem in „seiner Stimme“?
Es gibt auch einen seltsamen Wechsel in der verwendeten Zeit, von Imperfekt zu Präsens bei „Warten auf das Hereinbrechen der Dämmerung ...“ – ich weiß halt nicht, wie streng du da sein willst.

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo Frauke,

also die Geschichte gefällt mir alles in allem erstmal gut.

Besonders toll finde ich den Satz:

Die Entscheidung hierherzuziehen, traf er nicht. Sie war gegeben.

Wunderbar und erschreckend. Das kann ich gut verstehen.

Etwas zu pathetisch finde ich allerdings folgende Stelle:

In jeder zweiten Woche das Schiff, das die Bestellungen bringt. Und manchmal frisches Obst. Ein Gruß zum Ablegen.

Also bitte. Frisches Obst wird er schon genug haben. Das kannst Du mir nicht erzählen. So voller Entbehrungen muss ein Leuchturmwärterleben nicht sein.

Und die ölige Fischkonserve am Anfang passt irgendwie nicht in die Geschichte.

Insgesammt wird ja sehr viel nachgedacht und weniger gehandelt in der Geschichte. Die erzählte Zeit ist fast gar nicht vorhanden. Dadurch ist es ganz schwer sich hereinzufinden. Aber das spricht nicht gegen die Geschichte.
Irgendwie habe ich aber nach zweimal lesen noch nicht den Kern gefunden.
Und ich weiß ich nicht iwrklich den Grund, wieso der Mann derart unglücklich ist. was hat das mit dem Hochzeitstag zu tun? und ist er überhaupt unglücklich?

Viele Grüße,

Sal ;)

 

hi Ihr Lieben!

Schön, daß die Geschichte nicht versumpft ist. Ich war mir nicht wirklich sicher, warum das passiert ist...

tut mir leid, daß ich jetzt erst antworte -- ich war im Urlaub.

@Archy:
diese Geschichte und ihre Entstehung haben nichts mit Staffellauf zu tun. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich von der anderen Geschichte oder den Kritiken beeinflußt wurde :D
ich kann Dir noch nicht mal sagen, welche der Geschichten ich zuerst geschrieben habe.... :dozey:

Jedenfalls freut mich natürlich Dein Lob!

@Peter Pan:
auch Dir lieben Dank für Dein Lob!
ich freue mich immer, wenn jemand Stellen zitiert, die er mag! dann habe ich immer ganz besonders das Gefühl, daß ich was richtig gemacht habe ;)

Zum Inhalt: ist das wirklich so schwierig gewesen? ich dachte, es wäre eigentlich "sichtbar"...
Er flüchtet sich in seinen "Leuchtturm" und versteckt sich vor seinem Leben. Weil er das tut, trifft er nicht wirklich die Entscheidungen, die er treffen möchte, sondern läßt das Leben geschehen... Kinder? nein, dann doch... genau... nicht wirklich Entscheidungen... er passiert einfach, lebt nicht wirklich ( in der Realität.. )
dafür hat er seine abgeschottete Scheinwelt, die für ihn völlig real ist... ( deshalb, Sal, auch diese detaillierte Fischdose und das Obst... ) Aber beide Welten hängen doch zusammen. Die "Forderungen" der Außenwelt bestimmen zwar nicht den Inhalt seiner Scheinwelt, denn da kann er ausblenden... aber sie bestimmen, ob er sich dort aufhalten kann.
Er will offenbar nicht auf die Feier, will wohl nicht, daß sie stattfindet. Aber er entscheidet sich nicht - er fügt sich....
Eigentlich habe ich gedacht, daß es sich nur um EINE Beziehung handelt. Wirkt es wie 2?

Was den Zeitwechsel betrifft: das mache ich oft mit Absicht - auch, wenn's manchmal seltsame Wirkungen hat - nein, WEIL es sie hat... :shy:
hier bin ich mir aber grad nicht sicher - so aus dem Kopf... ich seh es mir an...

@Sal:
ganz lieben Dank.
ich weiß nicht, ob ich das Obst und den Fisch rausnehme. Ich seh es mir nochmal an, sobald ich Ruhe habe...
Warum er unglücklich ist? weil er nie entschieden hat, denke ich. Weil er sein (echtes) Leben niemals in die Hand genommen hat. Weil er davongelaufen ist, statt sich dem Leben zu stellen...
naja, so eben....

Lieben Gruß,

Frauke,
die bald wieder was schreiben muß, damit ihr Hirn nicht austrocknet...

 

so, Ihr Lieben!
auch, wenn ich derzeit recht abwesend bin, hab ich die Fehler verbessert, die ich in diesem Text noch finden konnte. Ich hoffe, jetzt hab ich alle raus.

LG,
Frauke

 

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