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Leuchtende Zöpfe

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01.10.2002
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Leuchtende Zöpfe

Leuchtende Zöpfe (vollständige Überarbeitung)

Leuchtende Zöpfe im Aramis. Nächsten Mittwoch, gleiche Zeit? Anna ahnte, dass sie gemeint war. Sie hatte geflochtenes Haar getragen, als sie dort gewesen war. Aramis. Ihr liebster Fluchtort vor der Hässlichkeit ihres Zimmers. Das Lesen der Anzeigen hatte sich gelohnt. Wenn sich schon keine nette WG fand, vielleicht ein interessanter Mann. Phantasie schien er zu haben. Leuchtende Zöpfe. Das klang poetischer als „rote Hexe vom Nebentisch“.
Im überfülltem Aramis waren Anna nur wenige Gäste aufgefallen. Jemand, der in den Inhalt seiner Aktentasche vertieft gewesen war. Ein Langhaariger, der sie vom Thekenhocker aus beobachtet hatte und eine schwache Blase zu haben schien. Ein dunkler Typ mit schweren Augenbrauen, der seinen Falafel mit Messer und Gabeln gegessen hatte.

Anna beschloss, am Mittwoch ihre Locken hochzustecken. Zum Haarewaschen hatte sie keine Zeit mehr gefunden. Etwas Parfum auf der Bürste musste reichen. Im Aramis wurde man sowieso eingeräuchert. In ihrem dünnen Samtkleid fror Anna schon auf dem Hinweg und spätestens im Gedränge zwischen all den biererhitzten, neugierigen Gesichtern bereute sie, nichts anderes angezogen zu haben. Niemand schien auf sie zu warten. Hatte man sie versetzt?

Da winkten ihr gleich zwei Männer vom Tisch in der Mitte zu. Anna fand, dass sie in ihren Holzfällerhemden verwandt aussahen, wie seltsame Brüder. Der Jüngere stand auf und lächelte schüchtern. Anna versuchte sich zu ihm durchzukämpfen, dabei ließ sie mehrere Jacken anderer Gäste auf den Boden fallen. Sie verstand nicht, warum sie immer noch nervös war.
„Schön, dass du da bist. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du wirklich kommst.“ Seine braunen Augen leuchteten. Anna fand es rührend, dass er sich Verstärkung geholt hatte. Sein Freund verfolgte belustigt ihren unbeholfenen Wortwechsel. Jetzt fiel Anna ein, dass beide zur angeheiterten Doppelkopf-Runde gehört hatten, deren Lärm sie beim Briefe Schreiben gestört hatte. Aber die kindliche Ausgelassenheit am Nebentisch hatte sie später genossen wie zu Hause das nachmittägliche Spielplatztoben.

Die Weizengläser der beiden waren fast leer. Sie mussten eine Weile gewartet haben. Dabei war Anna nicht unpünktlich gewesen. Ein wenig erstaunt hörte sie, dass von ihrem Rendezvous mehr Leute unterrichtet waren, als sie angenommen hatte. Jeder in Bentes Bekanntenkreis wusste von der „Traumfrau“.
„Unser Bente begeistert sich schnell. Ich lass euch Hübschen mal alleine.“ Bentes Freund zwinkerte Anna zum Abschied zu. Sie blickte ihm bedauernd nach.
„Was möchtest du essen?“, versuchte Bente ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. „Ich lade dich ein.“
Anna war sich nicht sicher, ob sie überhaupt Hunger hatte. Aber Bente schaute sie mit seinem Kleinjungenblick so eindringlich an, dass sie ihn nicht enttäuschen konnte. Sie studierte die Kreidetafel über der Theke, es gab sowieso nur Falafel und irgendwelche Salate. Sie überlegte, ob sie es wagen könnte, hier einen Capriciosa zu bestellen, als sich ein Arm um ihre Schultern legte, eine kameradschaftliche, etwas feuchte Berührung.
„Ein Salat ist doch viel zu wenig, Anna“, flüsterte Bente in ihr Ohr. „Und du beleidigst nicht nur den Koch, wenn du keinen Falafel bestellst.“
„Das wollen wir nicht riskieren“, gab Anna nach.
Die Falafel waren diesmal in Papier gerollt, eine andere Sorte, die sich angenehmer essen ließ. Ausgehungert machte sich Bente über sein Exemplar her und bestellte gleich ein Neues. Soße tropfte über seine spärlichen Bartstoppel, er kaute herzhaft mit offenem Mund und Anna verfolgte, wie seine schönen, weißen Zähne ins Brot schlugen. Zwischen zwei Bissen schwärmte er von Annas Zöpfen:
„Du sahst so hübsch aus an jenem Abend - oh heute natürlich auch“, fügte er schnell hinzu, dabei wäre Anna jede Einschränkung egal gewesen. Sie fragte sich mittlerweile, wie ihr schnaufendes Gegenüber einen so poetischen Anzeigentext erfinden konnte. Vielleicht hatte er ihn gar nicht selbst geschrieben?
„Ich wollte keine neue Frau kennen lernen“, unterbrach Bente ihre Überlegungen.
„Ach ja?“ Und wieso hatte er sie hierher bestellt?
„Ich habe mich verliebt.“ Bei Männern schienen gewisse Reize reibungsloser zu funktionieren, dachte Anna nicht zum ersten Mal. Manche fuhren auf kleine Ärsche ab. Andere auf blond. Oder rot. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, dass sich dieses große, nette Kind ernsthaft in sie verliebt haben konnte.
„Ich weiss nicht, ob du es hören möchtest.“
„Doch.“
„Ich habe mich verliebt“, wiederholte Bente.
„Und?“
„In meine Mitbewohnerin.“
„In deine Mitbewohnerin?“ Anna war überrascht.
„In die Frau, die vor zwei Wochen bei mir eingezogen ist.“, präzisierte Bente unschuldig.
„Und wo ist das Problem?“, fragte Anna und bemühte sich, unbeteiligt zu klingen.
„Ich wollte mich nicht verlieben. Ich möchte meiner Freundin nicht wehtun“, sagte Bente ernst. Anna hoffte, dass er sich nicht ausheulen wollte. Lost-between-two-lovers hätte sie diesem Kind wirklich nicht zugetraut. Wenn sie ehrlich war, nicht mal eine Freundin.
„Ellen und ich sind seit neun Jahren zusammen.“
„Seit neun Jahren?“ Anna war noch nie so lange mit jemandem zusammengewesen. Für Momente wollte sie voller Boshaftigkeit fragen, ob er Ellen im Kindergarten kennen gelernt hatte.
„Wir haben uns in der Mensa getroffen. Gleich im ersten Semester. Ich scheine all meine Frauen beim Essen kennen zu lernen“, scherzte Bente und schaute sie traurig an. Anna überschlug Bentes Alter. Selbst wenn er sein Abi mit Achtzehn geschafft hatte, war er mindestens fünf Jahre älter als sie. Und er lebte mit Ellen länger zusammen, als all ihre eigenen Beziehungen zusammenaddiert.
„Ellen macht in Bonn gerade ein Praktikum“, sagte Bente und spielte mit einem Salatrest auf seinem Teller. „Sie hat mich überredet, ihr Zimmer zu vermieten. Sie wollte ausdrücklich eine Frau. Sie hat mir wohl nicht zugetraut, dass ihre Zimmerpflanzen bei mir überleben.“ Bente lächelte schief.
„Und was für eine Frau ist eingezogen?“
„Eine Mathematikerin“, antwortete er. „ Achtunddreißig Jahre alt, verheiratet, kinderlos“, nahm er Annas Fragen vorweg. „Nicht so niedlich wie du.“ Er nahm eine ihrer Locken und drehte sie um seinen Finger. Vorsichtig zog er an einer Haarklemme.
„Ich möchte so gerne deine Haare offen sehen, machst du sie für mich auf?“, bat er und löste eine weitere Strähne.
„Erzähl lieber weiter von deiner Mathematikerin“, sagte Anna und rückte ein wenig ab.
„Sie ist auch nicht so hübsch wie Ellen“, versuchte Bente Anna eifersüchtig zu machen und zog seine Hand aus ihren Haaren. Aber Anna ahnte, dass Bente tief im Inneren nicht in solchen Kategorien dachte.
Seltsamerweise wurde er selbst schön, als er von den verwirrendsten zwei Wochen seines Lebens erzählte. Seine Augen leuchteten als er von seiner plötzlichen neuen Liebe erzählte. Tamara, zehn Jahre älter als er, nur vorübergehend bei ihm eingezogen, weil sie Distanz zu ihrem Mann brauchte. Eine sehr weiblich wirkende Frau mit langen grauen Haaren und vielen Kilos um die Hüften.
Anna schämte sich für ihr schwarzes Kleid, in das Bentes Geliebte niemals hineingepaßt hätte. Was hat sie, was Ellen nicht hat, wollte Anna am liebsten fragen. Aber ihr war bewusst, dass die eigentliche Frage anders lautete.
„Wir haben es nicht mehr ausgehalten, so nah beieinander. Abends am Küchentisch. Morgens im Flur. Zu wissen, sie schläft eine Tür neben mir.“
„Und dann hast du mich gesehen“, unterbrach Anna Bente schroff.
„Ja, ich habe sogar Tamara von dir erzählt. Sie meinte, das wäre die Lösung.“
Bente hatte die Kontaktanzeige nicht einmal selbst aufgegeben, registrierte Anna enttäuscht. Sie konnte es nicht fassen. War Tamara großzügig oder raffiniert? Wollte sie Bente testen? Worum kämpfte sie, um ihre Ehe oder ihren Geliebten? Obwohl Anna nur aus Neugier auf die Anzeige reagiert hatte, ärgerte sie sich über ihre eigene dumme Rolle in diesem abgekartetem Spiel.
Bente streichelte Annas Wange. „Leuchtende Zöpfe. So etwas Schönes wäre mir selbst nie eingefallen.“

 
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@mayo, criss, danke für eure Kommentare, auch wenn sie jetzt leider verschwunden sind. (Meine Antworten leider auch; ))Besonders schade um die gefundenen Rechtschreibfehler, die ich noch gern ausgemerzt hätte.

@lakita
Schade, dass ich deine Antwort wegen dem server-Ausfall gar nicht lesen konnte, nur die Benachrichtigung, trotzdem vielen Dank!

LG Petra

 

Hallo petdays,

ich hab den Ausdruck mit den markierten Fehlern noch. Ich schreib sie Dir heute Abend noch mal zusammen. :)

Christian

 

Hallo petdays,

hier also wie versprochen nochmal meine Korrekturanmerkungen:

„Wenn sich schon keine nette WG fand, vielleicht ein interessanter Mann.“
>>> evtl. „...fand, dann vielleicht...“

„Im überfülltem Aramis“
>>> überfüllten

„wenige einzelne Gäste“
>>> klingt nicht so schön; evtl. „nur einige Singles“?

„zum Haare Waschen“
>>> Haarewaschen

„nichts Anderes gewählt zu haben“
>>> anderes

„ „ Ich lade Dich ein.“ “
>>> Leerzeichen nach „ zuviel. Das hast Du öfter drin.

„...die vor zwei Wochen bei mir eingezogen ist.“, präzisierte Bente“
>>> Punkt vor schließenden Anführungszeichen zuviel

„Merkwürdigerweise wurde er selbst schön“
>>> Hier weiß ich zwar, wie es gemeint ist, aber die Formulierung gefiel mir nicht so gut.

Was ist denn eine „DoKo-Runde“? :confused:

Wie letztes Mal schon gesagt, gibt es stilistisch eigentlich nichts zu meckern, das passt in meinen Augen recht gut. Nur hatte ich beim ersten Lesen nicht alles verstanden. Vielleicht wären ein paar Ergänzungen nicht schlecht.

Viele Grüße

Christian

 

Hallo Petdays,

habe deine ausführliche Anwort aber Gott sei Dank noch gelesen, bevor der Server sich verabschiedete.

Habe alles begriffen und nachvollziehen können. Schließe mich aber Chris an, die eine oder andere Ergänzung wäre nicht schlecht.

Liebe Grüße
Mayo

 

@criss
Vielen Dank für Deine Mühe!!;) Werd die Änderungen am WE vornehmen + Einiges ergänzen. DoKo-Runde = Doppelkopfrunde.
@Mayo
Schön, dass du die Erläuterungen noch lesen konntest, ein paar werden am WE in den Text eingebaut, wenn ich Zeit finde.
lg Petra

 

Nochmal komplett überarbeitet, ich hoffe der Text ist jetzt "rätselfrei". ;)

Petra

 

Liebe Petra,

hatte ja ganz vergessen, dass meine damalige Kritik wegen Serverausfall hops gegangen war. Sorry, komm erst jetzt durch Zufall auf deine Geschichte wieder zu.

Du hast einen eleganten Schreibstil: flüssig, geschmeidig, ohne aufdringlich zu sein, ohne langatmig oder schnörkelig zu werden. Der Text ist dir gut gelungen.
Inhaltlich finde ich, dass die Variante, dass jemand, der zwischen zwei Frauen steht, sich einer Dritten zuwendet, zwar nicht exotisch, aber in deiner Geschichte dennoch, weil eben doch nicht lebensüblich, zu kurz abgehandelt wird.
Ich meine damit, dass, nachdem es aufgeklärt ist, weshalb der Bente sich der Protagonistin zuwendet, er dann vielleicht doch noch ein bisschen mehr über seine tieferen Motive Auskunft geben könnte.
Das würde meiner Meinung nach die Geschichte mehr abrunden.

Aber grundsätzlich gut hab ich sie gefunden.
Ich habe noch nicht so viel von dir gelesen, aber diese Geschichte hier veranlaßt mich, dir zu empfehlen, doch an gewagtere Themen heranzugehen. Ich bin überzeugt, dass du neben deinen sehr guten Formulierungskünsten auch eine Menge Spannung aufbauen könntest. Wie wärs? ;)

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo Lakita,

Schön, dass du dich noch mal gemeldet hast + vielen Dank fürs Kompliment an meine "Formulierungskünste"! ;)

Den Vorschlag, Bentes Motive noch stärker herauszuarbeiten, finde ich sehr gut. Vielleicht fällt mir was Schönes ein. Ich glaube auch, dass es an dieser Stelle noch "hakt" und die Geschichte etwas mehr Tiefe braucht.

Mit den gewagteren Themen sprichst du etwas Interessantes an. In der Rubrik Romantik neige ich zur "Harmlosigkeit", in Gesellschaft zu viel härteren Kalibern. (> Ersatzkanüle; Tüte im Gebüsch).

Meine nächste Romantik-Geschichte ist noch harmloser, *tja, tja*, aber deinen Vorschlag nehme ich als Herausforderung, auch in dieser Rubrik mal etwas mehr zur Sache zu gehen. Mal schauen, was dabei rauskommt. ;)

Liebe Grüsse Petra

 

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