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Letzter Gang
Sie führen mich einen langen Gang entlang. Die Wände sind in einem unsäglichen Grünton gestrichen, der einem in den Augen schmerzt. Es ist das erste Mal, dass ich es sehen muss -
und es wird gleichzeitig das letzte Mal sein, aber dies ist nur ein schwacher Trost.
An meinen Fußgelenken sind Fesseln angebracht, ebenso an meinen Handgelenken. Sie halten mich für gefährlich; wäre ich in ihrer Situation würde ich dies auch tun. Doch von mir geht nun keine Gefahr mehr aus. Das Böse, das ich beherrschte, der Dämon, der von meinem Geist Besitz ergriff - das alles ist erloschen. Der Herr hat es von mir genommen - der Herr ist gütig, er vergibt. Doch vor meinem Schicksal wird auch er mich nicht retten können.
Die beiden Männer ziehen mich ohne Mitleid weiter voran. Wozu sollten sie auch Mitleid mit mir haben? Ich bin ein Mensch, den man hassen muss; ich bin der, wovor Eltern ihre Kinder warnen.
Zumindest war ich dies. Doch das ist den Männer in den schwarzen Uniformen egal.
Während sich meine Füße ohne Unterlass voran bewegen, denke ich darüber nach, ob diese Situation für die beiden etwas Besonderes darstellt, oder ob es für sie Alltag geworden ist. Ich frage mich, ob ich vielleicht etwas Besonderes darstelle - immerhin bin ich zu einer Berühmtheit geworden (sogar Autogrammwünsche wurden mir geschickt) - aber wahrscheinlich eher nicht.
Die meisten der Monster, die diesen Weg gehen, sind mehr oder weniger zu Prominenten geworden. Sie geben Interviews im Fernsehen und füllen die Titelblätter diverser Zeitungen über Wochen hinweg.
Das Geräusch, das die Schuhe auf dem Boden erzeugen, hallt in meinem gereinigten Kopf. Viele hätte dieses Geräusch in den Wahnsinn getrieben - mich nicht. Ich bin glücklich, denn ich habe zu Jesus gefunden und ich weiß, dass er mir vergeben wird. Er scheut sich nicht, einem Sünder die Hand zu reichen. Der Glaube an den Herrn und seinen Sohn hat mir Kraft gegeben und mich wieder zu einem Menschen gemacht. Gott hat mir vergeben, in dem er mir die Offenbarung, in Form der Bibel, geschenkt hat. Ich sehe die Dinge jetzt anders, und nicht zum ersten Mal wünsche ich mir, ich hätte die Dinge damals schon anders gesehen, dann wäre all dies nicht geschehen und ich befände mich jetzt nicht auf dem Gang.
Vor wenigen Minuten war ein Priester bei mir. Am letzten Tag gewärten sie einem das. Der Pater nahm mir ein letztes Mal die Beichte ab; die Beichte besteht bei mir immer aus den selben Ritualen. Mit den Todsünden fange ich an - ich muss sie mir immer wieder von der Seele reden. Es gibt viele hier, die selbst jetzt noch nicht ihre Schuld gestehen. Und manche sind dabei - sie sind die schlimmsten - die nicht bereuen. Sie brüsten sich mit den Werken, die sie getan haben, und sagen Gott, dem Erlöser, ab. Auf sie wartet die Hölle. Sie mögen darüber lachen und Witze reißen - so wie ich früher darüber gelacht und Witze gerissen habe - doch ich weiß es. Ich bete auch für sie; bete, dass der Herr ihnen die gleiche Gnade zuteil werden lässt, wie mir. Ich glaube nicht, dass er mich in diesem Fall erhören wird und es stimmt mich traurig. Auf sie wird das ewige Feuer warten, und anders als an diesem Ort werden sie nicht lachen, sie werden schreien. Und sie werden sich an meine Warnungen erinnern und ihr Geist wird daran zu Grunde gehen, wenn er daran denkt, dass ihm diese unendlichen Qualen erspart geblieben wären, hätten sie auf mich, und die Heilige Schrift, gehört.
Doch mögen ihre Seelen auch verloren sein, meine ist es bestimmt nicht. Auf mich wird der Himmel, mit all seiner Güte, warten. Engel werden für mich singen und...
Wir haben das Ende unserer Reise (die mir mit Sicherheit tausend Mal länger vorgekommen ist, al den Männern, die mich "begleiten") fast erreicht. Der Tod wird in wenigen Minuten von meinem Körper Besitz ergreifen. Ich erwarte ihn; sehne mich förmlich nach der wohltuenden Schwärze.
Wir kommen zu einer Tür. Sie ist aus Metall und sehr dick. Durch ein kleines Fenster kann ich einen weiteren Mann in Uniform sehen. Sein Blick ist kühle Gleichgültigkeit, wie der der anderen beiden. Er hat auf unser Eintreffen gewartet. Er öffnet die Tür und wir treten ein. Ein weiterer Gang tut sich vor uns auf, doch kürzer als der vorherige. Das Leiden wird bald vorbei sein.
Ich schicke ein Stoßgebet gen Himmel und weiß, dass es dort gehört wird.
Wir erreichen die nächste schwere Stahltür. Wieder mit Fenster, nur sitzt dahinter diesmal kein Mann. Einer meiner Begleiter holt einen Schlüsselbund aus seiner Jackentasche. Die Schlüssel sehen allesamt alt und hart aus. Jeder einzelne ist durchnumeriert. Er greift sich die 13 und ich muss fast lachen. Sie haben einen schrägen Sinn für Humor.
Ich unterdrücke das Lachen, und zum ersten Mal spüre ich so etwas wie Angst. Es ist schwachsinnig, den ich brauche mich nicht zu fürchten. Gott hat mir vergeben und wird mir das Ewige Leben schenken, an seiner Seite. Doch die Schmerzen! Ja, vor denen fürchte ich mich, auch wenn mir von mehreren Stellen berichtet wurde, dass es schnell gehen wird, und man von den Schmerzen kaum etwas mitbekommt.
Die Tür wird geöffnet und ich sehe die Amatur, auf der ich sterben werde. Ein Mann mit weißem Kittel (ein Arzt) ist anwesend - er wird später meinen Tod feststellen und die Uhrzeit fürs Protokoll festhalten. Er schafft es, ein gequältes Lächeln auf seine Lippen zu zaubern. Es soll aufmunternd wirken.Er ist ein Gegner der Todesstrafe.
Ich lege mich auf die Liege und die Wärter schnallen meine ausgebreiteten Arme fest - ich sehe aus, wie der am Kreuz hängende Jesus Christus. Und dann wird eine Infusion gelegt. Wenige Augenblicke später wird Gift in meinen Körper gepumpt - tödliches Gift. Ich verkrampfe, doch schaffe es, die Schmerzen ohne Schreie zu ertragen. In meinem Kopf wird es nebelig, die letzten Worte, die meinen Mund verlassen, sind die des Glaubensbekenntnisses.