- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 3
- Anmerkungen zum Text
Ein erster Flugversuch.
Letzte Instanz
Mehr Klischee geht denn wohl wirklich nicht mehr. Harfenklänge, weiße Wolken vor blauem Himmel, haufenweise Engel und mittendrin ein Mann mit gelocktem weißen Bart. Aber fangen wir am Anfang oder besser am Ende an.
Ich wollte schon immer mal ein Wildschwein in freier Wildbahn sehen. Dieses sah ich allerdings nur kurz und nicht auf freier Wild- sondern auf der Fahrbahn. Auch wie das so ist, wenn ein Airbag auslöst, hatte mich schon immer interessiert und natürlich die ewigen, abendfüllenden, ungewissen Fragen: Wie werde ich wohl sterben? Und: Was kommt danach? Also kurz – eine Minute völlig neuer, tiefgründiger wenngleich nicht weiter verwendbarer Erfahrungen.
Dass ich bei 120km/h auf einer doch eigentlich recht übersichtlichen Landstraße gerade eben noch den Satz „Ich bin gleich zu Hause.“ in mein auf dem Schoß liegendes Smartphone getippt hatte, führte dummerweise dazu, dass mein doch so redliches Leben mit einer Geschwindigkeitsübertretung und einer Falschinformation zu Ende ging – nun ja.
Ob sich mein Leben noch einmal wie ein Film vor meinen Augen abspielte oder ob ich schwebend den Unfallort von oben sah? Ich weiß es nicht mehr. Das erste klare Bild war… ein Klischee. „Warst du auch immer schön brav?“ Nicht wirklich! Das sollte die Frage sein? Die finale, entscheidende Frage? Eine Frage von einer Instanz vor die zuletzt alle treten und derentwegen so mancher im Leben auf vieles verzichtet? Nicht das die Frage grundlegend unangemessen wäre und zudem aufklärte, was der Nikolaus den Rest des Jahres machte. Aber zum einen ging man ja doch davon aus, dass die Antwort eben dieser letzten Instanz ohnehin bekannt sein müsste und zum anderen – was heißt denn brav? Auf mein nachdenkliches Gesicht und das kurze Zögern – andere antworten wohl spontaner – wird die Frage präzisiert: „Warst du regelmäßig in der Kirche?“ Diesmal spontan: „Wozu?“. Schnell wird klar, dass Gegenfragen hier nicht wirklich üblich sind. Die Reaktion dann aber dennoch in freundlichem Ton „Na um zu Beten und deinem Herrn zu huldigen.“ Na danke! Nun läuft es also doch darauf hinaus, dass das Runterleiern von Betversen quasi Grundvoraussetzung für Annehmlichkeiten im Jenseits sind – gescheitert in Level 1? „Ist nicht das ganze Leben ein Gebet?“ Schon wieder eine Gegenfrage auf die lediglich ein kurzes „Was?“ folgt. „Na das Leben – Spielen, Lachen, Weinen, Streiten, Arbeiten, Lieben … auch Kinder zeugen, Erziehen, Schimpfen, Loben, …. alles ein umfassendes Gebet. Ohne Worte aber klar verständlich sollte man meinen.“ Ein deutliches Zögern und ich hoffe wegen mir müssen nicht andere unnötig warten. „Also ist ja nur so ein Gedanke. Wie wäre es mit Fragen wie: Warst du auch immer ehrlich? Hast du deine Mitmenschen gut behandelt? Oder mal ganz plumpt: Hast du brav deine Steuern bezahlt? Hast du deine Versicherungen nicht beschissen?“ Augendrehen beim Bärtigen. Warum denn Augendrehen bitte schön? Doof werden ist sicher nicht zielführend aber da ich es mit meiner Fragerei ohnehin schon verkackt habe, werde ich lauter. „ Na toll, ganzjährig das Finanzamt und damit die ganze Gesellschaft linken und am Jahresende als barmherziger Samariter nicht nur den ollen Mantel teilen sondern noch großzügig 50.€ in die Kollekte schmeißen - Ablasshandel? Oder ganzjährig seine Frau belügen dafür am Wochenende ein Vaterunser. Amen?“ Die Stirn über dem weißen Bart bekommt zunehmend Falten und ich werde langsam richtig warm. „Wieviel Bonus gibt es hier für Ehrlichkeit, hä? Und überhaupt, drei Kinder habe ich dem Herrn…“ naja eigentlich mir aber was soll es „… geschenkt. Und fleißig und bescheiden und so war ich auch!“ Ich glaube die Musik hat aufgehört aber jetzt bin ich schon mal in Fahrt. Mit Verweisen auf Dogma, das Leben des Brian und zahllose im weitesten Sinne religiöse Bücher und Filme, schließe ich mein Plädoyer.
Schweigen, Stille, dann ein tiefes Durchatmen. Ob ich denn so ungetauft und kirchenfremd überhaupt am Eintritt ins Paradies interessiert sei? Vorausgesetzt, dass da nicht fortwährend Fürbitten und Vaterunser genuschelt werden in jedem Fall. Allein schon um meine Frau – zweifelsfrei ein Engel – und meine Kinder irgendwann mal wieder zu sehen, wäre mir schon daran gelegen. Nach kurzer Denkpause und einem gedrückten „Es tut uns leid…“ wird klar, ganz so einfach lassen sich auch hier die eingefahrenen Strukturen nicht ändern. Mein Wunsch mit dem Chef zu sprechen wird überhört und zuletzt läuft es mit dem Vermerk „Er war stets sehr bemüht ein anständiges Leben zu führen...“ auf einen Kompromiss hinaus: ich erwache im Krankenhaus.