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Lesen schadet der Gesundheit

Pit

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18.02.2009
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Lesen schadet der Gesundheit

Das letzte halbe Jahr war ich immer mehr auf meine Brille angewiesen. War sie sonst nur zum Autofahren notwendig gewesen, brauchte ich sie jetzt auch im Kino, zum Fernsehen, auch zum Einkaufen, wenn ich nicht gerade auswendig wusste, wo welches Produkt zu finden war. Etwas wehmütig sah ich auf den roten Kringel, der auch ohne Brille deutlich auf dem Kalenderblatt prangte und mit der „40“ drohte.
Mein Optiker kratzte sich wissend die Bartstoppeln. „Ach, was erzählen Sie mir! Erst sind’s die Augen, dann der Rücken, dann die Nieren, dann das Herz. Aber dann ist’s sowieso vorbei. Naja, ach so, Ihr Sehtest, da ist’s schon etwas schlimmer g‘worden. Gehn’s doch mal zum Augenarzt, nur um sicher zu gehen.“

Der Augenarzt lächelte freundlich. „Na, alles nicht so schlimm. Ein bischen mehr Verkrümmung, aber mit der richtigen Brille ist das kein Problem. Bald 40? Jaja, wissen Sie, medizinisch gesehen geht’s mit 30 schon wieder abwärts. Ich kann Ihnen sagen…“
Ich erwiderte pflichtschuldigst das Lächeln.
Der Augenarzt nahm ein Rezept von einem Stapel und füllte es mit Zahlenwerten und Kreuzen. Und ganz beiläufig, mit einem Unterton, der mir erst im Nachhinein als lauernd auffiel, fragte er: „Sie lesen wohl viel?“
Ich bejahte und machte von meiner Begeisterung keinen Hehl.

Das Rezept landete im Schredder. „Dann muss ich Ihnen ein Privatrezept ausstellen. Und natürlich auch eine private Rechnung.“ Und noch bevor ich protestieren konnte: „Tja, das ist eine Vorlage der Kassen. Lesen schadet nachweislich den Augen, deshalb sind Sie für Ihre Augenfehler selbst verantwortlich. Das kam groß in den Medien, das müssen Sie doch gehört … oder gelesen haben.“

Mein Buchhändler jammerte: „Unverschämt, das. Die Kassen streichen blind zusammen. Sportler bekommen nichts mehr bei Sportverletzungen, wer Musik hört, muss für etwaige Hörschäden selbst aufkommen, und Leser bekommen keinerlei Sehhilfen mehr. Wo soll das nur enden!“
Ich war etwas erstaunt über den Preis, den er mir für meine Bücher nannte. Nach einem Blick auf die Rechnung sagte ich: „Da muss ein Irrtum sein, Sie haben 19 Prozent Mehrwertsteuer berechnet.“
Er winkte ab. „Die steuerliche Begünstigung für Bücher ist längst abgeschafft. Haben Sie das denn nicht in den Medien gehört? Oder gelesen?“

Vielleicht einen Monat später hatte ich einen leichten Auffahrunfall. Nichts Schlimmes, und die Frau, die in mich hineingerast war, vergoss mehr Tränen als es wert war. Ich hatte allerdings leichte Nackenbeschwerden, deshalb ging ich zum Arzt.
„Ja, ein leichtes Schleudertrauma“, bestätigte er. „Ich verschreibe Ihnen etwas.“ Er nahm ein Diktiergerät und sprach seine Verordnung hinein. So ganz nebenbei fragte er mich: „Sie lesen wohl viel?“
Ich verneinte.

Tags drauf fand ich einen ungewöhnlich dicken Brief in der Post. Kein Absender, nicht mal ein Empfänger, auf dem Brief war lediglich ein Strichcode. Eine unbeschriftete Karte war darin, als ich sie öffnete, erklang eine etwas belegte, aber nicht unhöfliche Stimme: „Dies ist eine Nachricht Ihrer Krankenkasse. Die Leistungen Ihres Orthopäden werden nicht übernommen, da Sie falsche Angaben gemacht haben. Zudem erhalten Sie eine Verwarnung. Sollten sich Vorkommnisse wie diese wiederholen, sind wir berechtigt, Sie aus unserer Vertragspflicht zu nehmen.“

Ich rief bei der Kasse an und nannte das einen schlechten Scherz. Ob ich denn im Ernst glaubte, bekam ich als Antwort, dass ich Massagen für mein Privatvergnügen erhalten würde. Ich protestierte und verwies auf den Unfall. Man lachte mich aus und sagte, der Arzt hätte festgestellt, dass die Beschwerden ebenso gut vom vielen Lesen kommen könnten. Dass es der Unfall war und nicht Haltungsschäden vom Halten schwerer Bücher, das müsste ich erst beweisen.
Wütend warf ich den Hörer von mir.

Mein Buchhändler begrüßte mich freudig. „Gott sei Dank sind Sie hier! Ich glaubte schon, heute kommt gar niemand.“
Irritiert aber erfreut über die Begrüßung nickte ich ihm zu. „Ein ungewöhnliches Cover“, sagte ich zu einem ausgelegten Buch. Ein weißer Streifen war darauf geklebt mit dicken schwarzen Buchstaben: LESEN SCHADET DEN AUGEN.
Erst dann sah ich, dass auch andere Bücher ähnlich beschriftet waren. Ich rieb mir ungläubig die Augen. LESEN FÜHRT ZU VERSPANNUNGEN stand da. LESEN HINDERT SIE AN SPORTLICHEN BETÄTIGUNGEN. LESEN VERENGT DEN KARPALTUNNEL.
Ich fand das Buch, das ich suchte. Robinson Crusoe; ich wollte es meinem Patenkind schenken. LESEN FÜHRT ZU VEREINSAMUNG stand da. Ich ließ das Buch liegen.

Wie weltfremd war ich geworden? Politik hatte mich nie besonders interessiert, vom Tagesgeschehen wusste ich nicht besonders viel. Hatte ich versäumt mitzukämpfen, als hirnlose Politiker das Lesen diffamierten und sich die intellektuelle Bevölkerung dagegen empörte? Denn was anderes als Empörung konnte die Reaktion auf solche Lügen übers Lesen sein?

Ich rannte zu einem Kiosk und verlangte eine Tageszeitung. Man wies auf ein Regal voller CDs. „Ich sagte, ich will Zeitungen!“ brüllte ich wütend. Verdutzt sagte der Verkäufer: „Aber das sind sie doch!“

Ich hörte mir die Zeitung an. Sie war klug gemacht. Statt zu zitieren hörte man die jeweilige Aussage original von der entsprechenden Person. Eine halbe Bundestagsdebatte über den Bau eines Helikopterlandeplatzes vor dem Bundestag lag mitgeschnitten vor.

Vom Lesen: nichts.

Ich machte eine Vortragsreise ins Ausland. Drei Monate reiste ich durch China, wo ich mit meinem schlechten Englisch chinesischen Studenten etwas über die europäische Revolution der Aufklärung erzählte. Wie falsch das alles in dieser fremden Sprache klang.

Wieder in Deutschland gelandet fragte man mich am Zoll, ob ich etwas zu verzollen hätte. Ich verneinte. Man durchsuchte mein Gepäck und fand ein dünnes Faltblatt mit Informationen zur chinesischen Mauer, das ich bei einem Besuch dort mitgenommen hatte.
Es landete sofort im Schredder. „Soso, also nichts zu verzollen, sagten Sie? Das wird Konsequenzen haben! Sie sind ja schon als auffällig registriert!“

Ich war den Tränen nahe.

Computer und Zubehör waren in den Schaufenstern meines Bücherladens ausgestellt. Ich wollte schon enttäuscht abdrehen, als ich ein Schild sah, das mit den Worten „Buchecke“ auf eine dunkle Ecke wies. Ein etwas bulliger Mensch stand dort; er machte mehr den Eindruck eines Aufsehers als eines Verkäufers.
Ich blätterte in einem Buch, das keinen Titel trug. Es waren nur Bilder darin. Das nächste genau so. Alle.
Ganz versteckt in einem engen Regal fand ich ein paar Hörbücher. Sie waren schwindelerregend teuer. LESEN SCHADET DER PHYSISCHEN UND PSYCHISCHEN GESUNDHEIT war auf einem Cover gedruckt. LESEN FÜHRT ZUR VÖLLIGEN ERBLINDUNG. Und: LESEN ZERSTÖRT DEN FREIEN INTELLEKT.

„Suchen Sie was?“, fragte der bullige Typ. Nie zuvor hatte ich diese Worte drohender gehört. „Ja, ein bestimmtes Buch, und zwar Fahrenheit 451 von Ray Bradbury.“
Er sah mich misstrauisch an und hielt mir ein Mikrofon vor die Nase. „Wiederholen!“
Wie auf einen Befehl sprach ich den Titel und Autoren ins Mikrofon. Als Antwort piepste es unangenehm.
„Index“, sagte der Mann.
„Wie bitte?“, fragte ich.
„Der Titel steht auf dem Index, und in deine Akte ist ein Vermerk mehr gekommen. Und jetzt scher dich weg!“

Auf der Straße erkannte ich den alten Buchhändler. Er ging gekrümmt wie bei einem Rückenleiden. Er sah mich und wandte sich schnell um, als wollte er flüchten. Ich holte ihn sofort ein. Es dauerte lange, bis er sich von mir auf etwas zu trinken einladen ließ. Es dauerte weitere fünf Schnäpse, bis er mir wirklich vertraute.
„Ich weiß, wo es noch Bücher gibt. Echte. Ungeschnittene. Ohne Bilder. Sie haben doch genug Geld?“
Er nannte mir eine Adresse.

Es war ein Sexshop, finster und stickig. Ich druckste etwas vor der molligen Verkäuferin herum. „Bumsen links, Oral und Anal rechts, Fetisch gleich daneben.“ Sie beäugte mich belustigt. „Gays gleich dort hinterm Vorhang.“
„Nein, ähm, vielen Dank, aber ich suche … ich habe gehört, dass … Sie hätten Bücher …“
„Magazine sind gleich dort drüben“, rief sie da hastig und mit überlauter Stimme. „Titten und Ärsche, Monstertitten, Lederdominas, Sie wollen doch bestimmt Lederdominas?“
„Nein, entschuldigen Sie, ich suche keine Dominas, ich suche …“
„Doch, doch, genau das suchen Sie, glauben Sie mir! Schauen Sie doch mal rein, es wird Ihnen gefallen!“
Sie drückte mir ein Magazin in die Hand, auf der eine in Schwarz gezwängte Frau mit Schlange um den Hals und Peitsche in der Hand auf einem zusammengekauerten Mann posierte. Ich schlug es auf.
Zwischen Bildern, die mir die Nackenhaare sträuben ließen, entdeckte ich eine eng bedruckte Liste. Sie fiel mir eigentlich nur deshalb auf, weil es die ersten Buchstaben waren, die ich seit langem erblickte.
Ich fand den gesuchten Titel „Fahrenheit“ nach längerem, weil ich wegen der Dunkelheit und den schlechten Augen das Magazin ganz nah an die Nase halten musste. „So ein geiler alter Bock“, hörte ich einen Kunden sagen.
„Das da bräuchte ich“, sagte ich der Frau und zeigte darauf.
„Kerzenwachs und Branding!“, rief sie laut, und dann ganz leise in mein Ohr. „Ein viel zu heißer Titel. Brandgefährlich. Eine Woche Lieferzeit und nur gegen Vorbezahlung.“
Ich bezahlte. Sie drückte mir ein Lesben-Magazin in die Hand, das ich beim Herausgehen schwenken sollte. Als Alibi.

Eine Woche später erschien ich wieder im Laden. Die Frau sah etwas anders aus als sonst. Sie machte einen leicht gehetzten Eindruck, dachte ich viel zu spät.
„Meine Bestellung ist da?“, fragte ich.
Sie nickte stumm und schob mir eine braune Papiertüte entgegen. Ich zog ein zerfleddertes Taschenbuch heraus. „Genau das habe ich gesucht!“, rief ich erfreut. Da erst sah ich die Tränen in ihren Augen. Hinter Vorhängen, die mir bis dato noch nicht mal aufgefallen waren, stürmten uniformierte Menschen auf mich ein und zogen mir einen Sack über den Kopf.

Zwei Wochen später wurden mir die Rechte vorgespielt.

Ich erzählte meine Geschichte dem Mikrofon auf dem Tisch. Letzte Woche bekam ich eine Anfrage, ob man meine Geschichte in der Zeitung verwenden dürfe. Ich stimmte erfreut zu. Endlich würde meine Geschichte bekannt, endlich würden die Missstände aufgedeckt.

Gestern erhielt ich die Zeitungs-CD. Bevor ich meine Stimme hörte, war da mit strenger Stimme gesprochen:
„Es folgt der Bericht eines unheilbaren Verbrechers, ein lebender Beweis für die schädliche Einwirkung geschriebenen Gedankengutes auf die psychische Gesundheit unserer Gesellschaft.“

 

Hallo Pit,

feine Satire! :thumbsup:

Hat mir rundum gefallen, nix zu meckern. Das liegt zum einen daran, dass ich mich freue eine Story vorzufinden, die noch nach der sozusagen alten Gattung Satire gemacht ist und diese Form, der ich sehr nachhänge, gefällt mir immer noch am besten und ich finde den Plot sowie seine Umsetzung gut gemacht.
Freue mich auf Weiteres von dir.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo Pit,

also, das ist ja ein starkes Stück, absolute Horrorvorstellung und das in einem Literaturforum!!!

Ich war sehr amüsiert über Deine Satire und sie hat mir sehr gut gefallen, obwohl ich inständig hoffe, dass das keine Realität wird, wäre ja nicht auszudenken.

Jedenfalls hat mir Deine Idee und die Umsetzung gut gefallen und viel Spass gemacht. Ich schließe mich Lakita an und hoffe, bald mehr von Dir zu lesen.

LG
Giraffe :)

 

Hallo lakita, hallo Langhals!

Es ist als Neuling so eine Sache. Einerseits kann man nicht erwarten, dass man mit Beifall und Handkuss empfangen wird, andererseits verlangt es einen schon brennend zu wissen, ob man gut ankommen wird. Als ich dann einige Tage wartete, dachte ich - zurecht!, das weiß ich! - man müsse sich erst aktiv mit Kritiken beteiligen, bevor man wahrgenommen wird. Nach dem Lesen einer Geschichte (bezeichnenderweise über einen Neuling auf dieser Seite) und vor allem die Kommentare dazu, fragte ich mich dann doch, ob Neulinge hier allgemein wirklich erwünscht sind.

Umso erleichterter bin ich nun, dass ich Eure lobenden Worte hören durfte, vor allem mit der Motivation, mehr von mir hören zu lassen. Ich hoffe, ich kann Euch diesen Wunsch erfüllen und auch als Kritiker das eine oder andere beitragen.

Aber ich will als Neuling ja nicht nörgeln, sondern mich freuen.

Die "alte" Gattung Satire. Bevor ich hier einige vermeintlich satirische Geschichten durchlas, wusste ich gar nicht, dass diese Art der Satire eine der alten Schule ist. Erschreckend, denn es ist die für mich einzig sinnvolle, Sinn-Bringende. Natürlich nicht, Giraffe, um zu warnen, dass es irgendwann so sein könnte, sondern um zu zeigen, wie gut wir es als frei Lesen-Dürfende es doch haben. Man denke nur an die Zensur in viel zu vielen Ländern, oder an die Mehrwertsteuer in Österreich! :-)))))

Bei allem Lob von Euch überlege ich mir, die Geschichte um ein paar wenige Zeilen zu ergänzen, ein neuerlicher Arztbesuch nach der Sprech-Karte von der Krankenkasse, wo auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Schädlichkeit des Lesens hingewiesen wird. Das wollte ich reinbringen, habe es beim Schreiben aber vergessen. Weil so kommt mir die Ächtung des Lesens doch etwas abrupt, oder nicht?

Jedenfalls danke an Euch, ich werde nun meinerseits versuchen, Erwartungen gerecht zu werden!

Pit

 

Hallo Pit,

ich möchte gerne was zum Thema "alte" Gattung Satire sagen:

ich habe hier im Satireforum fast jede Geschichte gelesen, wenn auch nicht jede kritisiert. Das lag zum größten Teil daran, dass ich mich nicht damit anfreunden konnte, all die anderen satirischen Umsetzungen gut zu heißen.

Ich wollte nicht unfair wirken und habe mich dann häufig darauf beschränkt, in meinen Kritiken überhaupt die Frage zu beantworten, ob eine Satire vorliegt, egal wie sie verpackt ist.

Selbst das hat mir häufig Gegenwehr eingebracht und du wirst, falls du dir die Mühe machst, zu lesen, was andere Kritiker und Autoren geantwortet haben, ab und zu den Satz finden, dass es eher lästig sei, eine Geschichte auf ihren rein satirischen Inhalt hin abzuklopfen, schließlich sei eine Geschichte eben eine Geschichte.
Mich haben solche Antworten verärgert, denn in der Horrorabteilung z.B. würde man auch die Frage stellen, ob genug Horrorstimmung erzeugt wurde.

Nun zur sog. alten Gattung der Satire, dessen hauptsächlichen Vertreter ich in E. Kishon sehe: deine Geschichte, die ich zur alten Gattung zähle, ist sozusagen zweiseitig aufgebaut. Eine Vorderseite, das ist die Geschichte wie sie da steht und eine Hinterseite, das ist das, was ich an Gedanken bekomme, wenn ich diese Geschichte lese. Diese Hintergedanken, machen aus einer normalen Geschichte, in der das passiert, was eben grad passiert und sonst nix, zu einer satirischen, allerdings, dies möchte ich zur Vervollständigung noch anbringen, nur dann, wenn die Hintergedanken in der Lage sind, einen Missstand auf- und anzugreifen, egal, ob nun politischer, sozialer, menschlicher Art.

Denn natürlich gibt es Geschichten, die Hintergedanken erzeugen, aber keine Satiren sind. Wenn ich z.B. bei einer erotischen Szene beschreibe wie er ihr an die Bluse greift oder sie ihm an die Hose, dann entsteht mit Hilfe der Hintergedanken überhaupt erst die erotische Stimmung, die ich erzielen will. Stimmung kann man natürlich auch anders erzielen, aber das führe ich jetzt hier nicht weiter aus.

Deine Satire ist also zweierlei: eine seltsame Geschichte und eine dazu kommende Aussage.

In der letzten Zeit erlebte ich häufig sog. Satiren, die letztendlich keine klassischen sind, sondern im eigentlichen Sinne nur Parodien.

Eine Parodie ist, wenn ich einen wahren Sachverhalt fokussiert oder pointiert darstelle und damit die Absurdität, das Lächerliche, das Angreifbare darstelle.

Wenn, du wirst dich erinnern, zu Kanzler Kohls Zeiten, die Kabarettisten sich hinstellten und einfach nur Wort für Wort betont das wiedergaben, was Herr Kohl von sich gegeben hatte, dann war das keine Satire, sondern eine Parodie. Die Wiedergabe seiner Worte war zugleich die Aussage.

Aus meiner Sicht gehört das Genre der Parodie eigentlich nicht in den Bereich der Satire, sondern in denjenigen des Humors. Aber und das ist letztendlich meine Erkenntnis über viele Jahre Kurzgeschichten.de-Satiren, es gibt einen fließenden Übergang von Humor zur Parodie hin zur Satire und obendrein eine Mischung aus allem innerhalb einer einzigen Geschichte.
Die Zeiten haben sich in diesem Punkt also ein wenig gewandelt, man trifft sehr selten noch eine pure Satire mit einer sog. Vorder- und einer Hinterseite an. Deswegen habe ich dich so freudig begrüsst.

Wichtig ist aber, dass ich mittlerweile auch die Mixturen durchaus zu schätzen gelernt habe und sicherlich der Satirewandel, der sich in mancher Geschichte ausmachen lässt, trotzdem angenehm zu lesen ist.

 

Diese Abhandlung über Satire ist zu brillant, um sie hier verkümmern zu lassen. Das Zwei-Seitige hätte ich nicht mal so wahrgenommen, aber es ist natürlich ein einleuchtendes Bild des Sachverhaltes. Die Abgrenzung zur Parodie ist gut erklärt. Natürlich möchte auch ich keine Regel, die sagt, so und so hat eine Satire gefälligst auszusehen, sonst ist es keine. Natürlich schließt das eine das andere nie aus. Natürlich kann, nein: soll! eine Satire parodistisch, humorvoll, todernst, Horror, gesellschaftskritisch oder einfach nur liebevoll sein (die Geschichten von Kishon mag ich am liebsten: wo die Schwächen Menschen mit liebevollem Blick seziert werden!)
Mixturen müssen als Entwicklung sein, Satire darf niemals stillstehen, und weder Tucholsky (der die Bandbreite der anderen Genren wohl zu nutzen wusste!) noch Kishon wollten feste Schemata, nach denen eine Satire geschrieben werden muss. Aber die - es steht mir als Neuling vielleicht nicht zu, hier solche Töne zu spucken, aber ich kann kaum anders - die erschreckende Belanglosigkeit von Behördenklischees, Zugverspätungen, rappende Mamasöhnchen und die Arroganz gegenüber Neulingen (ja, die Geschichte mag satirisch gemeint sein, aber die Kommentare waren leider gar zu ernst gemeint) hat mich dann doch etwas schockiert. Kishon hat viel über belanglose Themen geschrieben, aber die Art, in der er dies tat, war niemals belanglos. So meinte ich dieses eigentlich schon beleidigende Wort.

Aber ich bin mir sicher, dass ich nur die falschen Geschichten angeklickt habe. Bin ja erst am Einlesen. Und dass eine dieser Geschichten auch empfohlen ist, nun, andere haben anderen Geschmack. Heißt ja nie, dass meiner der bessere ist.

Wie gesagt: es steht mir nicht zu zu stänkern. Besser machen heißt da die Devise, oder mindestens Verbesserung vorschlagen, und da versuche ich mich stark zu machen.

Danke dir jedenfalls für diese durchaus professionelle Abhandlung über Satire!

Pit

 
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Hallo Pit

& - nach neun Beiträgen darf man's wohl noch -

ein herzliches Willkommen auf kg.de!

"Wo bleibt das Positive?", wurde - aus dem Gedächtnis zitiert - Kästner gefragt und Tuchi behauptete, dass die Satire alles dürfe, -

und so ist es auch. Aber lesen schadet nicht nur der Gesundheit, es verdirbt auch den Charakter, weil man nix mehr so ernst nimmt wie vordem ... Was wäre, wenn Frau Schmid(t?) - nicht Loki, ich mein die aus Aachen - Deinen Text als Anregung zu einer Erweiterung der Reform zur Reform der Gesundheitsreform ansehen könnte ... Oder die Verwaltungsräte der GKV? Ich seh schwarz ...

Zwo kleine Anmerkungen der Kleinkrämerseele:

>Ein bischen ...< doppel-s

>Ich erwiderte pflichtschuldigst das Lächeln.< Warum die Übertreibung mit dem superlativ?

Deine Vision hat mir gefallen, also einem "Bücherwurm" und einer "Leseratte" zugleich, der/die mit dreizehn als kurzsichtig eingeordnet wurde und mit fuffzig zu kurze Arme bekam (eingelaufen, zu oft gewaschen?). C'est la vie!

Gruß

Friedel

 

Hallo Pit,
klasse Satire. hat mir sehr gefallen.
Erinnerte mich aber sehr an 1984 von Georg Orwell.
Kennst du das Buch? Wer nicht sollte es auf jeden Fall einmal lesen.

LGG(imbar)

 
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Hallo Friedel!

Auch nach zehn Beiträgen freue ich mich über Dein Willkommen!

Ja, wenn man die Diskussion mitbekommen hat, dass Sportverletzungen privat zu versichern seien, da Krankenkassen, die sonst alles für Prävention tun, finden, dass Sportverletzungen zu teuer seien, dann hat man nicht zum ersten Mal das Gefühl, dass die FAZ eine satirische Zeitschrift ist.

Nein, deine Arme wurden nicht wegen zu oft Waschens kürzer, sie wurden vom Gewicht der Bücher und falscher Haltung derselben zusammengestaucht! Und da Bücher Privatvergnügen sind, wie auch Kindermachen und Sterben, werden Lese-Verletzungen nicht mehr versichert, und Kinder- und Sterbegeld auch demnächst gestrichen. C'est la vie des fou!

Gruß

Pit

Oh, hallo Gimbar!

Ich sah deinen Kommentar nicht, ich weiß jetzt nicht, muss man die Antworten zusammenführen?
Ich sehe, dass das dein erster Kommentar ist, in sofern wünsche ich als Neuling auch Dir ein herzliches Willkommen!

Natürlich muss man 1984 gelesen haben! (Und nicht nur als Hörbuch oder als Film!)
Aber ich hatte eher die in der Geschichte erwähnte Erzählung "Fahrenheit 451" von Ray Bradbury vor Augen. Auch sehr empfehlenswert. Vom Bedeutungsrang nicht so hoch wie 1984, aber für Leseratten unverzichtbar!

Danke und viel Spaß hier!

Pit

 

Ich kann mich nur Lakita anschließen - schön klassisch aufgebautes Satire-Ding da ;-)) -

dass es im Sexshop natürlich Bradburys "Fahrenheit" ist, die gehandelt wird, ist ein netter Querverweis.

Ein Aspekt deiner Story sprang mir (vielleicht als Nebenthema) ins Auge. Die Willkür. Die Willkür, mit der man (Institutionen) eigentlich (fast) alles mit Argumenten begründen kann. Lesen schadet der Gesundheit. Na klar, stimmt! Es leuchtet ja alles auch irgendwie ein, ist nicht komplett an den Haaren herbei gezogen - das ist eine der Stärken des Texts.

LG,
Flic

 

Hi Flic!

Ja, Fahrenheit als "brandheißer" Lesestoff bot sich freilich an! ;)

Danke, dass auch dir das Ding gefällt!

Und dass du die Willkür von Erklärungen ansprichst, erinnert mich daran, dass ich ja eigentlich noch ein wenig fachsimpeln wollte, so ein, zwei Erklärungen, warum Lesen wirklich verboten werden sollte, von Seiten des Arztes. Nur brummt mir gerade von anderem der Schädel, ich muss es mir mal wieder in Ruhe anschauen.

Danke jedenfalls für die lobenden Worte!

Pit

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Pit,

das ist wirklich eine gute Satire, die sich flüssig lesen lässt, und die eine feine Balance hält zwischen einem unterhaltsamen, lockeren Stil und der gerade noch so erträglichen Beklemmung, die sich zwischendurch immer mal wieder einstellt.

Ja, man mag sagen, da werden Zustände beschrieben, die natürlich niemals eintreten werden. Und dann richtet man den naiven Blick gen Brüssel und schaut sich an, was diese überbezahlte SesselfurzerInnen sich so alles ausdenken, und welche absurden Pläne schon wieder in ihren Schubladen lauern. Von dem, was die so aushecken, um die Europa vor sich selbst zu schützen, bis zu deiner Version, ist es dann ein gar nicht mehr so weiter Weg.

Insofern ist die Geschichte vielleicht schon ein kleiner Blick in die nahe Zukunft. Jetzt naht erst mal des e-book mit großen Schritten :-)

Rick

 

Hallo Rick!

Ja, ich war mir nicht ganz so sicher, ob die Satire nicht zu ernst wird im Verlauf, in sofern bin ich froh über deine Meinung, dies sei gut balanciert.

Natürlich wird die Satire in dieser Form nicht so schnell Realität, aber die Logik dahinter - was Flic als "Willkür" bezeichnete - ist es längst.

In Anbetracht der zunehmenden Popularität von Hörbüchern bin ich der festen Überzeugung, dass der nächste Schritt des e-books eine Vorlesefunktion sein wird. Ob dies begrüßenswert sein wird - man wird sehen. Ich persönlich würde den Sehstörungen gegenüber den Gehörschäden den Vorzug geben. Will sagen: ich bleibe Leser, mein Gehör bleibt der Musik vorbehalten. ;)

Danke, dass es gefallen konnte!

Pit

 

Hallo Pit,

willkommen auch von mir auf kg.de, dem Forum mit den arroganten Neulingsabwatschereien :D.

Und so komm ich als Arro Neulabschi gleich zum Negativen:

Wie weltfremd war ich geworden!
Ich bin mir nicht sicher, aber wenn du dich entscheiden solltest, die Geschichte um ein paar nicht ganz notwendige Stellen zu kürzen: Ich glaube, dies wäre so eine. Selbstreflektionen des Protagonisten sind der Wirkung einer Satire dann abträglich, wenn sie nicht der "vordergründigen" Seite zuzurechnen sind. So meine Finde.

Ansonsten kann ich mich dem Lob nur anschließen. Und du glaubst nicht wie ich damit gehadert habe, dir einen Kommentar zu schreiben, denn damit oute ich mich ja gleichzeitig als Leser. Jaja, die Schere im Kopf!

Mit den ersten Zeilen fühlte ich mich tatsächlich an das Buch "Fahrenheit ..." erinnert, an dessen Zahl im Titel ich mich allerdings nicht erinnern konnte, und da war es für mich natürlich ein schönes Überraschungsmoment, dass ich diesen Titel in der Geschichte erwähnt fand. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich Fahrenheit 451 nur als Film gesehen habe. Obwohl mir das jetzt peinlich ist, habe ich allen Mut zusammengenommen und das zugegeben, irgendwie muss ich den Verdacht meiner Krankenkasse, ich hätte schon seit langem gelesen, wieder zerstreuen.

viele Grüße,
-- floritiv.

 

Hallo Pit,

auch von meiner Seite ein Lob für deine Satire. Viel gesagt wurde ja schon und Neues kann ich gar nicht anbringen. Aber den Querverweis auf Bradbury möchte ich auch noch einmal hervorheben. Das kommt echt gut.

Zwei Wochen später wurden mir die Rechte vorgelesen. Besser gesagt vorgespielt.
Die Stelle finde ich etwas albern. Dieses Nachschieben mit "besser gesagt" wirkt ein bisschen hilflos. Zudem ist der gag ja schon verbraucht.
Mehr Wirkung würde der Satz erzielen, wenn du einfach schriebest: Zwei Wochen später wurden mir die Rechte vorgespielt.
Das würde den Leser ins Stocken bringen, ihn fordern.

gerne gelesen
grüßlichst
weltenleser

 

Hallo floritiv!

Ich muss schon sagen: wenn das deine Art von Abwatschen ist, dann halt ich gerne meine andere Wange hin! ;)

Über das Streichen des zweiten "wie weltfremd..." denke ich nach, das erste will ich aber gerne behalten. Eine solche Bemerkung macht den Inhalt einer Satire "möglicher".
Hehe, wenn das Lesen dann so gesundheitschädlich ist, was mag dann erst das Schreiben sein! Trptzdem danke, dass du dich mit dem Schreiben des Kommentars in ernsthafte Gefahr gebracht hast! :D
Fahrenheit 451 sollte man in erster Linie gelesen haben. Kein allzu dickes Büchlein, die Schmerzen in den Handgelenken und Schultern vom Halten werden also verkraftbar sein.
Und wenn du mal die Ziffer wieder vergessen haben solltest: Fahrenheit 451 ist laut Buch die Temperatur, bei der ein Buch zu brennen beginnt. Also einfach ein Buch abbrennen und die Temperatur messen!

Hehe, die Krankenkasse weiß ALLES! Denn die Karte, die du ja als braver Bürger mit dir führst, beinhaltet einen hoch empfindlichen Abhör- und Spionage-Chip! :D

Hallo weltenläufer!

Deine Anmerkung wird sofort übernommen. Danke dafür!

Und nochmals danke an euch beide fürs - *lach* - lesen, oder habt ihrs euch vorlesen lassen...? :lol:

Pit


(weltenleser - Mann, nach der Theorie wirst du dann ein ordentlicher Krüppel sein. Aber du läufst ja auch zum Ausgleich... *lach*)

 

Hallo Pit,

gegen Bücher kann man dieselben Vorbehalte äußern, die zurzeit gegen Computerspiele in aller Munde sind. Der Leser vergräbt sich einsam in Scheinwelten, nimmt am sozialen Leben nicht mehr teil, und und und ...
Man kann dem natürlich entgegenhalten, Wortschatz und kreative Fantasie würden geschult, aber schulen nicht viele Computerspiele auch das Reaktionsvermögen?
Insofern empfinde ich deine Satire auch vor aktuellem geselschaftlichen Hintergrund sehr zeitnah. Natürlich glänzt sie sprachlich nicht, muss sie sicher auch nicht, auch wenn ich persönlich das schade finde.
Eine Änderung würde ich allerdings dennoch vornehmen:

Wo sie sonst nur zum Autofahren notwendig gewesen war, brauchte ich sie jetzt auch im Kino
"wo" streichen und schreiben: "War sie sonst nur ..., brauchte ich sie"
wehmütig sah ich auf den roten Kringel, der auch ohne Brille deutlich auf dem Kalenderblatt prangte und mit der „40“ drohte.
Dabei setzt die Altersweitsichtig doch erst ab 40 ein ;)
LESEN MACHT VERSPANNUGEN
Die Sprüche auf den Zigarettenschachteln sind ja schon in schlechtem Deutsch, in so schlechtem aber nicht. "Lesen führt zu Verspannungen" passt bestimmt auch noch auf den Umschlag. ;)

Liebe Grüße
sim

 

Hallo sim,

wenn, dann stünde dort weder

>LESEN MACHT VERSPANNUGEN< noch

>Lesen führt zu Verspannungen<, sondern ganz vorsichtig

>Lesen kann zu Verspannungen führen<,

womit selbst unser fürsorglicher Überstaat nich unrecht hätte.

Nix für ungut & frohe Restostern

Friedel

 

Hi sim!

Ich hatte dich doch vorm Lesen gewarnt!
Und danke, dass du die Warnung in den Wind geschrieben hast!

Ich hatte nicht mal so sehr die (Pseudo-)Diskussion über die Gefahr von Computerspielen als Mittelpunkt gesehen, aber fraglos ist die Satire davon inspiriert. Nein, es ist eigentlich mehr die Willkür von Behauptungen, die immer dann irgendein Mensch in die Zeitungen posaunt, wenn nichts wichtigeres in der Welt geschieht. Es ist doch so, orthopädisch gesehen ist Lesen wirklich gesundheitsschädlich. Wenn man wollte, könnte man auf psychologischer Schiene lang genug suchen, um genügend Teilaspekte zu finden, welche die Gefahr des Lesens auf die Psyche untermauert.


Schade, dass ich für dich nicht mit Sprache glänzen konnte. Ich stehe dieser Aussage nun auch etwas unsicher gegenüber - gibt es zu viele schlechte Formulierungen, oder fehlt dir einfach das gewisse Etwas, das Jonglieren mit Sprache? Dann muss ich dich auf die nächste Satire (in Arbeit, aber schleppend) vertrösten, da wird eben dies das Thema. ;)

Die Anmerkungen - danke! - werden übernommen. Nur, Friedrichard, hallo nochmal! - nur will ich mich in dieser Phase des Bücher-Banns nicht mehr vorsichtig politisch korrekt äußern, sondern nur noch plakativ. Hier wird nicht mehr vor dem Lesen gewarnt, sondern bereits abgeschreckt.

Danke nochmals!

Pit

 

Nach der gestrigen Maischberger seh ich ein europaweites Verbot von Lesebrillen kommen, und Du hast selbstverständlich recht, nicht der pc zu folgen!

Friedel

 

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