Lena - Anders genug um seltsam zu sein.
Lena
Lena war schon immer etwas anders gewesen. Nicht sonderlich auffallend, wie sie fand, aber doch anders genug, um seltsam zu sein. Feinfühlig und emotional vielleicht. Aber doch nicht sozial genug, um gutmütig zu sein. Sie war temperamentvoll und impulsiv. Und immer wenn ihre Lehrer das behaupteten, hatten sie diesen scharfen Unterton in der Stimme, der nichts gute verheißen mochte. Alle haben Lena immer weiß gemacht, das Leben heißt, sich anzupassen. Und Lena hasste es, sich anzupassen. Sie wollte anziehen, was sie wollte und sagen, was sie dachte und leben, wie sie es für richtig hielt. Dumm nur, dass sie dafür anscheinend zu jung war. Oder sie hatte zu viel gelesen, wie ihre Mutter behauptete, wenn Lena ihr von ihren Plänen berichtete. Ja, alle hielten Lena für eine Spinnerin. Eine kreative vielleicht, eine poetische und eine mit Niveau, deren Worte tief in einer Seele wieder hallten. Aber eine Spinnerin. Eine kleine Spinnerin von vielen. Lena wurde von fast allen gemocht, aber von niemandem ernst genommen. Das schmerzte sie. Träume waren wertlos, wenn man sie nicht teilen konnte. Trotzdem gab sie sich zufrieden, mit ihrem Aussehen, mit ihren Noten, mit ihrem Leben. Bis irgendwann ein heftiger Ruck durch ihren Körper ging. Sie wollte sich nicht zufrieden geben. Was war aus der kleinen Kämpferin geworden, die immer an ihr kritisiert wurde? Sie war weg. Abgehauen, in ihre eigene Welt. Sie hatte Lena im Stich gelassen. Sie hatte ihr leere Versprechungen über die Zukunft gegeben, die mittlerweile Vergangenheit geworden war. Noch nie hatte sich Lena mit einem so großen Selbsthass im Spiegel angeblickt. Sie war zu einer von ihnen geworden. Ohne es zu merken. Ihr Spiegelbild starrte sie abwertend an. Mindestens 20 Minuten. Lena hatte blonde, struppige Haare, eine Brille, und diese großen Augen, die aussahen wie ein Himmel mit der Sonne. Lena war das Löwenmädchen, das im Sommer am schnellsten braun wurde, und im Winter am schnellsten blass. Doch heute was ein Septembertag, und sie sah blass aus. Schlecht und kraftlos. Der Streit ihrer Eltern setzte ihr zu. Mehr als sie sich eingestehen wollte. Und plötzlich dachte sie an das, was Thea ihr vor einiger Zeit gesagt hatte. Das dieser Schmerz jeden Kummer vergessen lassen würde. Sie blickte sich um, und sah den Anspitzer. Bevor Sie sich versah hatte sie die scharfe Klingt raus gebrochen, und sich mehrmals in ihren Unterarm gerammt. Blut quoll an ihre Hautoberfläche, es roch nach Metall. Und Lena saß auf dem Boden und weinte. Sie schüttelte sich, bis sie das Gefühl hatte, ganz leer zu sein. Keine Gefühle mehr. Sie wusch sich den Arm ab, und klebte unschuldige Kinderpflaster über ihre Wunden. Lena war schon immer etwas anders gewesen. Nicht sonderlich auffallend, wie sie fand, aber doch anders genug, um seltsam zu sein.