Lemmy und das Universum
für Pluto
Das Raumschiff landete nicht auf dem Planeten. Es hatte einfach keine Lust. Schließlich hatte es seit drei Monaten kein Gehalt bekommen. Am liebsten hätte es nicht nur gestreikt, sondern ein kosmisches Dock aufgesucht, um seine Raumzeit-Frakturen schienen zu lassen.
Derzeit kam diese Option allerdings nicht in Frage, weil das Raumschiff nicht wusste, welches Koordinatensystem die querdimensionalen Welt korrekt beschrieb, in der es umher hüpfte, seit ... ja, seit wann eigentlich?
Aber das war alles nicht so schlimm. Richtig schlimm war sein Insasse.
Lemmy war neun Jahre alt und damit ein Jahr älter, als es Planeten gab. Pluto zählte nämlich nicht, das hatte Lemmy seinem Lieblingsbuch »Der Kosmos in der Pommesschale« entnommen. Was er allerdings überhaupt nicht kapierte, war, wie er in dieses Raumschiff gekommen war – kalt beleuchtete Gänge, permanentes Summen, und nicht nur das war typisch. Er schielte zu einem Abdeckungsgitter in der Wand.
»Oh nein, du wirst nicht in meinen Lüftungsschächten herumklettern«, sagte das Raumschiff. Es klang wie Lemmys Mutter, wenn er mal wieder die Haushaltsroboter als Kriegsspielzeug zweckentfremdete.
»Warum nicht?«, erkundigte Lemmy sich enttäuscht.
»Ich mag es nicht, wenn jemand in mir herumklettert. Würdest du das mögen?«
Lemmy überlegte kurz, wurde rot und schüttelte dann den Kopf.
Das Raumschiff erhöhte die Aktivität seiner Depressionslogik. »Ich wünschte«, tönten seine Durchsagelautsprecher, »ich wäre ein hirnloses Objekt in einer tumben Space Opera. Sinnlos herumballern ist so schön einfach.«
»Und ich mag die Alarmsirenen und die bunten Explosionen!«, entfuhr es Lemmy. Er hüpfte ausgelassen herum und schrie »Wumm! Wumm!«, bis er das Schweigen des Raumschiffs als Missbilligung verstand.
Lemmy überlegte. »Vielleicht ist es ja doch hilfreich, auf dem Planeten da unten zu landen. Könnte doch immerhin sein, dass wir da herausfinden, ...«
»Wo genau?«
»Wie, wo?«
»Na, wo eben. So ein Planet hat ziemlich viele wos.«
»Schon wieder eine Inkonsistenz, verdammtes Backup!«
»Wer hat das gesagt?«, fragte das Raumschiff.
»Ich nicht«, sagten gleichzeitig Lemmy und ein komischer Kerl, der aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht war. Der Mann trug eine blonde Locke und einen silbernen Anzug. »Haben Sie meinen Großvater gesehen?«, fragte er hektisch.
Ach Mist, ein Zeitreisender, dachte Lemmy. Jetzt bloß kein Paradoxon verursachen. »Noch nicht«, antwortete er vorsichtig.
»Mist«, sagte der Mann mit der Locke und fing an zu weinen: »Dann hab ich ihn vielleicht schon umgebracht gehabt haben werden. Oder gehabt worden wollten.«
»Ach du meine Güte«, randalierte das Raumschiff. »In diesem leeren Universum laufen nur ein paar Klischees rum. Leere des Raums – Leere des Hirns, Mangel an Ideen. Ich will hier raus!«
»Leer?«, fragte Lemmy.
»Ja, leer«, sagte das Raumschiff. »Kuck dich doch um! Unter uns ein Planet – und zwar nicht einmal ein besonders interessanter, würde ich sagen –, da drüben sein Zentralgestirn, Ende der Inhaltsangabe.«
»Das Universum ist aber nicht leer«, meinte Lemmy. »Das weiß doch jedes Kind.«
Der Zeitreisende hörte auf zu weinen. »Sicher hatte ich alles vernichtet werden gehabt zu haben! Nur noch ein restliches Paradoxon, und das ungestern!«
Lemmy runzelte die Stirn. »Gehen wir die Sache doch einmal logisch an.« Er überlegte und zählte an den Fingern ab: »Was haben wir? Ein orientierungsloses Raumschiff ohne Besatzung.«
»In einem fast leeren Universum«, ergänzte das Raumschiff, und Lemmy hob einen weiteren Finger. Dann ergänzte er: »Nummer drei: Einen, ähm, etwas verstörten Zeitreisenden ...« Der Angesprochene nickte, dann sah er sich plötzlich ängstlich um.
Lemmy zeigte auf sich selbst und zögerte. »Nummer vier: Ein neunmalkluger Jugendlicher, der am liebsten die Welt vor dem Bösen retten würde.«
»Andere Kinder in deinem Alter hätten höchstens ihre geschlechtslosen Actionfiguren im Sinn«, merkte das Raumschiff an.
Lemmy nickte. »Ihr könnt froh sein, einen Schlaumeier wie mich dabei zu haben. Ihr würdet bestimmt nicht auf die Lösung kommen.«
Der Zeitreisende wurde durchsichtig. »Nein!«, schrie er. »Nicht! Ich will doch die Lösung mitkriegen!«
»Schritt Drei der Konsistenzprüfung abgeschlossen. Es gibt Korrekturen an den Datenstrukturen.«
Mit einem Grinsen hob Lemmy den fünften Finger. »Eine göttliche Stimme, die sich anhört wie eine Fehlermeldung. Das ist der Schlüssel.«
»Wir haben Besuch«, bemerkte das Raumschiff.
»Großvater!«, schrie der transparente Zeitreisende.
»Unwahrscheinlich«, entgegnete das Raumschiff. »Es handelt sich um einen zweibeinigen Wandelkaktus, der in vier Sekunden bei euch eintrifft. Wahrscheinlich ist es den ununterbrochen palavernden Stimmen gefolgt, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«
»Natürlich«, flüsterte Lemmy und zog die Stirn kraus.
Der Außerirdische erwies sich als zwar stachliger, ansonsten aber wenig furchteinflößender Humanoide mit ungesunder Hautfarbe, der seinen Zeigefinger nicht einklappen konnte. »Warnücht«, schwadronierte das Wesen drauflos, »görwügan dworsiko!«
»Das ist nicht mein Opa und wird es gewesen nie sein«, murmelte der Zeitreisende enttäuscht und büßte den Rest seiner Stofflichkeit ein.
»Hordo! Kawell kawilo barnö!«
»Aktiviere den Translator«, verlangte Lemmy.
»Der Translator ist aktiviert«, erklärte das Raumschiff.
»Schritt Vier der Prüfung abgeschlossen. Zombie-Datenfragmente werden jetzt entfernt.«
»Awöh?«, machte der Kaktusmann und ließ den Zeigefinger sinken.
Zittern, Beben, Kullern und zufriedenes Fiepen perlten durch das Raumschiff. Es aktivierte umgehend einen Routine-Scan und verkündete: »Der Planet ist weg. Um uns ist das Nichts.«
Lemmy grinste die Stellen an, wo Kaktus und Zeitreisender gerade noch gestanden hatten. »Auch die sonderbaren Wesen sind weg. Das Universum ist gerettet«, sagte er stolz. »Für dieses Mal.«
Dann verschwand auch das Raumschiff. Kurz bevor Lemmy im Vakuum explodierte, wurde auch seine Dateistruktur wiederhergestellt.
»Space Opera Maker 2.0 hat die Wiederherstellung seiner Datenbank abgeschlossen.«