Lektion über die Ewigkeit
Die Dunkelheit die noch vor wenigen Sekunden Raphaels Verstand umnachtete, schien sich langsam zu legen. Denn seine eben noch deliriert gesponnenen Worte begannen sich zu Formen:„Wo... bin ich?“, schnaufte er kraftlos, als er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht, behutsam den Kopf reibend, in dem fremden Raum umsah. Ungläubig schweiften seine Augen in der Schwärze des kalten Ortes. Er hoffte darauf seine Augen gewöhnten sich an den Raum, doch vergeblich war sein inneres Flehen. Die Gewissheit blieb ihm vorerst verwehrt. Die Müdigkeit schien erneut Raphaels ausgezehrten Körper zu übermannen und er fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Die trügerische Ruhe um Raphaels am Boden liegenden Körper wurde schon nach wenigen Stunden unterbrochen. Die eben noch fern zu glaubenden Schritte rückten unaufhaltsam näher zu seinem wehrlosen Leib. Raphael sprengte die Augenlieder auf. Die monotonen Gehlaute wurden, durch die Schärfung seiner Sinne in der Dunkelheit, unerträglich. Er stieß sich vom Boden ab und versuchte aufzustehen. Doch seine Beine bebten unter seinem eigenem Gewicht. Unfähig das Gleichgewicht zu halten, stürzte er nach hinten. Sein Fall ins Ungewisse wurde jedoch sanft abgefangen und mit den Worten „Willkommen zuhause, Raphael“, warm begleitet. Es waren die Worte einer Frauenstimme. „Sie werden bald wieder bei Kräften seien, seien sie sorglos, wir machen das alle am Anfang durch“.
Raphael stieß sich von der Unbekannten weg. „Wo bin ich hier, verdammt noch mal? Und wer sind sie?“. Jedes Wort schmerzte in seinem Kopf und hallte wie ein Echo in seinen Gedanken wieder. „ Wir sagten bereits, sie sind zuhause. Was unseren Namen angeht, wir zogen es bisher immer vor, die Maskerade zu wahren". Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn:„Entschuldigen sie bitte, ich kann ihnen nicht ganz folgen“, sprach Raphael langsam und leise nach dem Gesicht zu den Worten suchend. „Sie sind noch sehr schwach, überfordern sie sich deshalb nicht, indem sie versuchen zu verstehen. Bevor wir Antworten geben können, sollten sie sich stärken“. Die Unbekannte drückte Raphael einen Kelch entgegen. Der Inhalt tat für Raphael nichts zur Sache denn alleine der Geruch wärmte in ihm Begierde auf. Seine Vorsicht war vergessen, er wollte sich nur noch diesem Kelch widmen. Als er den Trank an die Lippen setzte, und die ersten Tropfen seine Kehle anfeuchteten, wich jegliche Angst seiner Hemmungslosen Begierde nach diesem Elixier. Jeder Schluck fühlte sich an wie flüssiges Feuer, das seinen Körper durchzog, wie eine brennende Schlange. Sein Mut, sein Wille und seine Geisteskraft kehrten zurück in seinen Leib. Als ob ein neues Leben begonnen hätte, fühlte sich Raphael nach dem letzten, Lebensspenden Tropfen der unbekannten Substanz.
Auch seine Augen hatten wieder an Kraft erlangt, er sah nun alles wie am hellen Tag.
Er befand sich in einem Raum der an allen Wänden geschmückt war mit hohen Regalen, jeder Zentimeter darin gebraucht für offenbar sehr alte Bücher. Das Zentrum des Raumes war nicht genutzt, die Bodenfläche war leer. An dieser Stelle standen Raphael und die unbekannte Frau. Unbekümmert ließ er den leeren Kelch fallen und richtete das Wort an die für ihn nun deutlich zu erkennende Schönheit:„Ich weiß nicht ob ich dir Dank schulde, oder erneut um mein Leben fürchten muss, also kläre mich auf was hier vorgeht“.
Raphael blickte tief in ihre braunen Augen, versuchte sich dort zu erblicken doch sie waren wie tote Spiegel. Ihr schwarzes Haar glitt seidenartig an ihrem weißem, porzellan- artig zerbrechlichem Gesicht vorbei. Sie schien sehr jung gewesen zu sein und trotz ihrer Jugend trug sie ihre Unschuld als Fassade. Ihre Schönheit war betörend, doch Raphael wusste das die Maske der Tugend die süßeste Maske war. Als sie den Mund öffnete schienen ihre Worte Raphael in ihren Bann zu ziehen:„Um ihr leben brauchen sie sich keine Gedanken mehr zu machen.
Ihr Trachten sollte ab jetzt darin bestehen es zu nehmen“, sie lächelte finster.
Raphael glaubte zu verstehen, sie schien zu wissen, dass er eine Vergangenheit als Auftrags-Killer hatte:„ Entschuldigen sie bitte, aber das habe ich schon lange hinter mir gelassen. Ich bereue meine Taten und werde nicht wieder in das Geschäft einsteigen.
Du hast den falschen Mann aufgegabelt, niedergeschlagen und aufgeputscht. Ich...“,
Die Worte blieben ihm buchstäblich im Halse stecken, denn noch bevor er neu ausholen konnte griff die mysteriöse Schönheit Raphael an die Kehle um ihn dann Zentimeter über dem Boden, an ihrem starken Arm baumeln zu lassen. Offenbar hatte er ihre Geduld hart strapaziert, denn ihre Gelassenheit, der Unwissenheit Raphaels gegenüber, hielt dem Druck ihrer Emotionen nicht mehr stand:„Aufgegabelt, niedergeschlagen, aufgeputscht“, hauchte sie ihm zynisch entgegen. Nur die Tatsache ihrer Unerfahrenheit hält uns noch davon ab sie zu Töten. Wir haben sie auserwählt. Aus dem Gewürm von Tausenden schienen sie der Gabe würdig zu seien. Wir habe sie gesegnet, mit einem Kuss dem nur wenige zuteil werden. Sie durften das Opfer annehmen und Leben daraus schöpfen.“, sie ließ in unsanft zu Boden fallen,“ Wir erwarten den nötigen Respekt.“. Raphael überlegte einige Sekunden. Das Falsch gewählte Wort könnte ihn den Kragen kosten. Sie schien zweifelsohne die Fähigkeiten dazu zu haben. Er stand auf, blickte ihr kurz in die Augen und ging auf die Knie. Sein Haupt war von gespieltem Scham gesenkt. Vielleicht würde sie ihn gehen lassen, wenn er vorspielen würde das er verstanden hatte.
„Ich schäme mich meiner Dummheit und bitte um Vergebung. Ich danke dafür das ich Auserwählt wurde. Verzeiht mir... .“ Jetzt kam sich Raphael wirklich dumm vor. Doch offenbar hatte es funktioniert, denn die cholerische Fremde streckte ihre Hand runter zu Raphael in der Erwartung er würde einen Handkuss erwidern. Sanft griff er ihre eiskalte Hand und küsste sie demütig. Langsam kam er wieder auf die Beine, die Lippen immer noch auf ihrer Hand. Als sie wieder zum Wort ansetzte grauste es Raphael innerlich: „Wir mögen es nicht, wenn man uns anlügt. Wir ziehen die Wahrheit vor. Deshalb werden wir ihnen nun die Wahrheit präsentieren. Wir können ihre erbärmliche Horizontlosigkeit nicht länger ertragen. Also werden wir ihn erweitern. Sie glauben nicht an uns, oder? Dabei hielten wir ihre Rasse einst wie Tiere in Herden. Fürwahr wir sind in die Vergessenheit geraten. Gerne denke ich zurück an die Goldenen Tage als wir zahlreich waren, bevor das Leben andere Wege einschlug. Man rottete uns nieder als unverkennbare Plage. Warnte vor uns in euren Geschichten. Und hielt uns als Mythos in Erinnerung. Wir sind in unserer Existenz verleugnet. Unsere...“, Raphael unterbrach sie roh:„ Kommen sie auf den Punkt.... .“ Sie fuhr fort:„ Also gut, wie sie wollen. Wir sind Vampire. Edel und anmutig in unserer Tödlichkeit. Von Weisheit geprägt, überdauerten wir Hunderte von Zeitaltern in Unsterblichkeit. Wir sind der wandelnde Tod und doch fürchten wir ihn ebenso wie das Sonnenlicht. Wir sind Verfluchte, Götter ohne Gläubige. Blut klebt an unseren Namen, denn der Tod ist unser Leben. Wir sind einsam und traurig. Immer auf der suche nach Gesellschaft, um den Fluch der Jahrhunderte zu überdauern, Leben wir im Exil unserer Vergangenheit, die jegliche Bedeutung verlor an dem Tag als wir erwachten. War es das was sie wissen wollten?“
Raphael blieb einige zeit stumm und war sich nicht sicher ob er „ja“ oder „nein“ sagen sollte.„Wenn das der Grund ist warum ich hier bin dann war es das was ich hören wollte.
Bin ich also nur die nächste Stärkung für deinen „unsterblichen“ Leib?“
„Wenn wir sie wirklich töten wollten, hätten wir das schon längst getan. Wir würden einer Mahlzeit nicht das Herz ausschütten. Wie gesagt, normalerweise ziehen wir es vor die Maskerade zu wahren.“ Bei Raphael fiel der Groschen, endlich. Doch alleine der Gedanke machte ihn krank. Sein ganzes Leben lang verurteilte er jeden Gedanken an die Existenz der Vampire und nun stand er vor dem Abgrund der Ewigkeit. Die Erschafferin warf ein:„Versuchen sie nicht es zu leugnen, es ist die Wahrheit. Sie hätten es merken müssen als sie den Blut-Kelch gekostet haben.“ Raphael blickte hinter sich auf den golden schimmernden Kelch an dem noch immer die Flüssigkeit der Begierde klebte.
„Es gibt für sie nur noch eines zu tun, seien sie meine Gesellschaft Raphael...“