Leitersturz
Ein kleiner hübscher Ort im Odenwald. Hier passiert fast nie was Aufregendes.
Montag, 11.07.2011, 7.56 Uhr, Polizeibüro
„Achtermeyer, schön, dass du wieder da bist! Wie war der Urlaub?“ Dorfsheriff Köhler nimmt seine Füße vom Schreibtisch und reicht seinem Kollegen die Hand, ohne aufzustehen.
„Schön war´s.“
„WIe war das Wetter?“
„Ging so.“
„Warst du allein?“
„Nur mit Hasso, meinem jungen Schäferhund.“
„Sieh an, keine Freundin mehr, aber dafür einen Hund?“
„Genau. Und wie war es hier?“
„Wie immer, du hast nicht viel verpasst, es war nicht viel los. Das Übliche eben. Ein paar harmlose Nachbarschaftsfehden, zwei leichte Verkehrsunfälle und ein Ladendiebstahl. Der Jüngste vom Pastor wieder mal, lässt beim Bäcker einen Schokoriegel mitgehen. Ansonsten nichts Besonderes. Keine deftige Wirtshausschlägerei, nicht eine einzige. Achtermeyer, soll ich dir was verraten? Ich bin seit 23 Jahren hier Polizist und ich frage mich manchmal, was langweiliger ist, meine Ehe oder mein Job.“
„Wie nix los? Als ich gestern Abend mit meinem Hund Gassi ging, hab ich noch Pütz getroffen, der hat mir von deinem Flugversuch berichtet.“
Köhler springt von seinem Stuhl hoch und Blut schießt in seinen Kopf.
„Ach, die scheiß Katze von der alten Kruse war schuld und macht mich zum Gespött im ganzen Dorf!!!“
„Lass mich deine Version hören.“
Köhler setzt sich wieder, um sich zu beruhigen. Nach einem kurzen Päuschen fängt er an zu erzählen.“
„Die Weingartner rief an, eine Katze ist in ihrem Baum und der Köter nebenan im Garten bei den Schmidts, die waren grad nicht da, hörte nicht mehr auf zu bellen. Das war der reinste Terror! Ich mit Pütz hin. Beim Versuch die Katze aus dem Baum zu holen, hat mich das verdammte Biest heftig gekratzt hat und ich hab irgendwie das Gleichgewicht verloren und bin runtergeflogen. Dieses verdammte Mistvieh! Danach ist sie dann von ganz alleine runtergeklettert und hat sich schnell verzogen. Ich brech mir fast den Hals und Pütz, dieser Idiot, lacht sich halb tot. Der sollte unten die Leiter sichern.“
„War es wirklich die Katze von der alten Kruse? Die wohnt doch ganze drei Kilometer vom Dorf entfernt, einsam und verlassen und ist ein halber Pflegefall.“
„Wenn du die Abkürzung, den Weg durch den Wald, nimmst, dann sind es nur zwei Kilometer, für eine streunende Katze nichts Ungewöhnliches, denk ich. Ja, es war die Katze von Oma Kruse, sonst kenn ich keine hier mit weißen Füßen.“
Achtermeyer zündet sich eine Zigarette an.
„Mit 50 stirbst du an Lungenkrebs, mein Junge. Hast also noch 20 Jährchen.“
„Das würde mir die Wechseljahre ersparen, in der du gerade steckst“, frotzelt Achtermeyer.
„Apropos Rauchen. Letztens wollte Pütz eine Zigarette von mir schnorren. Von mir, stell dir das mal vor! Das wäre ungefähr so, als wenn du eine Nonne um ein Kondom bitten würdest. Mit Pütz scheint sowieso einiges nicht zu stimmen. Vor ungefähr einem Monat hab ich ihm 100 Euro geliehen, die hab ich bis heute nicht zurück.“
„Ich kann mir schon denken, wofür er die Kohle braucht“, sagt Achtermeyer und fügt einen Tipp hinzu. „Frag mal Gabi.“
„Gabi? Apropos Gabi. Letzte Woche hat irgendein Chaot an meinem neuen Audi den rechten Außenspiegel halb abgebrochen. Versicherungsagent Möller, der Schwager von Gabi, meinte dazu, ich würde den Spiegel nur erstattet bekommen, wenn ein Diebstahl vorliegt. Das wusste ich selber, aber Möller, dieser alte Spießer, hätte ja auch mal was tricksen können.“
Selber alter Spießer, denkt sich Achtermeyer und geht schmunzelnd zu seinem Spind, weil er sich denken kann, dass bei der Sache mit dem Spiegel nur der Jüngste vom Pastor dahinterstecken kann.
Samstag, 23.07.2011, 13.26 Uhr, Oma Kruses Haus
„Ich hab mich schon gewundert, dass die Tür aufstand“, schluchzt die Pflegerin. „Als ich sie regungslos auf dem Boden liegen sah, da hab ich gleich Sie angerufen, Herr Köhler.“
Mittwoch 27.07.2011, 9.33 Uhr, Polizeibüro
„Die Dame vom Pflegedienst bringt täglich mittags das Essen und diesen Sonnabend kurz nach 12 findet sie die alte Kruse tot im Wohnzimmer.“
Köhler schaut kurz Achtermeyer an, als erwarte eine Zustimmung. Dann redet er weiter. „Todesursache: Gift, welches ebenfalls im Tee nachgewiesen wurde. Todeszeitpunkt: Freitag, über den Daumen gepeilt so zwischen 19 und 24 Uhr.“ „Okay, aber das Motiv? Bei der Unordnung im Haus können wir davon ausgehen, dass etwas gesucht wurde.“
„Das Motiv, Achtermeyer, das Motiv ... Wenn wir wenigstens jemanden finden könnten, der bezeugen kann, dass Geld, Schmuck oder andere Wertsachen aus dem Haus entwendet wurden, dann wären wir einen Schritt weiter. Kruses einzige Tochter wohnt in Ulm, die konnte uns auch nicht weiterhelfen, zudem hat sie seit gut drei Jahren nicht mehr ihre Mutter hier besucht. Achtermeyer, bei unserer Spurensuche hatten wir ganz vergessen, den Waldweg mit einzubeziehen, der vom Dorf her die letzten 150 Meter vor Kruses Haus durch den alten Schlagbaum immer noch für Fahrzeuge gesperrt ist. Bei meinem Spaziergang am Sonntagmorgen hab ich mich dort umgesehen und fand relativ frische Reifenspuren. Konnte ich dir bis jetzt nicht erzählen - weil? Nun rate mal, weil sie zu welchem Auto passen?“
„Keine Ahnung“, sagt Achtermeyer und schüttel zur Betonung noch kurz seinen Kopf.
„Zu unserem Streifenwagen.“
„Zu unserem Wagen? Moment, sollte es sich hierbei um das Fahrzeug vom Täter handeln, dann ...“
„Ja, ich weiß, was dich nun brennend interessiert. Am Tag des Verbrechens hatte ich bis 22 Uhr Dienst, dann hat mich Pütz abgelöst. Wir knöpfen uns den mal vor. Und Achtermeyer, damit einst klar ist, das Verhör führe ich ganz alleine.“
Mittwoch 27.07.2011, 12.21 Uhr, Polizeibüro
„Pütz, warum in aller Welt fährst du mit dem Polizeiauto über den Waldweg zu Oma Kruse?“
„Ich“, stottert der Polizist, „ich wollt sie ... nur besuchen.“
„Nur besuchen, soso“, wiederholt Köhler die fragwürdige Aussage und guckt Achtermeyer an, der verzieht keine Miene. „Und weiter?“
„Die Tür stand auf. Ich bin ins Haus rein und da lag sie bereits tot auf dem Boden.“ „Mann Pütz, das glaubt dir doch kein Mensch. Du fährst heimlich zu Oma Kruse, um mit ihr mitten in der Nacht, mitten in der Nacht, ein Betthupferl zu bringen und ihr eine Gutenacht-Geschichte zu erzählen? Mann Pütz!“
Achtermeyer steckt sich eine an. „Apropos Geschichtenerzählen. Kein Märchen hat uns Gabi erzählt.“
„Gabi? Welche Gabi?“, fragt Pütz, als wüsste er nicht, um wen es geht.
„Na unsere Gabriele von der Lotto-Annahmestelle. Die stellt sich neuerdings laufend die Frage, wo du nur das viele Geld herhast, das du jede Woche dort verspielst - ja? Oder nicht? Und der einzige Gewinn, an den sie sich erinnern kann, den sie dir je ausgezahlt hatte, waren neun Euro und paar Zerquetschte. Weißt du was, Pütz? Du bist spielsüchtig, brauchtest Geld und gingst davon aus, bei Oma Kruse im Haus irgendwo auf eine Goldader zu stoßen. Hab ich recht?! So war es doch?! Du hast sie vergiftet!“
Das Gesicht von Pütz bekommt die Strenge eines Grabsteins und plötzlich platzt es aus ihm heraus. „Ja, ich hab der Alten Gift ins Glas geschüttet! Und die Katze hab ich auch vergiftet!“
„Ja genau, die verdammte Katze ja auch noch!!!“, brüllt Köhler wie ein Choleriker in Höchstform. Achtermeyer bleibt cool, drückt lässig seine Zigarette im Ascher aus und meint: „Okay, jetzt haben wir ihn. Ab in die Zelle mit dem.“
Ein kleiner hübscher Ort im Odenwald. Und obwohl es nun einen Gesetzeshüter weniger im Dorf gibt, fühlen sich die Einwohner sicherer.
Mittwoch 27.07.2011, 22.45 Uhr, Wirtshaus
„Die Tatsache, dass die Milch für die Katze ebenfalls vergiftet war, wusste nur der Mörder und wir. Leider musste mein Hund dran glauben, als ich vorgestern noch einmal zum Tatort gefahren bin. Hasso probierte in der Küche von der Milch in der Schale. Zehn Minuten später brach er zusammen. Simon, der Tierarzt, konnte nichts mehr machen und war ratlos, also fuhren wir sofort zusammen zur Tierklinik, dort wurde der Hund im Labor genauer untersucht. Während der Fahrt in die Stadt erzählte mir Simon von dem schwarzen Kater mit den weißen Füßen, den er einschläfern musste, weil ihn jemand auf der Landstraße angefahren hatte.“ Achtermeyer reicht seinem Kollegen eine Zigarette und gibt ihm Feuer.
Nach einem tiefen Zug meint Pütz: „Ja, unser lieber, guter Köhler. 23 Jahre Langeweile, dazu noch die Wechseljahre, tja ... Um endlich sein Leben spannender zu gestalten, vergiftet er die alte Kruse und will mir den Mord in die Schuhe schieben.“
„Köhler, dieser Psychopath, versucht noch, die Katze zu vergiften. Aus Rache für seinen peinlichen Sturz. Als der Mediziner das Gift in der Hundeleiche nachwies, rief ich ihn an, er hatte mich drum gebeten, wenn ich etwas über die Katze wüsste. Ich meinte nur, ich hab das Tier tot im Haus gefunden, es konnte ja durch die Katzenklappe jederzeit rein. Köhler, bedankte sich für die Info, mehr nicht. Von Gift und von Hasso hab ich ihm nichts erzählt.“
„Ich hatte ihm auch nie was von meinem Talent zum Schauspieler erzählt. Und für die Reifenspuren hat er selbst gesorgt, als er vor der Tat zur Kruse fuhr?“
„Genau!“
Und für den Leitersturz hab ich gesorgt. Pütz nimmt einen tiefen Zug.