Leise schlug der Regen ans Fenster
Leise schlug der Regen ans Fenster.
Ein Passant ging vorbei, warf einen Blick durch die Scheibe. Sie schaute zurück. In ihren Augen spiegelte sich das Meer ihrer Gefühle. Der Mann wandte sich ab, konnte ihrem Blick nicht standhalten.
Alles schien so real, nur sie selbst fühlte sich wie eine Phantasie, wie ein Gedanke, der nicht hierher gehörte.
Nachdenklich schaute sie in das triste Grau des wolkenverhangenen Himmels. Warum hatte er es getan? Vor allem, was hatte er getan?
Erinnerungen drängten sich in ihr Bewusstsein.
Liebe auf den ersten Blick, ja, das war es gewesen, damals. Fast 3 Jahre waren vergangen, seit er sich im Eiscafé auf den leeren Stuhl an ihrem Tisch gesetzt hatte. Ihre Augen hatten sich gesucht, schliesslich gefunden, und fortan war ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellbar.
Sie zündete sich eine Zigarette an und nahm sich mal wieder vor, es würde die letzte sein. Dieses Mal würde sie es schaffen.
Sein Heiratsantrag. 21 rote Rosen hatte er gekauft, eine für jeden Monat, den ihre Beziehung dauerte. Ohne zu zögern, hatte sie ja gesagt. Damals war es ihr wie ein Traum erschienen.
Sie war erwacht. Der Traum war vorüber.
Er hatte den Traum zerstört, sie zerstört.
Seine Erklärungsversuche waren hilflos gewesen, beinahe belustigend.
Von einer Situation, die er nicht unter Kontrolle halten konnte, hatte er gesprochen. Immer wieder hatte er geschworen, wie sehr er sie liebte. Doch es war zu spät, sie hatte sich entschieden, er hatte sie dazu gezwungen.
Sie schaute auf die Uhr, es war Viertel nach Fünf. Sie stand auf und ging zur Tür. Ein letztes Mal streifte ihr Blick sein Photo, dann ging sie hinaus. Den Schlüssel liess sie hängen, sie würde ihn nicht brauchen. Mit einem leisen Knall fiel die Tür ins Schloss.
Nachdenklich schaute er ihr hinterher, schaute auf die geschlossene Tür. Es war still.
Dämmerung senkte sich über die Szenerie. Unschlüssig stand er da.
Die Zeit verging.
Von draussen drang das Geräusch des vorbeirasenden Nachmittagsschnellzuges in den Raum. Er hielt nie, nicht hier in der Kleinstadt, raste nur jeden Tag zur selben Zeit vorüber.
Die Zeit verging.
Aus der Ferne, vom Bahndamm, erscholl das Heulen von Sirenen.
Die Zeit verging.
Sein Blick wanderte ruhelos durch den Raum, hielt schliesslich an und blieb auf dem Boden haften. Er schaute in tote Augen. In seine eigenen Augen. Sah, wie der Schaft des Küchenmessers einem Kreuz gleichend aus seinem Brustkorb ragte. Sah, wie sein getrocknetes Blut groteske Formen um seinen getöteten Körper zeichnete.
Er spürte eine Präsenz im Raum, drehte sich langsam herum. Sie war hier. Sie war zurückgekehrt. Ihre Augen suchten sich, fanden sich. Niemand würde sich je wieder zwischen sie stellen.
Alles schien so phantastisch, wie ein Gedanke, der nicht hierher gehörte, nur sie selbst fühlten sich real.
Ein Passant ging vorbei, warf einen Blick durch die Scheibe. Er sah einen leeren Raum, wandte sich ab.
Leise schlug der Regen ans Fenster.