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Leider
„Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass es sich mit aller Wahrscheinlichkeit um höchstens vier Wochen handelt. Vielleicht ein paar Tage länger.“ Der Blick, den er mir zuwarf, ein Hauch von Mitleid, gleichzeitig auch Arroganz, belehrte mich eines Besseren. Ich schluckte. „Vier Wochen? Sind Sie sicher? Kann es sich da nicht um einen Irrtum handeln? Vielleicht hat jemand in Ihrem Labor meine Werte vertauscht, ich meine, das hört man doch immer wieder, das kann doch nicht sein, ich .......“, ich verstummte. Es war hoffnungslos. Niemand hatte etwas vertauscht. Und der Mann in dem weißen Kittel, der vor mir an dem Schreibtisch lehnte und mich eindringlich ansah, wußte wovon er sprach. Schließlich war er der Arzt. Mein Arzt der mich untersucht hatte.
Ich blickte aus dem Fenster. Die Gedanken schwirrten in meinem Kopf umher. Es war Frühling, vieler Leben Anfang und das Ende meines. Tränen schossen mir in die Augen. Du wirst jetzt nicht heulen, reiß dich zusammen, dachte ich. „Wenn ich Sie jetzt bitten dürfte?“ Die Stimme meines Doktors drang unsanft in mein Inneres, drohte mir den Hals zuzuschnüren. Ich blickte in fragend an. „Bitten? Wohin?“
Sein Blick wurde stahlhart und mit einer eiskalten Stimme sagte er: „Haben Sie mir nicht zugehört? Wir haben ein Zimmer für Sie. Die Therapie beginnt morgen früh. Wir können Sie nicht retten, aber wir können Ihre Zeit vielleicht noch verlängern. Wenn Sie mir jetzt bitte folgen würden?“
Ich sah ihn an und mir wurde schlecht. Weg, dachte ich, bloß weg hier. Ist das alles ein schlechter Traum? Ich wollte ihm antworten, Fragen stellen, aber es ging nicht. Der Kloß in meinem Hals drohte mir die Luft zu nehmen. Ich atmete tief durch und versuchte mich zu beruhigen.
Ich stand auf und ging zum Fenster. Eine Leere breitete sich in meinem Körper aus. Was hatte ich in meinem Leben noch alles vor? Was wollte ich noch alles erleben? Warum ich? Was habe ich verbrochen? Gibt es irgendwo einen Gott? Wenn ja, was hatte ich schlimmes getan, dass er mich so straft? Ich bekam keine Antworten auf diese Fragen. Ich starrte weiter aus dem Fenster. In meinem Kopf herrschte Chaos. Auf dem Fensterbrett, vor dem geschlossenen Fenster, landete ein Schmetterling. Er verweilte einen Moment, schlug sanft mit seinen Flügeln und flog weiter. Die Vögel zwitscherten. Das Lachen von spielenden Kindern drang zu uns hinauf. Die Sonne warf ihre Strahlen durch die Wolken und lies sie auf dem Teich vor dem Gebäude enden. Am Horizont erschien ein blauer Streifen, es versprach ein wunderschöner Frühlingstag zu werden. Nein, dachte ich. Nein.
Ein stechender Schmerz lies mich aus meinen Gedanken aufschrecken. Ich drehte mich und schaute meinen Arzt entschlossen an. „Ich werde hier kein Zimmer nehmen. Ich gehe nach Hause. Wenn ich nur noch vier Wochen habe, dann will ich diese nicht hier verbringen. Sie garantieren mir nichts. Sie sagen, ich könnte meine Zeit durch eine Operation verlängern, aber sicher sind Sie sich nicht. Warum also, frage ich Sie, sollte ich dieses Risiko eingehen und die knappe Zeit die mir bleibt im Krankenhaus verbringen?“
Ich nahm meine Jacke, ging zur Tür und öffnete sie. Der Arzt blickte mich an. Ich sah immer noch diesen Hauch von Mitleid in seinen Augen, aber auch noch etwas anders, etwas, was fast wie Respekt aussah. Er räusperte sich. „Da haben sie wohl recht. Aber es wäre besser, Sie würden mit mir kommen. Ich kann Ihnen nicht mehr Zeit versprechen, aber Sie sollten es versuchen. Leider...“, setzte er an, bei diesem Wort ging ich bereits aus der Tür. Den Flur entlang, die Treppen hinunter und stand Minuten später vor dem Krankenhaus. Ich atmete tief durch. Die frische, klare Frühlingsluft. Ich fühlte mich erleichtert. Ich hatte mich zum ersten mal in meinem Leben nicht dem hingegeben, was besser für mich war, sondern das, was ich wollte.
Ironischer weise zum ersten und letzten Mal.