Leidensweg
Er war noch nicht einmal 17 Jahre alt, drei Monate fehlten noch.
In den Sommerferien, im Juli, verbrachte K. vierzehn Tage bei seinem um fünf Jahre älteren Bruder auf dem Dorf.
Der Garten sollte neu gestaltet werden, und was lag da näher als den Jüngeren um Hilfe zu bitten.
Schließlich war er gerade dabei, seine Lehre als Gärtner abzuschließen.
Der Garten war ziemlich verwildert, Vogelmiere und Brennnesseln überwucherten das Gelände.
Der Vorgänger, ein seit mehreren Jahren kranker Mann, war im Frühjahr gestorben, so konnte der Bruder das Grundstück nebst Haus mit fünf Zimmern günstig mieten.
Eigentlich hatten der Bruder und seine Frau überhaupt kein Interesse an einem Garten.
Aber für die zwei Kinder gab es nun Platz in einer Weite, wie sie sich es lange erträumt hatten in der Enge ihrer Stadtwohnung.
Freilich, die Arbeit, die daran hing, schien kaum zu bewältigen sein.
Der Bruder war ein Büromensch, und er musste zu seinem Büro in der Stadt nun ein Weg mit der Bahn von 40 Minuten hin und 40 Minuten zurück bewältigen.
Als Funktionär kamen für ihn viele Veranstaltungen an den Wochenenden dazu.
Da blieb nicht viel Zeit.
Außerdem scheute er körperliche Arbeit geradezu wie eine persönliche Bestrafung, und er ging ihr aus dem Weg, wo er nur konnte und schreckte sogar vor lächerlichen Ausreden nicht zurück.
Dennoch stürzte er sich immer wieder in Unternehmungen, die ihn eigentlich überforderten.
„ Es wird schon irgendwie gehen, bisher hat alles geklappt.“
Mit seiner mitreißenden Begeisterungsfähigkeit und seinem doch naiv zu nennenden Optimismus konnte er Andere zur Mitarbeit gewinnen und zuweilen für sich einspannen.
K. musste er nicht lange überreden.
Sein großer Bruder war schon immer eine maßgebliche Respektsperson für ihn, gleich nach den Eltern und den Lehrern.
Überhaupt waren für ihn Respekt und Disziplin tief verinnerlichte Eigenschaften, die in seinem gesamten späteren Leben anhielten.
Dem Bruder abzusagen, kam ihm deshalb nicht eine Sekunde lang in den Sinn.
Nein, für ihn bedeutete sein Gebrauchtwerden eine Aufwertung innerhalb seiner Familie.
Kraftvoll ging er im Garten an die Arbeit.
Es muss wahrlich ein ästhetischer Vorgang gewesen sein, ihn beim Umgraben beobachten zu dürfen.
Ein Körper wie aus dem Bilderbuch!
Breit ausladende Schultern, schmale Hüften, beeindruckend ausgebildete Muskeln, die wohl proportioniert waren und ein jugendliches Gesicht, aus dem tiefblaue Augen strahlten, ein kräftiges Kinn verwies auf seine heranwachsende Männlichkeit.
Sein weißblondes Haar und seine gebräunte Haut verliehen seiner gesamten Erscheinung eine Aura, der sich kaum einer entziehen konnte.
Dabei war er sich seine besonderen Ausstrahlung nicht im geringsten bewusst.
Ihn plagten vielmehr Selbstzweifel, Schüchternheit besonders Mädchen gegenüber und eine erstaunliche Scheu im Alltag, selbst beim Friseur bekam er einen roten Kopf, wenn er seinen Wunsch zu der Art des Haarschnittes äußern sollte.
Seine Zurückhaltung wurde zu seinem Kummer ziemlich oft als Überheblichkeit gedeutet.
Auf diese Weise erfuhr seine Unsicherheit beständig neue Nahrung.
Ein Mädchen anzusprechen?
Undenkbar!
Dabei erwachten seine sexuellen Sehnsüchte und die dazu sprießenden Fantasien recht früh, bereits im Kindesalter.
Einen Steifen hatte er schon im ersten Schuljahr, wie er sich erinnerte, und die Mädchen in seiner Klasse übten auf ihn einen eigentümlichen Zauber aus.
So um das 12. Lebensjahr zeigte ihm ein Freund wie man masturbiert, wichst pflegte er zu sagen.
Er belehrte K. darüber, dass er es nicht so oft wichsen sollte, weil jedes Mal vom Gehirn ein kleiner Teil verloren ginge.
Und tatsächlich!
Bald entleerte sich auf dem Höhepunkt eine milchähnliche Flüssigkeit, die die Warnung des Freundes zu bestätigen schien.
Deshalb unterdrückte er sein drängendes Verlangen hin und wieder, meistens war aber der Druck so übermächtig, dass er das Risiko aus seiner Gedankenwelt verbannte.
Mittlerweile war er nun in einem Alter, das nach dem ersten Geschlechtsverkehr geradezu schrie. ( von Sex sprach man erst später )
Darum betrachtete er Mädchen stets unter dem Gesichtspunkt sexuellen Verlangens, verdeckt, keinesfalls offensichtlich, jedoch fortwährend mit gespannter Aufmerksamkeit.
Wenn jemand so andauernd im Garten arbeitet, wird wohl auch mit ihm zu reden sein, dachte sich wohl ein Mädchen, das täglich nach seiner Arbeit am Garten vorüber ging.
Auffallend langsam, wie K. bald bemerkte, und freundlich grüßend.
Hübsch war das Mädchen nicht, aber hässlich konnte K. es auch nicht nennen.
Blonde, lange Haare, ein eher kindliches Gesicht, nicht wie siebzehn Jahre aussehend, jedenfalls behauptete es siebzehn Jahre alt zu sein, wirkte es in seiner etwas gebeugten Haltung merkwürdig im Gehen behindert.
Seine Figur schien tadellos zu sein, und seine Brüste hoben sich anscheinend wohlgeformt unter der Bluse ab.
Für K. stand fest, wenn sich die Gelegenheit ergibt, wird er es mit dem Mädchen versuchen.
Er musste sich wahrlich nicht anstrengen.
In der zweiten Woche seines Aufenthaltes schlug das Mädchen vor, ihm den Park zu zeigen, abends so gegen 18 Uhr.
K. war aufgeregt, sein Herz hüpfte vor Freude.
Auf einer Bank abseits der Wege ging K. dann schnell zur Sache.
Küssen gehörte dazu, es war nicht unangenehm.
Viel erregender war das Berühren der Brüste des sich bereitwillig hingebenden Mädchens.
Wie zart und fest sie waren, die samtweiche Haut und die aufgerichteten Brustwarzen bereitetem ihm ein berauschendes Gefühl, wie er es sich niemals vorstellen konnte, es beraubte ihn seiner Sinne.
Er schickte sich gerade an, seine Hand tiefer gleiten zu lassen, als plötzlich ein ganz in der Nähe einschlagender Blitz ihn abrupt in die Wahrnehmung der Gefahr riss.
Ein überschwellender Platzregen zwang zum Verlassen der Parkbank.
Völlig durchnässt mussten beide danach trachten, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen mit hastiger Verabredung für den nächsten Abend.
Voller Ungeduld, in banger Erwartung, ein erneutes Scheitern hinnehmen zu müssen, traf
K. zum vereinbarten Treffpunk etwas vor der Zeit ein.
Und da kam sie schon, die junge Frau, mit der er heute, komme was das wolle, sein erstes Mal haben wird.
Sie gingen zu den Feldern hinaus, die weit ab und vom Dorf nicht einsehbar waren.
Es war ein herrlicher Juliabend, mild und in der sich senkenden Dämmerung gleichsam einladend.
Bald ließ sich das Mädchen in ein Roggenfeld gleiten und zog K. mit sich.
K. streifte die Schlüpfer des Mädchens und seine Unterhose fast gleichzeitig herunter und glitt ohne weitere Umstände mit seinem zum Platzen angeschwollenen Steifen in das lang ersehnte Glück.
Doch bald musste er kurz vor seiner Explosion rasch zurückziehen, um seine Entladung ins Freie zu ermöglichen, ohne dass sich die Kraft seiner Erektion im geringsten zu verringern drohte.
Es war eigentlich nur ein flüchtiges Eintauchen, ein verhängnisvolles Eintauchen, das sein weiteres Leben über die Maßen beeinträchtigen sollte.
Das konnte K. jedoch an diesem für ihn so erlebnisreichen Abend nicht wissen.
Was er wusste, und seine Angst schützte ihn davor, dass ein weiteres Mal die Gefahr einer Befruchtung heraufbeschwor. Deshalb unterließ er es trotz des verführerischen Drängens des Mädchens.
Noch etwas Anderes beschleunigte sein Abwenden von der jungen Frau.
Im Liebesspiel flüsterte sie ihm zu, dass sie noch nie etwas mit einem Jungen gehabt habe, nur mit ihrem Vater und ihrem Bruder.
K. ohnehin in einer bald einsetzenden Phase der Ernüchterung befremdete dieser Satz.
Das Ungeheuerliche ihres Geständnisses blieb nur an der Oberfläche seiner Wahrnehmung, sein Interesse an ihr war aber mit einem Schlag erloschen.
Nur noch weg und schleunigst nach Hause.
Zwei Tage später war sein Urlaub zu Ende.
Diese junge Frau sah er nie wieder.
Während seiner Ausbildung war K. in einem Lehrlingswohnheim untergebracht.
Es war nun bereits August und mit dem dem Ausklingen der Lehrzeit blieben nur wenige Lehrlinge noch im Heim.
Deshalb konnte K. seine Erlebnisse fast ungestört vor seinem geistigen Auge vorüberziehen lassen.
So richtig zufrieden war er nicht.
Alle Träume und Vorstellungen, die sich in den zurückliegenden Jahren in seiner erotischen Gedankenwelt angehäuft hatten, waren ernüchternd in sich zusammengefallen.
Eine gewisse Leere hatte sich in ihm eingestellt, vermischt mit Gefühlen der Erniedrigung.
Was blieb war der Akt an sich, die Überschreitung der Schwelle des Sich - Wünschens.
Er wusste, dass es eigentlich lediglich ein Missbrauch des Mädchens war.
Aber immerhin, er hatte das erste Mal Geschlechtsverkehr!
Ein Brennen in der Harnröhre, das sich beim Wasserlassen verstärkte, stellte sich nach einer Woche ein.
Verwirrt bemerkte er einen grün-gelben Tropfen an der Öffnung der Harnröhre.
Irgendetwas stimmte nicht!
War das Tripper, von dem er schon gehört hatte, der aber nur im Verkehr mit Huren zu befürchten war?
War das Mädchen eine Hure?
Nein, das war sie nicht!
Bei allem leichten Spiel, das es ihm bot, ging dennoch ein Anflug von Unschuld von ihm aus, so dass er durchaus bereit war, ihm zu glauben, nie mit einem anderen Jungen etwas gehabt zu haben.
Vom Vater und dem Bruder angesteckt?
Unvorstellbar!
K. wusste nicht ein noch aus. Hilflos sah er dem Fortschreiten der Erkrankung zu.
Seine Gedankenwelt war andauernd auf seine Beschwerden gerichtet.
Aber er blieb nach wie vor, wenn auch mit der schweren Bürde der Ungewissheit hinsichtlich seines weiteren Schicksals belastet, für erotische Abenteuer ansprechbar.
So kam es mit einem sehr hübschen Mädchen bald zu einer körperlichen Annäherung.
Er war selbst überrascht, als es bereits nach wenigen Minuten nackt auf ihm lag, ihm seine festen Brüste darreichte und ihren straffen Hintern streicheln ließ.
Er schickte sich an, seine Hosen zu öffnen.
Sein Glied war zum Bersten geschwollen.
Da hauchte das Mädchen ihm zu: „ Eigentlich wollte ich mein erstes Mal bis zu meinem
18. Geburtstag aufheben. Das ist in einem halben Jahr. Können wir so lange warten?“
K. ließ so gleich von ihr ab.
Etwas in seinem Inneren warnte ihn, den nur zarten Widerstand des Mädchens überwinden zu wollen. Er ahnte mehr als er wusste, möglicherweise ansteckend zu sein und damit das Mädchen zu gefährden. Hastig zog er das Mädchen von sich, das erschrocken in seine Kleidung schlüpfte.
Schon auf dem Weg zurück wusste er, dass nun erst einmal etwas geschehen musste.
Dem Mädchen machte er keinerlei Versprechungen.
Die Lehrzeit war zu Ende, und er verließ die Stadt.
Mittlerweile waren seine Unterhosen mit eitrigen Flecken überzogen und beim Wasser lassen hatte er höllische Schmerzen.
Anfang September dann, er wohnte wieder bei seinen Eltern, bemerkte seine Mutter die beschmutzte Unterhose.
K. wollte auch gar nicht mehr seien Zustand verheimlichen und signalisierte so seinen Hilfeschrei.
„ Da hattest du wohl etwas mit einem Mädchen?“
Seine Eltern standen vor ihm und fragten nicht etwa vorwurfsvoll, sondern eher mit einem Ausdruck, als hätten sie selbst etwas ausgefressen.
K. traute es sich nicht, die Wahrheit zu sagen und murmelte etwas von Unterkühlung.
„ So oder so, du musst zum Arzt gehen!“
Er ging bereitwillig zum Arzt, zu einem Allgemeinmediziner in einer Ambulanz.
Der Arzt sah sich die Sache an und entschied, ohne viel Worte zu verlieren, dass K zum Facharzt für Haut-und Geschlechtskrankheiten zu gehen habe.
Geschlechtskrankheiten!
K. versank vor Scham fast im Boden.
Seine Demütigung erfuhr eine unerwartete Steigerung, als er wieder zu Hause ankam.
„ Na, da hattest du doch etwas mit einem Mädchen, wenn du nun zum Facharzt musst,“
„ Hat der Arzt dich etwa angerufen, das darf er überhaupt nicht“ empörte sich K.
„ Du musst verstehen, dass es der Arzt nur gut gemeint hat. Ich bin schließlich hier als Direktor der Schule weithin bekannt. Er wollte nur, dass wir einfühlsam mit Dir umgehen und Verständnis für deine missliche Situation haben sollten.
Das musste er uns allerdings nicht erst beibringen.“
„ Immer erwischt es die Anständigen“ seufzte die Mutter.“
Beruhigt war K. nicht.
Wie ein geprügelter Hund zog er sich zurück in sein Zimmer und gab sich seinem Elend hin.
Am nächsten Tag erschien er in der Poliklinik in der Fachabteilung für Geschlechtskrankheiten.
Hier gab es nicht viel Feder lesen.
„ Lassen sie mal ihre Hosen herunter!“
Mit einer vorher ausgeglühten Schlinge fuhr die Ärztin! in die Öffnung seiner Harnröhre, um einen Abstrich zu machen, wie sie es nannte, den sie unter dem Mikroskop beurteilen wolle.
Nach kurzer Zeit kam sie zurück und sagte unumwunden und eher gelangweilt, ohne ansatzweise überrascht zu sein: „ Ja, es ist Tripper!“
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, entfernte sie sich.
Gleich darauf erschien ein Schwester mit einer Spritze.
„Machen sie mal das Gesäss frei und legen sie sich da auf diese Pritsche.
Das ist eine Penicillinspritze!“
Seine Aufregung und die für ihn hochpeinliche Situation betäubten den Schmerz.
„ So das war`s. Jetzt kommt noch die Fürsorgerin.“
Fürsorgerin?
Ein Verhör war es, so kam es ihm vor.
Sie stellte kurze und präzise Fragen.
Doch schon bei der ersten läutetet bei K. die Alarmglocken.
„ Wo haben sie denn das Mädchen, es war doch wohl ein Mädchen, kennengelernt?“
Oh, schoss es R. durch den Kopf. Ja nicht den Bruder belasten. Er wird Ärger mit den Eltern bekommen, weil er ihn hat gewähren lassen.
Wie, wenn das Mädchen gefunden wird? Dann wird es erst peinlich!
„ Beim Boot fahren auf dem Fluss. Und dann sind wir in den Park gegangen.“
„ Wie alt ist das Mädchen.“
„Ungefähr 17 Jahre alt.“
„ Wie heißt es?“
„ Weiß ich nicht.“ Und das war nicht gelogen.
„ Wie oft hatten sie Verkehr mit ihm?“
„ Einmal.“
„ Gummi haben sie wohl nicht genommen?“
„ Nein.“
Nicht im Entferntesten hatte K. an diese Möglichkeit gedacht. Den brauchte man doch nur, um eine Schwangerschaft zu vermeiden und bei Huren!
„ Das nächste Mal denken sie daran. Man muss sich doch vor Geschlechtskrankheiten schützen oder man weiß genau, wen man vor sich hat.
Sie haben sich alle vier Wochen beim Facharzt zum Abstrich vorzustellen!“
Damit war er entlassen.
Taumelnd, erschöpft wie nach einem langen Kampf verließ er die Poliklinik, aber doch auch erleichtert, eine Therapie erfahren zu haben, die ihn endlich von den körperlichen Qualen befreit.
Sein Inneres, seine Psyche war nicht befreit.
Erzählen die Eltern dem Bruder davon?
Das wäre schrecklich. Es käme alles heraus.
Lange blieb das seine Befürchtung.
Niemals erwähnten weder er noch die Eltern sein Missgeschick. Dennoch schwebte es gewissermaßen als ständiger Begleiter im Hintergrund, lauernd bereit an die Oberfläche vorzudringen, um sein labiles Gleichgewicht erbarmungslos zu zerstören.
Er fühlte sich schuldig, ohne fassbar zu begreifen, worin seine Schuld eigentlich besteht.
Ist es die Strafe dafür, das Mädchen lediglich gewissermaßen als Versuchsobjekt benutzt zu haben, obwohl es eher ihn verführt hat?
Musste es aber gleich solch eine derbe Strafe sein?
Er kam irgendwann zu der Erkenntnis, dass er einfach Pech hatte.
Das wusste K. jedoch erst nach Jahren, nachdem zureichendes Wissen seine bemitleidenswerte Naivität abgelöst hatte.
Sein Selbstwertgefühl hatte jedoch einen bleibenden Hieb erfahren.
Wem muss er noch Rede und Antwort stehen?
Es sollte nicht lange dauern.
Die Ärztin hatte ihn für eine Woche krank geschrieben.
Hinter ihrer ruppigen, abweisenden Art verbarg sie wohl ihr Mitgefühl mit dem unglücklichen, schüchternen aber gut aussehenden jungen Mann.
K. legte den Krankenschein in der Buchhaltung der Gärtnerei vor, in der er für den Rest der Ferien bis Oktober eine Arbeit angenommen hatte.
Der Krankenschein enthielt eine verschlüsselte Diagnose-Nummer.
„ Was für eine Krankheit haben sie denn?“ fragte deshalb die attraktive junge Buchhalterin.
„ Ach, so einen fürchterlichen Durchfall.“ log er schnell mit hochrotem Kopf, aber er fühlte sich durchschaut.
Die Beschwerden klangen zu seiner großen Erleichterung sehr rasch ab.
Die monatlichen Kontrollen mit Abstrich beim Facharzt waren für ihn wie ein Spießrutenlauf.
Er fühlte sich von den anderen Patienten beobachtet, und er glaubte, dass man schon wisse, warum er hierher müsse.
Nach sechs Monaten erhielt er eine Bescheinigung darüber, dass er frei von ansteckenden Geschlechtskrankheiten ist.
Diese Bescheinigung, die übrigens anonym ausgestellt war, übergab er seinen Eltern zur Aufbewahrung.
Erst nach Jahren, als er schon verheiratet war, nahm er heimlich die Bescheinigung aus dem Schreibtisch des Vaters. Er konnte davon ausgehen, dass die Eltern längst das Schriftstück vergessen hatten.
Inzwischen war er an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät (ABF ) immatrikuliert.
Sein Betrieb hatte ihn delegiert. Diese Möglichkeit bestand damals, um Arbeitern ein Studium zu ermöglichen.
K. hatte keinerlei Schwierigkeiten mit dem Lernen. Eigentlich sollte er nach der 8. Klasse zur Oberschule gehen.
Aber seine Eltern drängen darauf, erst einmal einen Beruf zu erlernen.
In den drei Jahren, die er bis zum Abitur in einer Großstadt verbrachte, gewann er allmählich Abstand zu dem Geschehenen in seiner frühen Jugend.
Er hatte noch einen Gewissenskonflikt im Zusammenhang mit seiner Musterung zu überstehen.
Natürlich wurde nach überstandenen Geschlechtskrankheiten gefragt.
Die Befragung fand vor versammelter Mannschaft statt.
K. war wieder einmal in einer verzweifelten Situation.
Vielleicht gab es bereits Informationen, die bei derartigen Krankheiten üblicherweise auch der Musterungskommission vorgelegt werden, um deren Verbreitung in der Armee zu verhindern?
Er rang sich dazu durch, nichts zu sagen.
„ Hatten sie irgendwelche Geschlechtskrankheiten?“
„ Nein“ presste er hervor, und er zitterte dabei am ganzen Körper.
Während der ABF-Zeit hatte ihn ein Dozent für Medizin begeistert.
War es nur die gewinnende Art des Dozenten oder waren es andere Umstände, die ihn zum Medizinstudium lenkten, und spielten dabei seine misslichen Erfahrungen eine Rolle?
K. wusste es damals und auch später erst recht nicht.
Was wissen wir schon darüber, was unsere gewaltigen und komplexen biologischen Netzwerke, im Laufe des Lebens konfrontiert mit Milliarden von Informationen mit uns vorhaben!
Er nahm jedenfalls sein Medizinstudium auf.
Nach seinem verhängnisvollen ersten Mal hatte er lediglich zwei flüchtige sexuelle Kontakte mit Mädchen von ansprechendem Äußeren, aber es wollte ein Funke nicht so recht überspringen.
Seine Scheu, besonders attraktiven Mädchen gegenüber, hatte sich ins Krankhafte hinein verstärkt, und diese Scheu erfasste nahezu alle Lebensbereiche, die mit Kommunikation verbunden waren.
Viele Jahre plagte er sich damit ab.
Er wünschte sich eine feste Freundin, die, das spürte er, ihm Halt und Hilfe bieten konnte, den Alltag zu bewältigen.
Bei einer Tanzveranstaltung kamen sie sich dann näher, er und seine spätere Frau.
Er kannte sie bereits von der Kindheit her und niemals dachte er daran, dieses überaus kluge und hübsch anzusehende Mädchen anzusprechen, dem überdies im Ort ein makelloses Benehmen nachgesagt wurde.
Beim Tanzen war es einfacher, den Versuch zu wagen.
Würde sie ihn bei seiner Aufforderung zum Tanz abweisen?
Er nahm all seinen Mut zusammen und ging auf sie zu, wie das damals üblich war:
„ Darf ich bitten!“
Sie stand mit einem Lächeln auf und folgte ihm auf die Tanzfläche.
Gewonnen! jubelte K. in sein Inneres hinein.
Und tatsächlich, in der Pause küssten sie sich.
Das ist sie, dieses Mädchen will ich heiraten, dachte er sich.
Er sprach mit seinem Bruder darüber, wie er es anstellen sollte, sie zu fragen.
„ Mach ihr doch ein Kind!“
So weit war es noch lange nicht.
Es sollten zwei Monate der zärtlichen Annäherung, des Vortastens in das Leben des Anderen, der grenzenlosen Verliebtheit sein, bevor eine stille Vereinbarung zur sexuellen Begegnung getroffen war.
Abgesehen von der befreienden Gewissheit nichts Verbotenes zu unternehmen, lernte K. mit Liebe verbundenen Sex mit seiner ersten und einzigen Liebe kennen, seiner Frau.
Was war das für ein gewaltiger Unterschied!
Da ist erst einmal zaghafte Ehrfurcht, das ungläubige Staunen darüber, tatsächlich willkommen, ja ausgewählt zu sein sein für das höchste, was eine liebende Frau in ihrer ersten *sexuellen Erfahrung zu vergeben hat, ihre Jungfräulichkeit.
Unschuld, Unberührtheit, ängstliche Unruhe und doch verlangende Hingabe, schließlich ein lustvolles Drängen, das jegliche Gefahren in ein unabweisbares Verlangen wandelt und in ungeahnte, erwiderte*Ströme mündet, die nur dem Fühlen und dem Körper gehören.
Das Denken verliert sich ganz und gar im schwebenden Nichts, weit ab von der Wirklichkeit, ganz und gar verschmolzen im zweisamen Sein, in unsagbarer Glückseligkeit.
Das anschließende Berühren, Anschmiegen und Lächeln gab dem Ausklingen ein wohltuenden Wärmestrom, so wie es K. nur mit seiner Frau empfand.
Und das sollte so bleiben bis an das Ende seines Lebens.
So ganz und gar hemmungslos konnte er sein Glück nicht genießen.
Was, wenn er doch noch ansteckend sein könnte, die Ausheilung nicht vollständig abgeschlossen wäre, Bakterien sich noch im Verborgenen halten könnten?
Verstohlen, mit zitterndem Blick sah in ihrer Unterwäsche nach, ob sich verdächtige Flecken zeigten.
Erst nach Monaten konnte er sich beruhigen, und seine Ängste ließen allmählich nach.
K. wollte nicht unbedingt ein Kind, aber ihm lag schon daran, seine Freundin fest an sich zu binden. Er erinnerte sich an den Rat des Bruders.
Er legte es nicht gerade darauf an, ein Kind zu zeugen, aber er gab seine übergroße Vorsicht auf.
Die Schwangerschaft ließ nicht lange auf sich warten.
„ Da wird geheiratet!“ sagte der Vater, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt.
In der Tat galt es damals noch als ein ungeschriebenes Gesetz, bei einer auch ungewollten Schwangerschaft heiraten zu müssen.
K. wollte, und seine zu künftige Frau himmelte ihn an.
Es war reine Liebe!
Reine?
Wenige Wochen nach der Hochzeit wollte er reinen Tisch machen.
Seine Frau sollte alles von ihm wissen: „ Ich muss dir etwas ganz Schlimmes sagen.“ brachte er mit bebender Stimme hervor.
Seine Frau drehte sich mit ihren großen, erstaunten Augen zu ihm um: „ Wenn du nur da bist, ist für mich nichts auf der Welt schlimm. Was ist es denn so Furchtbares.“
Ihm stockte bei ihrem Anblick der Atem.
Wie kann er seiner Frau, die von Unschuld, Anstand und Redlichkeit gleichsam durchdrungen ist, die Wahrheit über seine Jugendsünden beichten!
„ Ich habe bei einem Gesellschaftsspiel im Studentenclub ein Mädchen geküsst.“
Das viel ihm auf Anhieb ein, um auch wirklich eine schwere Verfehlung zugeben zu müssen.
„ Warum machst du denn sowas?“
„War unter Alkohol, kommt nicht wieder vor.“
In diesem Augenblick fasste K. den Entschluss, ihr davon niemals etwas zu erzählen.
Überhaupt niemandem und niemals!
Und dabei blieb es.
Nun kam eine andere Qual auf ihn zu.
Was wird mit dem Kind?
Hat sein Erbmaterial Schaden genommen?
Ist mit Missbildungen zu rechnen?
Hatte er doch im Fach Embryologie alle möglichen Missbildungen auswendig lernen müssen!
Wie erleichtert er war, als er seine kerngesunde Tochter in den Händen halten konnte, alles wie es sein muss!
Die Jahre gingen schnell dahin.
K. absolvierte sein Studium mit guten Noten, begann seine Facharztausbildung zum Internisten, während seiner Ausbildung wurde er bereits als Stationsarzt eingesetzt, bald schon noch jung an Jahren Oberarzt, Chefarzt und schließlich Ärztlicher Direktor.
Seine zurückhaltende, respektvolle Art jedem gegenüber und sein Fachwissen beeindruckten seine ärztlichen Kollegen und die Krankenschwestern gleichermaßen.
Niemand außer seiner Frau ahnte, wie viel Kraft ihn die tagtägliche Kommunikation kostete.
Doch die ständige Herausforderung nahm er an, ein Ausweichen wollte er sich nicht gestatten.
In dieser kraftraubenden Zeit nahm ihm seine Frau die Mühsal des Alltags fast vollständig ab.
Auf ihr lastete neben ihrer Arbeit im Beruf als Buchhalterin der Haushalt und die Versorgung der drei Kinder, ein Mädchen und zwei Jungen.
Beide, K. und seine Frau, leisteten ein unvorstellbares Pensum an Arbeit.
In ihrer Ehe war Harmonie die vorherrschende Stimmung.
Trotz aller Belastung oder gerade deshalb waren es für ihn die besten Jahre seines Lebens.
Er hatte die Gedanken an seine frühe Jugend vollständig verdrängt, sein Missgeschick vergessen.
Es ging ihm gut.
Mitten in seinen verantwortungsvollen Funktionen, mitten im prallen Leben, er konnte es selbst nicht begreifen, hatte er auch außereheliche Beziehungen.
Ja, K. ergab sich manch einem Impuls und dem Trieb gehorchend, indem er hin und wieder den verheißungsvollen Lockungen der einen und anderen Frau nicht widerstehen konnte.
Liebe konnte da nicht gedeihen, weil die Liebe zu seiner Frau ihn immun dagegen machte, ein tiefer gehendes Gefühl überhaupt zuzulassen.
Deshalb war er stets darauf bedacht, nicht mehr als Sympathie zu empfinden - das war jedoch als Voraussetzung unabdingbar - und ließ sich daher nur mit verheirateten Frauen auf eine ausschließlich sexuelle Beziehung ein, bei der ein Nachspiel eher lästig war.
Das schlechte Gewissen blieb dabei freilich sein ständiger Begleiter.
Es waren insgesamt drei längere Beziehungen.
Was hat er sich den Kopf zerbrochen, wieso er, da er doch seine Frau aus tiefstem Herzen liebt, fähig ist, sie zu hintergehen.
Es drängte ihn, sich bei ihm sehr nahe Stehenden Rat zu holen.
Wo er sich auch umschaute, er kannte in seiner näheren Umgebung eigentlich keinen Mann, der nicht ansprechbar für eine Liebelei war.
Was war es?
Es stimmte schon, seine Frau war eher enthaltsam, sie zierte sich und hatte wohl stets das Gefühl, dass Sex etwas Unanständiges sei, worüber man lieber nicht sprechen dürfe.
Hemmungslosen Sex gab es deshalb mit ihr so gut wie.
Aber gerade ihre Zurückhaltung machte sie für ihn um so anziehender.
Eine sexgierige Ehefrau wäre ihm unangenehm gewesen, hätte ihn misstrauisch gemacht.
Womöglich hätte sie ihr Verlangen auf andere Männer ausgedehnt.
Verblüffend für ihn war, dass die untreuen Ehefrauen in ihren Ansichten skrupelloser waren, sie konnte rigoroser trennen als er.
„ Hier ist das Eine und dort ist das Andere.“ sagte mal ein Freundin zu ihm als ihn wieder mal sein schlechtes Gewissen plagte.
Sein Bruder war längst mit dem Problem fertig geworden.
„ Ich denke überhaupt nicht mehr darüber nach.“
K. vermochte das nicht, er quälte sich und konnte es dennoch nicht lassen, das etwas Verruchte reizte ihn.
Er suchte eine Rechtfertigung, die sich nirgendwo zeigte.
Schließlich schrieb er eines Tages seine Gedanken dazu auf:
Jeder Mensch, der bei Sinnen ist, hat es, wie wir alle wissen, in allen Lebensphasen mit seinem Gewissen zu tun, in besonderer Weise in der Partnerschaft und im Beruf.
Wer musste nicht schon einem Impuls nachgeben, der ihm eigentlich nicht erlaubt war, weil andere Bezugsperson darunter leiden oder sogar Schaden nehmen könnten.
Eine natürliche Regung zum Beispiel, die ein Mann bei dem Anblick einer anziehenden Frau empfindet, ein besonderes sexuelles Erlebnis nämlich, ringt er mit Hilfe seines Gewissens nieder, manchmal ist er allerdings unterlegen.
Das wird bei Frauen nicht anders sein. Nur das Gehabe unterscheidet sich dabei vom Mann.
Nur selten wird danach die Handlung bereut.
Im Gegenteil, die Sexualität mit dem Partner gewinnt häufig an neuer Fahrt.
Nun setzt eine Eigentümlichkeit ein.
Jeder nimmt dem Partner bis ins Mark übel, wenn er fremd gegangen ist.
Sich selbst aber verzeiht er!
Wenn ich es nicht immer wieder so gehört hätte!
Dabei muss Sexualität nicht einmal etwas mit Liebe zu tun haben.
Der Partner wird dennoch zutiefst gekränkt sein.
Bei all jenen, die sich empören, ist viel Heuchelei im Spiel.
Wie viele Frauen und Männer werden sich beim Heiraten mit "Notlösungen" zufrieden gegeben haben und tragen ein Leben lang Enttäuschungen, Sehnsüchte, unerfüllte Wünsche und Bedürfnisse mit sich herum.
Gerade in der Partnerschaft nimmt die Funktion des Gewissens einen hohen Stellenwert ein.
Im engen Zusammenleben mit dem Partner wird auf Dauer Liebe allein nicht ausreichen können, um eine dauerhafte Bindung in vorherrschender Harmonie, gegenseitigem Vertrauen und wechselseitiger Wertschätzung wachsen zu lassen.
Da braucht es mehr.
"Es belastet mein Gewissen, wenn ich meinen Partner gekränkt habe, ich möchte, dass es ihm gut geht, dass er glücklich ist, deshalb spüre ich seine Wünsche und Bedürfnisse und bemühe mich sie zu erfüllen."
Wer so denkt und fühlt verfügt über die erforderliche Empathie und damit über die Voraussetzung, einfühlsam kommunizieren zu können, und der liebt wirklich.
Konflikte in der Ehe sind meistens Kommunikationsprobleme, die den Partnern oft nicht einmal bewusst werden.
Es hängt von der individuellen Entwicklung der Persönlichkeiten ab, inwieweit im Zusammenleben Konflikte vermieden oder friedlich gelöst werden.
Mashall B. Rosenberg spricht von gewaltfreier Kommunikation, in der Partnerschaft rede ich lieber von einfühlsamer Kommunikation.
Damit ist der Zusammenhang von Gewissen und Partnerschaft gerade mal angekratzt.
Im Christentum und in anderen Religionen hat sich ein Zusammenleben der Familien entwickelt, das einerseits zur Einhaltung überhöhter Regeln und ungeschriebener Gesetze zwingt, bei einigen die Verantwortlichkeit des Individuums heraushebt und damit ein Verhaltenskodex einfordert, der eigentlich nicht zu erfüllen ist, und anderseits gerade deshalb den Gebrauch der Intelligenz, insbesondere der emotionalen Intelligenz jedes einzelnen herausfordert.
Menschen, die über beide Vorteile verfügen, angenehmes Äußeres und eine überdurchschnittliche emotionale Intelligenz, sind unverschämt im Vorteil.
Sie sollten deshalb besonders behutsam mit ihren Mitmenschen umgehen, vorausgesetzt, es ist ihnen der skandalöse Kredit bewusst.
Hat ihm das Schreiben geholfen?
Keineswegs!
Sein Leben schlitterte in eine Katastrophe.
Es kam heraus.
Eine Bekannte seiner Frau, die es „nur gut gemeint „ hatte, bekam Wind von seiner Liaison mit einer Krankenschwester.
Diese Bekannte fühlte sich verpflichtet, seiner Frau reinen Wein einzuschenken.
K. leugnete nichts.
Er wusste, wie sie leidet, und er wusste auch, dass seine Ehe nicht zu retten war.
Ihre Liebe war hingebungsvoll, die allerdings uneingeschränktes Vertrauen verdient hatte.
Deshalb erwartete er kein Einlenken, er ließ geschehen, was nun geschehen musste.
Tief traurig, jedoch ohne Hass, respektvoll, wie sie ihr gesamtes Leben miteinander umgegangen waren, trennten sie sich einvernehmlich, die Kinder darin eingeschlossen.
In seiner Position hielt er es für angebracht, nicht in „wilder“ Ehe zu leben.
Nach mehreren Jahren heiratete er die überglückliche Krankenschwester, sie hatte sich ebenfalls sofort scheiden lassen.
Er spürte keine Liebe, er ließ sich lieben, ohne wirklichen Genuss.
K. funktionierte in seiner Arbeit reibungslos wie bisher. Dort fühlte er sich wohl, das war jetzt sein eigentliches Zuhause bis zum nächsten Schlag, der ihn treffen sollte.
Schleichend, vorerst unmerklich stellten sich bei ihm Probleme beim Wasser lassen ein.
Die Miktion war zunehmend behindert bis schließlich nur unter Pressen ein ganz dünner Strahl die Harnblase verließ.
Es musste etwas geschehen.
Eine Enge in der Harnröhre behindert offensichtlich den Harnfluss, wie er selbst diagnostizieren konnte.
Er hatte keine andere Wahl, ein Urologe war zu konsultieren.
Außerhalb seiner Klinik?
Das kam für ihn nicht in Frage. Es wäre für ihn ein Vertrauensbruch seinen Ärzten gegenüber gewesen.
Er biss die Zähne zusammen und vertraute sich dem Urologen in seiner Klinik an.
Von seiner überstandenen Gonorrhoe sagte er nichts.
Er hatte tatsächlich auch nicht daran gedacht
Das war ein Fehler, zum Urologen in seiner Klinik zu gehen, wie sich später herausstellte!
Der Urologe im eigenen Haus diagnostizierte dann auch die Striktur der Harnröhre.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich in der Klinik die Sensation.
Der Chef eine Striktur!
Es fehlte nun nicht an Scherzen, die vielleicht nicht einmal direkt bösartig gemeint waren.
„ Der Tripper des Leutnants ist die Striktur des Generals“ heißt es bei der Armee.
„ Da haben wir wohl damals deine Gonorrhoe nicht rechtzeitig behandelt!“
K. erwiderte nichts, sondern lachte mit bei erstarrtem Inneren.
Dem Urologen freilich gab er zu verstehen, was er von ihm hielt.
Ein Trauma in der Jugend, beispielsweise ein heftiger Aufprall auf den Damm beim Fahrrad fahren wäre als Ursache plausibel gewesen, wenn er schon seine ärztliche Schweigepflicht verletze.
Die Operation erfolgte in einem anderen Krankenhaus.
Dort behandelte man ihn einfühlsam und respektvoll.
Von einer Striktur unklarer Genese war die Rede.
K. ließ alles gleichmütig über sich ergehen.
Sein Leidensdruck war zu groß!
Was das Körperliche betraf, so war es nun fast wieder ein Genuss, ohne Widerstand pinkeln zu können.
Psychisch fühlte er sich ausgebrannt, tief enttäuscht von seinen Kollegen, verunsichert im Umgang mit ihnen.
Er hatte keine Ahnung, wie er mit der neuen Situation umgehen sollte.
In seinen über die Jahre eingeschliffenen Algorithmen im Klinikablauf gab es keine auffälligen Probleme, doch zu einer kraftvollen und überzeugenden Leitungstätigkeit, das spürte er, war er nicht mehr fähig, ihm fehlte vor allem der Wärmestrom seiner Frau, sein behagliches Zuhause, das er von seiner jetzigen Frau nicht annehmen konnte, so sehr sie sich auch darum bemühte, es blieb ihm auf Dauer fremd.
Seine erste Frau, sein von ihm zerstörter eigentlicher Kraftquell, stand immerhin weiterhin zu ihm, aber doch nur von Ferne und mit schwersten Rissen in ihrem Beziehungsgeflecht.
Seine innere Balance war längst aus dem Gleichgewicht geraten.
Da kam die nächste Erschütterung!
Die Wende!
K. fühlte sich mit seinem Staat eng verbunden, trotz der Schwierigkeiten die er in der Klinik und mit den übergeordneten Gremien häufig genug erleben musste.
Besonders nervte ihn der ständige Mangel in fast allen Bereichen.
Vielleicht auch auf Grund vieler Jahre unermüdlicher Anstrengung im Ringen um eine Klinik, die eine bestmögliche medizinische Versorgung im Verantwortungsbereich gewährleisten will, waren sein Ansehen und sein Wort in der Stadt ausreichend gewichtig, in den Verhandlungen zum weiteren Bestehen des Krankenhauses einen neuen Träger zu finden.
K. hatte für kurze Zeit zu seiner früheren Spannkraft gefunden.
Mit dem Erreichen seines Zieles, seine Klinik war gerettet, fiel er in sich zusammen.
Nein, er wollte nicht mehr der Direktor des Krankenhauses sein.
Er ließ verlauten, sich als Internist in eigener Niederlassung um seine langjährigen Patienten zu kümmern.
Dazu sollte es nicht mehr kommen.
K. starb nur wenige Wochen nach seinem abschließenden Erfolg bei einem Verkehrsunfall.
Auf gerader Straße war er gegen einen Baum gefahren.
Es gab keinen Gegenverkehr.