Leid
Trostlos werfen sich die schweren Tropfen gegen die Scheibe. Ich sitze nur. Ein armer Hund, durchnässt und klamm schleicht unten um das Haus.
Ich nehme den Puder und ziehe ihn über mein Gesicht, der Spiegel sieht nun nicht mehr weg.
Ein Lächeln in Rot, die Tränen dazu, ich bin nicht wirklich froh.
Es lebt sich leicht, wenn man nicht Angst hat.
Als ich mich so im Spiegel sehe, besticht der Glanz aus alter Zeit, nicht mich, nur jeden der von außen schaut.
Ich greife Watte, Creme und Schwamm, der Zauber verblasst, ich atme schwer, der Spiegel sieht weg.
Ich bin kein Clown, ein armer Narr, noch sitze ich im Trocknen. Ich wär' es gern und war es mal, doch heute gibt es mich nicht mehr.
Bald zieht die Nacht dunkel herauf und bringt Vergessen für den, der Schlafen kann.
Ich drehe mich erneut zum Fenster, die Tropfen zu zählen, draußen im Regen.
Verlassen, bin ich das? Kraftvoll klingt es und doch raubt es allen Lebensmut. Gerade deshalb vielleicht. Verlassen, wer ist das schon? Verlassen, was heißt das schon? Heißt nicht allein, heißt nicht für immer und doch es scheint mir all das zu bedeuten.
Ich saß und unerwartet traf mich ihr Lächeln. Ich sitze auch jetzt, doch vergebens der Wunsch.
Jeder Moment mit ihr zog näher mich, band mich ganz nah an sie, jeder Moment mit ihr verlangte das Doppelte in der Zukunft. Danke.
Sehnsüchtig schaue ich in den Spiegel um in meinen Augen den Glanz ihrer Gegenwart zu finden. Er ist verschwunden.
Der Hund dort draußen sieht mich an, seine Augen leer, er versteht mich.
Erinnerung. Tränen in meinen Augen, ich schließe sie. Dennoch Tränen.
Sie nehmen den Blick auf die Erinnerung. Ein Teufelskreis.
Mich blendet der Schein der Lampe, ich ziehe den Stecker, jetzt ist es dunkel im Raum.
Erst jetzt kann der Hund mich sehen, er wendet sich ab und zieht davon.
Ich sitze. Mir ist kalt.
Sie einzig sah mich ohne Schminke, sie glaubte ohne Maske an mich. Sie tut es wohl noch immer. Ich nicht.
Doch auch der Puder bringt mir meinen Glauben nicht zurück, ich habe es verlernt das Schauspiel. Ich glaube nicht an mich.
Die Zeit verrinnt, der Mond scheint blass, der Regen fällt, und doch steht die Zeit.
Der Blick zur Tür, ein kurzes Zögern, auch er zeigt nur die Wirklichkeit.
Ich neben ihr, sie neben mir, es war nicht selbstverständlich. Für mich das Glück, das Leben.
Ich suche jeden Morgen ihren Nachtgeruch und letztlich finde ich nur mich allein.
Ich stehe auf und leisen Schrittes durchstreife ich den dunklen Raum, nehme sicher aus dem Kasten eine Kerze, stelle auf sie nebst dem Spiegel und entzünde dann den Docht.
Ich schaue lange in die Flamme, greife dann schnell nach dem Schwamm, ziehe weiß den Puder über, rot malt mir der Stift die Lippen, schwarz der Pinsel meine Augen, schwach die Tränen ebenso. Ziehe Hose, Hemd und Schuhe, leicht zu groß und alt verlumpt, sorgfältig mir langsam über, suche Mantel, Schal und Hut. Kerze aus, Tür zu.
Still und leidvoll denke ich, als ich durch den Regen schlürfe, vermisse die Zeit aus der Erinnerung und warte auf die Regentropfen, meine Tränen zu verbergen.
Die Straßen leer, bleibe ich ängstlich auf nassem Kopfsteinpflaster stehen, lege vor mir auf den Boden, den alten, schwarzen Hut. Stelle ruhig mich dann daneben, stehe regungslos und still. Ich versank in den Gedanken, träumte, war nicht mehr bei Sinnen.
Jämmerlich stand ich im Regen und beschloss zu folgen ihm, wollte nicht mehr Sonne spüren, wenn sie nicht bei mir war. Ich kann nicht sein, wo sie nicht ist.
Als ich langsam mich besinne und den kalten Regen spüre, der kurz zuvor noch mir wie warm mich zu umhüllen schien, begann ich zögerlich auf leerer Straße mit meinem Pantomimenspiel, laufe auf und ab und nieder, springe durch offene Türen, trage Glas und schwere Möbel, warte auf die Bahn, den Bus, kämpfe mit dem Taschentuch, werbe um die Hand von Frauen, schlage mit ihren Männern mich, liege schlafend unterm Auto, balanciere über'n Abgrund und falle schrecklich tief vergnügt, kaufe Blumen, zähle die Blätter, hänge kurz am Galgen noch, alles das im dunklen Regen bis die Dämmerung mich weckt.
Ich blicke um mich, schüchtern klein, es ist noch Tag geworden.
Ich lächle vorsichtig und müde, Tränen, doch aufgrund der Freude.
Ich greife den Hut, den Schal und schnell, da laufe ich zurück, ich öffne die Tür und sehe bedrückt, das nicht nur eine Nacht verging. Alt staubig liegt der Spiegel ganz ohne Glanz dort auf dem Tisch, ich lächle voller Hoffnung doch hoffnungslos mit Angst vermischt.
Ich stehe still und kraftlos fällt mein Blick zu Boden. Ich sinke auch. Die Tränen der erkannten Wahrheit spiegeln keine Freude mehr. Die Uhr an meinem Handgelenk schon lange stehengeblieben. Ich reiße das Band von meinem Arm und werfe kraftlos die Uhr fort.
Ihr sanfter Geruch kommt in der Erinnerung zurück, sie war hier, ich nicht da, sie wartete, ich war nicht da, hab sie verpasst im stummen Trauerspiel. Hab sie verpasst als stumm ich auf der Straße spielte.
Sie wird nicht noch einmal kommen, sie ist weg, sie sah mich nicht warten, sie wird nicht noch einmal kommen, sie sah mich nicht warten, sie glaubt mir meine Liebe nicht, sie sah mich nicht warten, sie wird nicht noch einmal kommen.
Hilflos sitze ich am Boden und suche die Erinnerung, finde sie und mehr und mehr Tränen rollen sachte herab. Alle Hoffnung ist vergangen, alles Glück verloren, alles Leben mir genommen und ich weine nur. Sitze lange, atme kaum.
Als die Nacht dort draußen naht, sitze ich im Tränenmeer, ziehe langsam mich herauf um die Schminke neu zu richten. Wische mit der nassen Hand über Spiegel und den Tisch, nehme Pinsel, Puder, Stift und verstecke des Unglücks Gesicht.
Ich habe gewartet.
Schal und Mantel trage ich noch, ich greife den Hut, durchnässt und alt, die Tür zu.
Es ist nicht ruhig in den Straßen in dieser Nacht, es ist laut und voller Farbe, voll Licht und unendlicher Traurigkeit als ich unter die Menschen trete. Sie sehen mich an und fragen sich ob ich bin was ich scheine oder nur spiele, sie können es nicht glauben. Es ist kalt hier.
An einer farblos grellen Ecke verharre ich und werfe schnell den Hut zu Boden und stehe still.
Als ich nach endlos langer Zeit, die glühend schmerzenden Tränen lange spürend, ganz vorsichtig begann, da fielen langsam weiße Flocken, ganz sanft vom Himmel hier herab. Ich spielte leise und bedächtig und suchte mit aussichtsloser Hoffnung nach ihr, im frohen Menschengeflecht. Ich spielte weiter, war schwach und fühlte die Tränen schwer, im Halbkreis formten sich die Menschen die voll Entzückung, Mitleid, Freude, Schmerz und Sehnsucht, Liebe, Hass begeistert staunend mein stummes Spiel verfolgten, sie lachten, hatten Spass, sie weinten und erkannten sich.
Der Schnee fiel weiter bis bald die ganze Stadt in Weiß, unschuldig mir zu Füßen lag.
Und plötzlich, in Erinnerungen, ganz für mich träumend und stetig weinend spielend, da trat aus dem verzauberten Kreis, sie angstvoll mir entgegen. Trat vor die Menschen, entschlossenen Schritts und sah mich an. Sie sah mich an.
Ich brauchte lange um aus der Erinnerung, den Tränen zu entfliehen und sah nun klar sie vor mir stehen. Ich spielte wie mechanisch weiter, sie tat noch einen weiteren Schritt. Ich hielt verletzend inne. Stand still und mir war warm. Wir standen lange, standen stumm.
Die Strähne vor ihrem Gesicht strich sie nicht weg, ein sanftes Lächeln, auch ihrer Augen, ich fühlte meine Tränen, sie sah mich an.
Als ich unbemerkbar sacht, meine Hände langsam hob, trat sie vorsichtig näher, nahm schützend meine Hände an sich und wischte mir die Tränen weg, bevor sie leise flüsternd mich weiter an sich zog zum Kuss, auch ich sprach leise.
"Ich würde ewig glaubend warten!"
Die Menschen ringsumher standen still und regungslos, blickten stumm in sich hinein und suchten, bevor sie langsam gingen, in sich den Grundstein ihres Glücks!
[Beitrag editiert von: epilog am 16.02.2002 um 00:22]