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Lehitra'Ot

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14.06.2009
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Lehitra'Ot

Lehitra’Ot (Zeit des Nationalsozialismus)

Für meine Grossmutter

Meier. Weber. Gross. Meine wasserblauen Augen wanderten von Grabstein zu Grabstein. An einer besonders mickrigen Platte blieben sie hängen. Da war sie. Liliane Schubert, stand darauf in schwarzer Schnörkelschrift, geboren am 15. Januar 1931, verstorben am 24. März 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Meine Hand zitterte, als sie über den kalten Grabstein strich. Lilli. Lilli. Unter dem Todesdatum hatte jemand einen Satz mit schwarzer Kohle hingeschrieben. Schalom alejchem. Friede sei mit dir. Oh Lilli! Nie werde ich vergessen, was du für mich getan hast…

Ich war zwei Jahre alt, als Hitler an die Macht kam. Mein Vater kam damals mit leichenblassem Gesicht von der Synagoge nach Hause. Mama wusste sofort, dass etwas nicht stimmte, sie brachte mich in mein Zimmer und schloss die Küchentür hinter sich ab. Bis in mein Zimmer hörte ich einzelne Wortfetzen, „Hitler“, und „Nazis“, aber ich verstand es nicht. Wie denn auch? Ich war doch erst Zwei.

Acht Jahre später

Meine Mutter schloss behutsam die Knöpfe meines Mantels und umarmte mich noch einmal ganz fest. „Leah“, sagte sie ernst und ging vor mir auf die Knie. „Du wirst jetzt zu einer netten alten Dame gebracht, die dich vor der Gestapo versteckt. Papa und ich…wir werden versuchen, einen Zufluchtsplatz in England zu finden.“ Ich nickte nur. Zufluchtsplatz. Dieses Wort machte mir zugleich Hoffnung – und Angst. Wann würde ich jemals wieder einen Ort mein Zuhause nennen können? Seit jenem schrecklichen Jahr 1933 wechselten wir unsere Verstecke wie andere Leute Unterwäsche. Meine Mutter schärfte mir ständig ein, ja keine Angst zu zeigen, denn wer fürchtete, der habe schon verloren. Oder so ähnlich. Sie hatte gut reden, sie war ja nicht mit dem Krieg aufgewachsen! Sie drückte mich an sich und schluchzte. Dann nahmen mich zwei fremde Männer in die Mitte und fuhren mit mir zu einem idyllischen Häuschen. Auf der Treppe stand eine Frau mit schneeweissen Haaren und Grübchen in den Wangen. Sie nahm mich lächelnd an der Hand und führte mich ins Haus. „Ich bin Karla. Und du heisst Leah, oder?“ Ich nickte brav und schüchtern. Wir stiegen zwei Treppen hinauf und Oma Karla öffnete eine Luke, welche in einen geräumigen Speicher mit einem Bett und einem kleinen Tisch mit Stuhl führte. „Für lange Zeit wird dies dein Zuhause sein. Ach, und das ist Lilli, meine Enkelin.“ Sie deutete auf einen blonden Mädchenkopf, der in der Lukenöffnung erschien. Ich schätzte sie etwa gleichalt wie ich. „Hallo. Wer bist du?“, fragte Lilli neugierig und trottete neben mich. „Leah.“ Sie nickte zufrieden, lächelte mich an und sagte: „Wollen wir Freundinnen sein? Du darfst auch mit meinen Puppen spielen!” Oma Karla lachte und liess uns alleine. Lilli strahlte und stellte mir alle ihre fünf Puppen vor. Rosalie, Petra, Elisabeth, Martha und Marie. Ich staunte. Fünf Puppen! Ich hatte in meiner gesamten Kindheit nur eine einzige besessen, die ich aber einmal in unserer Unterkunft zurückgelassen hatte. Wir begannen zu spielen und ich vergass dieses eine Mal in meinem Leben, dass um uns herum Krieg herrschte, ich Jüdin war und mich in Lebensgefahr befand. Denn endlich konnte ich das sein, was ich schon immer sein wollte: ein ganz normales Kind.

Ein, zwei, drei, Jahre vergingen, die ich bei Oma Karla aufwuchs. Lilli und ich waren unzertrennlich geworden. In ihrer Gegenwart fühlte ich mich normal, so gar nicht minderwertig und dreckig, wie Hitler uns Juden immer beschrieb. Sie spielte mit mir, gab mir ihre Schulbücher und schulte mich in Mathematik und Naturwissenschaften. Im Gegenzug brachte ich ihr ein wenig Hebräisch bei und erzählte ihr alles über meine Religion, also die Rituale und Feiertage. Und als wir beide etwa Dreizehn waren, kam sie mit glänzenden Augen in meinen Speicher gerannt und erzählte mir, sie habe sich verliebt. In Max, der in Mathematik neben ihr sass. „Er hat mir einen Apfel geschenkt! Und seine Augen, die solltest du mal sehen, fast schwarz!“, rief sie und ihre Wangen röteten sich vor Aufregung. Zwei Tage später bekam sie ihren ersten Kuss von ihm und beschrieb mir alles in den genauesten Details. In dieser Zeit dachte ich viel nach. Was einem alles entging, wenn man jüdisch war, erkannte ich erst jetzt. Keine erste schüchterne Annäherungen dem anderen Geschlecht gegenüber. Kein Kichern mit der besten Freundin beim Nachhause laufen von der Schule. Was für andere Mädchen in meinem Alter völlig normal war, fehlte mir schmerzlichst. Man merkt halt erst, wie sehr man etwas liebt, dachte ich bitter, wenn man es nicht mehr hat. Diese Theorie musste auch Lilli etwa ein Jahr später erfahren. Ich sass gerade über einem Geschichtsbuch, als ich die dumpfen Schritte auf der Treppe hörte. Die Luke öffnete sich und Lilli stand vor mir. Ihre blonden, langen Haare waren verwuschelt und auf ihren rosigen Wangen glänzten Tränen. „Leah. Meine Oma…sie ist…tot!“ Sie schluchzte los und liess sich von mir in die Arme nehmen. „Sie ist einfach eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht!“, heulte Lilli an meiner Schulter. Ich drückte sie noch ein bisschen fester an mich. Dann setzte ich mich mit ihr hin und wir sprachen das jüdische Totengebet Kaddisch zusammen.
Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir:
Herr, höre meine Stimme! Wende dein Ohr mir zu, achte auf mein lautes Flehen!
Würdest du, Herr, unsere Sünden beachten, Herr, wer könnte bestehen?
Doch bei dir ist Vergebung, damit man in Ehrfurcht dir dient.
Ich hoffe auf den Herrn, es hofft meine Seele, ich warte voll Vertrauen auf sein Wort.
Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen.
Mehr als die Wächter auf den Morgen
soll Israel harren auf den Herrn.
Denn beim Herrn ist die Huld, bei ihm ist Erlösung in Fülle.
Ja, er wird Israel erlösen von all seinen Sünden.

Am Anfang schluchzte sie noch, doch dann wurde sie immer ruhiger, und am Schluss lehnte sie sich an meine Schultern und flüsterte; „Du bist die beste Freundin, die ich je gehabt habe, Leah. Für dich würde ich alles tun!“ Und als ich in ihre braunen Augen sah, wusste ich, dass sie es ernst meinte.

Irgendwie schaffte Lilli es, den Nachbarn weiszumachen, dass ihre Oma nur verreißt war, sodass sich niemand um ein (beziehungsweise zwei)unmündiges Kind kümmern musste. Karla hatte Lilli und mir einen Haufen Geld beiseitegelegt, so mussten wir auch nicht hungern. Meine Lilli war so stark in dieser Zeit. Sie verhielt sich so…erwachsen. Dabei waren wir erst Dreizehn. Aber im Krieg spielte das Alter nun mal keine Rolle. Manchmal lagen wir auf meinem Bett auf dem Speicher und malten uns aus, was wir nach dem Krieg machen wollten. Lilli hatte vor, Krankenschwester zu werden, um wenigstens anderer Leute Großmütter vor dem Tod zu bewahren. Und ich? Erst einmal meine Eltern finden, dann mich irgendwo niederlassen und – Bücher schreiben. Über die Flucht vor den Nazis, das Versteckspiel und die Angst. Und natürlich über Lilli. Bei dem Gedanken musste ich lächeln. „Leah?“, sagte Lilli irgendwann und brach unser Schweigen. „Hm?“ – „Wir bleiben doch immer Freundinnen, oder? Du bist mir so wichtig geworden. Ich glaube, ohne dich könnte ich nicht mehr leben!“ Sie hatte Tränen in den Augen. Meine Mutter hatte doch Recht gehabt, dachte ich. Als ich sie mal gefragt hatte, wie sie denn in dieser Situation noch Zeit für Papa habe, hatte sie geantwortet: „Weisst du, Schatz, wenn die große Gefahr besteht, dass deine Liebsten vielleicht sterben könnten, dann wird die Liebe halt gross.“ Ich legte Lilli einen Arm um die Schultern. „Klar. Was denkst du denn?“ Lilli grinste und schüttelte den Kopf, so dass ihre blonden Zöpfe nur so flogen.

Es passierte an einem Septembermorgen. Grau und verschlungen hing Nebel über dem zerstörten Land. Ich machte die Augen auf und schloss sie gleich wieder, als ich merkte, dass es noch früh war. Doch was rumste da unten eigentlich so? Verschlafen hob ich den Kopf. Noch ein Geräusch. Es klang wie ein Schluchzer. Dann öffnete sich die Luke und wie jeden Morgen erschien Lilli im Morgenmantel. Sieh sah blass aus. „Die Gestapo weiss, dass du hier bist“, brach es aus ihr heraus. Ich erstarrte. „Woher…?“, fragte ich leise, doch Lilli schüttelte nur weinend den Kopf. „Die Tochter der Nachbarin ist mit einem SS-Mann verheiratet. Sie hat mit ihrer Mutter darüber geredet, als ich im Garten war.“ Ich schluckte. Alles hatte einmal ein Ende… „Dann wird es Zeit, auf Wiedersehen zu sagen. Wahrscheinlich bringen sie mich gleich ins KZ Bergen-Belsen.“ Lilli stürmte auf mich zu und packte meine Schultern. „Nein, Leah! Ich habe einen Plan! Die SS hat keine Ahnung, wie du aussiehst! Ich gebe mich ganz einfach als dich aus und….“ Weiter kam sie nicht, ich schrie so laut, dass sie zusammenzuckte. „Lilli! Weisst du eigentlich, was es bedeutet, als Jude in ein Konzentrationslager geschickt zu werden? Sie scheren deinen Kopf kahl und das einzige, das du am Leib trägst, sind Häftlingskleider! Sie lassen dich durch den Matsch bei kältesten Temperaturen rennen und bestrafen dich dann, weil deine Kleidung dreckig ist! Und wenn du nicht wegen Hunger verreckst, dann an den Seuchen, die in den Lagern wüten! Das ist Selbstmord!“, kreischte ich und fing nun auch an mit den Tränen. „Für dich ist es Selbstmord, Leah! Du warst nie richtig gesund, hustest die ganze Zeit und im Gegensatz zu mir hast du noch Eltern, die sich um dich sorgen! Ich habe ausser dir niemanden mehr! Und ohne dich ist das Leben nichts! Ich will, dass du deine Eltern suchen gehst und später mal Schriftstellerin wirst! Nimm dieses Opfer an, Leah, ich flehe dich an!“ Ich starrte Lilli an. „Leah. Wenn du wirklich meine Freundin bist, dann nimmst du dieses Geschenk an. Mein Leben ist sowieso nicht mehr viel wert. Ausserdem ist dieser Krieg ja wohl irgendwann zu Ende.“ Sie beendete ihre Rede und umarmte mich fest, ganz fest, als wolle sie mich nie mehr loslassen. Ich brachte kein Wort heraus und sah sie an. „Geh in den Keller und schliess von innen ab“, sagte sie. Ich umarmte sie noch ein letztes Mal, dann hörten wir das Motorgeheul der SS-Wagen. „Lehitra`Ot, Leah!“, flüsterte sie. „Lehitra`Ot, Lilli!“, antwortete ich und folgte ihren Anweisungen, in den Keller zu gehen und abzuschliessen. Die lauten Schreie der Gestapo hörte ich bis nach unten. Und auch Lillis weiche, leise Stimme. „Meine Helferin? Sie ist abgehauen, als sie die Autos sah.“ Lautes Geraschel, die Männer wollten sich wohl erst selbst überzeugen. Zum Glück lag die Kellertür eher versteckt hinter einer Zimmerpflanze. „Nehmt die Kleine mit!“, hörte ich noch, dann knallte die Tür zu und Lilli, meine Lilli, war auf dem Weg ins Konzentrationslager. Lehitra`Ot, hatte sie gesagt. Auf Wiedersehen.

 

Hallo CherrybellKiss,

deine Geschichte hat mich sehr berührt. Bis zur Szene im Keller, da Leah ihrer Freundin den Plan auszureden versucht, an ihrer statt deportiert zu werden. Ich habe mich gefragt, woher sie das alles gewusst haben kann. Das mit den Kahlscherungen, den Seuchen, den Qualen. Meines Wissens, und natürlich lasse ich mich eines besseren belehren, ist das in all seiner teuflischen, abmenschlichen Wahrheit erst durch die Ermittlungen und Entlarvungen der Alliierten herausgekommen. Bis dahin ist es dem Regime durchaus gelungen, gegenüber der Öffentlichkeit, insbesondere der ausländischen Medien, die Illusion von eher freundlich gestalteten Behausungen und Heimen für "die Juden" und andere verfemte Bevölkerungsgruppen aufrechtzuerhalten. Und selbst die Angst, verfolgt und deportiert zu werden, gründete sich wohl mehr auf die Erfahrung, wie mit verfolgten und und schließlich "eingefangenen" Bekannten seitens der Gestapo und der SS-Schergen umgesprungen wurde, auf die Gewissheit, dass jene Behausungen und Heime aus der Propaganda nicht die ganze Wahrheit sein konnten, und nicht zuletzt, von der Familie auf unbestimmte Zeit getrennt zu sein. Der Slogan "Arbeit macht frei", Torschrift vor vielen KZ, hatte so auch eher die Funktion, Angst zu zerstreuen und auf eine kranke, verlogene Art Hoffnung zu machen.
"Unwissenheit ist Macht", so in etwa hat das Orwell in seinem Roman 1984 geschrieben. Und das stimmt auch, wenn man etwas hinzufügt: "Unwissenheit ist fremde Macht".

Denn hätten die noch nicht deportierten Menschen von dem ganzen wirklichen Greuel im Voraus Kenntnis erlangt und als sie an der Reihe waren, Zeter und Mordio geschrieen (wodurch sie allerdings wohl gleich erschossen worden wären - kann man sagen, dadurch hätten sie sich einiges "erspart"?), wäre Hitler an seiner "Endlösung" und allem früher oder später gehindert worden. Denk ich mir so ist der Reim, den ich mir als Kind der Wende auf die Geschichte gebildet habe.

Also im Ganzen hat mich deine Geschichte leider nicht überzeugt. Jedoch ist sie meiner Meinung nach gut und stilsicher geschrieben.


-- floritiv.

 

Hallo CherrybellKiss

Meine wasserblauen Augen wanderten von Grabstein zu Grabstein

Kleinigkeit: Ein so präzises Adjektiv zur Beschreibung der Augen hätte ich in dem Zusammenhang nur von einem dritten, oder dem Erzähler erwartet, eine Eigenbeschreibung finde ich in dem Zusammenhang nicht ganz nachvollziehbar. Wenn es eine Umschreibung für „Tränen in den Augen“ sein sollte unpräzise.


aber ich verstand es nicht. Wie denn auch? Ich war doch erst Zwei.

Also ich kann mich an Nichts erinnern was geschehen sein mag als ich zwei war und ich glaub ich kenn auch Niemanden der das kann, aber mag sein es gibt da Ausnahmen.


Acht Jahre später

Also streng genommen müsste ich interpretieren das sich diese Teilüberschrift auf acht Jahre nach der Anfangsszene, sprich am Friedhof bezieht.

Zufluchtsplatz. Dieses Wort machte mir zugleich Hoffnung – und Angst

Also ich find das Wort lediglich befremdlich, vor allem da man es zu einem 10jährigen Kind sagt das gerade seine Eltern ins Ungewisse verabschiedet.

Seit jenem schrecklichen Jahr 1933 wechselten wir unsere Verstecke wie andere Leute Unterwäsche

Zwar begann die Entrechtung der deutschen Juden mit der Machübernahme Hitlers, aber viele vergessen das die Jüdische Bevölkerung zum Großteil stark integriert war, weswegen eine allmähliche und Ausgliederung der Juden erfolgte. Erst aus einzelnen Berufen, Boykotte von Geschäften etc. erst 38 wurde die „Arisierung“ enorm radikal. Warum also verstecken sich die Protagonisten hier bereits ab 33 so, als ob sie sofort deportiert würden?

Sie hatte gut reden, sie war ja nicht mit dem Krieg aufgewachsen!

Mag sein, aber den ersten Weltkrieg wird sie ja wohl erlebt haben.


Ich schätzte sie etwa gleichalt wie ich.

mich

fragte Lilli neugierig und trottete neben mich.

Vielleicht besser: auf mich zu

Sie nickte zufrieden, lächelte mich an und sagte: „Wollen wir Freundinnen sein?

Prinzipiell: Absätze bei Dialogen wirken Wunder auf den Lesefluss.

die ich aber einmal in unserer Unterkunft zurückgelassen hatte.

die ich aber in einem unserer Verstecke zurücklassen musste. (musste fände ich einfach plausibler)

Wir begannen zu spielen und ich vergass dieses eine Mal in meinem Leben, dass um uns herum Krieg herrschte, ich Jüdin war und mich in Lebensgefahr befand.

Zum ERSTENMAL in meinem Leben, oder?


Denn endlich konnte ich das sein, was ich schon immer sein wollte: ein ganz normales Kind.

„denn“ könntest du streichen.

und beschrieb mir alles in den genauesten Details.

bis in die kleinsten Details. Als Vorschlag

Was einem alles entging, wenn man jüdisch war, erkannte ich erst jetzt.

Hm, also das kann ich mir kaum vorstellen das ihr das erst jetzt bewusst wird.

Kein Kichern mit der besten Freundin beim Nachhause laufen von der Schule.

Man merkt halt erst, wie sehr man etwas liebt, dachte ich bitter, wenn man es nicht mehr hat.

Komischer Vergleich, da sie all das was sie beschreibt ja noch nie wirklich hatte.

Irgendwie schaffte Lilli es, den Nachbarn weiszumachen, dass ihre Oma nur verreißt war sodass sich niemand um ein (beziehungsweise zwei)unmündiges Kind kümmern musste.

Auch bei einer wochenlang verreisten Aufsichtsperson müsste sich jemand um ein unmündiges Kind kümmern.

Aber im Krieg spielte das Alter nun mal keine Rolle.

Puh, schwieriges Thema inwiefern der Krieg bei der heimischen Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt angekommen war. Da sie auf den Land sind, kann man hier aber wohl eher kaum von kriegsähnlichen Zuständen sprechen. Auch was die Ernährung betrifft war das Regime bis zur Niederlage darum bemüht keine Mängel en Grundnahrungsmitteln aufkommen zu lassen, was ihr freilich nur durch die Ausplünderung halb Europas gelang... aber es gelang. Den Krieg am eigenen Leibe erfahren haben vor allem die Opfer des Bombenkrieges in den Städten.

„Dann wird es Zeit, auf Wiedersehen zu sagen. Wahrscheinlich bringen sie mich gleich ins KZ Bergen-Belsen.

Woher will sie das so genau wissen?

Nein, Leah! Ich habe einen Plan! Die SS hat keine Ahnung, wie du aussiehst!

Aber man weis doch wie Lilli aussieht und im Endeffekt haben beide ein Problem, da sie ja schließlich Juden versteckt hatte, oder?

Sie scheren deinen Kopf kahl und das einzige, das du am Leib trägst, sind Häftlingskleider! Sie lassen dich durch den Matsch bei kältesten Temperaturen rennen und bestrafen dich dann, weil deine Kleidung dreckig ist! Und wenn du nicht wegen Hunger verreckst, dann an den Seuchen, die in den Lagern wüten! Das ist Selbstmord!“,

Tut mir leid, aber ich weis beim besten Willen nicht woher sie das wissen will. Das die Juden nicht einfach nur „umgesiedelt“ werden wie es so perfide hieß, wird all jenen die sehen wollten, ab einem bestimmten Punkt klar gewesen sein. Aber das Regime war durchaus bemüht eine gewisse Fassade zu waren (da man z.B. bei offenen Kindtötungs- und Euthanasieprogrammen gemerkt hatte das man auf Widerstand stieß) und wenn man nicht gezielt nach Informationen suchte oder Kontakte hatte (die dreizehnjährige wohl eher nicht haben konnten), dann ist die Kenntnis solcher Details sehr fragwürdig.


Insgesamt fand ich die Geschichte leider nicht überzeugend. Zu vieles find ich nicht nachvollziehbar und, so hart das bei dem Thema klingen mag, irgendwie blass. Deutlicher hervorheben hättest du z.B. die alltägliche Angst der Protagonistin können. Sie lebt immerhin Jahre lang auf einem Dachboden, sie darf nicht raus (SS-Nachbarn sind da natürlich enorm unpraktisch), sie hat seit ihrer Geburt quasi nur minnimale soziale Kontakte und die Furcht vor Entdeckung ist allgegenwärtig... was das aus einem Menschen macht wage ich mir kaum vorzustellen, aber dafür erscheint sie mir zu "normal", reflektiert, abgeklärt. Ihr ganz normaler "Alltag", wenn man das denn so nennen will, hätte mich interessiert, z.B. hätte sie eine Art Ausbruchsversuch unternhemen können (schließlich ist sie noch ein Kind und die Gefahr letztlich nur etwas das sie aus Erzählungen kennt, die Welt da draußen muss doch faszinieren) oder aber auch das Verhältniss zu Lilli hätte wesentlich differenzierter sein können. Ich glaube nämlich das auch eine enorme Eifersucht nur eine logische Reaktion auf ihre Situation hätte sein müssen. Ebenso die "Oma", die ja quasi als Elternersatz dient... ihr Tod scheint sie kaum mitzunehmen, da hätte man auch mehr ins Detail gehen können.
Sorry das ich jetzt so viel gemeckert habe, bei sonem schwierigen Thema ist das irgendwie vorgrogrammiert und ich selbst trau mich da gar nicht erst ran :shy:
Ich hab in deinem Profil gelesen das du vierzehn bist und muss sagen (ohne jetzt diskriminierend klingen zu wollen), alle Achtung dafür schreibst du schon sehr sicher. :thumbsup:

@floritiv

Es stimmt schon das das Regime Synonyme gebrauchte und eine gewisse Fassade waren wollte, die "Musterdörfer" in den Kz´s für ausländische Medien etc. errichtet wurden hattest du ja bereits erwähnt. Andererseits hat man aber keinen großen Hehl aus dem gemacht was man vor- und auch umgesetzt hatte. Es gibt Unmengen offener Rede-Zitate seitens Hitler und anderer, bei denen man kaum etwas missverstehen kann. Gegen Ende des Krieges hat man es sogar betont, nach dem Motto: Wenn wir verlieren, dann werden wir für all unsere Taten gnadenlos bestraft werden (vor allem durch die rote Armee), deshalb macht besser weiter mit und helft zu gewinnen - man war also bemüht zu predigen das man den point of no return überschritten habe. Englische Sendungen, die nach Deutschland ausgestrahlt wurden, thematisierten die Verbechen übrigens auch, allerdings immer mit dem Argument es sei jederzeit möglich noch umzukehren.
Interessant ist auch das es ja gewisse Dinge gab, gegen die sich öffentlich Widerstand regt, das waren zum Beispiel Euthanasieprogramme im Sinne von Kindstötungen oder auch die Reichprogromnacht oder Terror durch die SA. Entweder waren diese Dinge zu offen geschehen, oder aber es war "unkontrollierter" Terror. Gegen den war man allergisch, aber staatlich organisierter, bürokratischer, vermeindlich legitimer Terror stieß eher auf Zustimmung und letztlich blieb das dritte Reich bis zum Ende ein Zustimmungsregime und spontane Auschreitungen nach dem Propagandafilm "Jud Süss" zeigen, dass man bereit war der Rassistischen Ideologie zu folgen zumal es sich ja für viele wirtschaftlich auch einfach rentierte die jüdische Bevölkerung zu enteignen.

schöne Grüße,
Skalde

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi CherrybellKiss,

eindringlich fand ich Deine Geschichte. Es ist nicht leicht, sich in die Zeit hineinzuversetzen; Du versetzt Dich dazu noch in ein anderes Alter. Der Schluß ist unglaublich, natürlich wirkt so etwas heute kitschig, aber das ändert nichts daran, daß solche Dinge passiert sind. Soweit möglich, bringst Du es gut rüber.

Es gibt einige Unstimmigkeiten in der gewählten Sprache und dem Hintergrund, manchmal wechselt die Sprache in die einer Jugendlichen (die Du jetzt bist); meist bleibt sie beim Kind, der Protagonistin. Die Beschreibung der Zustände im KZ ist zu plastisch; auch der konkrete Ort Bergen-Belsen wirkt unrealistisch, die KZ könnten auch ganz abstrakt als schrecklich benannt werden oder auch mit ganz unrealistischen Beispielen - so wirkt es wenig wie von einem Kind gesprochen. Allerdings mußten Kinder damlas sehr früh reif werden und wechselten sicher oft in die Erwachsenenperspektive. Ich habe noch von niemandem gehört, daß er in diesen Gefahren Angst empfunden hätte, dagegen erzählen einige, daß dafür gar kein Platz war.

Zu den Kenntnissen in der damaligen Zeit möchte ich wegen der geäußerten Kritik noch etwas hinzufügen, allerdings weniger an Deine Adresse:
man weiß immer, was man wissen will und ertragen kann. Wenn man potentielles Opfer ist, interessiert man sich für die Gefahr, sonst eher nicht. Wenn man die Realität nicht ertragen kann, hört man weg oder glaubt den Informationen nicht; auch das gehört dazu. Ich habe eben nochmal in Peggy Parnass: "Unter die Haut" nachgelesen, wie sie ihre erste Verhaftung beschrieb: "Nach unserer Verhaftung wurden wir auf einen Viehwagen geladen....dann wurden wir in einer Turnhalle abgeladen....irgendwann sagte Pudl, daß ich zu einem fremden Mann Papa sagen sollte, mit dem ganz natürlich rausgehen, fröhlich aussehen und mich nicht wieder umdrehen." Das war 1939. Wenig später, Peggy ist fünf Jahre alt, schickt ihre Mutter sie allein nach Schweden; Peggy wächst dort bei Pflegeeltern auf; ihre Mutter wird kurz darauf deportiert und ermordet.

Ich denke, das ist kein Einzelfall; viele Juden wußten früh Bescheid. Mein Vater ist kein Jude; er erfuhr erst 1943 vom Umfang des Massenmordes in den Konzentrationslagern; ein guter Freund hatte ihn auf einen einsamen Spaziergang eingeladen, um es ihm zu erzählen. Auch diese Kenntnisse unter Deutschen sind ja heute, s.o., nicht mehr wahr.

Das war jetzt etwas umfänglich, aber wohl notwendig, wenn einer Schülerin vorgehalten wird, sie stelle die Verhältnisse unrealistisch dar.

Frohes Schaffen!

Set

 

Hallo CherrybellKiss

Die Geschichte gefällt mir sehr gut, sie überzeugt und macht betroffen.
Trotzdem bleiben einige Charaktäre blass. So zum Beispiel die Großmutter. Da könntest du noch einige Details reinbringen, um au dieser guten Geschichte eine sehr gute zu machen.

m Gegenzug brachte ich ihr ein wenig Hebräisch bei und erzählte ihr alles über meine Religion, also die Rituale und Feiertage.
wirkt nicht authentisch.
Ausserdem ist dieser Krieg ja wohl irgendwann zu Ende.“
ich denke, hier hofft sie, dass er bald zu ende ist, nicht irgendwann.
Zum Glück lag die Kellertür eher versteckt hinter einer Zimmerpflanze.
das wirkt weit hergeholt und wird wohl kaum jemand vom Finden abhalten...

LG
Bernhard

 

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