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Legitimer Tod
Es war der 8. März, als James von dem Mordfall las. Prinzipiell lehnte James die Todesstrafe strikt ab, doch bei einigen Fällen überkamen selbst ihn gewisse Zweifel, ob ein derartiger Strafprozess nicht vielleicht doch die richtige Lösung wäre. Und dieser Fall war so einer! Er hatte nun wirklich schon vieles in seinem Berufsleben gesehen und galt auch als einer der routiniertesten und erfolgreichsten in seinem Job, aber eine derartige Grausamkeit bescherte selbst ihm ein mulmiges Gefühl und ließ Gedanken aufkommen, die seine Ideologie bezüglich des Rechtssystems kritisch hinterfragten. Wäre es nicht vielleicht doch besser, Menschen, die zu so etwas in der Lage sind, für immer unschädlich zu machen? Immerhin würde das die unbändige Wut der Angehörigen wenigstens ein bisschen lindern und ihr seelisches Heil zumindest bis zu einem gewissen Grad hin wiederherstellen.
James überlegte noch eine Weile, ehe er beschloss, Gedanken dieser Art fürs erste ruhen zu lassen. Schließlich war es nicht seine Aufgabe, die Regeln zu entwerfen, sondern lediglich, sie zu befolgen.
Müde warf er sich seine Jacke um und verlies die Wohnung mit einem Seufzen. Eigentlich liebte er seinen Job aber es gab Situationen, in denen er sich etwas Besseres vorstellen konnte, als nachts durch die Straßen zu schleichen und Informationen zusammenzutragen.
Noch während er die Tür abschloss, begann sein Gehirn Pläne zu entwerfen, wie man dieses Monster am besten fassen könnte. Im Gegensatz zu seinen früheren Taten war er dieses Mal unvorsichtiger vorgegangen; an der Jacke des Opfers hatte man Fingerabdrücke finden können, die zweifelsfrei einem Mann namens Julius Schäfer zugeordnet werden konnten. Eigentlich ein Kleinkrimineller, der nur gelegentlich durch das Dealen mit Marihuanna auf sich aufmerksam gemacht hatte. Komisch, dass ausgerechnet so jemand plötzlich auf die Idee kam, Menschen auf grausigste Art umzubringen. Trotzdem durfte er nicht davon ausgehen, dass er es mit einem naiven Menschen zu tun hatte, schließlich war das der erste Patzer, den er sich erlaubte hätte, bei den Morden davor hatte er nie Fingerabdrücke hinterlassen, wahrscheinlich trug er Handschuhe, und hatte sogar noch die Frechheit besessen, die Leichen in das offizielle Gebäude der Gerichtsmedizin zu schaffen. So nach dem Motto: "Bitteschön, ihr könnt ihn gerne untersuchen, aber finden werdet ihr eh nichts" Es grenzte also an ein Wunder, dass es dieses Mal ein derart heiße Spur gab.
Lächelnd setzte sich James in seinen Wagen, drehte den Zündschlüssel um und verlies die Parklücke. Da besagter Julius Schäfer schon ein paar Mal polizeilich in Erscheinung getreten war, war es ein Leichtes gewesen, seine Adresse herauszufinden.
Gerade als James den Wagen vor dem Haus geparkt hatte und das Radio ausstellen wollte, kündigte der Radiosprecher sein Lieblingslied an. Es war nicht so, dass James dieses Lied auf Grund seines Klanges so gut zu gefiel, viel mehr hatte es etwas rituelles. Bei den ersten zwei Verhaftungen, die er alleine durchgeführt hatte, war genau dieses Lied im Radio gelaufen, weswegen er es mittlerweile als eine Art Glücksbringer betrachtete. Er blieb also noch kurz im Wagen sitzen, ehe er die Tür aufschwang und sich in die kalte Nacht hiefte.
Er betrachtete das sich vor ihm befindliche Haus eingehend. Hier wohnte also jemand, der bereits 20 Menschen durch elektrischen Strom das Leben geraubt hatte. "Kranke Welt", flüsterte James sich selbst zu, ehe er selbstbewusst auf die Haustür zusteuerte und das Klingelschild mit dem Namen "Schäfer" suchte.
Noch während des Klingelns fragte er sich erneut, warum ein Mann aus solchen Verhältnissen zu derat kaltblütigen Morden fähig sein sollte. Zugegeben, in der reichsten Gegend befand er sich nicht, aber es hätte einen auch deutlich schlimmer erwischen können. Genau dieser Eindruck bestätigte sich auch, als die Tür mit einem leisen Summen aufschwang und James Zutritt in den Eingangsbereich des Hauses verschaffte. Gegenüber von ihm ein altertümlich aussehender Aufzug, links von ihm eine saubere und verzierte Treppe, die einem Zugang zu den oberen Stockwerken gewährte.
James entschloss sich, den Aufzug zu nehmen, um noch einen kurzen Moment für sich zu haben und die Vorbereitungen auf die Verhaftung treffen zu können. Der Waffengurt wurde in die handlichste Position gerückt, die Uniform noch einmal straff gezogen und die Stiefel ein letztes Mal zugeschnürt, da öffnete sich auch schon die Tür des Aufzuges mit einem hellen Ton und entließ James in den Hausflur. In der Tür vor ihm stand ein breit lächelnder Mann, der ihn aus wachen Augen musterte. Das war also Julius Schäfer! Ein Mann Ende zwanzig, der aussah, wie jemand, dessen berufliche Karriere erst begann.
Ein letztes Mal Durchatmen, dann begann James zu sprechen: "Sind Sie Julius Schäfer?", fragte er. "In der Tat, und wer sind die, wenn ich fragen darf? Ich bin noch relativ neu im Job und kenne daher noch nicht alle Namen; sie müssen mir also verzeihen, wenn ich sie nicht sofort erkenne! Was gibt es denn für ein dringendes Anliegen, dass ein Kollege mich um 2:00 Uhr nachts mit einem Hausbesuch beehrt?"
Für einen kurzen Moment war James überrascht. "Kollege" nannte dieser skrupellose Mörder ihn also? Nur, weil sie im gleichen Betrieb arbeiteten? James beschloss, sich wieder zu fassen, bestimmt wollte der Mann ihn nur verunsichern. "Folgen sie mir bitte aufs Präsidium!", antwortete James mit gefasster Stimme. "So dringend", murrte der Mann, "na gut, wenn’s unbedingt sein muss... Darf ich mich noch kurz anziehen?" James lachte kurz auf und schüttelte den Kopf. Das wäre ja noch schöner, wenn er diesem Untier jetzt noch die Gelegenheit geben würde, sich in seiner Wohnung schnell eine Waffe zu besorgen. Der Mann verdrehte die Augen, trat aber aus der Wohnung und folgte, nachdem er abgeschlossen hatte, James die Treppen hinunter. Beim Einsteigen in den Wagen schaute er James noch kurz an und meinte: "Na, wenn das nicht wirklich dringend ist, werd ich aber sauer!"
"Sie haben Billy Wetzler mit Hilfe von Strom getötet, ist das richtig?" James hatte sich dazu entschlossen, das Verhör noch während der Fahrt zu führen. Stille. Dann hörte man die verunsischerte Stimme des Mannes aus dem Rückraum: "Ja, habe ich, schließlich ist das mein Job!" Na wenigstens gab er den einen Mord schon mal zu! "Des Weiteren gibt es noch 19 weitere Mordfälle, deren Raster ganz klar auf ihre Person schließen lassen. Alle wurden nämlich mit Strom umgebracht!" Wieder Stille, ehe der Mann auflachte: "Ja, natürlich habe ich das, schließlich ist das mein Job, so verdiene ich meine Brötchen!" Es handelte sich also um einen dreckigen Auftragsmörder!
"Und sie empfinden nicht mal ein kleines bisschen Reue?", bohrte James weiter. "Nein, natürlich nicht", vernahm er aus dem Rückraum. James stand der Schweiß auf der Stirn. Wie konnte jemand, der zwanzig Menschen auf schreckliche Art und Weise ermordet hatte nicht mal einen Funken Mitgefühl zeigen? Was ging in seinem kranken Kopf bloß vor? "Bastard", entfuhr es James. "Nun hören sie mal", schallte es entzürnt von der Rückbank, "ich glaube, ich muss ihnen noch mal das grundlegende Prinzip meines Jobs erklären: Ich bin Henker! Das Gericht spricht ein Urteil und wenn dieses auf Tod plädiert, werden die Leute irgendwann zu mir geschickt und ich exekutiere sie dann mit Hilfe des elektrischen Stuhls. Natürlich schäme ich mich nicht dafür, schließlich waren das böse Menschen, die es erstens nicht besser verdient haben und zweitens ist das durch das geltende Gesetz so festgelegt. Ich handele also nur im Rahmen des Gesetzes und bin somit eine wichtige Stütze des Systems!" Nun war es James, der höhnisch auflachte. Maßte dieser dreckige Mörder sich doch wirklich an, von Gesetz und Recht zu sprechen! James war Polizist, er wusste, was Recht bedeutet. Und in diesem Fall besagt es, dass jemand, der zwanzig Menschen durch Strom hat umkommen lassen, selbst das Recht auf Leben verwirkt hat.
James hielt an, sie waren vor dem Präsidium angekommen, und öffnete die Hintertür des Wagens. "Steigen sie bitte aus", sagte er in einem befehlenden Ton zu dem Mann auf der Rückbank. Dieser schaute sich verwirrt um und meinte mit brüchiger Stimme: "Wo sind wir hier und was soll das alles?" James hatte mit so einer Antwort schon gerechnet. Wenn diesen kaltblütigen Mördern ihre gerechte Strafe bevorstand, waren sie doch alle gleich feige und uneinsichtig.
Er zerrte den Mann unter großer Gegenwehr aus dem Wagen und schaffte ihn auf das große Feld, vor dem er seinen Wagen geparkt hatte. Inzwischen hatte er den Mann durch Handschellen ruhig stellen können und verband ihm nun auch noch die Füße. Damit er die Verhandlung und das Urteils nicht durch unnötige verbale Interventionen manipulierte, verpasste er ihm noch einen Knebel und fesselte ihn schlussendlich an den bereits vorbereiteten Stuhl. Nachdem er ein paar Meter nach hinten getreten war, begann er mit der Verlesung des Urteils. Ein Prozess war dieses Mal nicht von Nöten, da der Angeklagte sich ja bereits im Auto zu seinen Untaten bekannt hatte. "Julius Schäfer, hiermit verurteile ich sie auf Grund 20-fachen Mordes durch die Anwendung des sogenannten elektrischen Stuhls zum Tode! Haben sie noch irgendwelche letzten Worte?" James riss ihm unsanft den Knebel aus dem Mund. "Das ist doch Wahnsinn, was sie hier machen! Es ist mein Beruf, verurteilte Menschen dem Gesetz nach zu exekutieren!" James stopfte ihm den Knebel genauso unsanft wieder in den Mund, es war doch eh immer die gleiche Leier.
Er zückte seine Dienstwaffe und trat erneut ein paar Meter nach hinten. Er hob langsam die Waffe, visierte den Mann, aus dessen Augen Panikschreie flüchteten, an und drückte den Abzug. Die Kugel drang tief in das kriminelle Fleisch ein und die Augen des Mannes setzten zu einem letzten Schrei an, bevor James es mit der zweiten Kugel zu Ende brachte. Nachdenklich schaute er auf den blutüberströmten Körper. Dieser Mann war zurecht gestorben, schließlich war es per Gesetz festgelegt, dass die von ihm begangenen Taten die Todesstrafe nach sich ziehen mussten. Er war Polizist und damit dafür verantwortlich, die Regeln aufrecht zu erhalten. Es war also ein legitimer Tod.