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Leere Straßen

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05.05.2017
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Leere Straßen

Zufrieden blickte er hinaus auf die Straßen, welche sich wie Narben durch das schwächliche Antlitz der trauernden Stahlschluchten wandten. Bedrohlich knurrende Gewitterwolken schwebten über den Köpfen der immer gleichen Bürokomplexe, die wie sterbende Bäume die Gehsteige und die selten darauf verkehrenden, immer gleich gekleideten, grimmig, doch zufrieden daher schauenden Passanten säumten. Hin und wieder blieb einer von ihnen stehen, zog einen Pinsel aus seiner Jackett-Tasche, tauchte ihn in den vom Regen völlig aufgeweichten Asphalt der einsamen Straßen und begann die vor Erschöpfung bröckelnden Fassaden der Gebäude, die kläglich vor sich hinwachsenden, nahezu völlig verwelkten, mutig die Stellung haltenden Blumen und Gräser, den Gehsteig zu seinen Füßen und hin und wieder sein eigenes, ausgeleiertes Jackett, in dunklen Tönen zu streichen bis schließlich alles in einheitlichen, matten Grauschattierungen erschien. Weiter unten, an einer Kreuzung, unter stets roten Ampeln, erblühte ein kleiner, den Bedingungen trotzender Löwenzahn aus den unbarmherzigen Armen des schwindenden Betons, hinein in die Fäuste einer vegetationslosen Welt. Jemand hatte ihn beobachtet, wie er wuchs und wie er erwachte, und kaum hatte der Löwenzahn aufgehört zu blühen, kam ein halbes dutzend jener Passanten angerannt und trat ihn mit schweren Stiefeln zurück in den Boden. Ausblutend verweste er in steinernem Grabe und wurde schon bald überpinselt von seinen nichtsahnenden Mördern. Dieselben Straßen, die der Blüte zum Verhängnis wurden und die sich wie Schlingen um die Gebäudeansammlungen zogen, wurden schon lange nicht mehr befahren, denn waren sie gespickt von glühenden Kohlen, die von all jenen auf den Asphalt projiziert wurden, die nicht wussten, dass kühles Wasser heiße Flammen löscht. Selten versuchte jemand sie zu beschreiten doch der, der sie betrat, verlor schon wenig später seine Füße.
Zufrieden und mit geladenen Pistolen in den Taschen, blickte er hinaus auf die Straßen, denn die Straßen waren leer.
Plötzlich durchdrang ein Lichtstrahl die Wolkendecke, brach sich in den Regentropfen und schuf einen wundervollen, farbgewaltigen, kilometerweiten Regenbogen. Erschrocken blickten die Passanten gen Himmel und als sie sahen was sich ereignet hatte, brachen sie die Pinsel entzwei, rissen sich die Anzüge von den mageren Leibern und tanzten ausgiebig, hemmungslos und unbeeindruckt auf den weiterhin glühenden Kohlen. Er blickte unzufrieden auf die Straßen, welche sich nun im Gleichstrom mit den stolzen Wolkenkratzern wie lebendige, reißende Flüsse ihre Wege durch die offenen Arme der stählernen Flussbetten bahnten. Die schwere bleierne Wolkendecke, die noch Sekunden zuvor die Gemüter bedrückt hatte, lichtete sich allmählich und offenbarte einen azurblauen, von Tauben und Papageien bevölkerten, lächelnden Himmel, der freudig in die Lobeshymnen seiner Untertanen einstimmte. In sekundenschnelle verheilten die Risse in den Gebäudefassaden und in ähnlichem Eiltempo und mit unglaublicher Gewalt, durchbrachen starke Eichen, üppig beblätterte Fichten, riesige Kastanien, glühende Anemonen, bunt gefärbte Astern und verletzlich kleine Bouvardien den erstickenden Klammergriff des Betons und des Asphalts und katapultierten Bruchstücke derselbigen durch die nach Leben duftenden Lüfte. Der zuvor geschändete, halb verweste Löwenzahn erhob sich und reckte seine kleinen Ärmchen in die Höhe, während neben ihm tausend andere, die Kohlen ignorierend, durch die Straßendecke brachen und ebenfalls mit glänzenden Augen die Sonne grüßten. Niemand scherte sich mehr um die heißen, wütenden Kohlen, die nun verlassen und entweiht unter den Füßen der feiernden Massen lagen und starr und stur versuchten, die tretenden Gebeine in Brand zu stecken.
Die Menschen hatten genug vom Schmerz und so blickte er unzufrieden, mit gebrochenem Genick und offenen Pulsadern hinaus auf die Straßen, denn sie hatten begonnen zu leben.

 

Hallo Dominik,
ein herzliches Willkommen von mir.

Ein Tipp vorweg, du hast vier Texte eingestellt - innerhalb kurzer Zeit. Klar, eine feste Regel, wieviele Texte auf einmal das sein dürfen, gibt es nicht, aber vier sind auf jeden Fall eine deutliche Überforderung aller Beteiligten. Für dich schon allein deswegen, weil du dich dann nicht mehr mit Korrekturvorschlägen auseinandersetzen und überarbeiten kannst.
Und für das Forum selbst auch. Viele langjährige User reagieren auch manchmal genervt, weil das Posten so vieler Texte auch ein bisschen nehmerisch wirkt - sage ich mal ganz vorsichtig, denn wahrscheinlich kennst du dich nur noch nicht so richtig aus.
Ich schlag dir vor, auf jeden Fall keinen weiteren Text mehr zu posten. Vielleicht sogar einen oder zwei zeitlich zurückzuziehen, damit du dich wirklich auf Textarbeit konzentrieren kannst. Kannst du, wenn du dem Vorschlag folgen magst, hier nennen oder auch mir als PM schreiben.
Dann schau dich um, komm schön an in dieser wuseligen Bahnhofshalle, lies und kommentiere selbst, muss ja nicht viel sein, das bringt aber auf Dauer mehr für dich und deine Texte.
Viele Grüße von Novak

 

Hallo DominikPhilippi,

deine Geschichte hat mich vom Thema her stark an 1984 und Metropolis erinnert, wobei das Ende wohl ein bisschen anders verlaufen ist als das der genannten Filme.

Sprachlich warst du immer darauf bedacht, durch möglichst schwere und bedeutungsschwangere Formulierungen eine dichte Atmosphäre zu kreieren. Dabei benutzt du teilweise jedoch Formulierungen, die zusammen nicht funktionieren:

grimmig, doch zufrieden daher schauenden Passanten
hier zum Beispiel. Ich könnte lange vorm Spiegel stehen und Grimassen ziehen, aber den beschriebenen Gesichtsausdruck würde ich nicht hinbekommen. Muss ich mir den so vorstellen, wie das Grinsen vom Joker?

den vom Regen völlig aufgeweichten Asphalt
Klingt zwar toll, aber wie soll das funktionieren? Ausgewaschen kann ich mir vorstellen, aber wenn Asphalt aufweichen könnte, hätten die Kollegen vom Tiefbau ein ernsthaftes Problem.

Blumen und Gräser [...] in dunklen Tönen zu streichen[,] bis schließlich alles in einheitlichen, matten Grauschattierungen erschien.
Du schreibst, dass die Menschen aktiv mit dazu beitragen, dass ihre Welt so grau bleibt, wie sie gerade ist; dieses Verhalten wiederholt sich gegenüber dem Löwenzahn, einige Sätze später. Am Ende jedoch holt sich die Natur ihre Fläche wieder zurück und als Resultat feiern die Menschen und freuen sich. Jedoch ist in der Zwischenzeit nichts passiert, was sie dazu veranlasst hätte, ihre Ideologie zu vergessen oder sie zu überdenken. Wenn die Menschen tatsächlich so darauf gepolt sind, die Natur zu vernichten, mussten sie am Ende eigentlich mit Kanonen und Macheten auf die wachsende Natur losgehen.
Vielleicht hast du eine Erklärung dafür, die ich bisher nicht gesehen habe?

denn waren sie gespickt von glühenden Kohlen, die von all jenen auf den Asphalt projiziert wurden, die nicht wussten, dass kühles Wasser heiße Flammen löscht.
Diesen Part verstehe ich nicht. Du hast geschrieben, dass die Straßen komplett nass sind, denn sogar der Asphalt ist aufgeweicht. Nun sind die Straßen gespickt mit glühenden Kohlen, die, wie du selbst schreibst, vom Wasser gelöscht werden müssten. Und wie projiziert man überhaupt Kohlen auf den Asphalt?

denn die Straßen waren leer.
Erschrocken blickten die Passanten gen Himmel
Du schreibst zunächst, dass die Straßen schwach frequentiert sind und gleich darauf, dass sie eigentlich sogar leer sind. Könnte ich akzeptieren, wenn nicht plötzlich von den erschrockenen Passanten die Rede wäre, denn in dem Moment ist nicht mehr von einer einsamen Passantenseele die Rede, sondern gleich von mehreren. Das ist ein Widerspruch.

Generell hast du mich im letzten Absatz als Leser nicht abholen können. Irgendwie kam mir die Wende zu schnell und es las sich teilweise ziemlich kitschig. Wenn ich mir die Szene bildlich vorstelle, habe ich fast schon etwas Komisches vor Augen, fast eine Situation wie in einem Comic: Da trotten triste Menschen vor sich hin und malen Grashalme grau an, wenn sie einen sehen und Bumm: Paradies. Regenbogen. Weiße Tauben. Alle machen Party.
Und der letzte Blick geht nochmal auf den sadistischen, anscheinend gegen Spaß allergischen Boss-Gott, der sich ärgert. Das finde ich ein bisschen zu platt.

Was ich mir gewünscht hätte, ist ein bisschen mehr Erklärung hinter dem Verhalten der Charaktere. Die Geschichte braucht nicht einmal mehr Charaktere - um das 1984-Thema aufrechtzuerhalten reicht es völlig aus, das Volk als eine Masse, als Eintracht darzustellen. Dennoch könnte man etwas mehr über die Ideologie erfahren, damit ihr Verhalten am Anfang logisch ist.
Gegen Ende muss etwas passieren, was die Rebellion gegen den Boss-Gott rechtfertigt - es muss das Essen ausgehen; die Fabrik einstürzen, weil sie zu marode war; irgendetwas Schreckliches muss dazu führen, dass gebrainwashte Menschen Loyalität in Frage stellen.
Schön wäre natürlich auch, wenn z.B. in einem Monolog (vielleicht auch in einem schönen Eingangsmonolog) der miesepetrige Boss-Gott selbst seine Vorstellung von einer perfekten Welt und einer perfekten Gesellschaft ausführt.

Der Verwandlungs-Szene würde ich etwas Kitsch nehmen, da ist weniger definitiv mehr. Und sie muss gut aufgebaut sein; vielleicht baut sich die Wut des Volkes parallel zur Natur auf - sie werden zum gegenseitigen Sinnbild oder so.

Aus der Geschichte kann man noch viel mehr rausholen, als du es bisher gemacht hast.

Du kannst ja einfach mal über meine Vorschläge nachdenken. Vielleicht sind dir beim Lesen ja auch selbst neue Ideen gekommen, mit denen du die Geschichte noch verändern könntest. Eine überarbeitete Version würde ich sehr gerne lesen.

Liebe Grüße,

Jana

 

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