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Leberkäs und Tod

Beitritt
05.03.2013
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Leberkäs und Tod

Es war einer jener Apriltage in München, der viele Bewohner mit Kopfweh überfällt: Blauer Himmel, stechende Sonnenstrahlen, warme Südwinde und verbliebene Winterkälte mischten sich zu einer Atmosphäre in der die Zahl der Ehestreits, der Autounfälle und der Arztbesuche hochschnellt.
An so einem Tag schleppte ich mich vom Schwabinger Krankenhaus, in dem ich in den letzten Wochen um mein Leben gerungen hatte, zum ersten Mal wieder in die Welt der Gesunden.
Erschöpft vom dreiviertelstündigen Marsch sank ich im Hofgarten auf eine Bank mit Blick auf den Pavillon und die Staatskanzlei. Wieder überwältigte mich die Verzweiflung der letzten Wochen. Tief steckte sie in meinem Körper und wirbelte mein Bewusstsein in ein schwarzes Loch. Das verführerische Leuchten Münchens sog hingegen meine Seele in die Vorfrühlingsluft. Das Außen vermengte sich mit dem Innen, das Oben mit dem Unten, das Bewusste mit dem Unbewussten, Raum mit Zeit. Auflösung im Nirgendwann und Nirgendwo.
Die entstellten Gesichter der Brandopfer, das Lallen des dementen Opas, das Zittern eines Parkinsonpatienten, das Weinen der sterbenden Mutter von drei Kindern, die Verrenkungen eines Epileptikers – dieses Höllenspektakel aus meiner Zeit im Krankenhaus endete mit dem Spruch der Weißkittelfratzen: „Wir können Ihnen keine Hoffnung machen.“
Ich lebe noch! Explodieren wollte ich. In Raserei verfallen. Ich lebe – noch?
Reglos saß ich da. Einfrieren war meine Überlebensstrategie. Damit bannte ich meine Gefühle. Wenn mein Bruder mich zusammenschlug und quälte, rettete mich die Vorstellung, alles in mir wäre Eis. Damit ertrug ich es. Mit der Kälte stand ich über der Wirklichkeit.
Ohne Schmerzen zu spüren, schaute ich dann von außen auf die Szene. Kalt.

Es musste schon längere Zeit neben mir gesessen haben, das uralte Männlein. Genüsslich biss es in seine Semmel mit einem riesigen Stück Leberkäs. Andächtig kaute er es und spülte es mit einem Schluck aus einer Bierflasche hinunter. Schamlos demonstrierte es Wohlbefinden.
Ich rückte ein wenig zur Seite.
„Schönes Wetter. Da hört man die Englein singen!“
„Ja.“
Mehr brachte ich nicht heraus. Englein! Idiot! Alleluja!
Ich schielte zu dem Alten hinüber. Er musste weit über achtzig Jahre alt sein. Sein Körper krümmte sich nach vorne, als wollte er in die Erde schlüpfen. Sein Gesicht strahlte Ruhe, Zufriedenheit und Glück aus. Aus seinen tiefen Falten blinzelten listige Äuglein, wach beobachtend.
Wieder ein Biss Leberkäs.
„Man muss das Leben genießen, solange man es noch hat.“
Meine gespannten Nerven ertrugen dieses Fröhlichkeitsgeschwätz nicht. Zum Aufstehen und Weggehen fehlten mir Kraft und Wille.
Meine Finger zitterten. Ich war nahe daran ihn zu erwürgen. Dieser Lebenslusteuphoriker. Die Fröhlichkeitsnudel! Dieser Ulkopa!
„Man spürt schon Italien. Riechen sie doch nur: Das ist der Gardasee. Forsythien und Mimosen. Das Paradies auf Erden.“
Und du der Adam darin. Lächerlich, ihn sich nackt im Paradies rumrennend vorzustellen.
„Waren Sie schon einmal in Italien?“
„Nein!“
Er sog tief die Luft ein. „Das ist mein letzter Frühling.“
„Seien sie doch still!“
Meine Stimme verzerrte die Wörter. Ich war mit meinen fünfzig Jahren gerade dem Tod entronnen.
„Ich fürchte ihn nicht.“
Der Alte da kokettierte mit ihm. Müsste doch schon lange tot sein, mager, wie er war. Uralt und redselig wie ein Pubertierender. Der überlebt mich noch.
„Wir sind auf einer Weltreise.“
Wir? Eine Frau hat er auch noch? Auch so klapprig?
„Gestern Rom; letzte Woche Kairo, vor zwei Wochen Mauritius.“
Meine Fingernägel bohrten sich in die Handballen. Ich wollte Schmerzen empfinden.
Verschwinde, lass mich in Ruhe, Dummkopf. Weltreise? Für mich war der Gang vom Krankenhaus hierher eine Weltreise. Eine Geburt.
„Heute München. Wir haben ein Haus hier. Aber morgen geht es weiter: Paris, Madrid.“
Hörauf, hörauf! Mein Kopf platzt!
„Der Hofgarten ist Münchens schönstes Plätzchen.“
„Ja!“
„Genießen sie doch das Leben, junger Freund. Es ist so schnell vorbei. Sie weinen ja?“
Tränen rannen mir die Wangen hinunter. Er reichte mir ein Taschentuch. Mühsam stoppte ich ihren Fluss. Kein Gespräch anfangen!
„Bleich sind Sie …“
„Ja.“
Er packte sein Butterbrotpapier fein säuberlich zusammengefaltet in den Rucksack. Dann folgte der letzte Schluck aus der Flasche, die er ebenso sorgfältig verstaute.
„Was fehlt Ihnen?
„Nichts!“
Er nestelte an seinem Rucksack herum.
„So, das reicht. Nun, meine Liebe“, sagte er zu seinem Rucksack gewandt, „können wir weitergehen?“
Spricht mit seinem Rucksack. Komischer Kauz. Altersdemenz. Verschwinde endlich, alter Dummkopf. Ruhe, ich brauche meine Ruhe.
„Wissen Sie, ich habe meine Frau immer bei mir, hier, in diesem Rucksack.“
Spinner. Freigänger aus dem Irrenhaus. Inzuchtprodukt aus einem Alpental.
„In diesem Rucksack trage ich meine Frau mit mir herum. Wir hatten fünfzig Jahre eine gute Ehe. Vor sieben Jahren starb sie. Ich wollte mich nicht von ihr trennen. Ich liebe sie nämlich.“
„Aber wenn sie tot ist?“
„Eine Gemeinheit ist es“, donnerte das kleine Männlein urplötzlich mit großer Kraft los, „eine Gemeinheit ist es, dass man sich nach dem Tod trennen muss. Warum kann ich sie nicht im Garten begraben oder die Urne zu Hause aufstellen? Nein, ich hätte sie weit weg von mir verscharren müssen! Im Ostfriedhof.“
Er grinste.
„Aber nicht mit mir. Hier schauen Sie, das ist meine Frau.“
Er zog einen Knochen aus seinem Rucksack und hielt ihn mir hin.
Angesichts des Oberschenkelknochens seiner Frau traten mir Schweißtropfen auf die Stirn. Mit rudernden Armbewegungen wehrte ich den Anblick ab.
Er packte den Knochen wieder ein: „Als sie gestorben war, ließ ich sie in Athen beerdigen. Ich wusste, dass in Athen Grabstellen sehr gefragt sind. Deshalb schicken die Friedhöfe nach drei Jahren die Skelette in einer Totenbox an die Verwandten. Ich zog nach Athen, besuchte meine Frau täglich und nach drei Jahren stand der Postbote vor der Tür und überbrachte mir das Päckchen.“
Meine Muskeln waren so verhärtet, dass ich nur noch starr sitzen konnte. Jede Bewegung hätte einen Wutanfall oder eine Depression ausgelöst.
„Man braucht im Leben einen Begleiter. Das war sie. Man konnte uns nicht trennen.“
Er schulterte seinen Rucksack und sagte. „Lass uns weitergehen, Karin, in die Asamkirche. Da haben wir nämlich geheiratet."
Er reichte mir seine Hand.
„Und Sie, junger Mann, Ihnen steht die Todesangst ins Gesicht geschrieben. Fürchten Sie ihn nicht. Genießen Sie den Tag!“

 

Hallo Wilhelm,

ja, das ist bei uns auch ein immer wieder diskutiertes Thema mit der Frage, wieso man die Urne (anderswo geht es ja auch) nicht einfach heim nehmen darf. Dass eine Leiche ordnungsgemäß auf den Friedhof muss, wegen dem Grundwasser, ist keine Frage. Aber das bisschen Asche - da haben wir nach einem Grillabend ja das Hundertfache übrig.
Nun aber mal vom Anfang an. Dein Protagonist scheint noch etwas im Morphin-Delirium zu sein, da er das Leben so weit weg vom Alltäglichen wahrnimmt. Ich kann deinen Versuch, diese Stimmung aufzubauen, nachvollziehen, finde mich darin aber nicht wirklich wieder.

Es war so ein Tag in München, wie er manchmal im April zu erleben ist, wenn blauer Himmel, strahlende Sonne, warme Südwinde und verbliebene Winterkälte zusammentreffen und eine Atmosphäre schaffen, dass man nicht weiß, ob man lebt, ob man tot ist oder ob man nie geboren war.

Diese vom Protagonisten erlebte Stimmung verallgemeinerst du mit dem "man" und implizierst, dass es allen so geht; so wie man bei Fönlage schnell Kopfweh bekommt oder dergleichen. Da würde ich näher am Erzähler bleiben.

Erschöpft vom dreiviertelstündigen Marsch sank ich im Hofgarten auf eine Bank mit Blick auf den Pavillon und die Staatskanzlei
.
Also eine dreiviertel Stunde finde ich zu lange für einen Geschwächten. Das würde ich auf eine knappe halbe Stunde kürzen.

Hin und hergerissen zwischen Todesangst und Lebensgier ermatteten meine seelischen Kräfte.
Der Satz ist mir zu überladen und ich habe ein Problem, der Seele Kraft in diesem Zusammenhang zuzuschreiben. Du hast diesen Umstand ja in den zwei Sätzen davor schon beschrieben, das wäre ja sowieso nur eine Zusammenfassung. Also ich würde den, könnte ich, streichen.


dieses Höllenspektakel aus meiner Zeit im Krankenhaus endete mit: „Wir können Ihnen keine Hoffnung machen“. Dämlich blökten die Weißkittelfratzen an diesen Satz. „Wir können Ihnen keine Hoffnung machen.“.
Über den fett markierten Teil bin ich gestolpert, zudem ich die Wiederholung hier auch nicht sehr hilfreich finde. Vielleicht kannst du das irgendwie zusammenziehen?

Einfrieren war meine Überlebensstrategie. Damit bannte ich meine Gefühle. Wenn mein Bruder mich zusammenschlug und quälte, rettete mich die Vorstellung, alles in mir wäre Eis.
Dieser Einschub von dem Bruder war mir zu abrupt, da kommt einmal im ganzen Text eine andere Person zur Sprache, so mal herbeigezogen und dann schnell wieder weg, da fehlt mir der Bezug. Entweder ausweiten oder ganz streichen.


Schamlos demonstrierte es Wohlbefinden.
Das Männlein, es, weiter unten Äuglein ... nun ja, du wirst dir etwas dabei gedacht haben. Ich denke da sofort an Catweazle (Fernsehserie aus den 70-ern) und kann die Person dann gar nicht so recht ernst nehmen.

Meine Finger zitterten. Ich war nahe daran ihn zu erwürgen. Dieser Lebenslusteuphoriker. Die Fröhlichkeitsnudel! Dieser Ulkopa!
„Man spürt schon Italien. Riechen sie doch nur: Das ist der Gardasee. Forsythien und Mimosen. Das Paradies auf Erden.“
Das ist prima!


„Waren Sie schon einmal in Italien?“
„Nein!“
Er sog tief die Luft ein. „Das ist mein letzter Frühling.“
„Seien sie doch still!“
Meine Stimme verzerrte die Wörter. Ich war mit meinen fünfzig Jahren gerade dem Tod entronnen.
„Ich fürchte ihn nicht.“
Hier ist mir nicht ganz klar, wer spricht. Gerade das: Das ist mein letzter Frühling müsste ja vom Erzähler kommen, scheint aber, weil in der gleichen Zeile, vom alten Mann zu kommen.


Tränen rannen mir die Backen hinunter.
Vielleicht besser Wangen.


Er packte sein Butterbrotpapier fein säuberlich zusammengefaltet in den Rucksack.
Das würde ja von der Nostalgik passen mit dem wächsernen Butterbrotpapier - aber wenn er auf Reisen ist, hat er sich irgendwo im Schnellimbiss einen LKW geholt und die haben kein Butterbrotpapier drumrum. Ist zwar jetzt ein Fuzzeldetail, aber ich erwähne es trotzdem.

Angesichts des Oberschenkelknochens seiner Frau traten mir Schweißtropfen auf die Stirn.
Och, der arme Alte muss auch noch einer der schwersten Knochen rumtragen. Hätte es eine Rippe (aus Herznähe) nicht getan?

Ich zog nach Athen, besuchte meine Frau täglich und nach drei Jahren stand der Postbote vor der Tür und überbrachte mir das Päckchen.
Ist das recherchiert und tatsächlich so? Wäre ja eine Marktlücke für die armen Griechen, wenn sie eine Garantie auf Rückführung der Gebeine geben könnten.

Wilhelm, stellenweise hat mir diese Geschichte sehr gut gefallen, in der Dialogphase hauptsächlich. Da hätte sie auszugsweise sogar in Humor Platz.

Was mir fehlt, ist, ich sag das jetzt mal ganz sprichwörtlich: Die Moral der Geschichte. Wo bzw. was war dein Ziel vor Augen, als du die zwei Personen aufeinander kommen ließest?

Ich hätte erwartet, dass der Protagonist durch diese Begegnung eine andere Einstellung zu seinem wiedergefundenen Leben bekommt, oder irgendeinen (philosphischen) Gedanken mit rausnimmt oder seine Seele wieder aufblüht, so was in der Art.

Die Geschichte von dem Alten ist aber eine eigene und ich sehe keine Befruchtung durch das Zusammentreffen. Hmm, schwierig, dass zu beschreiben. Nun gut, du kannst auch sagen, es ist eine Alltagssituation, die haben sich auf der Bank getroffen, gehen beide wieder und gut ist.

So schätze ich dich aber als Autor nicht ein und ich könnte mir vorstellen, dass du deine Intention einfach noch nicht so richtig herausgearbeitet hast.

Mal sehen, was du mir dazu sagst.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo Bernadette,

Du hast Dir viel Mühe gegeben, Schwachstellen aufzudecken. Dank sei Dir dafür.

Der Einführungssatz ist nach Deinem Hinweis geändert. Er soll nicht nah am Erzähler sein, sondern als Rahmen die allgemeine Stimmung beschreiben, die sich auf das Wohlbefinden des Erzählers auswirkt.

Zitat: Erschöpft vom dreiviertelstündigen Marsch sank ich im Hofgarten auf eine Bank mit Blick auf den Pavillon und die Staatskanzlei

Also eine dreiviertel Stunde finde ich zu lange für einen Geschwächten. Das würde ich auf eine knappe halbe Stunde kürzen.

Das ist richtig; andererseits ist es auch verständlich, dass er sich in der ersten Euphorie überfordert. So erklärt sich auch die Erschöpfung.

Zitat: Hin und hergerissen zwischen Todesangst und Lebensgier ermatteten meine seelischen Kräfte.

Der Satz ist mir zu überladen und ich habe ein Problem, der Seele Kraft in diesem Zusammenhang zuzuschreiben. Du hast diesen Umstand ja in den zwei Sätzen davor schon beschrieben, das wäre ja nur eine Zusammenfassung. Also ich würde den, könnte ich, streichen.

Erledigt

Zitat: dieses Höllenspektakel aus meiner Zeit im Krankenhaus endete mit: „Wir können Ihnen keine Hoffnung machen“. Dämlich blökten die Weißkittelfratzen an diesen Satz. „Wir können Ihnen keine Hoffnung machen.“.

Über den fett markierten Teil bin ich gestolpert, zudem ich die Wiederholung hier auch nicht sehr hilfreich finde. Vielleicht kannst du das irgendwie zusammenziehen?


Mit Recht, das ist ein Rest einer früheren Fassung.

Zitat: Einfrieren war meine Überlebensstrategie. Damit bannte ich meine Gefühle. Wenn mein Bruder mich zusammenschlug und quälte, rettete mich die Vorstellung, alles in mir wäre Eis.

Dieser Einschub von dem Bruder war mir zu abrupt, da kommt einmal im ganzen Text eine andere Person zur Sprache, so mal herbeigezogen und dann schnell wieder weg, da fehlt mir der Bezug. Entweder ausweiten oder ganz streichen.


Ich brauche aber eine anschauliche Erklärung für das „freeze“ des Erzählers. Denn gerade in der Gegenüberstellung von Erzähler – alter Mann geht es um Bewegung und Verharren (Schreckstarre).

Zitat: Schamlos demonstrierte es Wohlbefinden.

Das Männlein, es, weiter unten Äuglein ... nun ja, du wirst dir etwas dabei gedacht haben. Ich denke da sofort an Catweazle (Fernsehserie aus den 70-ern) und kann die Person dann gar nicht so recht ernst nehmen.

Das war auch nicht gedacht; er soll eher dem vergnügten Schulmeisterlein Wutz ähneln.

Zitat: Meine Finger zitterten. Ich war nahe daran ihn zu erwürgen. Dieser Lebenslusteuphoriker. Die Fröhlichkeitsnudel! Dieser Ulkopa!
„Man spürt schon Italien. Riechen sie doch nur: Das ist der Gardasee. Forsythien und Mimosen. Das Paradies auf Erden.“

Das ist prima!

Danke!

Zitat: „Waren Sie schon einmal in Italien?“
„Nein!“
Er sog tief die Luft ein. „Das ist mein letzter Frühling.“
„Seien sie doch still!“
Meine Stimme verzerrte die Wörter. Ich war mit meinen fünfzig Jahren gerade dem Tod entronnen.
„Ich fürchte ihn nicht.“

Hier ist mir nicht ganz klar, wer spricht. Gerade das: Das ist mein letzter Frühling müsste ja vom Erzähler kommen, scheint aber, weil in der gleichen Zeile, vom alten Mann zu kommen.

Das kommt vom alten Mann. Obwohl er seinen Tod in nächster Zeit voraussieht, bei seinem Alter kein Wunder, genießt er das Leben. Der Erzähler ist ja geheilt und muss seine Lebensfreude erst wieder aufbauen.

Zitat: Tränen rannen mir die Backen hinunter.

Vielleicht besser Wangen.


Erledigt!

Zitat: Er packte sein Butterbrotpapier fein säuberlich zusammengefaltet in den Rucksack.

Das würde ja von der Nostalgik passen mit dem wächsernen Butterbrotpapier - aber wenn er auf Reisen ist, hat er sich irgendwo im Schnellimbiss einen LKW geholt und die haben kein Butterbrotpapier drumrum. Ist zwar jetzt ein Fuzzeldetail, aber ich erwähne es trotzdem.

Die Situation des Alten ist so, dass er Zwischenstation in seinem Haus in München und von dort aus einen Stadtrundgang macht. Deshalb die Nostalgie. Butterbrotpapier passt schön zu ihm.

Zitat: Angesichts des Oberschenkelknochens seiner Frau traten mir Schweißtropfen auf die Stirn.

Och, der arme Alte muss auch noch einer der schwersten Knochen rumtragen. Hätte es eine Rippe (aus Herznähe) nicht getan?

Das ist echte Liebe.

Zitat: Ich zog nach Athen, besuchte meine Frau täglich und nach drei Jahren stand der Postbote vor der Tür und überbrachte mir das Päckchen.

Ist das recherchiert und tatsächlich so? Wäre ja eine Marktlücke für die armen Griechen, wenn sie eine Garantie auf Rückführung der Gebeine geben könnten.

Damit löst man das Schuldenproblem sicher nicht. Diese Geschichte hat mir eine Freundin vor dreißig Jahren erzählt, als sie völlig schockiert ihren griechischen Schwiegervater, den sie nicht mochte, in Empfang nehmen musste, in einem Kasten. Für die Gegenwart habe ich das nicht verifizieren können.

Wilhelm, stellenweise hat mir diese Geschichte sehr gut gefallen, in der Dialogphase hauptsächlich. Da hätte sie auszugsweise sogar in Humor Platz.
Das freut mich sehr.

Was mir fehlt, ist, ich sag das jetzt mal ganz sprichwörtlich: Die Moral der Geschichte. Wo bzw. was war dein Ziel vor Augen, als du die zwei Personen aufeinander kommen ließest?

Ich hätte erwartet, dass der Protagonist durch diese Begegnung eine andere Einstellung zu seinem wiedergefundenen Leben bekommt, oder irgendeinen (philosphischen) Gedanken mit rausnimmt oder seine Seele wieder aufblüht, so was in der Art.

Die Geschichte von dem Alten ist aber eine eigene und ich sehe keine Befruchtung durch das Zusammentreffen. Hmm, schwierig, dass zu beschreiben. Nun gut, du kannst auch sagen, es ist eine Alltagssituation, die haben sich auf der Bank getroffen, gehen beide wieder und gut ist.

So schätze ich dich aber als Autor nicht ein und ich könnte mir vorstellen, dass du deine Intention einfach noch nicht so richtig herausgearbeitet hast.

Mal sehen, was du mir dazu sagst.


Ich habe mich, asketisch geschult, mit aller Macht zurückgehalten, eine Moral expressis verbis anzusteuern, in der Hoffnung, dass der Leser eine eigene, nicht meine angesteuerte, findet. Moral heißt binden, ich will öffnen.
Die Personen haben sich nicht zufällig getroffen, sondern sind eine Gegenüberstellung des von einer Krankheit traumatisierten Jungen gegen einen, der die Reste seiner Frau mit sich trägt und wegen des Alters dem Tode nahe ist. Zwei Extreme.
Was der Leser aus dieser Gegenüberstellung für Schlüsse zieht, mag er selber entscheiden. Dabei scheint es mir so deutlich zu sein, dass der Erzähler wie auch der Leser den letzten Satz als Moral oder Lebensrat nimmt. Genießen Sie den Tag: carpe Diem!
Das wünsche ich auch Dir und danke Dir für die Mühe und die vielen guten Hinweise, die Du Dir mit der Besprechung gegeben hast.

Herzliche Grüße
Wilhelm

 

Hallo Wilhelm,

es war eine leicht verdauliche Geschichte, fand ich, voller Melancholie und Witz.
Hat mich gut unterhalten. Hier prallen wirklich zwei Welten aufeinander. Ich musste wirklich durchgehend schmunzeln, vor allem weil ich das Verhalten des Prota auf so viele andere Menschen projizieren konnte. Menschen, die engstirnig durch die Städte irren, bloß in Ruhe gelassen werden wollen mit ihrer Kümmert-euch-um-euren-eigenen-Scheiß-Mentalität. Und dann kommt da so ein Kerl, der noch älter ist, dem Tod noch näher ... und der ist glücklich. Da ist es klar, dass der Prot eine Scheißwut bekommt.
Ich hatte beispielsweise mal einen Arbeitskollegen, der kam jeden Morgen um sechs in die Halle und strahle, ging zu jedem hin, lächelte ihn an und sagte: Guten Morgen", als hätte er im Lotto gewonnen. Den konnten auch nur die wenigsten leiden.

Ein paar Kleinigkeiten noch:

Sie weinen ja?
Ist wohl eher eine Feststellung, oder?

Dieser Lebenslusteuphoriker. Die Fröhlichkeitsnudel! Dieser Ulkopa!
Die gehören in den Duden! Prächtig :D

„Lass uns weitergehen, Karin, in die Asamkirche. Da haben wir nämlich geheiratet.
Da fehlt das Gänsefüßchen am Ende.

Gut, ich musste es kurz machen. Schauen wir mal, was die Münchner heute auf dem Feld treiben.
Tolle Gesichte, die neue Lebensfreude entfacht. Deshalb sag ich einfach mal danke.

Schöne Grüße und genieße den Rest des Wochenendes

Hacke

 

Hallo Hacke,

ja, mit dem Tod ist es so eine Sache: Einerseits graut einem davor, andererseits kompensiert man die Angst vor ihm durch "Lustigkeit" (siehe Mephisto, Boandlkramer).

Hier prallen wirklich zwei Welten aufeinander. Ich musste wirklich durchgehend schmunzeln,
Dies war meine Absicht, gerade auch die gegensätzlichen Verhaltensweisen in gegensätzlichen Situationen zu zeigen. Man hat immer die Wahl zwischen Möglichkeiten. Und Schmunzeln, das könnte beinahe die beste Möglichkeit sein.

Zitat: Sie weinen ja?

Ist wohl eher eine Feststellung, oder?

Eine fragende Feststellung. Vor dem Fragezeichen sollte der Ton gehoben werden, als würde er zugleich fragen: "Warum:"
Freut mich, dass Deine Lebensfreude gehoben wird. Das machte mir den Alten sympathisch: Das Leben zu genießen und die Lebensfreude sehr einfach (Leberkässemmel nicht Fünf-Gänge-Nemue) zu empfinden.
Vielen Dank für das kongeniale Lesen der Geschichte.
Herzliche Grüße
Wilhelm

 

Hallo Wilhelm,

Liebe, Leben, Tod.
Das ist schon alles, worüber sich zu schreiben lohnt und das tust du in deiner kurzen Geschichte mit beiläufigem Tiefgang.
Zwei, am Leben, aber den Tod in Sichtweite, haben zu eben diesem Leben grundverschiedene Einstellungen.

Einfrieren war meine Überlebensstrategie. Damit bannte ich meine Gefühle.
Da beschreibst du treffend, wie man existieren kann ohne wirklich zu leben.
Und der heilsame Gegenpol
Wieder ein Biss Leberkäs.
„Man muss das Leben genießen, solange man es noch hat.“
Genau, reinbeißen und genießen, wenn es irgend geht. Schlichte Lebenslustweisheit, die du da formulierst. Und wenn auch noch nicht klar ist, wann sie den Prot ansteckt, dass sie es tut scheint mir trotz drohendem Wutanfall oder Depression sicher, schon durch die Art und Weise, mit der er den alten Mann beschreibt.

Feine Sache, deine Geschichte.

Viele Grüße,

Eva

 

Hallo Eva,

beim Lesen Deiner vortrefflichen Zeilen fiel mir auf, dass Du schreibst

Und wenn auch noch nicht klar ist, wann sie den Prot ansteckt, dass sie es tut, scheint mir trotz drohendem Wutanfall oder Depression sicher, schon durch die Art und Weise, mit der er den alten Mann beschreibt.
Es ist ja der Erzähler, der schreibt. Das kann er nur, wenn er im Leben wieder Tritt gefasst hat und praktisch seine Erfahrung, wie er das geschafft hat, weiter geben möchte.
Vielleicht ist ja das Schreiben sein Leberkäs?

Vielen Dank für diesen Hinweis, den sich der Leser erschließen muss, denn es steht nirgendwo etwas über die Erzählsituation. Das würde wahrscheinlich die Geschichte sehr dehnen, wenn ich schreiben würde, dass er in Simone bei Eiskaffee sitzt und seinen Weg zurück ins Leben als Fernsehdoku aufnimmt
Deine Worte und Urteile über die Geschichte haben mich sehr ermutigt.
Herzliche Grüße
Wilhelm

 

„Der Säemann säet den Samen,
Die Erd empfängt ihn, und über ein kleines
Keimet die Blume herauf –“​

„An – als ihm die – starb“ heißt ein Gedicht von Matthias Claudius,

lieber Wilhelm,

an das ich bei Deiner kleinen Geschichte zwischen unendlicher Hoffnungslosigkeit und der unbeugsamen Hoffnung des Alters denken musste. Was mit dem allgemeinen Bild beginnt, könnte mitten in Deinem Text stehn

„Du liebtest sie. Was auch dies Leben / Sonst für Gewinn hat, war klein Dir geachtet, / Und sie entschlummerte Dir! // Was weinest Du neben dem Grabe / Und hebst die Hände zur Wolke des Todes / Und der Verwesung empor?"

Und was ist Leberkäs’ denn anderes als gekochtes/gebackenes und gewürztes Fleisch nebst Innerei vom toten Schwein nebst dem Symbol des Lebens zu Ostern: dem Ei!

Da relativiert sich alles im Zeitalter der Klone, dass der Knochen der verstorbenen Frau Symbol potenziellen Lebens wird.

„Wie Gras auf dem Felde sind Menschen / Dahin, wie Blätter! Nur wenige Tage / Gehen wir verkleidet einher!"

Einige flüchtige Schnitzer – ohne Kommentar

Zwar heißt es „aufhören“ und schreibt sich also, nicht aber als

Hör[…]auf, hör[…]auf!

„Was fehlt hnen? [“]

…, „können wir weiter gehen.“
Klingt eher fragend …

Wieder überwältigte mich die Verzweiflung der letzten Wochen. Tief steckte sie in meinem Körper …
Hier schnappt die numerische Falle zu:
… und wirbelten mein Bewusstsein in ein schwarzes Loch.
Die Verzweiflung („sie“) ist singulär, wirbelten aber Plural.

Hier hab ich ein Problem:

Das verführerische Leuchten Münchens sog hingegen meine Seele in die Vorfrühlingsluft.
Saugt der Icherzähler die Luft ein oder das Licht die Seele (Atem/Odem in der Poesie) oder liegt ganz einfach eine Verwechselung zwischen den klangähnlichen sog und zog (saugen/ziehen) vor?
Saugen hat von Anbeginn etwas mit der Nahrungsaufnahme (schlucken, trinken), ziehen hat eher mit Bewegungsabläufen zu tun (x zieht [dahin/über u. a.], x wird ge-/erzogen). Der Sog ist eine rücklaufende/-fließende Strömung, Zug und Zucht sind da eher vieldeutig.

Der weiter unten aufgeführte Satz

Er sog tief die Luft ein.
Widerspricht dem nicht.

… endete mit dem Spruch der Weißkittelfratzen: „Wir können Ihnen keine Hoffnung machen[.]“[…]
Abgesehen vom entlaufenden, abschließenden Punkt, fallen die Karikaturisierung vereinzelter Vorkommen im Gesundheitspersonal, aber auch allgemeinerer Art auf
… Lebenslusteuphoriker. Die Fröhlichkeitsnudel! Dieser Ulkopa!

Ach ja, Claudius schließt wieder mit einem allgemeinen Bild
*
„Der Adler besuchet die Erde,
Doch säumt nicht, schüttelt vom Flügel den Staub, und
Kehret zur Sonne zurück!"​

Gruß

Friedel

 

Lieber Friedel,

ein schönes Gedicht hast Du ausgesucht als Trost für mich, den Autor der kleinen Geschichte. Alles ist doch ein Palimpsest, das Licht solcher Texte stellt die vordere Schrift in den Schatten und verweist auf wieder andere. Kein Adler ist mir in den PC geflogen, nur eine komische Figur. Vielleicht ist die ja auch zeitgemäßer.
Besonderen Dank sage ich Dir für das tiefe Verständnis des Leberkäses, den Du so beschrieben hast, wie ich ihn schon als Kind ansah und nannte: Lebenskäse.
Bewundernswert ist Deine Akribie in Rechtschreibung, Sprachgeschichte und Grammatik. Vielen Dank für Deine Unterstützung bei dieser nervenden Tätigkeit des Korrigierens.
Was ist nicht erwähne, ist korrigiert.

Hörauf, hörauf
Ich unterscheide gerne zwischen Rechtsschreibung und Linksschreibung. Die Rechtschreibung ist die rationale Sprachbürokratie, meine als Linksschreibung bezeichnete Schreibweise zieht die linke, emotionale Seite grafisch mit ein.
Zu „Hörauf“: Der Ton ist so flehentlich, dass die beiden Wörter zusammengezogen werden.
Ich bin natürlich immer im Unrecht, wenn Leser dies nicht nachvollziehen. Finde aber doch, dass die Rechtsschreibung die Möglichkeiten der Sprache zu sehr einschränkt.

Zitat: Das verführerische Leuchten Münchens sog hingegen meine Seele in die Vorfrühlingsluft.

Saugt der Icherzähler die Luft ein oder das Licht die Seele (Atem/Odem in der Poesie) oder liegt ganz einfach eine Verwechselung zwischen den klangähnlichen sog und zog (saugen/ziehen) vor?
Saugen hat von Anbeginn etwas mit der Nahrungsaufnahme (schlucken, trinken), ziehen hat eher mit Bewegungsabläufen zu tun (x zieht [dahin/über u. a.], x wird ge-/erzogen). Der Sog ist eine rücklaufende/-fließende Strömung, Zug und Zucht sind da eher vieldeutig.

Was ich unter dem Leuchten Münchens (auch hier schimmert das Schwert Gottes, das TM schwingt, palimpsestisch durch) verstehe, ist von jenen Luftwirbeln verursacht, die als Föhn sensible Menschen verwirren. Insofern schien mir das Saugen oder Ansaugen der Seele durch föhnische Wirbel passabel. Aber, wie gesagt, wenn es nicht ankommt, ist der Autor schuld, schuldig zu ungenauer Ausdrucksweise.
Jedenfalls vielen Dank für die Hinweise.
Leider gilt jetzt der Schlusssatz des Gedichtes von Claudius nicht für mich.
Ich kehre jetzt zum Mond zurück.
Herzliche Grüße
Wilhelm

 

Ja,

lieber Wilhelm,

es ist wohl die eigentliche Kunst, nicht allzu süchtig nach Originalität zu streben, sondern Altbekanntes in neuer Form zu präsentieren, so zum einen Erinnerung ans Alte wach zu halten und doch zu aktualisieren, schließlich sind wir immer noch die alten Troglodyten - wenn auch auf technisch hohem Niveau. Den Ausdruck

Lebenskäse
werd ich mir merken, genieß ich doch auch Blutwurscht und Panhas.

Übrigens: Nix zu danken für die Fehlersuche und dass Du "hörauf" belassen willst geht in Ordnung, neige ich doch selbst zu Regelverstößen - und das mit größtem Vergnügen und hier im Ruhrgebiet werden eh ganze Sätze wie ein Wort behandelt (ich such mal da das "schönste" deutsche Wort aus) - und da ist niemand im Unrecht (mag auch Karl Kraus mal von einer Sprachprozessordnung gesprochen haben), was gleichermaßen für den Fö(h)n gilt ... Letztlich sollten wir alle denkende und nicht mechanisch handelnde Wesen sein, meint der

Friedel

 

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