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Lebenshauch

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15.05.2002
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Lebenshauch

Der Garten war alt. Seine Bäume hatten schon viele Jahreswechsel in ihren dicken Stämmen verewigt und nahmen senil und verkorkt kaum noch etwas von der Welt um sie herum wahr. Still lag die Luft über diesem kleinen, vergessenen Ort der Erde, denn eine hohe Mauer aus glatten runden Steinen umrundete ihn vollständig. Der Zahn der Zeit hatte am Mörtel zwischen diesen genagt und an einer Stelle sogar einige der menschkopfgroßen Brocken herausgelöst. Ein kleines enges Loch hatte sich so in dem ansonsten unüberwindlich scheinenden Wall gebildet, der weiter nur noch von einem mit braunem Rost überzogenen und mit seltsamen phantastischen Figuren verzierten Gittertor unterbrochen wurde. Laute Geräusche kannte man in dieser Welt des Schweigens nicht. Das Rascheln einer Maus in trockenem Laub oder das Zwitschern einer einsamen Amsel. Vielleicht ein verhaltenes Knirschen morschen Holzes. Trotz allem aber war die einnehmende Ruhe das bestimmende Element dieses Platzes.

Sanft strich ein plötzlicher Lufthauch über verwitterte Lettern. Efeu rankte sich über den Grabstein, welcher seinen Platz unter einer knorrigen Pappel einnahm. Nur noch der erste Teil der darauf gravierten Inschrift war zu erkennen: - Ruhe in Gottes Armen, liebster... -, „... Daniel.“, vollendete eine flüsternde Stimme den Satz. Eine schimmernde, kaum sichtbare menschliche Gestalt stand neben dieser mit Unkraut bewachsenen letzten Ruhestätte. Die Frau, um welche es sich hierbei handelte, hatte die Hände auf dem Bauch gefaltet und war in Gedanken versunken. Ihr Spiegelbild zeichnete sich auf der Pupille eines struppigen Eichhörnchens ab, das, auf einem nahen Ast kauernd, alles genau beobachtete. Seine Barthärchen bewegten sich dabei erregt auf und nieder.
Laura hatte den Moment ihres Dahinscheidens fast schon vergessen geglaubt. Ein strahlendes Licht und dann das Erwachen in einer neuen Form von Existenz. Sie war allein gestorben. Weiß und starr hatte ihr toter Körper im Bett gelegen und sie konnte nur auf ihr eigenes unbelebtes Antlitz herabblicken. Anfangs wähnte sie sich in einem Traum. Ihre Hand wollte damals über eine bleiche Wange streifen, fuhr dann aber nur widerstandslos hindurch. Alles war still geworden und sie schritt einfach davon, ein von schmerzvollen Erinnerungen erfülltes Leben zurücklassend. Ins Vergessen forttreibend.
Nun war sie hier. An seinem Grab. Ein längerer Moment der Erkenntnis inmitten einer glatten See aus grauem Nichtsein, der nicht von Dauer sein sollte. „Denn nur unsere Liebe war und ist es.“ Die Stimme umfing Lara wie eine alte Geliebte und strich über ihren zarten durchscheinenden Körper. Er war es gewesen, der sie der Leere entrissen hatte. Für einen Augenblick. Um wieder sie selbst zu sein.
Ein Brise wirbelte ihre langen silberfarbenen Haare durcheinander und bauschte das ätherisch-weiße Kleid auf, welches an ihrem Körper herabfloss. - Schaudern. - Eine Hand verflocht sich mit der ihrigen und ließ sie in sein Antlitz mit den darin funkelnden traurig-schönen Ebenholzaugen blicken. Worte waren nicht mehr von Belang. Selbst ihrer beider wache Existenz auf dieser Welt schien unwichtig und entschwand langsam, aber unwiederbringlich. Laura und Daniel flogen aufeinander zu und versanken in einer tiefen Umarmung. Ein süßer Kuss verschmolz die Lippen der beiden Liebenden, wie auch zwei Hälften einer Seele endlich wieder eins wurden. Das Glück schien unendlich und ein Leuchten, der Atem Gottes, trug das unauslöschbar Ewigliche hinfort.

Irgendwo, auf einem wohlbekannten Ast, umfasste das Eichhörnchen die Nuss, welche es die ganze Zeit zwischen seinen kleinen Pfoten gehalten hatte, noch etwas fester und schlug nun seine Schneidezähne voll frisch erwachten Heißhungers in die feste Schale, danach bestrebt, an das köstliche Innere zu gelangen. Es sollte schließlich noch besser schmecken als erwartet.

 

Interessanter surrealer Einstieg mit Bäumen, die kaum noch etwas wahrnehmen.

Seine Bäume hatten schon viele Jahreswechsel in ihren dicken Stämmen verewigt
Gefällt mir gut. Macht den ersten Satz außerdem überflüssig.

Der Zahn der Zeit hatte am Mörtel zwischen diesen genagt
Das "zwischen diesen" ist obsolet.

der weiter nur noch von einem mit braunem Rost überzogenen und mit seltsamen phantastischen Figuren ziselierten Gittertor unterbrochen wurde
weiter -> ansonsten
Schwer zu lesender Satz!
Ziselieren ist eine Handwerkskunst, die ich mir in Figurenform auf einem Gittertor kaum vorstellen kann. Nein, eigentlich gar nicht.

Laute Geräusche kannte man in dieser Welt des Schweigens nicht
Was hat das jetzt mit dem Mörtel oder den Figuren zu tun? Wenn nichts, beantrage ich einen Absatz.

Das Rascheln einer Maus in trockenem Laub oder das Zwitschern einer einsamen Amsel.
Da fehlt mir aufgrund des Sinnzusammenhangs ein Wort zum Satzanfang. "Nur" oder "höchstens".
Ansonsten schöne Alliterationen. Hat schon fast lyrische Züge.

Trotz allem aber war die einnehmende Ruhe das bestimmende Element dieses Platzes.
Der Satz nervt mich. Genug, will ich rufen, wir wissen´s jetzt.

Lufthauch über verwitterte Lettern
Wieder eine schöne Alliteration.

imprägnierten Inschrift
Imprägniert? Auf dem Grabstein? Ich glaube, das ist das falsche Wort. Imprägnieren ist das Behandeln einer Oberfläche mit Substanzen (um sie z.B. widerstandsfähiger zu machen).

Eine schimmernde, kaum sichtbare menschliche Gestalt stand neben dieser mit Unkraut bewachsenen letzten Ruhestätte. Die Frau, um welche es sich hierbei handelte
Schreib doch statt "menschliche Gestalt" "Frauengestalt", dann kann das umständliche "um welche es sich hierbei handelte" weg.

Ihr Spiegelbild zeichnete sich auf der Pupille eines struppigen Eichhörnchens ab, das, auf einem nahen Ast kauernd, alles genau beobachtete. Seine Barthärchen bewegten sich dabei erregt auf und ab.
Sehr schönes Bild. Nur die zwei "ab"s stören.

Ein längerer Moment der Erkenntnis inmitten einer glatten See aus grauem Nichtsein
Gut!

Trotz der vielen Anmerkungen finde ich die Geschichte insgesamt sehr gut geschrieben, was den dünnen Inhalt mehr als wettmacht. Sehr romantisch, sehr poetisch. Ausdrucksstarke Bildsprache. Regt sogar ein wenig zum Nachdenken an.
Und auch das Eichhörnchen am Ende finde ich höchst gelungen.

r

 

Hallo Marcus,

Eine sehr interessante Geschichte mit einem tollem Einstieg. Der Erzählstil ist sehr gut gewählt und hält die Spannung bis zum Schluss aufrecht. :)

Mein Persönliches Fazit:
7 von 10 Rauchwolken

Regards,

Ryu - ki
(Koro no Ryu)

 

Hi!
Zu nörgeln gibt es hier eigentlich kaum etwas, um nicht zu sagen: gar nichts. Ich frage mich allerdings, wieso diese Geschichte in der Fantasy-Kategorie eingeordnet ist? Gehört sie nicht zu den Philosophie-Geschichten? Ansonsten flüssig geschrieben und sehr gute Wortwahl.
Bis später,
Caro

 

Wieso würdest du eine Geistergeschichte unter Philosophie einordnen?
Unter Horror würde sie noch eher passen, aber da sie unblutig und eher romantisch ist (genau, da paßte sich auch noch rein), ist sie hier goldrichtig.

r

 

Das beantwortet meine Frage aber nicht.
Manche Leute sollen sich ja was dabei denken, wenn sie sich äußern ;)

r

 

Ähm... Wenn man so darüber nachdenkt, hast du Recht. Ich ziehe den Kommi zurück! ;)
Trotzdem hörte sich die Einleitung sehr philosophierend an, oder nicht?

 

Hallo meine lieben,

Ich habe noch einmal einen Blick riskiert und ich finde die Geschichte empfehlens- und lesensewert.

@ Kitana: Was meinst du? Ist sie unter Umständen ein Fall für den Empfehlungsthread? :)

Regards,

Ryu - ki
(Koro no Ryu)

 

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