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Lebenshaltestellen
Ich führe ein aktives Leben. Dennoch plagt mich seit früher Jugend ein Gefühl, mein Leben und meine Möglichkeiten nicht ausreichend auszuschöpfen. Ich spreche jetzt nicht von Karriere oder Beziehungen. Doch in gewisser Weise auch davon. Aber was ich primär meine, ist ein Gefühl, mehr mit sich und dem Körper anzufangen, nicht so viele unbefriedigende Leerlaufzeiten zu haben. Früher, als ich noch zur Schule ging, hasste ich das Warten an den Bushaltestellen und es wuchs die Angst in mir, dass ich noch als Erwachsener an Bushaltestellen stehe und warte und nur damit beschäftigt bin, keine Anfälle zu bekommen. Denn Erwachsene leben genauso, dachte ich damals und denke ich immer noch, egal wo man hingeht, sie leben immer so als warten sie gerade auf den Bus. Darin liegt kein Genuss, kein Gewinn für die Zukunft, im Gegenteil man akzeptiert und lernt zu warten, man stumpft ab. Auf den Bus warten ist wie sterben, nicht so ganz, das geschieht erst, wenn man tatsächlich begraben wird, aber man eignet sich Verhalten an, das nur dazu dient, sich ruhig zu stellen, sich sterbend zu stellen. Damals begann es auch, dass ich anfing Jungens zu beneiden. Nicht alle, vielmehr die, die ich im Grunde verachtete, ja es klingt komisch, aber ich verachtete die Burschen, die kein Benehmen haben, sich in keiner Weise um ihre Schulleistungen kümmerten. Aber ich beneidete, wie sie sich an der Bushaltestelle amüsierten, sie hatten einen Ball dabei oder prügelten sich oder gingen einfach unverschämt mit den umherstehenden Mädchen um. Ich wollte nicht so werden wie einer von ihnen, aber ich dachte, wenn ich Junge wäre, dann würde ich in der Schule gut sein und würde da alles mitnehmen und Zeit nutzen und gleichzeitig würde ich die Zeit an der Bushaltestelle nutzen, mit Dingen die Jungen nun mal Spass machen, Wasserbomben schmeißen usw.
Und dann irgendwann fragte ich mich, inwiefern sind Jungen denn anders? Was macht sie anders und es dauerte nicht lange und ich kam zu der Kernfrage, die mich bis heute nicht loslässt: Wie bin ich denn eigentlich? Diese Frage und das Gefühl in meinem Leben, dass ich meiste Zeit am Tage im Grunde nichts anderes mache, wie damals, als ich auf den Bus wartete macht mich unzufrieden, es macht mich unglücklich und lähmt mich und ist der Grund dafür, dass ich manchmal gar nichts mehr tun mag, weil ich denke, letztlich ist es nichts anderes als auf den Bus zu warten.
Ich will mehr Leben, zumindest wissen ob da mehr Leben möglich ist. Könnte ich wenigstens ausschließen, dass es da keine Alternativen gibt, dass ein Großteil des Lebens nun mal für alle immer so ist wie das Warten auf den Bus, dann könnte ich es akzeptieren und damit umgehen. Aber das ist es ja nicht, manche leben an den Bushaltestellen des Lebens regelrecht auf; und das will ich auch, überall aufleben!