Lebensgeflüster
Oft scheue ich mich davor am Abend in mein Bett zu steigen. Zu groß ist die Angst davor, mich nicht gegen diese grausamen Gedanken wehren zu können, die mich immer dann befallen, wenn ich im Schutze der Dunkelheit zur Ruhe komme. Es sind Gedanken, die sich voller Wonne und doch mit erdrückender Stärke in mein Inneres bohren, Gedanken, die stets wie dichter Nebel an einem lauen Frühlingsmorgen um mich herum lungern, auf den Augenblick wartend, an dem ich ihnen nur schwer entgehen kann, an dem ich vor ihrem leisen Flüstern nicht mehr meine Ohren verschließen kann.
Wie schrecklich die Vorstellung dieser Gedanken. Unbeeindruckt führen sie mir ein Trauerspiel vor, und immer entdecke ich mich in dessen Hauptrolle wieder, leidend, an mir selbst erstickend, hilflos. Den Tod könnte ich nicht verkraften, eher meinen eigenen als jenen meiner Liebsten. Wie oft versperrt mir mein eigenes Leben doch die feste Gewissheit, dass ich ohne sie nicht leben könnte, dass die Rebe meines Daseins ohne sie niemals gereift wäre, ohne meine Eltern, ohne meine geliebten Freunde. Wie sehr lebe ich allzu oft in der Überzeugung, dass ich stark genug sei, um allein die Welt zu bewältigen. Wie kläglich vergesse ich die Kraft, die ich erst durch Andere erkenne, definiere, aufnehme und in meinem kleinen Kosmos zum Ausdruck bringen kann. Es ist wohl das Schicksal des Menschen, sich erst in Gedanken an den Tod dieser Bedeutung seiner Mitmenschen bewusst zu werden, ihre Liebe dann zu schätzen, wenn man bei dem Versuch ohne sie zu leben jämmerlich scheitert. Es mag paradox sein, doch wenn ich des Abends diesen Augenblick des Gedankens erhasche, merke ich erst, dass ich lebe. Zwischen Realität und Trauer liegt das Leben. Warm umhüllen mich die leisen Worte, von höherer Gestalt, denen ich mein ganzes Wesen preisgebe. Sie dringen in mich hinein, wohlwollend – ich liebe sie. Ich liebe mich. Ich liebe meine Liebsten. Sanft wiegt mich meine eigene Liebe in den Schlaf, in der Hoffnung, dass mich die Gedanken auch im Leben und nicht nur in Todesreflexionen begleiten mögen. Doch am Morgen wache ich auf, lieblos, kalt. So viel zu geben. Und ich sehne mich den ganzen Tagen mit jeder Pore meines Wesens nach dem Augenblick des Glücks. Ich möchte leben. Lieben. Liebe schenken.
Mich scheut es oft davor, am Abend in mein Bett zu steigen.