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Lebensaufgabe

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18.09.2011
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Lebensaufgabe

Lebensaufgabe

Das Schicksal hatte es gut mit ihm gemeint. Ohne große Mühe hatte er die letzten Prüfungen hinter sich gebracht und er war fest entschlossen, mit seiner Arbeit, die er während seines Studiums zu lieben begonnen hatte, sofort zu beginnen, ja, er brannte darauf, der Welt zu zeigen, was an Talent in ihm steckte. Auf der Suche nach einem geeigneten Raum für die Errichtung seines Ateliers war er auf ein Haus gestoßen, dessen Räume im obersten Stockwerk ihm auf Anhieb gefallen hatten. Das Haus lag in einer nicht allzu verkehrsreichen Straße, ohne deswegen abgelegen zu sein. Auf der Rückseite des Hauses gab es zwei große Fenster, die den Blick auf einen schönen, gepflegten Garten freigaben, an dessen Anblick er sich immer wieder erfreuen konnte, wenn er sich in kurzen Pausen einen Blick darauf erlaubte.
Neben den unentbehrlichen Utensilien, die sein Beruf erforderte, mit denen er sein Atelier eingerichtet hatte, enthielt es nur die allernötigsten Dinge und er verzichtete auf jeden Luxus, weil er meinte, er könnte ihn nur von seiner Aufgabe abhalten, glaubte er doch, nur seine Arbeit könnte seinem Leben Sinn geben.
Schon bald nach Bekanntgabe der Eröffnung seines Büros erhielt er eine Aufgabe, die ihm Prestige und reichen Ertrag versprach. An der Peripherie der Stadt sollte ein neues Viertel mit allen nötigen Bauten wie Straßen, Einkaufszentren, Kirchen und Freizeiteinrichtungen entstehen. Mit Feuereifer stürzte er sich in seine Aufgabe, denn in seinem Kopf war sein Projekt schon fix und fertig.
Er befestigte ein Blatt auf seinem Arbeitstisch und brachte mit sicheren Strichen seine Gedanken, in Form eines Panoramas zu Papier. Straßen entstanden, Wohnhäuser, Plätze, Kindergarten. Bald war das ganze Siedlungsgebiet auf das Papier gebannt. Da und dort hatte er Grünflächen und Parks vorgesehen und der Plan seiner Satellitenstadt begann für ihn Leben anzunehmen. Er freute sich über das Geleistete, fühlte sich auf dem Zenit seiner Schaffenskraft und richtete seinen Blick auf die Uhr, die sich an der Stirnwand seines Ateliers befand. Es war halb zwölf und er war erstaunt, daß es schon so spät war. Die Frühjahrssonne stand im Süden und sandte ihre Strahlen auf den Garten hinter dem Haus. Tulpen, Narzissen, Krokusse und Traubenhyazinthen hatten ihre volle Pracht entfaltet, der Apfel- und der Birnbaum die ersten Knospen angesetzt und der Kirschbaum war über und über mit weißen Blüten übersät.
Nach einer kurzen Pause setzte er tatkräftig seine Arbeit fort. Es galt nun, seine Gedanken, die er bisher nur als Schaubild aufs Papier gebannt hatte, in einen genauen Grundriß der Straßen und Plätze zu verwandeln. War bisher vor allem Phantasie gefragt, erforderte diese Beschäftigung jetzt große Gewissenhaftigkeit. Vorschriften und Normen mußten eingehalten werden, unterirdische Einbauten bedacht werden und manches Mal mußte er auch von seinen bisherigen Vorstellungen Abstand nehmen. Es erforderte viel Disziplin und Genauigkeit, diese Aufgabe zu Ende zu bringen, die zur Herausforderung seines Lebens geworden war. Brannte bisher das Feuer jugendlicher Begeisterung in ihm, so spürte er jetzt immer mehr die Verantwortung, die auf ihm lastete.
Während einer Unterbrechung richtete er einen Blick in den Spiegel, der sich in der Garderobe befand. Er entdeckte ein paar graue Haare, die ihm bisher gar nicht aufgefallen waren und zudem schmerzte ihn sein Rücken. Hatte er immer schon diese Falte unter den Augen? Die Uhr zeigte immer noch halb zwölf und die Sonne stand immer noch im Süden. Sie mußte stehen geblieben sein. Oder hatte er den ganzen Tag und die Nacht durchgearbeitet? Er wußte es nicht. Im Garten waren die Frühlingsblumen verblüht. Lupinen, Dahlien und Margeriten gaben dem Garten ein sommerliches Aussehen. Rosen erstrahlten in allen Farbschattierungen, der Kirschbaum versprach reiche Ernte, und die anderen Obstbäume hatten ein reiches Blätterkleid angelegt und wenn man genau hinsah, erkannte man die Ansätze der Früchte.
Jetzt plazierte er in seine Straßen und Plätze die Häuser, rückte sie da etwas nach hinten und plante dort einen Vorsprung, setzte das Theater an einen repräsentativen Platz, fügte Kaufhäuser an den Plätzen ein, die einen regen Verkehr erwarten ließen, fand einen Platz für den Kindergarten in der Nähe eines Parks und machte sich Gedanken über dessen Bepflanzung. Die Arbeit begann ihn zu ermüden und die Augen brannten ihm. Er appellierte an seine Selbstdisziplin, aber es nützte nichts, er mußte eine Pause einlegen. Als er an das Fenster trat, das in den Garten ging, merkte er, daß die Bäume ihre Blätter abzuwerfen begannen. Er bemerkte, dass ihn die Beschäftigung mit diesem Projekt, ihn in einen Zustand versetzt hatte, in dem er keine Veränderungen wahrnahm, die nicht seine Arbeit betrafen. Auf seinem Tisch stand eine halbvolle Schale Kaffee und einen Teller mit Speiseresten umschwirrte ein Schwarm Fliegen. Er hatte jeden Zeitsinn verloren, vergaß auf Mahlzeiten und merkte nicht einmal, wenn ihn der Schlaf übermannte. Die Uhr an der Stirnwand seines Ateliers zeigte immer noch halb zwölf, aber die Sonne stand jetzt schon tief im Westen. Er glaubte erst Stunden gearbeitet zu haben, dabei mußten es Tage gewesen sein und er mußte immer wieder dazwischen eingeschlafen sein. Für ihn waren nur wenige Stunden vergangen und er dachte, er hätte eben erst mit seiner Arbeit begonnen, sosehr hatte er sich in diese Aufgabe vertieft aber außerhalb seines Büros war die Zeit nicht stehen geblieben. Nur mehr wenige Rosenblüten waren an den kahlen Stengeln zu sehen, aber auch Astern und Herbstanemonen konnten die herbstliche Tristesse, die das Aussehen prägte, nicht aufheitern.
Nur mit Mühe, ja, etwas Widerwillen setzte er seine Beschäftigung fort. Nachdem er den Grundriß seines Ortsteiles fertig gestellt hatte, widmete er sich einigen Detailplänen für ortsprägende Gebäude. Er plante Fassaden für Kaufhäuser und sah für das Freizeitzentrum Kinos, Cafés und Restaurants vor. Besondere Liebe investierte er für die Planung des Theaters, stellte er sich doch vor, später einmal selbst dort häufiger Besucher zu sein. Dann erst lehnte er sich zurück. Voll Genugtuung betrachtete er die vielen Bögen mit seinen Skizzen und Plänen. Er hatte gute Arbeit geleistet, und die Mühe hatte sich gelohnt.
Als er aus dem Fenster blickte, bemerkte er, daß es zu schneien begonnen hatte. Schon bedeckte eine dünne Schneedecke den Rasen und die Äste der Bäume trugen kleine weiße Hauben. War denn wirklich so viel Zeit verstrichen? Ermüdet sank er nun in einen Polsterstuhl, der im Atelier stand. Er war grau geworden, tiefe Falten durchzogen sein Gesicht und seine Hände hatten zu zittern begonnen. Wie lange brütete er nun schon über diesem Projekt? Er wußte nicht mehr, ob er je sein Büro verlassen hatte, seit er damit angefangen hatte, sosehr hatte er alles um sich vergessen. Erst jetzt bemerkte er, daß sein ganzes Leben der Arbeit gewidmet gewesen war und er darüber vergessen hatte, zu leben. Das Projekt war zu seiner Lebensaufgabe geworden, für die er sein Leben aufgegeben hatte. Die Jahreszeiten waren an ihm vorbeigezogen und damit auch sein Leben, denn für ihn war die Zeit in diesen vier Wänden stehen geblieben. Draußen war es Nacht geworden und auf der Uhr in seinem Atelier, die vor langer Zeit stehen geblieben war, war es immer noch halb zwölf. Er hatte seine Arbeit vollendet und hier nichts mehr zu tun. Er mußte nach Hause gehen, wo ihn nichts und niemand erwartete.

 

Hallo Peter,

ein feines Stück Text mit Handlung und Intention, hat mir gefallen. Dass Lebensaufgabe als Titel sowohl auf "Aufgabe seines Lebens" als auch auf "das Leben aufgeben" deutet, war mir schon klar, insofern hatte ich eine Ahnung, wohin mich der Text führt.

Vor allem gefällt mir, wie du geschickt den Verlauf der Jahreszeiten, aber parallel dazu im größeren Maßstab den Verlauf der Alterung einflechtest, und dabei die anscheinend stehen gebliebene Uhr in der Szene hältst. Das gibt dem Text eine zeitliche Plastizität, die mich fasziniert.

Ein paar Details:

Lebensaufgabe
  • Der Titel braucht nicht noch mal im Textfeld wiederholt werden.

Auf der Rückseite des Hauses gab es zwei große Fenster, die den Blick auf einen schönen, gepflegten Garten freigaben, an dessen Anblick er sich immer wieder erfreuen konnte, wenn er in kurzen Pausen einen Blick darauf riskierte
  • "riskieren" ist hier falsche Wortwahl, er geht ja kein Risiko ein, wenn er in den Garten schaut. >> wenn er sich hin und wieder kurze Pausen erlaubte.
  • Außerdem fehlt da ein Satzpunkt zum Schluss.

Schon bald nach Bekanntgabe der Eröffnung seines Büros erhielt er eine Aufgabe die ihm Prestige und reichen Ertrag versprach.
  • Komma >> eine Aufgabe, die ihm

Es galt nun seine Gedanken, die er bisher nur als Schaubild aufs Papier gebannt hatte, in einen genauen Grundriß der Straßen und Plätze zu verwandeln.
  • Komma >> Es galt nun, seine Gedanken, ...

Er entdeckte ein paar graue Haare, die ihm bisher gar nicht aufgefallen waren und sein Rücken schmerzte.
  • die simple Konjunktion "und" ist nicht immer dazu geeignet, zwei verschiedene Sachverhalte zu verbinden, die nicht in einem direkten Zusammenhang stehen. Daher würde ich hier schreiben >> aufgefallen waren. Zudem schmerzte sein Rücken.

Als er an das Fenster, das in den Garten ging trat, merkte er, daß die Bäume ihre Blätter abzuwerfen begannen.
  • eigentlich müsste auch ein Komma vor "trat,", aber diese Satzspaltungen sind meist Kennzeichen schlechten Stils. Besser >> Als er an das Fenster trat, das in den Garten ging, merkte er, daß ...

Die Beschäftigung mit diesem Projekt hatte ihn in einen Zustand versetzt, in dem er keine Veränderungen wahrnahm, die nicht seine Arbeit betrafen.
  • Hier wechselst du meiner Meinung nach unnötigerweise die Erzählperspektive von personal zu auktorial. Hier fehlt wenigstens ein einleitender Einschub, der eine bilanzierende Geisteshaltung signalisiert >> Die Beschäftigung mit diesem Projekt, so besann er sich, hatte ihn in ...

Nur mehr wenige Rosenblüten waren an den kahlen Stengeln zu sehen aber auch Astern und Herbstanemonen konnten die herbstliche Tristesse, die das Aussehen prägte nicht aufheitern.
  • Komma vor aber
  • Komma nach "prägte"

Er mußte nach Hause gehen, wo ihn nichts und niemand erwarteten.
  • "nichts und niemand" suggerieren durch das "und" zwar die Mehrzahl, aber das ist nicht so. Die leere Menge ist Singular im Deutschen (vgl. *Keine Geschäft haben geöffnet. --> kein Geschäft hat geöffnet; es gibt bestimmt Ausnahmen, gerade fallen mir keine ein :D ;) ), und außerdem: 0 + 0 = 0 >> wo ihn nichts und niemand erwartete.

Jedoch spiegelt die Geschichte in einem Aspekt nicht die Realität wider: Kein - in diesem Fall sehr wohl öffentlich-rechtlicher - Auftraggeber wird ein solches Projekt an eine Ein-Mann-Firma vergeben. Das würde viel zu lange dauern und ganz gewiss nicht nur ein Jahr, sondern hunderte. An Projekten dieser Größenordnung arbeiten ganze Dutzendschaften von Architekten.
Dies soll der Geschichte aber keinen Abbruch tun. Für mich wirkt sie trotzdem authentisch.

Danke fürs Lesendürfen und herzlich willkommen auf kurzgeschichten.de :).


Viele Grüße,
-- floritiv.

 
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Hallo Somma Peter,

auch von mir ein willkommen bei kg.de!

Ich fand die Geschichte flüssig geschrieben und gut zu lesen. Was mir nicht gefiel - aber hallo, das ist nur meine Meinung - mir war das zuviel moralisch erhobener Zeigefinger, so nach dem Motto: Junge, verschwende nicht dein Leben mit Arbeit, lebe jetzt.

Gruß

Leia4e

 

Hallo Peter,

inhaltlich - da kann ich mich meinen beiden Vorrednern anschließen - gefällt mir die Geschichte gut.

Was mich beim Lesen jedoch gestört hat, war, dass du immer wieder Schachtelsätze eingebaut hast, die einfach kein Ende nehmen, weil sie immer weitergehen, hier noch ein Detail und da noch eine Phrase...

Du weißt sicher, was ich meine.

Wenn du ein paar Absätze mehr einfügen könntest, wäre die Geschichte auch vom Optischen her ansprechender.

Gern gelesen, weiter so.

Grüße,

penny

 

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