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- 30.08.2003
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Leben
Schon seit Wochen schallte dieses Wort in meinen Ohren. Tag für Tag, Nacht für Nacht, Stunde um Stunde, Minute um Minute. Immer nur dieses eine Wort, immer nur dieser eine Klang. AIDS, einfach nur AIDS. Vererbt. Wieviel Zeit hatte ich noch? Ein paar Tage? Ein paar Wochen? Ein paar Monate? Ein paar Jahre?
Ich hatte doch noch soviel vor! Ich wollte doch Spaß haben! Ich wollte doch Leben! Doch ich zog mich immer mehr zurück. Der Kummer um mein voraussichtlich frühes Lebensende frass mich auf. Ich traf meine Freunde nicht mehr, in die Schule ging ich erst recht nicht. Ich wollte niemanden sehen. Und jeden Morgen fragte ich mich aufs Neue. Warum ausgerechnet ich? Was hatte ich getan? Ist dies mein letzter Tag? Wie war der Tod? Würde es lange dauern? Würde es weh tun? Immer von vorn. Immer aufs Neue. Ich hatte Angst. Angst vor den Antworten. Oft wollte ich es hinter mir haben. Oft wollte ich einfach nur Leben. Leben. Die frische Frühlingsluft einatmen. Die warme Sommerluft spüren. Im Herbst die Färbung der Blätter beobachten. Im Winter eine Schneeballschlacht machen. Ich wollte auf dem Rummel beim Losen den Hauptpreis gewinnen. Ich wollte die schönsten Orte der Welt sehen und in den teuersten Läden shoppen gehen. Ich wollte mit Freunden die Nächte durchfeiern. Ich hatte so viele Wünsche. Ich hatte soviele Träume. Aber ich hatte keine Zeit um diese zu erfüllen.
Oft ging es mir schlecht. Sehr schlecht. Vielleicht schon zu schlecht. Aber sollte denn jetzt schon alles vorbei sein? Sollte mein Leben so zeitig enden? Niemand wusste die Antwort. Auch ich nicht. Aber ich spürte sie. Oder täuschten sich meine Gefühle? Täuschten sich meine Gefühle, dass ich bald auf alle meine Fragen Antwort finden würde?