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Leben in Schönheit
I.
„Che, aufwachen, Uspallata.“ Der Busfahrer berührte Mich an der Schulter.
"Lass Mich in Ruhe", dachte Ich, wachte aber trotzdem auf.
"Uspallata, ja, hier muss Ich raus." Mein Traum war fort. Und der ist diesmal so gut gewesen. Die Töne zappelten zwar noch in Meinem Kopf, aber Ich konnte sie nicht mehr greifen. Dabei hätte es so ein starker Track werden können. Endlich mal ein starker Track. Aber nun war er unwiederbringlich verschwunden. In meiner Welt spielte wieder das Radio. Also öffnete Ich die Augen. Ich werde übrigens groß geschrieben.
Das Hostel war klein. Ein schwarzer Hund saß vor der Tür und sah Mich an. Ihm fehlte das halbe Maul. Es sah weggeätzt aus, wie ein Säurekrater, aus dem klaffenden Loch tropfte Sabber auf den Boden.
„Du bist aber ein hässlicher kleiner Hundeficker“, lächelte Ich ihm zu. „Das muss man schon sagen. So einen hässlichen kleinen Hundeficker habe Ich noch nie gesehen, ehrlich, und Ich bin in Indien gewesen, da sind sie alle hässlich und klein, vor allem die Hunde, aber du, mein Lieber, du bist der hässlichste von allen. Ich gratuliere. Und jetzt verpiss dich.“ Ich schob den Köter mit dem Schuh zur Seite und trat über die Schwelle.
„Jemand da?“, rief Ich hinein in das Haus. Stille. Diese faulen Säcke rührten sich nicht. Siesta.
Ich machte den Kühlschrank auf und nahm Mir eine Flasche Eselpisse raus, die sie hier in den Bergen Bier nannten. In den letzten Wochen habe Ich eine Menge Eselpisse getrunken.
Der Ventilator surrte wie eine geschändete Fliege, aber er funktionierte. Ja, so etwas habe in diesem Land schon häufig gesehen.
Aus Langeweile betrachtete Ich die Wände. Wie überall in den Hostels dieser Gegend blickten einen die dümmlich grinsenden Fratzen karikierter Indios an. Mittlerweile wären Mir sogar Fotos irgendwelcher gutgelaunter Reisegruppen lieber gewesen. Aber es gab nur Indios. Indios hier, Indios da, Indios auf einem Esel, Indios beim Tango tanzen. Und dabei weiß die ganze Welt, Indios können überhaupt keinen Tango tanzen.
Ich warf meinen Rucksack auf den Boden und fläzte Mich in den Sessel. Auch auf das Warten habe ich mich in diesem Land schon gewöhnt. Zum Glück gab es im Kühlschrank noch einen großen Vorrat an Eselpisse.
20 Minuten später kam sie dann. Das Gesicht bisschen einfältig, aber doch alles in allem sehr passabel. Schön braun, weiße Zähne, straffe Hüften, wie ein junges Turnierpferd sah sie aus, das an den Start will. Gestern noch ist sie ein Fohlen gewesen, aber jetzt war sie prall genug für den Wettbewerb.
Dieses Pferdchen hatte hübsche staubige Füße, die sich wunderbar auf Meinen Schultern machen würden. Dann sah Ich das Bäuchlein. Ich schaute ihr nochmal ins Gesicht und bemerkte dort zu allem Überfluss ein grenzdebiles Lächeln, wie es nur glückliche Menschen haben. Scheiße. Hier war nichts zu machen, das verstand Ich sofort. Das funktionierte nicht. Schon so lange hatte keine glückliche Frau mehr die Füße auf Meine Schultern gelegt. Wahrscheinlich spürten sie, dass sie sich diese dort nur brechen würden.
„Hola, hola“, wie es Mir denn ginge und bla.
"Ich brauch ein Zimmer", sagte Ich, "für mich alleine und zwar prontito."
"Prontito sei complicado", sagte sie, "vor allem für morgen."
"Ist doch kein Mensch hier, richtig?"
"Fast richtig." Und das sei so, weil morgen Weihnachten ist. Das sei Mir doch klar, oder? Heute könne Ich bleiben und übermorgen könne Ich wiederkommen, aber morgen - das sei eben complicado.
"Von Mir aus, Ich will eh in die Berge."
"Wie toll", dann könne Ich ja mit Marta gehen.
"Mit wem?"
Heute Abend könne man zusammen essen. Marta war das fast zu dem richtig.
"Meinetwegen."
Ich legte mich dann für eine Stunde hin. Hoffentlich würde der starke Track wiederkommen.
Aber Pustekuchen. Stattdessen erschien Mir der hässliche kleine Hundeficker. Und er hatte Freunde mitgebracht. Keiner von ihnen ist von der Aphrodite geküsst worden, aber Mein neuer Bekannter zeichnete sich wieder mal besonders aus.
Von seinem zerrissenen und nicht wieder zusammengenähten Maul zu träumen hat Mir keine Erholung gebracht. Nach dieser einen Stunde war Mein Gesicht arg zerdrückt und zerknittert. In Meinem Kopf hämmerten tüchtige Gnome eine Hundehütte zusammen. Ich beschimpfte sie und schluckte ein paar Aspirin.
Ob sich aus dem Köter Kunst machen ließe? Wenn man ihn ausstopfen würde, vielleicht, ja, das wäre schön schockierend. Vielleicht sollte Ich einfach anfangen, Konzeptkunst zu machen? Vielleicht würde das ja laufen. Ja, den Hässlichen vergiften und in eine Kühlbox stecken. Und dann ausstopfen lassen. Aber erst mal hatte Ich Hunger.
II.
Beim Abendessen traf Ich dann Marta und mochte sie sogar. Ihr breiter Mund lächelte und sagte Sachen, die gar nicht dumm waren und das Maß trafen, was Mir schon als das rechte vorkam. Ihre große Nase war nach unten gebogen und die Nasenlöcher erinnerten an zwei mächtige Brunnen zum Mittelpunkt der Erde. Die kleinen braunen Augen saßen nah beieinander, wie an dem Brunnenzinken angewachsen, und der Blick, der urteilte nicht viel, er verstand nur.
Ja, eine Figur hatte sie auch. Die Füße waren flach und knotig und erinnerten Mich an den Amphibienmensch. Nichts für Meine Schultern eigentlich. Ansonsten hatte sie eben eine Figur.
Ob Ich in die Berge mitwolle? Man könne morgens losgehen, von dem Hostel aus. Ob Ich was dagegen hätte, um 6 Uhr aufzubrechen.
"Um 6 Uhr?"
Sie erzählte Mir von der malerischen Route auf den Spuren von Brad Pitt, der hier „7 Jahre in Tibet“ gedreht haben soll und von dem Berg mit den 7 Farben, der da oben lag. Ob Ich was dagegen hätte, um 6 Uhr aufzubrechen.
Ja, ich hatte was dagegen.
Schade fände sie das.
„Also machen wir 7?“
„Wir machen lieber 9“, sagte Ich, "die 7 Jahre und die 7 Farben werden uns schon nicht weglaufen. Lass uns aber heute lieber mehr Eselpisse trinken, auf die Bekanntschaft und auf Brad Pitt.“
Aber Marta trank keine Eselpisse, sie trank überhaupt keinen Alkohol und den Brad Pitt, den mochte sie gar nicht. Er sei ihr zu schön.
Was es denn gegen die Schönheit zu sagen gäbe? Ich habe mal gehört, sie soll irgendwann die Welt retten. Hier schämte Ich mich ganz wenig, was Mich wunderte, aber Mir ist ja klar gewesen, dass das Leben in Schönheit nicht für jeden etwas wäre.
Marta wurde verlegen, sie zögerte Mir zu sagen: „Ist Schönheit nicht vielleicht schlecht für den Charakter?“
Da musste Ich lachen. Charakter. Ob wir nicht besser würden, wunderte Ich Mich dann doch, „wenn wir uns mit schönen Dingen umgeben?“ - die Diskussion war für Mich eine reine Sportübung.
„Mit schönen Dingen gewiss, aber mit schönen Menschen...?“ Da sei sie sich nicht sicher.
Das Pferdchen hatte dann auch was dazu zu sagen. Es meinte schöne Menschen zu lieben und hoffte, dass ihr Kind auch ein schönes werden würde. Marta hoffte für sie das gleiche. Natürlich. Sie versicherte es ihr mit ihren kleinen, braunen Augen, die prompt erschraken, missverstanden worden zu sein.
Mir war das Kind von dem Pferdchen egal, Ich wünschte mir ihre staubigen Füße auf die Schultern. Nach den ganzen Sentimenten zur Schönheit und den 3 Litern Eselpisse machte Mich ihr kleines, schwangeres Bäuchlein verdammt geil.
Mit dem Fuß tastete ich Mich unter dem Tisch an den ihren, in der Hoffnung dabei nicht zufällig Martas zu erwischen. Das wäre ihr bestimmt peinlich. Als Ich das Pferdchen endlich gefunden hatte, kam Mir die unverbrauchte Wärme ihrer Haut entgegen und Mein Herz schlug ein Täktchen schneller. Auch mit ihrer Taktung muss etwas passiert sein, denn das Gezwitscher stockte und das geschmeidige Fleisch wurde hastig von mir weggerissen.
"Was auch immer", lächelte Ich ihr zu. Ein Versehen natürlich. „Trinken wir auf dein Kind!“
Sie könne nicht trinken, wegen dem Kleinen. Sie haspelte nur herum und ihre Hilflosigkeit machte Mich noch geiler.
Marta schaute Mich fragend an, aber wozu? Mit Meinem Blick war die Dreistigkeit. Und da kann Anstand ja nur wegschauen.
„Sehr schön“, sagte Ich und kippte die Reste der dritten Flasche in Meinen Mund, der sich schmutzig anfühlte. „Jetzt wird geschlafen. Und morgen sehen wir dann die 7 Berge und die 7 Zwerge und den ganzen übrigen Kokolores hoch 7."
Marta nickte. Sie muss sich schon da in Mich verliebt haben, denn sie ist nicht um 6 weggegangen.
III.
Am nächsten Tag bin Ich um halb 10 aufgewacht. Hatte Mir abends gar nicht die Mühe gemacht den Wecker zu stellen. Marta würde schon warten. Solche Martas warten immer.
Nach dem Frühstück, Ich ließ Mir auch dabei Zeit, obwohl das Frühstück dieser Zeit gar nicht wert gewesen wäre, scherzte Ich: „Na los Marta, wie lange soll Ich noch auf dich warten?“ Das sollte die Stimmung auflockern, schließlich saß dieses geduldige Ding schon seit anderthalb Stunden am Tisch und kritzelte irgendwas in ihr Notizbuch. Zuerst wollte Ich sie fragen, was sie so schrieb, aber dann entschied Ich Mich, sie nicht mit zu viel Interesse zu verwöhnen. Später vielleicht sollte sie eine Scheibe davon abhaben. Aber vorerst nicht.
Jedenfalls lachte sie auf, gar nicht so gezwungen war das, obwohl das Witzchen ja sehr mäßig gewesen war, so ein Standardrepertoireding eines jeden Großspurlings, und wir stiefelten los. Das Pferdchen vermied es, bis zum Schluss mir in die Augen zu schauen. Dafür tat Ich das umso direkter. Dieses kleine Mädchen mit ihrem kleinen Bäuchlein ...
Feliz navidad übrigens.
Als Ich und Marta dann, genau in dieser Reihenfolge, die Straße nach oben hinauf liefen und das kleine Hotel mit dem schwangeren Pferdchen und dem Kühlschrank voll Eselpisse hinter der ersten Kurve verschwunden ist, drehte Ich mich nochmal um. Keine Ahnung, was Mich da geritten hatte, normalerweise wird Mir vom Umdrehen nur schwindlig, aber da tat Ich das.
Im aufgewirbelten Staub der Straße sah Ich dann den kleinen hässlichen Hundeficker, wie er sich gekrümmt wie eine 2, hinter uns her schlich. „Du Dummkopf“, höhnte es in Meinem Kopf, und Ich hatte die Idee mit der Kühlbox von dem ganzen Gesaufe ja schon ganz vergessen. "Na, dann komm mit“, rief Ich ihm zu. Meine Stimme verlor sich in der ganzen scheiß Unendlichkeit dieser Himmelzeltkulisse. Wo konnte man hier bloß eine Kühlbox auftreiben?
„Zu wem sagst du das denn?“, Martas Vogelgesicht wunderte sich.
„Das kleine hässliche Ding da hinten.“ Ich deutete auf das kleine hässliche Ding da hinten und spuckte einen verstaubten Klumpen Rotz in seine Richtung.
„Ah, der Feo“, sie erkannte den Köter, „der läuft bestimmt bald wieder zurück.“
„Und Ich dachte, der will auch die 7 Farben sehen. Kommt da eigentlich auch schwarz vor?“
„Soweit ich weiß, ist schwarz keine Farbe“, Marta schmunzelte zufrieden. Sie war also ein kleines Klugscheißerchen.
„Erzähl das mal einem Nigger“, schmunzelte ich zurück. Das Wort gefiel dem Klugscheißerchen gar nicht. Natürlich nicht. Sie schwieg mich an.
Der Feo kam uns ein Stück näher.
„Du musst das Ding mögen, oder?“ Ich fragte das, ohne in ihre Richtung zu schauen.
„Warum?“
„Na, ein Brad Pitt ist das sicher nicht.“
Das Vogelgesicht lachte wieder. „Du hast Recht, ich mag ihn. Der Arme ist so auf die Welt gekommen.“ Jetzt kam offenbar der Part, der einen rühren sollte.
„Tatsächlich?“, in Gedanken legte Ich mir den Text für die Objektbeschreibung zurecht. Besser fände ich natürlich, wenn ihm sein Maul jemand verätzt hätte. Idealerweise einfach aus Spaß. Aber schreiben konnte man das ja. Wäre das schon geschmacklos?
„Ja. Das Schlimmste kommt immer im Winter. Da friert ihm manchmal die ganze Seite zu. Die vom Hostel entfernen das jedes Mal mit einem warmen Tuch.“
„Toll!“ Ich fing an, ein Steinchen vor Mich her zu kicken. Nach nur zwei Tritten sprang es Mir weg. „Was für liebe Menschen!“, es machte Mir wirklich Vergnügen, sie zu provozieren. Ich freute Mich schon auf das „Warum bist du nur so ein Arschloch“ - Gespräch. Dann könnte Ich sie noch weiter provozieren. Ich könnte ihr sagen, Ich sei ein Künstler und das sei eben ein Teil Meiner kreativen Identität. Ich könnte ihr sagen, dass Ich alle Menschen für Heuchler und noch schlimmer, für Spießer halte und dass sie es nicht anders verdient hätten. Ich könnte aber auch eine gefühlvolle Seite aufziehen und es ihr verkaufen als einen Schutzmechanismus.
Ich könnte ihr auch einfach sagen, dass Ich groß geschrieben werde und der Rest nicht so wichtig sei. Aber Ich tat es nicht, denn Marta fing das Gespräch gar nicht an. Sie schwieg einfach weiter und schaute Mich mit ihren ernsten, braunen Augen verständnisvoll an. Marta war geduldig und Ich fand das zum Kotzen.
Wir gingen die Berge hinauf und machten keinen Halt. Marta brauchte offenbar keinen, doch Mir ging es elend. Trotzdem hielt Ich die Fresse.
Der Alkohol trat aus allen Poren, Ich hatte das Gefühl, in einer Dunstwolke zu wandern, die es Mir völlig unmöglich machte, wieder nüchtern zu werden. Sie umgab Mich wie ein giftiger Nebel, unter dessen Dämpfen mein Verstand sich langsam zersetzte.
Der Weg wand und wand sich, er schlängelte sich zwischen heißen, grimmigen Felsen, die, den Splittern einer kosmischen Tretmine gleich, sich in die Erde gefressen hatten. Untote Grasbüschel säumten die Hänge und es ging immer hinauf und hinauf, wo dann schließlich am Horizont diese ganze Postkartenscheiße mit den schneebedeckten Gipfeln posierte.
Feo lief immer noch neben uns, obwohl das herzensgute Klugscheißerchen mehrmals versucht hatte, ihn zurück zum Hostel zu schicken. Der Köter blieb. Am Ende würde er noch verhungern und Ich würde ihn nicht einmal vergiften müssen.
Ein paar Mal versuchte Marta mit Mir ein Gespräch anzufangen, aber Meine aufrichtige Einsilbigkeit hatte ihr die Lust daran genommen. Natürlich zeigte sie sich fürsorglich, wie konnte es auch anders sein. Marta reichte Mir mehrmals das Wasser und ihre kleine Tüte mit den Trockenfrüchten. Hin und wieder erzählte sie etwas über die Umgebung, wer hier alles schon gewandert sei, welche Viecher hier leben würden und geologischen Kram von Gesteinsschichten und Mineralien. Sie machte Fotos, klar, sie fotografierte alles um uns herum und hatte offenbar Spaß daran, das ganze immergleiche Landschaftszeugs zu dokumentieren. Und wir gingen. Immer weiter den Berg hinauf, der unbarmherzigen Sonne entgegen.
Nach fünf quälenden Stunden dann, die mir wie eine ganze Andenüberquerung vorgekommen sind, sahen wir vor uns am Wegrand ein fahles, rundes Blechschild mit der Aufschrift: „Siete Vientos“ drauf. Hier musste offenbar alles irgendwas mit einer Sieben zu tun haben. Mir war es freilich scheißegal. Diese kleine, zwischen den ganzen steilen, beklemmenden Felsen eingequetschte Siedlung aus einem Dutzend Plastikhütten kam Mir vor wie eine verfickte Erlösung. "Jetzt ein Bier."
IV.
Die nächsten vier Stunden schlief Ich wie ein Stein. Diese kleine Siedlung, ein Skiort im Winter, war im Sommer wie ausgestorben. Ein kleines Hostel nur, natürlich hieß es „Zwischen den 7 Winden“, hatte uns beherbergt. Es war durch und durch provisorisch, hier und da tropften die Rohre, der Wind, wahrscheinlich waren es alle sieben, heulte in den schlecht isolierten Spalten der Mauern. Die Möbel sind ihrem Aussehen nach von allen Müllhalden Mendozas hierher zusammengetragen worden. Und an den Wänden, klar, an den Wänden hingen überall diese verdammten Indiofratzen. Außer dem Besitzer und seiner Mutter war in dem Hostel niemand.
Als Ich aufwachte, saß Marta mit den beiden in dem buntscheckigen Wohnzimmer vor dem brennenden Ofen. Selbstverständlich sahen sie sich irgendwelche Familienfotos an. Wie konnte es auch anders sein? Hier der Bruder, der in Europa lebe, hier die Schwester aus den USA und der Vater, ja, der Vater sei tot. Es musste heute alles auf Teufel komm raus nostalgisch und heimelig sein, wegen der Besinnlichkeit oder der Besinnung, Ich weiß nicht, warum sie das alles immer wieder machen mussten.
Der Typ, er ist stolz auf das warme Wasser gewesen, das aus seiner Dusche tröpfelte, lud uns ein, zusammen mit ihm und seiner Mutter Weihnachten zu feiern. Wieder so einer von den netten Kerlen. "Klar, ihr Lieben", sagte er, "natürlich könnt ihr bleiben." Sie hätten zwar eigentlich geschlossen, aber das sei gar kein Problem. Zu Essen gäbe es paar Kleinigkeiten, nichts Wildes, nur was vom Grill, aber abends dann, würde seine Mutter Früchte in Schokolade zubereiten. Er klopfte ihr auf die Schulter und dann tauschten sie Blicke aus, die man wohl als liebevoll bezeichnen muss.
Dummerweise hatte Mich das an Meine eigene Familie erinnert. Diese Leute habe Ich schon seit über zwei Jahren nicht mehr gesehen. An den letzten Tag erinnere Ich mich sehr gut.
In der Hütte ist es gewesen, die mein Alter von seiner Lieblingstante geerbt hat. Die Dame hatte auf ihren Lebensabend hin ihren grünen Daumen entdeckt und pflasterte das ganze Grundstück voll mit Hortensien und Immergrün und was weiß ich nicht alles.
Inmitten dieser ganzen blühenden Nettigkeiten saß ich dann, im Schoße der Familie, wie man so sagt, und betrachtete Meine Verwandtschaft an diesem harmonischen Frühlingssonntag.
Die Frauen diskutierten über den Sinn und Unsinn von Mayonnaise im Kartoffelsalat, da gehört natürlich keine Mayonnaise rein, die Männer hatten ihr Bier und die Bundesliga, wie denn auch sonst, und die Kinder waren natürlich alle bis zum Entzücken unbekümmert, weil die Kinder ja immer unbekümmert sind, dafür schafft man sie sich ja an.
Da war mein Vater, wie er zufrieden seinen Bauch streichelte und die Würstchen auf dem Grill hin und her schob, selbstverständlich gab es einen scheißgroßen Haufen Würstchen; da war meine fürsorgliche Mutter, die irgendeinem Balg das nasse T-Shirt wechselte; die Fritzi war dann auch da, in ihrem luftigen Kleidchen spielte sie barfuß Federball, das waren übrigens die letzten glücklichen Füße auf meinen Schultern, und ich sah mir das Ganze an und plötzlich zog sich in meinem Magen alles zusammen und mir wurde speiübel.
Hier saß ich also unter ihnen, inmitten all dieser Liebe und Gemeinsamkeit und den blühenden Tomatensträuchen, an einem Frühlingssonntag, der in einen Frühlingsmontag übergehen würde und den Frühlingsdienstag und so weiter und so fort. Und so würde es weitergehen, bis zu dem Tag, an dem ich an diesem Grill stehen und die Würstchen drehen würde und die Fritzi dann, einem anderen Kind das nasse T-Shirt wechseln würde und das Bier wäre auch da und die Bundesliga.
Und alles wäre hübsch und nett, man würde sich mit der Mittelmäßigkeit zufrieden gegeben haben, weil man irgendwann eben akzeptieren würde, dass es an der Mittelmäßigkeit gar nichts auszusetzen gäbe und sein großes Glück oder eben ihre kleine, viel leichter zugänglichere Schwester, die Zufriedenheit, sie würde man dann an solchen harmonischen Frühlingssonntagen suchen, im Schoße der Familie. Das wäre es. Hier und heute sah ich das Ende. In diesem Augenblick lag vor mir das Maximum an Freude, das mir beschert worden war. Danach gab es nichts mehr. Nur noch den Tod und die Vergessenheit. Ich hatte das Gefühl im eigenen Körper zu ertrinken.
Zum Kotzen verließ Ich dann das Grundstück und bin nie wieder zurückgekommen. Einmal hatte ich ihnen noch geschrieben, damit sie nicht die Polizei nach mir fahnden ließen und dann hatte ich dieses ganze Wir aus meinem Leben gestrichen. Von diesem Tag an wurde Ich groß geschrieben. Von diesem Tag an, schrieb Ich Meine Tracks.
Und jetzt saß Ich in dieser schäbigen Hütte ein paar Kilometer nur von dem ewigen Eis entfernt, mit dieser kleinen Familie, die vor Liebe nur so sprühte, und mit diesem vogelgesichtigen Klugscheißerchen, das Mich in aller Ruhe mit seinen treuen Augen ansah, und Ich konnte nicht umhin, Mich alleine zu fühlen. Und zwar nicht so alleine, wie Ich Mir das selbst ausgesucht hatte, sondern so alleine, als hätte Mich die Welt rausgeschissen und dazu verdammt, mit der Scheiße bedeckt durch sie zu wandern und alle Menschen um Mich herum durch ihren Gestank, der ja doch Meiner geworden ist, zu verscheuchen.
"Bäh! Warum bin Ich bloß in diese scheiß Berge?"
Ich lächelte die paar Fragen, die an Mich gerichtet wurden, weg und ging hinaus, um eine Zigarette zu rauchen. Vor der Tür peitschten die sieben Winde gegen die Hütte, sie wirbelten den Staub auf, rissen Mir die Kapuze vom Kopf und ließen Mich das Feuer nicht anzünden. Die Sonne war schon fast untergegangen, nur noch ein wenig von ihrem Rot funkelte in den Schneespitzen.
Vor der Außentreppe saß der kleine hässliche Hundeficker und sah mich mit seinem zerfressenen Maul an. Neben ihm lagen andere Hunde. Seine Hässlichkeit schien sie nicht zu kümmern. Hier verstand offenbar niemand was vom Leben in Schönheit.
Nach dem Abendessen dann - Ich habe wenig davon gehabt, sondern mehr von dem billigen Wein getrunken – hatte Marta ihr kleines Notizbuch herausgeholt. Es war vollgekritzelt mit kleinen und großen Gedichten über die kleinen und über die großen Dinge. Sie waren wirklich gut. Ich wusste das. Die Mutter des Hostelbesitzers vergoss sogar ein paar Tränen. Es war nicht zu ertragen, Mir wurde grün vor Augen, also ging Ich ins Bett.
Das Licht war aus, Ich schloss die Augen und hörte zu, wie die Winde von außen gegen die Wände anliefen. Immer und immer wieder bestürmten sie die kleine schäbige Festung um Mich herum, sie zeterten und kreischten, wie Dämonen krochen sie durch die undichten Mauern in das Haus hinein und dann unter Meine Haut, aber was kümmerte es Mich, darunter fühlte sich eh schon alles tot an.
Eine halbe Stunde nachdem Ich Mich hingelegt hatte, kam auch Marta in das Zimmer. Leise schlich sie sich an ihr Bett und zog sich langsam aus. In dem durch ein kleines Fenster dicht an der Zimmerdecke einfallendem Mondlicht konnte ich die Umrisse ihres Körpers erkennen. Er war hager und sehnig, die Brüste flach, der Hintern knochig. Linkisch bewegte sie ihre Gliedmaßen, wie ein Käfer, den man an eine Wand geschleudert hatte und der benommen versucht, sich wieder aufzurappeln. Als sie sich bis auf ein Höschen und ein Unterhemd ausgezogen hatte, faltete sie ihre Kleidung ordentlich zusammen und legte sie auf den Rucksack neben ihrem Bett. Sie streckte ihren Hals einen Stück in Meine Richtung und lauschte. So verging eine Minute und noch eine. Ich kann nicht sagen, wie viele genau es gewesen sind. In Meinen Boxershorts fieberte es. Ich hatte viel Wein getrunken.
Dann entschied Ich Mich. Eigentlich hatte Ich Mich schon von Anfang an entschieden. Ficken ist immer gut gewesen gegen die Einsamkeit.
„Marta!“, Ich flüsterte nicht.
„Ja?“, sie flüsterte. Diese drahtige, unattraktive Frau ist auch einsam gewesen.
„Komm her“, befahl Ich.
Sie schwieg, sie zögerte, aber sie würde kommen. Marta suchte nach Wärme, bei Mir würde sie wenigstens einen warmen Schwanz finden.
Nach 30 Sekunden stand sie auf und trat unsicher an mein Bett. Ich reichte ihr die Hand. Marta nahm sie und setzte sich auf den Bettrand. Der Griff ihrer Finger war grob und kalt. Ich nahm sie an den Haaren und zog den Kopf zu Meinem Gesicht. Unsere Lippen berührten sich. Es fühlte sich rau an, die sieben Winde und die Sonne hatten sie spröde gemacht und mit Rissen bedeckt. Wir küssten uns ein paar Augenblicke, dann drückte Ich das Klugscheißerchen runter. In dieser Nacht hatte Ich Martas große, knotige Füße auf Meinen Schultern. Feliz navidad übrigens.
V.
Am nächsten Tag gingen wir weiter. Feo lief wieder neben uns. Mein Projekt stand noch aus.
Heute wartete auf uns der Berg mit den Sieben Farben und die ganze übrige Siebenfaltigkeit ohne die ja in diesen Bergen nichts geschah.
Keiner sagte was, aber Marta hielt sich ein wenig näher zu Mir, als sie es noch gestern getan hatte. Das Wasser war stets zur Stelle und sie selbst aß keine Trockenfrüchte mehr, damit mehr für Mich übrigbleiben konnte. Manchmal streifte ihre Hand Meine Schulter oder ihr ruhiger Blick mein Gesicht. Seine Wärme war Mir nur noch unangenehm. Ich wollte diese Frau nicht mehr ansehen, so abstoßend fand Ich die Vorstellung letzte Nacht in dieser vogelartigen Vogelscheuche mit meinem Schwanz herumgestochert zu haben. Ihre Fürsorge, diese ganzen kleinen Aufmerksamkeiten, die sie Mir erwies, die rücksichtsvollen Gedanken, die sie sich über Meine Befindlichkeiten machte, es ekelte Mich alles nur noch an.
Man fickt besser keine hässliche Frau, nein, man fickt sie besser nicht. Das habe Ich ja schon lange gewusst. Und wenn man sie dann doch fickt, weil man betrunken gewesen ist oder einsam oder beides, dann sieht man sie lieber nie wieder. Insbesondere darf man sie nicht wiedersehen, wenn sie sich in einen verliebt hat. Ansonsten fühlt es sich so an, als würde dieses Ficken mit irgendeiner Verantwortung einhergehen, als hätte man nicht einfach ein wenig von ihrem zähen Fleisch gekostet, sondern direkt ihre Seele umarmt. Und wie groß auch das Arschloch in Mir drin sein mochte, dieses lästige Gefühl der Verantwortung habe Ich nie loswerden können. Wie sollte man da noch in Schönheit leben?
Ein paar Stunden in die Höhe hinein, erreichten wir dann diesen Berg mit sieben Farben. Ich blickte auf diese langweiligen, kahlen Felsen, die in ein paar Grün und Gelb Tönen vor sich hin schimmerten und fragte Mich was dieser Scheiß soll.
„Das ist alles?“, fragte Ich Marta wütend. Das waren die ersten Worte, die Ich ihr seit heute Morgen sagte. „Für diesen langweiligen Scheiß hast du Mich hierhin geschleppt?“
Sie schaute Mich verlegen an. In ihren Augen stand Verwunderung.
„Das gefällt dir nicht?“, ihre Stimme war ruhig, als würde sie mit einem launischen Kind sprechen. „Das ist doch was wirklich Schönes. Hier sind so viele Mineralien drin. Da sind die Variscite und die Pyromorphite…“, sie fing tatsächlich an, irgendwelche bescheuerten Namen zu nennen. Sie spuckte sie aus und lächelte mich an.
Der Alkoholdunst, der wieder um Meinen Kopf schwebte, machte Mich für einen Moment benommen, Ich strauchelte leicht und sie versuchte, Mich zu stützen. Was für ein Fehler! Ich riss Mich los und starrte sie wütend an. Marta verstummte. Wir mussten uns trennen, sofort. Ich blickte Mich um und sah den Feo. "Alles klar", schoss es durch Meinen Kopf, "gleich würde sie schon von alleine gehen."
Die Wut legte sich plötzlich wieder, in Mir drin wurde es kalt.
„Das ist doch nicht schön“, Ich lächelte dem Klugscheißerchen zu. „Ich zeige dir jetzt mal was Schönes.“
Sie blickte Mich verwirrt an. "Wieso dieser neue Tonfall", stand in ihren Augen.
Ich ging in die Hocke und fing an, aus meinem Schuh einen Schnursenkel herauszuziehen: „Habe Ich dir nicht erzählt, dass Ich ein Künstler bin?“, Ich bemühte mich, meiner Stimme eine naive Färbung zu geben.
Marta nickte.
„Na ja“, nun hielt Ich den ganzen Schnursenkel in Meinen Fingern und fing langsam an, seine beiden Enden um Meine Handflächen zu wickeln. Links zuerst, dann rechts. Jeweils ein kleines Stück nur. „Ich werde dir jetzt zeigen, wie bei Mir Konzeptkunst entsteht. Das Projekt nenne Ich: „Leben? Nur in Schönheit.“
Sie verstand nicht.
Ich richtete Mich langsam auf, ihr Gesicht nicht aus Meinem Blickfeld lassend und machte ein paar Schritte in Richtung Feo.
Marta schwieg. Sie verstand es immer noch nicht. In ihrer Welt existierte der Abgrund gar nicht, an dem Wir gerade standen. Nun denn. Ich würde ihn ihr zeigen. Der Hund war jetzt ganz dicht neben Mir. Er schaute Mich neugierig an und sabberte den Boden vor seinen Pfoten voll.
Mitleid? Nein, Ich hatte keines. Hier gab es nichts Lebenswertes, neben Mir stand nur ein hässlicher Köter. Das mit der Kühlbox war ein Problem. Aber daran wollte Ich jetzt nicht denken.
Dann sah Ich noch mal Marta an und ging neben Feo in die Hocke. Mit der Hand fuhr Ich langsam durch sein verknotetes, schmutziges Fell. Er sabberte weiter. Seine Augen waren feucht und dunkel. Dumm irgendwie. Noch eine Sekunde wartete Ich ab und hier verstand Marta es dann doch.
In dem Moment, als Ich den Strick um Feos Hals legen wollte, schrie sie. Sie schrie laut, aus dem Inneren ihrer Seele kam dieses Geräusch, es klang nach Ausweglosigkeit, nach Apokalypse. Der Hund zuckte, erschrocken sprang er weg, mit einer Hand versuchte Ich ihn noch zu greifen, aber er biss Mich und brach zur Seite aus.
Meine Hand blutete ein wenig. Der kleine, hässliche Hundeficker blieb in einer sicheren Entfernung stehen und beobachtete Mich mit seinen dummen Augen.
Marta atmete schwer. Ich tat es auch. Der Schnürsenkel baumelte um meine blutende Hand gewickelt herunter. Was ist hier bloß passiert?
Eine Minute ist vergangen, zwei Minuten, Ich habe die Minuten nicht mehr gezählt.
Dann drehte Marta sich um und ging. Nach zwei Schritten blieb sie stehen, sah Mich noch einmal an und seufzte: „Das war nicht schön.“
Ich blieb alleine mit Feo.