Leben im Schatten
Allein. Nur die erdrückende Finsternis um sie herum. Sie wusste weder, wo sie war, noch was sie hier sollte. Nicht einmal, wer sie war ... Ihr Kopf gab keine Erinnerung, keine Gedanken an ein vergangenes Leben preis. All das schien es für sie nicht zu geben. Dieser Ort, gleichzeitig so erdrückend und doch so tröstend, so widersprüchlich. Es tat ihr weh daran denken zu müssen, dass sie diesen Ort je verlassen sollte, und es tat ihr weh hierbleiben zu müssen - wie leicht könnte sie da in Gleichgültigkeit verfallen. Sie konnte sich nur schwer bewegen, alles schien so eng. Und so dunkel ... Doch sie war froh, fort zu sein, fort von all dem, was früher war. Aber was war früher? Dieser flüchtige kleine Moment gerade eben, kaum eine Sekunde, in dem sie etwas zu sehen, zu wissen glaubte. Das Wissen an eine frühere Zeit? Es mochte sein, sie wusste es nicht. Sie hatte diesen Gedanken, dieses Gefühl schon wieder vergessen, bevor sie ihn identifizieren konnte, und kurze Zeit später hatte sie auch den Moment an sich vergessen. So war es immer: sie erinnerte sich, sie vergaß, ein ewiger Kreislauf - nur wusste sie davon nichts. Für sie gab es den ganzen Tag nichts zu tun außer nachzudenken ... Tag? Was war das?
Es war beinahe unerträglich, nichts zu wissen, nichts zu tun und sich nicht bewegen zu können. War es denn früher anders gewesen? Doch wann früher? Ihre Gedanken verwirrten sie und ihr einziger Trost wäre wohl gewesen, dass sie ja ohnehin alles bald wieder vergessen würde. Sie wusste gar nichts. Und sie würde nie etwas wissen.
Denn sie war ein kleines Wesen, ein Embryo in dem Bauch ihrer Mutter. Wirklich? Wenn man es genau bedachte, hatte sie keine Mutter, sie wünschte sich nur eine, denn sie hatte das Gefühl eine haben zu müssen. Mutter, was war das? Worüber hatte sie gerade nachgedacht? Und was war denken?
Nun ...eher war sie ein geglücktes Experiment, ein kleines schutzloses Etwas in einem großen Glas. Groß für sie, doch klein für die anderen. Die anderen waren die, die so oft in ihre kleine Welt hineinblickten, diese Menschen, die sie so schnell wieder vergaß, wie alles andere. Sie wusste ja ohnehin nicht, was Menschen waren.
"Ihr könnt die Geräte abschalten. Wir brauchen es nicht mehr. Aber Vorsicht, wenn ihr es zerlegt und wegwerft, es darf nichts darauf hinweisen, dass es einmal lebendig war."
Sie wusste nicht, was das hieß. Sie würde es auch nie wissen, denn in diesem Moment starb sie. Nicht mehr als ein kleines Geräusch, das von den Maschinen verursacht wurde, zeigte ihren Tod an. Missbraucht, bevor sie lebte. Den Himmel nie erreicht. Einzig ihre Seele schrie vor Kummer auf, schrie bis in Gottes Höhle. Schrie und weinte um ihr geraubtes Leben und wusste doch nicht, was für ein Glück ihr zuteil geworden war.
Seid gegrüßt
Ich würde mich sehr über Kritik freuen - vor allem welche, die meinen Schreibstil angehen, weil ich mir da überhaupt noch nicht sicher bin ...