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Lear muss leben

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20.02.2002
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Lear muss leben

König Lear war tot. So eben gestorben vor den Augen eines halb gefüllten Theaters.
Ein zur Hälfte gefülltes Theater - ist das nun ein Erfolg oder eben keiner. Schließlich fehlt ja die eine Hälfte. Also ein Mißerfolg.

Andererseits war die andere Hälfte ja da. Also ein Erfolg. Franz Gut war verwirrt. Wie er das Blatt nun drehte und wendete, keine der Möglichkeiten schien ihm so recht die Frage nach dem Erfolg zu beantworten. Überhaupt war es ein Frevel, dass er sich um solche Dinge gerade jetzt Gedanken machte, schließlich spielte er den Lear. Und der war tot. Also konnte er auch nicht mehr denken. Aber da kam schon sein Zeichen.

Mit elegantem Schwung erhob sich der Verstorbene und verschwand mit wehendem Umhang für einen Moment hinter der Bühne. Das war für gewöhnlich der Moment an dem der Applaus einsetzte. Einen Sekundenhauch ließ man das Publikum mit dem finalenen Moment allein. Der Atem stockte. Nur manchmal hustete einer.

Und dann? Dann begann einer, der wusste wie Theater funktioniert, wie man sich als Zuschauer zu verhalten hatte, zu applaudieren. Ein zweiter, dritter, vierter ebenso. Spätestens dann begannen die, die sich bis dahin noch nicht ganz so sicher waren, ob das Stück denn schon zu Ende ist, begannen dann auch jene nicht so Bewanderten ihren Beifall zu zollen. Auch wenn Sie sich vielleicht gelangweilt hatten, gar nicht so recht verstanden, worum es ging. Man machte das eben so. Wenn man wusste, dass ein Stück zu Ende ist, dann klatschte man. Schon aus Höflichkeit.

König Lear war also wieder am Leben und wartete auf die ersten Applaudierenden. Er würde hinauslaufen. Seinen Umhang elegant schwingen. Nur einmal war er dabei gestolpert. Nur einmal, und da hatte er auch zu wenig geschlafen. Also galt das nicht. Elegant schwingen mit seinem Umhang würde er, der König, um so die Sympathiebekundung des Publikums, auch wenn es nur ein halbes Publikum war, entgegen nehmen. Zwei, drei mal würde das so gehen. Hand in Hand mit seinen Schauspielkollegen.

Manchmal beneidete er die Musiker der Philharmonie. Die konnten dann immer noch eine oder zwei Zugaben geben, und nochmal den Applaus genießen. Aber König Lear war ja schon gestorben. Wie sähe das denn aus, wenn er da jetzt plötzlich eine Zugabe geben würde. Das ging nun wirklich nicht. Beim besten Willen.

Langsam wurde Franz nervös. Und auch die anderen, der Peter, Gustav und Liese schauten sich unruhig um... . Denn viel zu lange geschah nichts. Ein, zwei Zuschauer hatten angefangen zu applaudieren und beinah wie ausversehen abrupt abgebrochen, als keiner weiter einsetzte. Statt dessen begannen nun einige Mutige in „Buh“-Rufe auszubrechen. Franz traute seinen Ohren kaum. Er war doch so wundervoll gestorben. Der beste tote Lear seit langem. Und jetzt das.

Aber da wurden die Bekunden des Missfallens schon heftiger und vor allem lauter. Franz wollte auf die Bühne rennen um es mit eigenen Augen zu sehen. König Lear war seine Rolle. Sein ganzes Schauspielerleben hatte er darauf gewartet an diesem verfluchten Provinztheater eine anständige Rolle zu bekommen. Er hatte sich aufgeopfert, war dem Intendanten in den verdammten Arsch gekrochen. Hatte nächtelang vor dem Spiegel geübt, seine Freundin vernachlässigt. Aber was wusste dieses undankbare Publikum schon davon. Dieses undankbare halbe Publikum.

Franz war außer sich vor Wut, und konnte von Gustav nur im letzten Moment davon abgehalten werden auf die Bühne zu rennen und von einer der jetzt heranfliegenden Piccolo Sektflaschen getroffen zu werden. Was dachten sich diese Snobs überhaupt dabei, zu König Lear Piccolosekt zu schlürfen. Das war eine Tragödie. Da sitzt man beklemmt in seinem zu engen Theatersitz und fühlt die Tragik des handelnden Protagonisten bis ins tiefste des Herzen. Und diese Barbaren tranken Sekt... .

 

Hallo Salinger!
Ehrlich gesagt, fand ich Deine Geschichte jetzt nicht so satirisch. Ein paar nette Elemente sind zwar drin, aber für mich noch nicht überspitzt genug.

Trotzdem fand ich die Story nicht schlecht. Vielleicht auch gerade, weil ich selbst schon in ein paar größeren kleinen Aufführungen mitgespielt habe und bei uns auch einige der "Stars" mitgewirkt haben.

Und darum geht´s doch in der Geschichte, oder? Einige Laiendarsteller (Gustav, Liese, etc.) und vor allem Franz, der die Hauptrolle ergattert hat, fühlen sich von der Muse geküsst und sehen sich schon in den großen Theatern der Welt. Das Provinzpuplikum sieht aber weder in den Darstellern noch in Shakespeare diese göttliche Begabung. Oder?

Bring noch ein paar richtig fiese Punkte rein, dann wird das was.
Ach, noch eins:

Ein zur Hälfte gefülltes Theater - ist das nun ein Erfolg oder eben keiner.
Der Satz klingt in meinen Ohren etwas verunglückt.
Entweder "ist das nun ein Erfolg oder keiner?"
oder "entweder ist das ein Erfolg oder eben keiner"
würde für mich besser klingen.

Ugh

 

Hallo Bibliothekar,

danke für Deine schnelle Kritik. Du hast Recht, die Geschichte ist bei weitem nicht überspitzt genug. Ich allerdings mag überspitzte Satiren nicht unbedingt. Aber man kann noch dran arbeiten.
Ich werds versuchen. Den Satz "ist das nun ein Erfolg oder eben keiner" mag ich. Auch wenns für Dich komisch klingt. der bleibt so.
Verstanden hast Du die geschichte schon ganz richtig. Aber es gibt noch einen weiteren Punkt, der mir hier am Herzen liegt, nämlich der Snobbismus in Provinztheatern, nicht nur der Schauspieler.
Danke nochmal, der Sal, der auch mal fast Bibliothekar war - also in echt jetzt.

 

Hallo Salinger,

ich habe deine Geschichte gern gelesen, finde aber, dass sie besser in die Rubrik "Alltag" paßt.
Ich halte diese Geschichte nämlich für gar nicht satirisch. Du überzeichnest den Sachverhalt nicht, du verfremdest nichts und deine seichte Kritik an den überheblichen Schauspielern, die mag vielleicht als Hauch eines satirischen Ansatzes gelten, aber in der Realität regt sich doch ernsthaft niemand mehr darüber auf, dass sich Schauspieler für etwas Besonderes halten. Das ist halt so, sonst wären sie keine.
Eine Satire wäre z.B.,wenn du Schauspieler beschreiben und damit überzeichnen würdest, die in ihrer Dummheit gar nicht merken, wie blöd sie einem vorkommen, die es besonders darauf anlegen, nicht so zu sein, wie Schauspieler üblicherweise sind und damit genau wieder dort landen, wo die anderen auch stehen, nur mit dem Unterschied, dass diese sich dann zuvor einer zusätzlichen Lächerlichkeit preis gegeben hätten.

Nungut, ich möchte nochmals betonen, dass mir deine Geschichte gefallen hat, ich will sie also keineswegs schlecht beurteilen, nur ist es halt keine satirische Geschichte.

Gruß lakita

 

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