- Anmerkungen zum Text
Meine erste Kurzgeschichte. Ich hoffe sie gefällt.
Lea
Solche verregneten Samstagnachmittage waren John am liebsten. Als freiberuflicher Autor saß er an solchen Tagen gerne in den verschiedenen Cafés seiner Stadt und nutzte die Zeit, um an seinem aktuellen Buch zu schreiben. Das Wetter spielte dabei eine besondere Rolle, denn an solchen kalten nassen Tagen suchten die Menschen immer Schutz an überdachten Orten, wie das kleine Café in dem er es sich heute bequem machte. Es war ein sehr überschaubares Café am Marktplatz, das im Vergleich zu den großen Ketten der Nachbarschaft, leider oft in Vergessenheit geriet. Es war eines dieser wirklich urigen, im Holzdesign eingerichteten Etablissements in denen man sich direkt wie zu Hause fühlte und schon beim Öffnen der Eingangstür einen heimischen angenehmen Kaffeeduft verbreitete. Hier war John am liebsten, denn hier kannte man sich noch.
Er hatte sich mittlerweile mit den meisten Angestellten des Cafés angefreundet und sie wussten schon aus dem Effeff was er gerne zu sich nahm. Der Autor schwor auf den Käsekuchen und den Hauseigenen Chai Latte. John nahm in seiner Lieblingsecke Platz, stellte seinen Laptop auf den Mahagonifarbenen Tisch vor sich und beobachtete die Menschen die ein- und ausgingen. Auch wenn an sonnigen Tagen nicht so viel los war, strotzte das Café nur so vor Leben, wenn es draußen regnete. Denn wie konnte man es sich besser gemütlich machen als bei einem warmen Getränk, einem leckeren Dessert und einem Gespräch mit einem lieben Menschen?! Lucy, die dunkelblonde Au Pair aus Kanada, hatte heute Nachmittag Schicht. Sie war letztes Jahr im Oktober nach Deutschland gekommen um die Welt kennen zu lernen und ihre Deutschkenntnisse im Ursprungsland zu verbessern. Als sie John erblickte kam sie lächelnd auf ihn zu.
„Hey John.“ begrüßte sie ihn mit einem charmanten Akzent „Wie immer?“
„Einen Käsekuchen und einen Chai Latte. Das Beste was dieses Café, zu bieten hat. “ Er legte seine Aktentasche auf den Boden und hing seinen Mantel an die Garderobe am Eingang.
„Ein hübsches Oberteil.“ merkte er nebenbei an. John war der Meinung, dass die Menschen freundlicher waren, wenn man ihnen ab und an etwas Nettes sagte. Abgesehen davon, stand das gelbe Oberteil ihr wirklich gut.
„Ah stop it.“ winkte sie verlegen ab „Ich werde noch rot.“
Lucy kicherte und ging wieder zum Tresenbereich um Johns Bestellung an den heutigen Barista weiterzuleiten. John sah ihr noch eine Weile nach. Sie war wirklich eine nette junge Frau. Er hatte sie nie gefragt ob sie einen Freund hatte oder gar verheiratet war. Er ging allerdings davon aus, denn sie spielte sichtlich nicht in seiner Liga. Daher hatte er ihre Annäherungsversuche auch immer als platonische Gesten betrachtet, die einige Kellnerinnen für ein besseres Trinkgeld anwandten. Es war für ihn einfach Selbstverständlich, dass sie einen Partner haben musste. Er selber hatte nicht so das große Glück mit Frauen. Mit seinen 35 Jahren hatte er bisher 7 Freundinnen gehabt und alle Beziehungen sind irgendwie immer im Sand verlaufen.
Über die Gründe dieser missglückten Partnerschaften konnte man natürlich spekulieren. Aber wie es ebenso ist lebte man sich nach einiger Zeit auseinander und erlebte lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Bei ihm hielt es sich immer die Waage wer die aktuelle Beziehung beendete und momentan stand es vier zu drei zugunsten der Frauen. Vielleicht waren auch seine gescheiterten Beziehungen der Grund warum John sich entschlossen hatte Autor zu werden. Auch wenn er nicht die perfekte Beziehung führen konnte, schrieb er sehr gut und ausführlich über perfekte Beziehungen. Er hatte bisher nur drei Romane veröffentlicht, die aber alle recht gut ankamen. Gerade bei der weiblichen Leserschaft waren seine Bücher begehrt. Er schaffte es irgendwie den Finger auf den Puls der Zeit zu legen und genau das zu schreiben was die Frauen der Welt lesen wollten.
Es dauerte keine fünf Minuten bis Lucy mit dem heiß ersehnten Stück Käsekuchen und einem wohlriechenden Chai Latte zurück an Johns Tisch kam.
„Und here haben wir dein Trostpflaster“ sagte sie lächelnd, während sie alles auf den Tisch stellte.
„Wieso Trostpflaster?“
„Sagt man das so? Trostpflaster? Ist das richtig?“ sie grübelte über das Wort nach, dass sie vor kurzem gelernt hatte.
„Ich meine wegen Weather. Es regnet und ich dachte, Kuchen ist gut für die Se..ehm..Seele? Soul?! That was stupid, sorry.“ Mit einem verlegenen Blick wandte sie sich ab um zu gehen.
„Nein Nein, du hast schon recht.“ John griff direkt zur Gabel und nahm einen Bissen von seinem Lieblingskuchen.
„Mir geht es schon viel besser.“ versuchte er so überzeugend wie möglich rüberzubringen.
Lucy wusste, dass er das nur aus Höflichkeit gesagt hatte und zog sich leicht enttäuscht zurück. John seufzte und war sich bewusst, dass er hier wieder in ein Fettnäpfchen getreten ist. Sie wollte ihm was Gutes tun und ihre Sprachkenntnisse präsentieren und er hat es nicht geschnallt. Das bekannte Klingeln des Glöckchens; das jeden wissen ließ, dass die Eingangstür geöffnet wurde, holte den Autor zurück ins Hier. Eine junge Dame betrat das Café und ihre Ausstrahlung hatte etwas an sich. Sie hatte so viel an sich, dass John erst einmal seine Gabel auf den Teller fallen ließ und die Aufmerksamkeit seiner Nachbarn auf sich zog. Peinlich berührt räusperte er sich laut und beugte sich nach vorne um auf seinem Laptop rum zu tippen. Die junge Dame hatte das Ganze nicht mitbekommen - zu seinem Glück - und steuerte direkt auf den Tresen zu. John sah heimlich auf und wollte immer noch den Anschein erwecken, dass er fleißig arbeitete. Aber er konnte den Blick von ihr nicht abwenden.
Ihr langes kastanienbraunes Haar erinnerte ihn an die weitläufigen Wälder in Pennsylvania, in denen man stundenlange romantische Spaziergänge durchführen konnte. In denen die Stille der Natur genossen werden konnte, die nur vom harmonischen Zwitschern der heimischen Vögel durchzogen wurde. Er stellte sich vor wie er mit ihr eng umschlungen über die Waldwege flanierte und den Augenblick genoss. Wie sie ihren Kopf leicht an seine Schulter lehnte und das Leben endlich einen Sinn ergab.
„Entschuldigen Sie, würden Sie mir bitte den Zucker reichen“ hallte es im Wald wieder und mit einem Ruck war John wieder Gedanklich im kleinen Café.
„Wie…was?!“
„Den Zucker.“ fragte ein älterer Mann neben ihm am Tisch „Wären Sie so nett? Meiner ist leer“
„Ja, natürlich.“ antwortete John erschrocken und reichte dem Herren den Zuckerstreuer.
Irgendwie war die Szenerie mit der Unbekannten ganz inspirierend und während John bereits eine neue Textdatei öffnete, um das eben visuell Erlebte niederzuschreiben, warf er wieder einen verstohlenen Blick über den Rand seines Laptops. Mittlerweile stand Sie am Tresen und wartete darauf bedient zu werden. Dabei tippelte sie leicht auf der Stelle und John fielen die kleinen Glöckchen an ihrer Handtasche auf, die einen hellen kaum merkbaren Ton von sich gaben. Das schillernde läuten der Glöckchen erinnerte ihn an die Windfänger in Osaka, das mit seiner kulturellen und traditionellen Innenstadt ein einladendes Ziel für frisch verliebte war. Zusammen in klassischen Paarkimonos über ein Sommerfest schlendern, ostasiatische Eindrücke aufnehmen und kurios wirkende Speisen der Einheimischen probieren, um am Ende romantisch arm in arm das große Feuerwerk genießen zu können.
„Alles ok mit dem Kuchen?“ hallte Lucys Stimme in der Nacht des Feuerwerks wieder und John merkte erneut, dass seine Gedanken nicht im Hier und Jetzt waren. Sie kam an ihm vorbei, nachdem sie einen anderen Kunden bediente
„Ehm…ja, alles gut. Vielen Dank“
„Dein Chai ist already cold, oder?“ Er sah hinab auf den Tisch und berührte seine Tasse, die tatsächlich erheblich an Temperatur verloren hatte.
„Ist schon ok, ich wollte schon immer mal probieren, wie eine Chai Latte kalt schmeckt.“ log John um nicht als ertappt zu wirken.
Mit einem unglaubwürdigen Lächeln, ging Lucy wieder ihre Tätigkeiten nach und John begann die ersten Zeilen in sein Worddokument zu tippen. Irgendwie hatte er Lust über ein Paar zu schreiben, dass in einem Örtchen am Waldrand die große Liebe findet um nach Japan zu ziehen. Woher diese Ideen wohl kamen?!
Während die Finger über die Tastatur flogen, war die Neugier einfach zu groß und die Muse zu hübsch anzusehen. Also verirrten sich seine Augen wieder nach oben auf die junge Dame mit den langen Haaren. Allerdings stand sie nicht mehr da, wo John sie das letzte Mal gesehen hatte. Wo war sie hin? Das kann nicht sein. Sie darf nicht einfach weg sein.
John wurde ziemlich nervös. Wer war sie und wie hieß sie? Er stand auf um einen besseren Überblick über das Café zu kommen. Sie konnte doch nicht einfach fortgegangen sein, ohne dass er die Chance hatte, sie wenigstens anzusprechen. Sein Herz schlug etwas schneller und seine Hände wurden feucht, als er aus dem großen Schaufenster schaute, um sie vielleicht draußen noch zu finden. Aber auch hier war sie nicht zu sehen. Gerade als er es aufgeben wollte hörte er die Stimme des Baristas.
„Ein Mocca und ein Milchkaffee für Lea?!“
„Ja hier!“
Da war sie wieder! Sie eilte aus einer hinteren Ecke herbei, die aus seiner Perspektive nicht einsehbar war. „Ja, hier“ schallte es John im Kopf. Ihre Stimme klang Engelsgleich und hatte einen Nachhall an sich, die an die Chöre der Engel erinnerte oder besser gesagt wie man sich ihn vorstellte. Lea nahm die beiden koffeinhaltigen Heißgetränke entgegen und bedankte ich freundlich ehe sie sich in Richtung Tür aufmachte. Johns Zeit blieb gefühlt stehen als er realisierte, dass sie gehen wollte. Er musste sie aufhalten, oder sie wenigstens ansprechen. Also eilte er quer durch den Raum und stieß in seinem Eifer beinahe eine Tasse eines Nachbartischs um. Er erreichte Lea ehe sie an der Tür ankam und stellte sich genau zwischen sie. Sein Herz schlug noch schneller und er drückte seine Hände gegen seine Oberschenkel, damit diese nicht wild gestikulierten.
„Ich..ehm…“
„Ja, bitte? Entschuldigen Sie bitte, darf ich zu Tür?“
„Ja..ich mein Nein. Verzeihen Sie bitte, ich habe Sie gerade da stehen sehen und ich habe mich gefragt, ob..“
„Schatz, wo bleibst du?“ übertönte eine dunkle Männerstimme das altbekannte Glöckchen der Eingangstür.
John schwang herum und sah einem recht attraktiven jungen Mann in seinem Alter in die Augen. Mit einem Vollbart und einer Hipsterbrille erwiderte dieser den Augenkontakt auch kurz, ehe er an ihm vorbei zu Lea schaute.
„Sorry, hat etwas länger gedauert.“ Lea schob sich an John vorbei und gab dem Unbekannten einen Kuss auf die Lippen, ehe sie ihm den Mocca in die Hand drückte. Mit einem weiteren läuten des Eingangsglöckchens verließen die beiden das Café wieder hinaus in den Regen der Stadt und ließen John mitten im Gang stehen.
So war es also. John schloss kurz die Augen und musste lächeln. Irgendwie war es schon eine tragische Komödie, dass er als Liebesromanautor keine Frau fürs Leben fand. Er ging zurück an seinen Platz und setzte sich auf den Stuhl vor seinem Laptop. Mit einem Gedankenverlorenen Blick, schaute John nochmal aus dem Fenster und dachte an das Mädchen mit den Kastanienbraunen Haaren und der Engelsgleichen Stimme.
Der Autor atmete tief durch und fokussierte sich wieder auf die Textdatei.
„Hallo, ich bin Lea…“ begann er zu schreiben.