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Lea
Hannah sah auf die Uhr, es war kurz nach Mitternacht. Noch nie zuvor war sie so nervös gewesen, wie diese Nacht. Morgen würde sich ihr ganzes Leben verändern. Nein, nicht nur verändern, der morgige Tag würde ihr ganzes Leben zerstören. Alles würde ihr genommen werden, ihre gewohnte Umgebung, Freunde, Familie, ja sogar Lea würden sie ihr wegnehmen. Und das war auch gut so, man ihr zumindest. Klar, es war das richtige, wenn man ihre jetzige Situation als Außenstehender betrachtete, aber war es auch für sie das Richtige? Hannah wusste es nicht, und auch Lea konnte ihr auf diese Frage keine Antwort geben. Wie konnten sie ihr das nur antun?
"Es ist deine eigene Schuld, Hannah", flüsterte Lea jedes Mal, wenn sie sich diese Frage stellte, "Du alleine bist Schuld, du hast alles versaut"
"Nein, Lea, das stimmt nicht!", antwortete sie immer wieder aber Lea wollte sie nicht verstehen.
Sie war Schuld, es war alles nur so gekommen, weil Lea sie dazu gebracht hat.
"Du musst endlich verschwinden, geh!"
Es würde nichts nützen, Lea würde nicht gehen, niemals. Sie war ein Teil von ihr, für immer.
"Ich weiß, was du jetzt brauchst", hörte sie Lea flüstern.
Oh ja, das wusste sie, das wusste sie immer. Was würde sie nur ohne Lea machen?
"Stell dich nicht so an, greif in deine Tasche und trink es!"
Lea konnte richtig forsch werden, wenn man nicht das tat, was sie verlangte.
"Lea, ich sollte das nicht. Kannst du dich nicht mehr erinnern, welcher Tag morgen ist? Weißt du nicht, dass man versuchen wird, uns zu trennen, für immer?
"Doch, Hannah, das weiß ich Weißt du auch wer Schuld daran hat? Du, Hannah, du ganz allein. Wer hat uns denn auffliegen lassen? Erinnerst du dich, Hannah?"
Hannah senkte ihren Kopf. Ja, das tat sie. Lea hatte Recht, es war ihre Schuld. Sie fühlte sich verantwortlich für alles. Eine Träne kullerte ihr die Wange herunter.
"Du hast ja Recht, Ich bin Schuld, ich ganz allein. Es tut mir so leid, Lea, wirklich! Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe, aber ich kann es nicht ändern, ich wünschte ich könnte"
"Schon gut, Hannah, wir schaffen das schon. Ich werde dir helfen, aber jetzt tu, was ich dir gesagt habe. Bitte, tu es für mich, oder bin ich dir etwa egal?"
"Nein, Lea, sag so etwas nicht! Siehst du, ich trinke ja schon. Bist du jetzt zufrieden, ist es das, was du willst, dass ich trinke? Bist du nur glücklich, wenn ich betrunken bin?"
Hannah konnte nicht länger mit Lea zusammenleben. Sie machte sie kaputt, andauernd überredete sie sie zu Dingen, die sie eigentlich nie tun würde. Andererseits war Lea immer für sie da gewesen. Sie stand in Leas Schuld. Außerdem wollte sie es ja selbst. Sie wollte trinken, se wollte bei Lea bleiben. Doch das ließen die anderen nicht zu. Niemand konnte verstehen, was Lea und sie hatten. Alle verlangten immer von ihr, normal zu sein. Aber was war schon normal? Bedeutete normal zu sein, so zu sein wie die anderen? Was, wenn alle so wären wie Hannah, wäre sie dann normal? Wenn alle Menschen auf der Welt trinken würden, würde sie dann als abnormal bezeichnet werden, wenn sie nicht trinkt? Hannah wusste einfach nicht was zu tun war. Sie war gefangen in ihrer eigenen Wirklichkeit, der einzig wahren Wirklichkeit, wie Lea meinte. Aus dieser Wirklichkeit auszubrechen würde sie gleichzeitig retten und zerstören. War das überhaupt möglich?
"Hannah, vergiss nicht, du musst trinken!"
Sie hatte ganz auf Lea vergessen.
"Hör auf dir Sorgen zu machen. Du machst alles genau richtig, Hannah. Du brauchst nicht so zu sein, wie die anderen, es ist gut so, wie du bist."
"das wollen mir die anderen aber nicht glauben! Sie denken, ich bin verrückt, Lea, sie wollen mich wegsperren und für immer von dir trennen! Das können wir nicht zulassen, was soll ich nur tun?"
Immer diese Zerrissenheit. Sie brauchte Hilfe, so schnell wie möglich.
"Hannah, du musst jetzt stark sein. Du darfst den anderen nicht vertrauen, sie wollen uns nur auseinander bringen, das hast du doch selbst gesagt! Du brauchst keine Hilfe, du brauchst nur mich! Wenn du mir nicht vertraust, dann werde ich gehen, und das wird dich zerstören, du bist nichts ohne mich. Du brauchst mich, ich bin du, du willst dich doch nicht selbst verlieren, oder, Hannah, willst du das? Weißt du, ich kann dich nicht verstehen. Wir hatten so ein tolles Leben. Klar, du hast getrunken aber das hatten wir schon im Griff."
"Tolles Leben? Lea, weißt du eigentlich was du da redest? Ich bin süchtig und das ist alles deine Schuld! Du hast mich ruiniert, du hast uns beide ruiniert!"
"Wiedersprich mir nicht, Hannah! Wie kannst du so etwas sagen? Das ist Blödsinn, und das weißt du auch. Ich würde die nie Schaden, warum glaubst du mir nicht? Trink etwas, das wird dich beruhigen. Hannah, ich weiß nicht, was mit dir los ist, wie konnte es nur so weit kommen, das du nicht einmal dir selbst vertraust? Ich bin du, Hannah, wir sein eins!"
"Hör auf, hör auf damit, Lea! Du bist verrückt, du bist die einzige, die verrückt ist, nicht ich! Du bist ganz bestimmt nicht ich, ich würde so etwas nie tun ich könnte nie so grausam sein!"
So kante sie Lea gar nicht. Was war nur mit ihr los? Bestimmt machte ihr die ganze Situation zu schaffen, sie hatte nur angst. Sie meinte all diese Dinge sicher nicht ernst.
"Lea, es tut mir leid, du hast Recht, Ich könnte ohne dich nicht leben, ich brauche dich. Du wirst immer für mich da sein, und ich auch für dich. Doch es gibt keinen Ausweg, sie werden uns trennen, Lea, was soll ich nur ohne dich machen?"
"Hannah, keine Sorge, es gibt einen Ausweg, vertrau mir. Du musst einfach nur tun, was ich dir sage, okay? Kannst du das, Hannah?"
"Ja, ja das kann ich, was immer es ist, wenn wir dadurch zusammen bleiben können, dann werde ich es tun. Ich verspreche es dir. Bist du mir noch böse, Lea? Ich werde es wieder gut machen, ich tu was immer du willst!"
"Nein, Hannah, bin ich nicht. Dann hör mir jetzt gut zu, du musst es genau so machen, wie ich es dir sage! Hab keine Angst, Hannah, es ist das Beste für uns, du wirst sehen"
Hannah tat, was Lea von ihr verlangte. Bestimmt würde alles gut werden. Lea hatte Recht, wie immer. Sie war so klug und Hannah war so dumm. Wenn sie Lea jetzt nicht verlieren wollte, dann musste sie tun, was von ihr verlangt wurde. Sie stand auch und ging ins Badezimmer, öffnete die unterste Schulblade und holte eine Rasierklinge heraus. Sie tat es genau so, wie Lea es ihr gesagt hatte.
"Das machst du sehr gut, Hannah, ich bin stolz auf dich! Jetzt geh wieder zurück in dein Bett und mach weiter, du weißt ja, was zu tun ist!"
Hannah ließ dich auf die Matratze fallen, Die linke Hand streckte sie langsam vor sich aus, in der rechten hielt sie, fest umklammert, die Rasierklinge.
"Lea, bist du ganz sicher, dass es der einzige Ausweg ist?"
"Natürlich, vertraust du mir etwa nicht? Enttäusch mich nicht, bring es zu Ende, Hannah!"
Hannah setzte die Klinge an und drückte so fest sie konnte zu, während sie damit ihren Arm entlang fuhr. Sofort strömte Blut aus der Wunde und breitete sich überall aus. Alles färbte sich rot, ihre Hand, ihre Kleidung, ihr Bettzeug.
"Sehr gut, Hannah, das machst du großartig. Und jetzt die andere"
Hannah wiederholte, was sie soeben getan hatte an der rechten Hand.
"Spürst du es, Hannah? Wie dir langsam schwindelig wird? Dein Puls wird immer schwächer, Hannah, bald ist es vorbei, dann kann uns niemand mehr trennen!"
Hannah lag blutüberströmt auf ihrem Bett. Sie spürte keine Schmerzen. Alles, woran sie denken konnte war, dass sie es jetzt fast geschafft hatte, dass jetzt alles gut werden würde. Sie hatte das Richtige getan, ganz bestimmt.