Le Roi est mort
Das Tückische an perfekten Plänen ist: sie funktionieren nur auf dem Papier. Was einfach aussieht, nebensächlich, nicht erwähnenswert, wächst sich zu einem dicken Problem aus. Wie ein Unwetter aus heiterem Himmel bricht die Katastrophe über die Handelnden herein und lässt scheitern, was so gut ersonnen schien.
Stephen hatte zwei Gründe, bei dem Coup dabei zu sein: seine Nähe zu Präsident Presley und seinen unstillbaren Appetit auf Geld. Fünfzig Riesen waren für ihn drin, Geld, das er mehr als dringend brauchte, und die Sache würde ein Spaziergang sein. So würde es ablaufen: Während Presley, Liebling der Medien und des einfachen Mannes auf der Straße, vor einer riesigen Menschenmenge eine seiner epochalen Reden hielt, würde Stephen - als sein Leibwächter niemals mehr als eine Armlänge von ihm entfernt - ihm ein Betäubungsmittel injizieren.
Presley würde vor den Kameras der Welt einen Schwächeanfall erleiden und, verfolgt von Scharen von Reportern in Hubschraubern und auf Motorrädern, in die nächstgelegene Universitätsklinik gebracht werden, wo er leider, trotz aller Bemühungen der Ärzte, seinem Herzanfall erliegen würde. Der Rest der Geschichte interessierte Stephen nur so viel, wie er als Insider Presley als aufgedunsenen, schmierigen, unsympathischen Weiberhelden und Säufer kannte und hasste. Wie auch immer, um alles Weitere würden sich seine Auftraggeber kümmern.
Als die Limousine des Präsidenten hinter der Tribüne eintraf herrschte bereits eine Stimmung wie auf einem Open-Air-Konzert. Presley brauchte drei Minuten und fünf Anläufe, um mit seiner ersten Parole zum Publikum durchzudringen, die der Masse gleich eine Gänsehaut erzeugte. Nach weiteren fünf Minuten tobte das Volk vor Entzücken und die ersten Damenslips flogen durch die Luft. Einige Stationen aus dem Mittleren Westen blendeten ab und spielten vor dem heroisch flatternden Star Sprangled Banner die Nationalhymne, die meisten Sender aber blieben auch dran, als immer mehr weibliche Fans ihre Brüste zur Tribüne hin entblößten.
Stephen nutzte eine Atempause Presleys, in der dieser seiner rauher werdenden Stimme mit einem Schluck aus einer unter dem Podest stehenden Whiskyflasche wieder den legendären Schmelz verleihen wollte, um ihm die Spritze zu verpassen. Presley schien nichts bemerkt zu haben und trat wieder an das Mikrofon. Mit jedem seiner Worte raste ein vieltausendstimmiges Raunen durch die Menge. Feuerzeuge wurden über den Köpfen geschwenkt, erste Plakate zeigten Sprüche wie 'Ich will ein Kind von Dir'.
Stephen wartete kühl auf die Wirkung der Injektion, die rasch einsetzen würde. Und richtig: für die Zuschauer unbemerkbar begann das linke Knie des Präsidenten leicht zu zucken, kurz darauf im Gegentakt dazu sein rechtes. Die bisher so monotone, aber einschmeichelnde Stimme des Präsidenten wurde melodischer und ging in einen Singsang über. Das Zucken seiner Knie breitete sich weiter über seinen Körper aus und ergriff schließlich seine Hüften, die jetzt im Takt zu seiner nur noch als Gesang zu bezeichnenden Rede auf und ab schwangen. Nur Augenblicke später fingen seine Füße an, sich immer heftiger ein- und auswärts zu drehen. Lange würde es also nicht mehr dauern.
Präsident Presleys Augen schienen aus ihren Höhlen zu quellen. Er griff sich nun an den Hals, um sich von dem latzartigen Tuch zu befreien, das, wie er glaubte, seine Atmung behinderte. Nachdem er sich damit flüchtig über die Stirn gewischt hatte, warf er das Tuch mit aller Kraft ins Publikum. Ein Schrei entwand sich allen Kehlen, man stürzte sich auf das Tuch wie auf eine Reliquie. Presley verlangte nun, für die Hälfte der Menschheit an den Fernsehschirmen deutlich vernehmbar, nach einer Gitarre, die auch eilfertig herbeigeschafft wurde. Stephen schlich von der Tribüne und machte sich auf den Weg zum Flughafen.
…
Wahre Männer können weinen. Stephen bot den Anblick eines wirklichen, echten Mannes. Er saß zusammengesunken am Strand von Tahiti, schaute immer wieder kopfschüttelnd auf die Zeitung in seinen Händen, legte sie neben sich, hob sie wieder auf und schaute erneut hinein. Während eine Träne nach der anderen über seine Wangen rollte und er mehr als einmal herzhaft schluchzte, warf er immer wieder einmal eine Handvoll grüner Scheine in das primitive Lagerfeuer vor ihm. Was sollte er auch mit seinen US-Dollars anfangen, jetzt, wo das Königreich von Nordamerika ausgerufen war?