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Lavendelnächte

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02.01.2002
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Lavendelnächte

Tom fröstelte. Dunkle Wolken standen am Himmel und kündigten Regen an. Die Jacke eng um die Schultern gezogen stampfte Tom die staubige Straße entlang. Er verzog das Gesicht. Wäre er an einem anderen Ort ausgestiegen, säße er wahrscheinlich schon längst in einer netten kleinen Herberge. Stattdessen hatte er den Bus aufs Geratewohl in Seaton verlassen und seitdem drei Pensionen abgeklappert, die allesamt ausgebucht waren. An solchen Tagen verfluchte Tom seine Impulsivität. Hätte er seinen Trip doch vorher besser geplant, hätte er sich doch einen Reiseführer besorgt ... Es donnerte.

"Auch das noch", schimpfte der junge Mann, schnallte seinen Rucksack enger und beschleunigte seine Schritte. Suchend blickte er sich um. Die Häuser, die er während des letzten Kilometers passiert hatte, konnte er an den Fingern seiner Hand abzählen. Nie hätte er gedacht, dass es in der Nähe von Großstädten noch solch ländliche Orte gab. Seaton jedoch erschien ihm wie ausgestorben.

Kein Wunder, die sitzen bei diesem Hundewetter schließlich auch alle vor ihren Fernsehern und lassen es sich gutgehen, schoss es ihm durch den Kopf.

"Verdammter Mist", murmelte er. Seine Turnschuhe hatten bereits eine graubraune Färbung angenommen, seine Schultern schmerzten von der dauernden Last und er sehnte sich nach einem ausgiebigen Bad.

Hättest du doch besser mal auf deine Mutter gehört, die dir riet dich telefonisch nach Unterkünften zu erkundigen.

Tom lachte trocken auf. Nur Spießer und Trottel dachten daran, was ihre Mama ihnen geraten hatte. Ein Tropfen streifte sein Gesicht. Nieselregen setzte ein.

Gleich bist du sogar ein nasser Trottel.

Er nahm sich vor, beim nächsten Gebäude, das er sah, zu klingeln und nach einer Herberge zu fragen. Es hatte zwar ein Abenteuerurlaub werden sollen, aber kein Abenteuer der Welt war eine Lungenentzündung wert, fand Tom. Er hatte Glück, denn er erkannte etwa dreißig Meter vor sich einen Gartenzaun und dahinter ein kleines Haus.

"Hoffentlich sind die Bewohner zuhause", knurrte er. Die Kälte kroch ihm in die Glieder, der Regen durchnässte seine Kleidung und er spürte, dass sich an seinem rechten Fuß eine Blase gebildet hatte. Scheiß auf den Abenteuertrip, heute Nacht wollte er nur ein warmes Bett und wenn er dafür den doppelten Preis zahlen musste. Hinter den zugezogenen Vorhängen brannte Licht. Tom atmete auf. Jetzt hoffte er nur noch, dass die Bewohner ihm weiterhelfen konnten. Das Zauntor war bloß angelehnt, ein weiteres Zeichen dafür, das jemand zuhause war. Mit klammen Fingern drückte Tom den Klingelknopf. Nichts rührte sich. Tom wartete ein paar Sekunden und klingelte erneut. Endlich hörte er leise Schritte im Haus. Die Tür öffnete sich eine winzigen Spalt.

"Ja?"

Eine ältere Frau lugte durch die Öffnung hindurch. Mit zusammengekniffenen Augen musterte sie den Fremden. Tom räusperte sich.

"Verzeihen Sie die Störung, ich suche eine Unterkunft. Ich war bereits bei drei Pensionen hier in Seaton und alle sind ausgebucht, da dachte ich ..."

"... da dachten Sie, dass sie bei mir wohnen können, wie?" Die Stimme der Frau klang überraschend dunkel.

Tom schüttelte den Kopf.

"Nein, natürlich wollte ich Sie nicht fragen ob ich bei Ihnen unterkommen kann, ich wollte nur wissen wo sich hier die nächste Herberge -"

"Gibt keine mehr", unterbrach ihn die alte Frau barsch. "Die nächste Herberge liegt fünf Kilometer entfernt und die hat zur Zeit geschlossen."

Toms Mut sank. Wie um seine Verzweiflung noch anzustacheln donnerte es erneut, und Sekunden darauf folgte ein Blitz.

"Scheiße", rutschte es Tom heraus. "Entschuldigen Sie, aber ich muss diese Nacht irgendwo unterkommen, ich ... ach, verdammt ..."

Die Frau nickte, ohne eine Miene zu verziehen.

"Sind Sie stark?", fragte sie dann unvermittelt. Tom sah auf.

"Wie bitte?"

"Ob Sie stark sind, anpacken können." Sie musterte ihn abermals, diesmal gründlicher, wie es schien. "Wenn Sie sich ein bisschen nützlich machen wollen, können Sie die Nacht hier verbringen. War früher mal eine Pension, mein Haus." Sie zögerte. "Deswegen dachte ich, dass Sie hierherkamen um mich danach zu fragen. Habe früher oft junge Leute beherbergt, ehe mir die Arbeit zuviel wurde."

Toms Gesicht leuchtete auf.

"Natürlich gehe ich Ihnen gerne zur Hand", beeilte er sich zu sagen. "Wenn Sie mich die Nacht hier verbringen lassen, wäre das prima."

Die Frau nestelte an der Tür eine Kette ab und ließ ihren Gast eintreten. Er streckte ihr die Hand hin.

"Ich bin Ihnen wirklich zu Dank verpflichtet ... Thomas Sherton ist mein Name."

Die Frau erwiderte den Händedruck. "Irene Lassinger."

Sie drehte sich um.

"Kommen Sie mit."

Tom putzte sich die lehmigen Schuhe ab und folgte der alten Frau. Der Flur war schmal und dunkel, lediglich eine kleine Lampe spendete ein wenig Licht. Ein paar Stickereien zierten die Wände, eine Vase mit vertrocknetem Lavendel stand in einer Ecke.

"Im ersten Stock liegen das Gästezimmer und direkt daneben ein Bad."

Gehorsam stieg Tom hinter der Frau die Treppe hoch. Sie öffnete eine Tür.

"So, das ist Ihr Zimmer." Ihre Augen fixierten den jungen Mann, als er seine Unterkunft begutachtete. In dem spartanisch eingerichteten Raum standen ein Bett, ein Tisch mit einem Stuhl und eine Kommode. An der Wand entdeckte Tom zwei kleine Bücherregale und ein altes Gemälde, das einen Blumenstrauß zeigte. Eine weitere Tür führte ins Badezimmer.

"Sehr schön", lächelte Tom. Die Frau winkte ab.

"Es ist nichts besonderes, aber es hat mir seinerzeit über die Runden geholfen." Sie warf ihm einen scharfen Blick zu. "Sagen wir ... zwanzig Pfund, inklusive Abendessen und Frühstück?"

Tom nickte und kramte nach seinem Geldbeutel.

"Ich kann gar nicht sagen, wie froh ich bin", bedankte er sich, während er der Frau die Scheine und, nach einem kurzen Zögern, seinen Ausweis gab.

"Lassen Sie nur, Mr. Sherton. Wir werden sehen, ob Sie morgen immer noch so zufrieden sind, wenn Sie mir geholfen haben das Unkraut im Garten zu jäten." Sie zwinkerte ihm zu und verließ das Zimmer.

Tom warf seinen Rucksack in eine Ecke und ließ sich auf das Bett fallen. Der weiche Untergrund war eine Wohltat für seine müden Knochen. Mit einem Seufzer streifte er seine Schuhe ab und humpelte ins Badezimmer. Es war klein, aber Tom hatte nur Augen für die Badewanne, in die er sofort heißes Wasser einließ.

*

Fast eine Stunde lang genoss er den duftenden Schaum, bis ein Klopfen an der Tür ihn aufschrecken ließ.

"Ich habe Ihnen das Essen hingestellt", vernahm er die Stimme der Alten. "Noch ist es heiß, besser Sie kommen jetzt heraus."

Tom hörte, wie sie sein Zimmer wieder verließ. Er streckte sich kurz und stieg aus der Wanne. Rasch trocknete er sich ab und zog sich saubere Kleidung über. Auf dem Tisch neben seinem Bett erwartete ihn ein Tablett. Tom lief das Wasser im Mund zusammen, als er die Köstlichkeiten darauf entdeckte: einen dampfender Teller Suppe, ein Schüsselchen Salat und ein paar Scheiben Brot mit Käse, dazu ein Glas Wasser. Erst während er aß merkte Tom, wie hungrig er gewesen war.

Nach Beendigung seiner Mahlzeit sank er auf das Laken nieder. Bleierne Müdigkeit hüllte ihn ein und er schloss die Augen. Leise prasselte der Regen gegen das Fenster, während Tom in einen tiefen Schlaf fiel.

Als Tom erwachte, schien bereits die Sonne in sein Zimmer. Er gähnte. Blasse Erinnerungsfetzen seiner Träume blitzten noch in seinen Gedanken auf und er schüttelte den Kopf um sie zu vertreiben. Er hatte das Gefühl tagelang durchgeschlafen zu haben. Als er sich erheben wollte, schwindelte ihm. Stöhnend hielt er sich an der Bettkante fest. In seinem Kopf drehte sich alles.

Stell dich nicht so an, du musst doch ausgeschlafen sein nach dieser Nacht!

Ein paar Sekunden lang massierte er mit den Fingerkuppen seine Schläfen. Er wartete noch einen Moment lang und versuchte erneut aufzustehen. Ein stechender Schmerz fuhr durch seinen Hinterkopf. Tom biss sich auf die Lippen, um einen Laut zu vermeiden.

Verflucht nochmal, du bist doch sonst nicht so empfindlich!

Der Regen und die Kälte gestern Abend. Das lange Wandern auf der Straße. Der schwere Rucksack. Tom seufzte. Hatte er wirklich geglaubt ohne auch nur eine Erkältung davonzukommen? Er war in den letzten Tagen so viele Stunden bei schlechtem Wetter herumgeirrt, dass auch das heiße Bad gestern kein Wunder mehr hatte bewirken können. Er konnte vor Glück sagen, wenn nicht auch noch Fieber dazukam. Tom fühlte an seiner Stirn. Kein Fieber. Aber sein Kopf dröhnte, als hätte die Eisenbahngesellschaft dort über Nacht eine neue Route für den Intercity verlegen lassen.

Bleib noch eine Nacht hier. Lass dir von der Alten ein paar Teller Suppe servieren und zieh morgen weiter ... der Trip nach Midwinter läuft dir nicht weg.

Es klang zu verlockend. Tom hoffte, dass seine Gastgeberin Verständnis zeigen würde.

Es klopfte an seine Tür.

"Sind Sie schon wach?"

"Ja", antwortete Tom und hustete. "Ich ... ich bin wohl noch nicht ganz fit, muss mich doch ein wenig erkältet haben."

Kurze Pause.

"Ich werde Ihnen einen Tee machen", gab Mrs. Lassinger zurück und entfernte sich wieder. Schweren Herzens entschloss sich Tom sich doch zu erheben, um der alten Frau wenigstens gegenübertreten zu können. Es dauerte doppelt so lange wie sonst, bis er sich angezogen hatte. Das Pochen in seinem Hinterkopf ließ nicht nach. Er war gerade in seine Schuhe geschlüpft, als Mrs. Lassinger sich zurückmeldete. Mit zitternder Hand öffnete er ihr die Tür.

"Wie sehen Sie denn aus?", fragte die alte Frau und riss die Augen auf. Mit geübter Geste legte sie ihm die Hand auf die Stirn.

"Kein Fieber. Aber Ihre Gesichtsfarbe gefällt mir gar nicht ..."

"Mir auch nicht", murmelte Tom, der sich denken konnte, wie er aussah. Verschwommen nahm er wahr, dass seine Gastgeberin die Nacht offenbar sehr viel besser hinter sich gebracht hatte als er. Erst jetzt im Tageslicht hatte er Gelegenheit, sie richtig zu betrachten.
Sie war tatsächlich nicht mehr jung, aber nicht so alt, wie er gestern Abend in der Dämmerung geglaubt hatte. Schon ihre kräftige Stimme hatte darauf hingewiesen, dass er es nicht mit einem zerbrechlichen Mütterchen zu tun hatte. Im Gegenteil, ihr Gesicht wies zwar einige Furchen auf, besaß jedoch eine gesunde Farbe, die vermutlich von den Aufenthalten in ihrem Garten herrührte. Ihr Haar war grau, aber doch noch voll und an einigen Stellen ließ sich erkennen, dass es früher sehr dunkel gewesen sein musste. Sie war zwar klein, doch nicht mager, wie andere Frauen ihres Alters. Am auffälligsten waren aber ihre Augen, in denen Tom ein gewisses Blitzen zu sehen meinte. Früher war sie gewiss einmal hübsch gewesen.

Er riss sich zusammen.

"Danke für den Tee", sagte er, als er die Tasse in die Hand gedrückt bekam. Mrs. Lassinger betrachtete ihn.

"Sie werden sich heute wohl noch erholen wollen, wie?" Er wollte gerade antworten, als sie abwinkte.

"Schon gut." Sie zog eine kleine Grimasse. "Mein Unkraut wird sich auch noch bis morgen gedulden können."

Tom lächelte schwach. Der Tee tat ihm gut, doch er ahnte, dass er möglichst schnell wieder ins Bett kommen musste, wollte er sich regenerieren.

"Ich lege mich am besten wieder hin", brachte er hervor. Er wankte ins Zimmer zurück.

"Ich bringe Ihnen noch etwas zu essen rauf und dann schlafen Sie am besten noch etwas!", rief Mrs. Lassinger ihm hinterher. Tom hatte sich kaum auf dem Bett zusammengerollt, als ihm auch schon die Augen zufielen.

*


Es war Abend, als er wieder erwachte. Die Dämmerung brach herein und ein kühler Wind strich ums Haus. Durch das geöffnete Fenster drang ein schwacher Lavendelduft. Tom atmete tief ein. Lavendel galt als altes Hausmittel gegen Kopfweh, vielleicht hatte auch das zu seiner Genesung beigetragen. Tom drehte probeweise seinen Kopf. Die Schmerzen waren noch da, aber so weit abgedämpft, dass er ohne Schwierigkeiten aufstehen konnte. Während er seine Kleidung glättete, fiel sein Blick auf die Teetasse auf seinem Nachtttisch. Er lächelte. Über mangelnde Pflege konnte er sich wirklich nicht beklagen.

Der Flur war dunkel, wie bereits am Abend zuvor. Tom tastete sich zur Treppe vor, die er langsam hinunterschritt. Vorsichtig, nur nicht zu schnell bewegen. Er räusperte sich.

"Mrs. Lassinger?" Keine Antwort. "Mrs. Lassinger?"

"Oh, geht es Ihnen wieder besser?", hörte Tom auf einmal hinter sich. Er schrak zusammen und griff nach dem Geländer. Nur einen Moment später war Mrs Lassinger bei ihm, um ihn zu stützen.

"Entschuldigen Sie, ich wollte mich nicht anschleichen." Sie lachte leise. "Ich bin nun schon so lange allein hier, dass ich Gäste nicht mehr gewöhnt bin."

"Macht nichts", krächzte Tom. Er schnupperte. Dieser Geruch ...

"Gefällt es Ihnen?"

"Wie bitte?" Tom fühlte sich ertappt.

"Der Lavendelduft. Manche Menschen mögen ihn nicht, er ist ihnen zu stark. Hinter dem Haus blühen ganze Sträucher und der Duft zieht durch die Fenster. Ich finde ihn so beruhigend ... Mögen Sie ihn auch?"

Tom nickte stumm. Mrs. Lassinger seufzte.

"Da erzähle ich ihnen von meinen Lavendelpflanzen und vergesse ganz, dass Sie doch mein Patient sind! - Ich habe Ihnen eine Suppe gemacht, Sie können in der Küche essen, wenn Sie möchten."

Tom nickte abermals und stieg die letzten Stufen der Treppe hinunter.

"Ist es immer so dunkel bei Ihnen?", brachte er fast schüchtern hervor. Seine Gastgeberin zuckte die Schultern. "Ich mag dieses moderne Licht nicht. Ich benutze lieber Kerzen und für mich alleine reicht es so. Ich kenne jeden Zentimeter in diesem Haus und brauche keine Lampen ... aber bitte, für Sie ..." Ihre Hand glitt zu einem versteckten Winkel an der Wand den Tom ohne weiteres gar nicht entdeckt hätte und sogleich erhellte sich der Flur. Die plötzliche Helligkeit ließ Tom blinzeln. Mrs. Lassinger stand vor ihm. Täuschte er sich, oder war ihr Haar dunkler als am Vortag? Gestern hatte man erahnen können wie ihre einstige Haarfarbe aussah, heute entdeckte er nur noch vereinzelte graue Strähnen darin. Eine Ahnung stieg in ihm auf und er biss sich auf die Lippen um ein Grinsen zu unterdrücken. Seine Gastgeberin musste sich tatsächlich die Haare getönt haben. Tom musterte ihre Gestalt. Es war erstaunlich, was man mit Schminke offenbar alles erreichen konnte - selbst ihre Haut schien mit einem Mal glatter und ebenmäßiger. Die am Vortag noch blassen Lippen waren in ein zartes Rot getaucht. Tom hatte sich nie für ältere Frauen interessiert, aber er konnte nicht leugnen, dass Mrs. Lassinger mit ein paar Kunstgriffen durchaus attraktiv wirkte. Er räusperte sich und folgte ihr in die Küche.

Beim Essen schweiften seine Blicke immer wieder zu der Frau. Wie hatte er sie nur auf über sechzig schätzen können? Hatte die Müdigkeit seinen Verstand benebelt? So wie Mrs. Lassinger jetzt aussah fiel es ihm schwer zu glauben, dass sie auf die fünfzig zugehen könne. Während er Konversation mit ihr betrieb hoffte er, dass sie seine Verwirrung nicht bemerken möge. Einmal glaubte er ein spöttisches Lächeln gesehen zu haben, doch das mochte eine Täuschung gewesen sein.

Bereits nach einer Stunde spürte er wieder, wie sich die Erschöpfung in seine Glieder schlich. Als er sein Gähnen nicht mehr unterdrücken konnte beschloss er in sein Zimmer zurückzukehren.

"Es tut mir Leid, dass ich Ihnen solche Umstände mache, aber ..."

Mrs. Lassinger schüttelte den Kopf.

"Sie sind krank, das sieht ein Blinder und Sie werden noch mindestens einen Tag brauchen, um sich zu erholen." Sie senkte ihre Stimme. "Ich werde Ihnen die Treppe hinaufhelfen." Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. Eine zarte Berührung, die ihm eine Gänsehaut bereitete. Süßer Lavendelduft stieg ihm in die Nase. Ihm schwindelte, doch nicht nur wegen seiner Krankheit.

"Danke", brachte er hervor, ehe ein Finger seine Lippen versiegelte. Er spürte ihren Atem auf seinem Gesicht. Kleine Schauer jagten ihm über den Rücken als sie ihm eine Hand auf die Schulter legte. Tausend Gedanken wirbelten in seinem Kopf umher, doch keinen einzigen konnte er zuende verfolgen. Er fühlte nur noch ihre Hände, er sah nur noch ihre Augen und er hörte nur noch ihre leisen Worte mit denen sie ihn bat ihm zu folgen.

*

Tom erwachte unter Schmerzen. Stöhnend fasste er sich an die Stirn und blinzelte.

"Irene", murmelte er. Die Frau neben ihm lachte.

"Letzte Nacht hast du mich Iris genannt, weißt du nicht mehr?", neckte sie ihn. Tom massierte seine Schläfen.

"Komm schon, sag nicht du fühlst dich immer noch schlecht", gurrte Irene.

"Wird gleich schon wieder gehen", meinte Tom. Er atmete ein paar Mal durch und erhob sich langsam. Sofort legte sich ihm eine Hand auf den Rücken.

"Du bist noch nicht ganz gesund, ich werde dir einen Tee machen", flüsterte Irene ihm ins Ohr. Der junge Mann nickte schwach. Zum ersten Mal sah er das Schlafzimmer bei Tag. Es unterschied sich nicht wesentlich von seinem Gästezimmer. Ein Bett, eine Kommode, eine Tür zum Bad nebenan, Bilder und Regale an den Wänden. Auf dem Nachttisch konnte er zusätzlich noch eine Vase bewundern. Lavendel. Nicht vollständig erblüht, aber beinah. Als Irene mit einer Tasse zurückkehrte fiel ihm ihr violetter Morgenmantel ins Auge.

"Du liebst diese Farbe, oder?", fragte er, nachdem er einen Schluck genommen hatte. Sie lächelte.

"Nunja, sie macht mich jünger." Sie zwinkerte ihm zu. "Frauen in meinem Alter sollten so etwas beachten." Tom schüttelte den Kopf so energisch wie es seine Schmerzen zuließen.

"Du siehst fabelhaft aus. Ich möchte gar nicht wissen, wie ..."

"Wie alt ich bin?", ergänzte Irene. Sie strich sich über den Mantel. "Das sage ich dir auch besser nicht. Es könnte dich womöglich noch verschrecken."

"Ganz sicher nicht", gab Tom zurück und beobachtete sie, während sie ihm das Frühstück bereitstellte. Wenn er irgendwann im Laufe der Nacht die Befürchtung gehabt haben sollte dass sich Irene bei ihm anstecken könne, so hatte er sich getäuscht. Nie hatte sie besser ausgesehen als an diesem Morgen. Die Sonnenstrahlen ließen ihr brünettes Haar glänzen und zauberten die restlichen verbliebenen grauen Strähnen weg. Ihre Augen funkelten und ihr Körper war beinahe so schlank und geschmeidig wie der eines jungen Mädchens. Er lächelte. Nein, nicht wie ein junges Mädchen, vielmehr wie eine Katze. Wie eine sanfte und hingebungsvoll schmusende Katze, die zwischendurch die Krallen ausfuhr und sie ihm in die Haut grub, die ihm zwischen atemlosen Küssen mal zärtliche Koseworte ins Ohr schnurrte und mal wollüstig auffauchte. Was kümmerte es, dass sie vom Alter her seine Mutter sein konnte. Er hatte eine wunderbare Nacht mit ihr verbracht und die nächste würde wieder ihr gehören ... wenn die Schmerzen endlich nachließen. Sein Blick fiel auf die Teetasse, an der er bisher nur genippt hatte. Es schmeckte ihm, aber bei seiner Genesung hatte es ihm bislang noch nicht geholfen ... Er schluckte. Sein Herz klopfte schneller. Sein kein Idiot, schimpfte er sich, doch der Gedanke ließ sich nicht mehr vertreiben. Was hätte sie davon dich krank zu machen? Bist du dann leichter ins Bett zu kriegen? Das war idiotisch. Irene sah für ihr Alter fantastisch aus und hatte keine Tricks nötig gehabt um ihn gestern Abend zu verführen. Wahrscheinlich lag es sowieso nur an seiner krankheitsbedingten Vernebelung, dass er ihr Attraktivität erst so spät bemerkt hatte. Trotzdem hatte sich irgendetwas in Tom festgesetzt und begann in ihm zu nagen. Er griff nach der Tasse und zählte die Minuten, bis sie wieder aus dem Bad trat.

"Na, geht es dir etwas besser?" Irene hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.

"Geht so", nuschelte er. "Was is'n das für'n Tee?", fragte er mit unbeteiligter Miene.

"Schmeckt ein bisschen eigenartig."

Irene drehte sich zu ihm.

"Nana, du wirst doch nicht mein Geheimrezept verschmähen wollen?"

Täuschte er sich, oder hatte ihre Stimme einen etwas rauheren Ton als sonst?

"Quatsch, es hat mich nur irgendwie an Hagebuttentee erinnert. Aber der kann es nicht sein, der ist schließlich rot."

Irenes blickte ihn stumm an. Tom fuhr sich mit der Zunge über seine ausgetrockneten Lippen.

"Ich habe Hagebuttentee nie gemocht", erzählte er hastig, "als Kind hatte ich mal zu viel getrunken und mir wurde übel." Oh Gott, was redest du für einen Scheiß. "Seitdem reagiere ich da ein bisschen komisch drauf, auch wenn er gesund ist."

Irene sagte kein Wort. Er begann zu schwitzen. Das Zimmer schien sich mit einem Mal zu drehen.

"F-findest du nicht, dass er sehr nach Hagebutte schmeckt?" Er verhaspelte sich und hustete. Ehe er sich versah war Irene an sein Bett getreten. Tom hielt den Atem an. Irene beugte sich über ihn und streckte die Hand aus. Sein Herz raste, Schweißtropfen perlten von seiner Stirn. Mit einem Ruck entriss Irene ihm die Tasse, setzte sie an den Mund und trank einen großen Schluck. Sie kniff die Augen zusammen, als müsse sie überlegen. Dann schüttelte sie den Kopf.

"Keine Hagebutte. Ich habe zwar davon im Garten, aber für diesen Tee verwende ich sie nicht." Sie stellte die Tasse hart auf den Nachttisch und sah Tom ins Gesicht. "Wenn es dir nicht schmeckt, kann ich auch ein anderes Rezept probieren. Ich dachte nur, es hilft dir beim Gesundwerden." Ohne eine Antwort abzuwarten griff sie nach einem Wäschebündel und verließ das Zimmer. Als die Tür ins Schloss fiel, atmete Tom aus.

*

Am Abend wagte Tom erneut einen Versuch aufzustehen. Nach dem Mittagessen war er in einen unruhigen Schlaf gefallen der ihm wenig Erholung verschafft hatte, doch nachdem er anschließend noch ein paar Stunden vor sich hingedöst hatte, fühlte er sich wieder halbwegs gestärkt. Er zitterte, als er das Bett verließ und suchte Halt an einer Stuhllehne. Fast im Zeitlupentempo stieg er in seine Kleidung. Sein Gang schwankte leicht, als er auf den Flur trat. Er schnupperte. Lavendel? Vermutlich.

Im Erdgeschoss war der Blumenduft fast überwältigend. Toms Nase kribbelte und er musste niesen. Hinter ihm erklangen Schritte.

"Du bist auf? Geht es dir besser?" Tom setzte bereits zu einer Antwort an, als er sich zu Irene umdrehte. Mit aufgerissenen Augen starrte er seine Geliebte an. Obwohl das Licht im Flur düster war, konnte er die Veränderungen an ihr nicht übersehen. Sie trug wieder ihren violetten Morgenmantel, doch ihr Haar, das am Vormittag noch glatt über ihre Schultern gefallen war, bauschte sich in wilden Locken um ihren Kopf. Ihr Mund leuchtete in einem sündigen Rot und ihre Haut war weiß wie Alabaster.

"Gefalle ich dir?" Sie lachte leise. "Bloß weil ich eine alte Frau bin, muss ich ja nicht wie eine aussehen, oder?", schnurrte sie. Ohne ein Wort zu sagen fasste Tom unter ihr Kinn und hob es an. Ihre Augen funkelten. Tom gab ihr die Antwort ohne sprechen zu müssen.

*

Schmerzen. Gottverdammte Schmerzen. Glühende Nadeln stachen von allen Seiten auf Tom ein, bohrten sich bis in seine Eingeweide. Seine Augen brannten, als er sie öffnete. Um ihn herum war Dunkelheit. Die Welt bestand aus Dunkelheit und höllischen Schmerzen.

"I... Iris ...", brachte er unter größter Anstregnung hervor.

"Schsch ...", hörte er dicht neben sich. Warmer Atem kitzelte sein Ohr.

"Iris ... Irene", krächzte er kläglich und hustete. Eine Hand streichelte seine heiße Wange.

"Ruh dich aus, Liebling." Die Stimme schien von weit herzukommen, obwohl sie so nah klang. Ein Finger legte sich auf seinen Mund.

"Ruh dich aus. Schlaf etwas." Ein Kichern. "Ja, schlaf, schlaf ruhig wieder ein."

Und Tom folgte der Stimme.

*

Das erste, was er nach dem Aufwachen dachte, war: Schmerzen, aber erträglich. Das zweite war: Licht. Obwohl seine Augen tränten, konnte er sie halbwegs offenhalten um sich umzusehen. Er lag im Schlafzimmer. Die Sonne schien ihm ins Gesicht. Vogelgezwitscher klang aus dem Garten herauf und der unvermeidliche Lavendelduft lag über allem wie ein schweres Tuch. Tom versuchte seinen Körper aufzurichten. Mehrmals brach er ab, weil die Schmerzen zu stark wurden, doch als es ihm endlich gelang bemühte er sich sogleich seine Beine aus dem Bett zu hieven. Unter unentwegtem Fluchen, lediglich eingeschränkt durch gelegentliche Atempausen, erhob er sich. Seine zitternde Hand griff nach dem nächstbesten Halt, einer Kommode, und stieß dabei an eine Vase, die mit lautem Knall auf dem Boden fiel. Die prachtvollen Lavendelblüten versanken fast augenblicklich im Wasser. Tom murmelte etwas und wankte zur Tür.

Der Lavendelgeruch schnürte ihm beinahe die Luft ab. Tom schlug sich die Hand vor den Mund und kämpfte sich stufenweise die Treppe hinab. Einmal glaubte er zu fallen. In letzter Sekunde rettete ihn das Geländer. Er taumelte in den Flur. Wohin er sich auch drehte, sein Blick traf violette Blüten. Dutzende Vasen standen auf der Kommode und auf dem Boden. Ein Schluchzer stieg in Toms Kehle auf, er biss sich auf die Lippen bis sie bluteten, um ihn zu unterdrücken. Kein Geräusch jetzt! Stunden schienen zu vergehen, bis er die Hälfte des Flures hinter sich gebracht hatte. Vor seinem Auge tauchte die Haustür auf. Tom streckte seine Hand aus. Es reichte nicht. Noch ein Stück nach vorn, du musst die Tür öffnen, greif nach dem Türknauf, oh Gott, mach die verdammte Tür auf, noch ein bisschen, jetzt -

"Hallo Liebling." Vorbei.

"Was machst du denn da, mein Schatz?" Sie fasste ihn am Arm. "Du gehörst doch ins Bett. Du bist krank ..."

"Ja", erwiderte er mit einer Stimme, die er nicht als seine eigene erkannte. Alles an ihm, was er von früher kannte, schien unendlich weit weg zu sein. "Ich bin krank ... Seit ich bei dir bin." Durch einen Tränenschleier nahm er Irene vor sich wahr. Ihre dunklen Locken, ihr violetter Mantel. So schön. Sie trat eine Schritt näher an ihn heran, bis sie ihn fast berührte. Dämmriges Licht fiel auf ihr Gesicht. Er keuchte. So schön. So jung.

"Du ... du bist nicht Irene!", stieß er hervor. Die Frau lachte.

"Erkennst du mich nicht?" Es glitzerte in ihren Augen. "Tom, sieh nur genau hin ..."

"Du kannst nicht Irene sein!", schrie er, ehe ihn ein Hustenanfall übermannte und zu Boden warf. Das Atmen fiel ihm immer schwerer, der Lavendelgeruch füllte bereits seine Lungen aus. In seinem Herz fühlte er einen seltsamen Druck ... und alles um ihn herum verschwamm.

Die junge Frau beugte sich zu ihm hinab. Fast zärtlich strich sie ihm durch die weißen Haare. Als das Leben aus ihm wich, öffnete sich auch die letzte Blüte.

 

Hallo Ginny,
hab immer noch den Lavendelgeruch in der Nase.:D
Tolle Story, hat mich ein bisschen an die verrückte Alte und den Schriftsteller von King erinnert.
Allerdings war mir ab der Mitte klar, was er für ein Ende mit dem armen Kerl nehmen würde. Zuerst habe ich vermutet, dass die Alte vielleicht ein Vampir ist und ihm nachts die Energie aussaugt. Aber das macht sie ja auf eine andere Weise :D . Spannend geschrieben, so dass man einfach nicht aufhören mag zu lesen.

Lg
Blanca

 

Hi Ginny,

eine Horrorgeschichte, wie ich sie mag, nicht zu gruselig und doch mit Gänsehautfeeling. Da ich King nicht lese, wusste ich bis zuletzt wirklich nicht, was nun dem armen Kerl eigentlich geschieht. Habe zwar so was vermutet, war mir aber nicht sicher. Sehr spannend geschrieben. :thumbsup:

Die Dämmerung brach heran
Bricht Dämmerung nicht herein?

Jetzt brauchte er nur noch zu hoffen, dass die Bewohner ihm weiterhelfen konnten.
Hier würde mir besser gefallen, wenn es hieße "Jetzt hoffte er nur noch, dass die Bewohner ihm weiterhelfen konnten."

LG
merenhathor

 

Hallo Ginny!

Vorweg ein paar (vorwiegend Tipp-)fehler:

[Beim nächsten Gebäude, das ich sehe, klingele ich einfach und frage wo ich eine Herberge finde, nahm er sich vor.]
kling mE etwas holprig, man erwartet nach dem ich-Satz ein Verb wie 'dachte er' oder 'überlegte er'.
Aber sich vornehmen, etwas zu tun... Ich würde den Satz mit Infinitiv schreiben:
Er nahm sich vor, beim nächstbesten Gebäude einfach zu klingeln und nach einer Herberge zu fragen...
geht aber sicher noch besser.

[Hinter den zugezogezogenen Vorhängen brannte Licht. Tom atmete auf. ]
einmal 'zoge' weniger.

["... da dachten Sie, dass sie bei mir wohnen können, wie?" Die Stimme der Frau klang überraschend dunkel.]
'dunkel' finde ich unpassend, wenn schon, dann eher eine 'düstere Stimme', aber beides gibt so nen Vorgeschmack a la Hexe im Haus. Vielleicht rau, grob?

["Es ist nichts besonderes, aber es hat mir seinerzeit über die Runden geholfen." ]
Besonderes gross...

["Wie sehen Sie denn aus?", fragte sie alte Frau und riss die Augen auf. Mit geübter Geste legte sie ihm die Hand auf die Stirn.]
fragte die alte Frau und riss die/ihre Augen auf.

[Sofoprt legte sich ihm eine Hand auf den Rücken.]
irgedwie amüsanter Tippfehler...

[Es unterschied sich nicht wesentlich von seinem Gästezimme.]
r

["Das sage ich dir auch besser nicht. Es könnte dich womöglich noch verschrecken."]
verschrecken gibts glaube ich nicht, zumindest tönts hier verkehrt. erschrecken, beängstigen

[Als das Leben aus ihm wich, öffnte sich auch die letzte Blüte.]
öffnete
Ansonsten geiler Schlusssatz, man erinnert sich, dass die Lavendel, je kränker Tom geworden war, wie Iris - Irene jünger, lebendiger geworden sind.


Stilistisch beneidenswert (vor allem ich sollte etwas daraus lernen), die Idee interessant und nicht wie ich zu Beginn etwas fürchtete ne 0815 "Hänsel (und Gretel) verliefen sich im Haus der Hexe"-Geschichte.
Der Horror läuft eigentlich während der ganzen Geschichte, aber einem/mir wird er nur gegen Schluss wirklich bewusst.
Einmal dachte ich, etwa in der Mitte: Höh, aber die Lavendel waren doch vorhin verwelkt?
Dass etwas mit der Frau nicht stimmt, fällt zwar sofort auf, aber trotzdem ist der Schluss cool und nicht plump.

Ziemlich horrormässig die Vorstellung, wie viele Male Irene schon alt - und dann Dank Gästen wieder jung geworden ist, ich denke Tom war nicht der erste, odr?

Habe die Geschichte ganz gerne gelesen, auch wenn sie an sich keine grosse äussere Spannung beinhaltet.
Die ausweglose Situation Toms gut dargestellt - und immer dieser verflixte Geruch.

MfG Van

 

Huhu zusammen.

@Blanca: Freut mich, dass dir die Story gefallen hat - ist ja für meine Verhältnisse außergewöhnlich lang und daher hatte ich Angst den Leser zwischendurch zu langweilen. Und ausnahmsweise wollte ich den Hauptautgenmerk auch nicht wie sonst oft nur auf die Pointe legen ... deswegen hoffe ich, dass es nicht so schlimm ist, dass du relativ früh geahnt hast, in welche Richtung es geht.
King, jo, man kommt halt nicht von dem los. :D
Ich vermute, du meinst "Misery" - da hab ich auch dran denken müssen, obwohl das ja eine "normale" Entführungsstory ist.
Und so intim wie bei mir sind Paul Sheldon und Annie Wilkes ja zu Annies Kummer nie geworden. :D

@merenhathor: Wie schon eben erwähnt: Die Kingstory hat mit meiner "nur" gemein, dass ein Mann von einer Frau in ihrem Haus festgehalten wird, die Pointe ist ne andere. Aber der Vergleich drängt sich halt auf, klar. Deine beiden Anmerkungen habe ich natürlich gleich umgesetzt, danke dafür. Prima, dass es dir soweit gefallen hat.

@Van: Thx für den ausführlichen Kommentar - peinlich, diese Fehler, habe bereits fast alle ausgemerzt.

ich denke Tom war nicht der erste, odr?
<g> Vermutlich nicht ... Sowas bietet sich halt an, wenn man in einer einsamen Gegend wohnt. ;-)

Danke Euch fürs Lesen und Kommentieren!

Ginny

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ginny!

Auch mir hat die Geschichte gefallen. Du hast eingangs eine tolle Atmosphäre aufgebaut, von der die ganze Geschichte lebt. Ich konnte mir die Landschaft und das Wetter ziemlich gut vorstellen und hatte ehrlich gesagt – auch aufgrund des Ortsnamens Seaton oder der „Pension“ bzw. „Herberge“ – eher England oder Schottland im Kopf als die USA oder Kanada. Vielleicht änderst du die „Dollar“ („sagen wir ... dreißig Dollar“) ja noch in Pfund um. :D

Als Tom schwächer wurde und Irenes Haare dunkler wurden, hab ich irgendwie geahnt, dass sie ihm „das Leben aussaugt“ – trotzdem war die Geschichte gut und interessant genug, um mich als Leser bei der Stange zu halten. Die Story lebt also nicht von der „Pointe“, sondern von ganz anderen Sachen – und das ist bei so einer Geschichte sehr wichtig.

Ich konnte mich gut in die Geschichte reinlesen, also ist es (für mich) gutes Lesefutter. :D
Stilistisch passt es im Großen und Ganzen, an ein paar Formulierungen könntest du aber noch ein bisschen feilen:

„Ein Tropfen streifte sein Gesicht. Nieselregen setzte ein.“
>>> Zwei recht kurze Sätze hintereinander, etwas knapp und dadurch „abgehackt“ formuliert finde ich. Vielleicht kannst du den zweiten Satz etwas verlängern?

„Er nahm sich vor, beim nächsten Gebäude das er sah zu klingeln und nach einer Herberge zu fragen.“
>>> Kommas: beim nächsten Gebäude, das er sah, zu klingeln

„Mit klammen Fingen drückte Tom den Klingelknopf.“
>>> Fingern

„Die Stimme der Frau klang überraschend dunkel.“
>>> Wieso denn „überraschend“? Die Überraschung konnte ich nicht ganz nachvollziehen – das müsstest du vielleicht näher erklären.

„Toms Mut sank bei diesen Worten.“
>>> „bei diesen Worten“ würde ich streichen, das ist eh klar

„Wie um seine Verzweiflung noch anzustacheln donnerte es erneut, und Sekunden darauf folgte ein Blitz.“
>>> Hm, ist es nicht umgekehrt? Ich meine: erst Blitz, dann Donner? ... :D

„Die Frau nestelte an der Tür und ließ ihren Gast eintreten.“
>>> Wieso „nestelte“? Passt hier nicht so, finde ich. Vielleicht einfach „öffnete“?

„Tom schmiss seinen Rucksack in eine Ecke
>>> zu umgangssprachlich

„Tom lief das Wasser im Mund zusammen, als er die Köstlichkeiten darauf entdeckte: Ein dampfender Teller Suppe, ein Schüsselchen Salat und ein paar Scheiben Brot mit Käse, dazu ein Glas Wasser.“
>>> So passt es für mein Sprachgefühl nicht. Wenn man es umformuliert, hieße es:
„als er die Köstlichkeiten darauf entdeckte, nämlich einen dampfenden Teller Suppe“
Deshalb würde ich es so schreiben:
„als er die Köstlichkeiten darauf entdeckte: einen dampfenden Teller Suppe“
("einen" klein, weil nach dem Doppelpunkt kein vollständiger Satz steht)

„Nach Beendigung seiner Mahlzeit sank“
>>> Warum nicht schlicht „Nach dem Essen“, so klingt es etwas hölzern, „überformuliert“

„Der Regen und die Kälte gestern abend.“
>>> gestern Abend

„Tom fühlte an seiner Stirn.“
>>> Vielleicht besser „Tom befühlte seine Stirn“?

„Aber sein Kopf dröhnte, als wenn die Eisenbahngesellschaft dort über Nacht eine neue Route für den Intercity hätte verlegen lassen.“
>>> unschöne Formulierung. Vorschlag:
„Aber sein Kopf dröhnte, als hätte die Eisenbahngesellschaft dort über Nacht eine neue Route für den Intercity verlegen lassen.“

„und er hörte nur noch ihre leisen Worte mit denen sie ihn bat“
>>> Worte, mit denen

„zärtliche Koseworte ins Ohr schnurrte und mal wolllüstig auffauchte.“
>>> Ein bisschen viel Wollust :D, und das „auf“ würde ich streichen

„Nach dem Mittagessen war er in einen unruhigen Schlaf gefallen der ihm wenig Erholung verschafft hatte“
>>> Komma: in einen unruhigen Schlaf gefallen, der ihm

"Ruh dich aus. Schlafe etwas." Ein Kichern. "Ja, schlafe, schlaf ruhig wieder ein."
>>> „Schlafe“ sagt doch kein Mensch: Einfach „Schlaf“ ;)

„Vogelgezwitscher klang aus dem Garten hinauf
>>> herauf
(Sichtweise: Vom Garten aus gesehen zum Fenster nach oben, also hinauf,
aber von oben, vom Fenster aus gesehen: herauf ;))

„Mehrmals musste er abbrechen weil die Schmerzen zu stark wurden“
>>> abbrechen, weil

„als es ihm endlich gelang bemühte er sich sogleich“
>>> gelang, bemühte er sich

„Unter unentwegten Fluchen, lediglich eingeschrängt durch gelegentliche Atempausen“
>>> eingeschränkt

„Durch einen Tränenschleier nahm er Irene vor sich war.“
>>> wahr

Viele Grüße
Christian

 

Oje, sind da noch viele Fehler drin. :(
Danke Ihnen fürs Heraussuchen, Herr Orthograf! :D
Ich mache mich sofort ans Ausbessern.
Ich habe zwar mehrmals Korrektur gelesen ... aber immer zu unmenschlichen Uhrzeiten. :dozey:

Prima, wenn die Atmosphäre bei dir rüberkam, darauf habe ich Wert gelegt.
Und ja, wenn die Ausdrücke eher an England denken lassen ändre ich das vielleicht besser - praktischerweise gibt es sowohl in Schottland als auch in den USA ein "Seaton". <g>

Danke schön!

Ginny

 

Hallo, Ginny!

Schön, auch mal von dir wieder was Neues zu lesen.
Schön auch, daß es Leute gibt, die sich mit Otto-Grafie befassen, das ergänzt sich gut mit meinen Anmerkungen, die sich praktisch NIE damit befassen.

Wäre er an einem anderen Ort abgestiegen
ausgestiegen
Geradewohl
müßte es nicht Geratewohl heißen?
An solchen Tagen verfluchte Tom seine Spontaneität
"Spontaneität" ist grundsätzlich eine positive Eigenschaft und insofern unpassend. "Impulsivität" wäre besser, ev. sogar "Unüberlegtheit".
"Auch das noch", schimpfte der junge Mann
Was für ein junger Mann? Der Prot.? Ach so.
Normalerweise fürht man Charaktere in der umgekehrten Reihenfolge ein, d.h. wenn man sie einmal beim Namen genannt hat, bleibt man dabei und umschreibt sie nicht mehr.
und beschleunigte seinen Schritt.
seine Schritte. (Sonst habe ich eine bizarre Assoziation)
Nie hätte er gedacht, dass es in der Nähe von Großstädten noch solch ländliche Orte gab.
Hm. So ungewöhnlich ist das doch gar nicht.
Seaton jedoch (er)schien (ihm) wie ausgestorben
Wieso "jedoch"?
Seaton wirkte wie ausgestorben.
Kein Wunder, die sitzen bei diesem Hundewetter schließlich auch alle vor ihren Fernsehern und lassen es sich gutgehen, schoss es ihm durch den Kopf
Wenn du den Hauptsatz nicht schon nach dem "Kein Wunder" bringst, kannst du ihn gleich weglassen. Die Kursivschrift spricht bereits eine deutliche Sprache.
seine Schultern schmerzten von der dauernden Last
Was für eine Last? Rucksack? Hast du nicht erwähnt.
Tom lachte trocken auf
trocken auflachen... - gibt es das? Was heißt das überhaupt? Wolltest du einen stilistischen Kontrast zur Nässe der Atmosphäre schaffen?
Gleich bist du sogar ein nasser Trottel
:lol:
Er nahm sich vor, beim nächsten Gebäude, (das er sah, zu klingeln und) nach einer Herberge zu fragen
kein Abenteuer der Welt war eine Lungenentzündung wert, (fand Tom.)
Er hatte Glück, denn er erkannte etwa dreißig Meter vor sich einen Gartenzaun und dahinter ein kleines Haus
Was das mit Glück zu tun hat, ist eine Sache (Häuser sind da zwar weit auseinander, aber immerhin gibt es welche; du meintest ev., daß er schon kurz nach diesem Gedanken das nächste Haus sah).
Die andere Sache: Das liest sich, als ginge er auf einen Zaun zu, und dahinter sei ein Haus. Wenn er jedoch eine Straße entlanggeht, dann liegt der Zaun zur Seite und das Haus noch weiter zur Seite, d.h. eigentlich sollte sein Blick zuerst das Haus erfassen.
Die Kälte kroch ihm in die Glieder, der Regen durchnässte seine Kleidung
Das fängt aber reichlich spät an. Vielleicht besser PQP verwenden.
und er spürte, dass sich an seinem rechten Fuß eine Blase gebildet hatte
Ironischerweise wäre das Imperfekt hier passend...
und wenn er dafür den doppelten Preis zahlen musste.
doppelten Preis als welchen?
Das Zauntor war bloß angelehnt, (ein weiteres Zeichen dafür, das jemand zuhause war.)
Himmel, macht der sich etwa immer noch Gedanken darüber, nachdem er schon gesehen hat, daß das Licht brennt? Außerdem stimmt das ja gar nicht.
Eine ältere Frau lugte durch die Öffnung (hindurch)
musterte sie den Fremden
Perspektivenwechsel!
Tom räusperte sich.

"Verzeihen Sie die Störung

Die Leerzeile gehört eigentlich vor "Tom".
Nein, (natürlich wollte ich Sie nicht fragen ob ich bei Ihnen unterkommen kann,) ich wollte nur wissen wo sich hier die nächste Herberge
Monsieur drückt sich zu umständlich aus.
unterbrach ihn die alte Frau barsch
Bis die alte Frau das Wort Herberge verarbeitet hat und darauf antworten kann, müßte Tom seinen Satz eigentlich schon beendet haben.
und zog sich saubere Kleidung über
War er nicht nackt aus der Wanne gekommen?
Anziehen <> Überziehen
"Irene", murmelte er. Die Frau neben ihm lachte.

"Letzte Nacht hast du mich Iris genannt, weißt du nicht mehr?", neckte sie ihn. Tom massierte seine Schläfen.

"Komm schon, sag nicht du fühlst dich immer noch schlecht", gurrte Irene.

Hm? Was ist denn jetzt plötzlich los? Wieso duzen sie sich, und wer ist Iris?
Der junge Mann nickte schwach.
"junger Mann", siehe oben.
Er hatte eine wunderbare Nacht mit ihr verbracht und die nächste würde wieder ihr gehören
Aha, so ist das. Ich muß gestehen, daß mir das etwas zu plötzlich kommt und ohne Vorwarnung.
"Schmeckt ein bisschen eigenartig."
Wer sagt das? Ich frage wegen der Leerzeile zuvor.
Das erste, was er nach dem Aufwachen dachte, war: Schmerzen, aber erträglich.
Die Sache fängt an, sich zu ziehen...
Falls das mehrere Tage lang so weitergeht, schadet es nicht, das zusammenzufassen, etwa so: In den folgenden Tagen ging es Tom immer wieder besser, doch als er dachte, er sei auf dem Weg zur Genesung, erlitt er einen Rückfall. Irene kümmerte sich liebevoll um ihn. Eines Tages überraschte sie ihn mit einer neuen Frisur, blablabla.
Ich hoffe, du weißt, was ich damit sagen will.
"Du kannst nicht Irene sein!",
Wie kommt er auf diesen Gedanken?
Fast zärtlich strich sie ihm durch die weißen Haare
Danke, ich habe auf diese Textstelle schon seit drei Bildschirmseiten gewartet.
Als das Leben aus ihm wich, öffnete sich auch die letzte Blüte.
Was für eine Blüte?

Also:
Die Grundidee ist nicht weltbewegend, aber okay.

Die Pointe ist leider so vorhersehbar wie nur was.

Das könnte man etwas subtilisieren. Ich sag dir mal, was ich aus dieser Geschichte machen würde:
Der Mann findet am nächsten Tag eine junge Frau vor, die sich als die Tochter der Hausherrin ausgibt. Er legt sie flach, das ist schon okay, riecht aber Lunte, daß man ihn vergiften will, als er immer kränker wird und flieht. Die Flucht darf ihm sogar gelingen, und erst als er wieder in der "Normalität" ist, merkt er, daß er 40 Jahre gealtert ist.

r

Erstellt mit Profikritik 2.0.0 (Verdammt geiles Programm)

 

Geschrieben von Ginny-Rose
praktischerweise gibt es sowohl in Schottland als auch in den USA ein "Seaton". <g>
Aber dafür im Englischen keinen Unterschied im Duzen und Siezen. Oder besser gesagt, es gibt ihn, aber die Leute Siezen sich grundsätzlich. Die deutschen Übersetzungen werden dieser Tatsache nicht gerecht, deutsche Literatur, die in angelsächsischem Raum angesiedelt ist, auch nicht. Eigentlich komisch.

r

 

Hallooooo rel,

danke für die ausführliche Kritik.
Ich bin leider viel zu müde um darüber zu diskutieren, fast alle Sachen sind aber okay und ich übernehm sie gerne.
Sicher bin ich mir noch nicht bei

Wie kommt er auf diesen Gedanken?
da direkt davor steht:
So schön. So jung.
Mit der Betonung auf "jung", aber vielleicht hilft wenn ich noch ein "Viel zu jung" daraus mache. Ich überleg mal.
Was für eine Blüte?
Eine von diesen:
Wohin er sich auch drehte, sein Blick traf violette Blüten. Dutzende Vasen standen auf der Kommode und auf dem Boden.
Wenn das zu weit weg ist, dann flechte ich sie vielleicht noch etwas näher an den Schlusssatz ein.

Und die restlichen Anmerkungen lasse ich mir durch den Kopf gehen ...

Dein Alternativ-Plot ist cool - wenn ich Zeit hab probiere ich mal die Story daraufhin umzubauen.

Ginny

 

Mit der Betonung auf "jung", aber vielleicht hilft wenn ich noch ein "Viel zu jung" daraus mache. Ich überleg mal.
Das wird auch nicht helfen. Nichts wird helfen, denn sie wird schon die ganze Geschichte über immer jünger, da ist nichts Frappierendes mehr daran.

Kennst du übrigens den Film "Brazil"?

r

 
Zuletzt bearbeitet:

Hmpf. :dozey:

Nö, kenn ich nicht. (Also, nicht selbst gesehen.)

G.

 

Also, ich mag die Geschichte so, wie sie ist. Relysiums Alternativvorschlag ist mir viel zu laut und Effekte-heischend.

Aber das mag auch daran liegen, dass ich schon ewig lange nicht mehr "Horror" gelesen habe. Früher hatte ich so extreme Horror-Phasen, dass ich auch von vielen Plots gelangweilt war und sie viel zu vorhersehbar und wenig originell fand.

Ich mag die Stille, die der Erzählweise innewohnt. An einigen Stellen würde ich die Beschreibungen mehr poetisieren. Das ist aber Geschmackssache und hängt damit zusammen, dass ich am liebsten Deine Story überarbeiten würde, um ihr einen gewissen Stempel aufzudrücken. So liest sich nach meinem Geschmack zu glatt.

Kann zwar noch optimiert werden, habe die Geschichte aber trotzdem gerne gelesen.

 

Zaza, welch seltener Gast in dieser Rubrik. ;-)
Freut mich, dass dir die Story so gefällt - die Geschmäcker sind halt verschieden. Vielleicht probier ich Rels Variante aus und poste diese dann neu und dann kann man vergleichen was besser ankommt ...
Zum Stil: Ja, das ist bei mir halt so. Er ist sehr unspektakulär und hat keinen Wiederkennungseffekt... und wirds sicher auch nicht kriegen. Das überlasse ich anderen. <g>

Hey ProgMan,

prima, wenn dir die Geschichte gefiel. Zum Lavendel: Nunja, wirklich aufgeschlüsselt habe ich das nicht, das stimmt. Es ist halt so, dass parallel zu Irene sich auch der Lavendel verjüngt, vielleicht weil sie so eine enge Beziehung zu ihm hat und selbst immer diese Farbe trägt.

Danke fürs Lesen und Kommentieren!

cu
Ginny

 

Hi Ginny!

Deine Geschichte kommt ohne Holzhammer aus, ihre Stärke liegt in subtilem Horror, der sich nach und nach steigert und m. E. ein überraschendes Ende bereithält.
Lavendel als "Begleit-Pflanze" für Irene zu wählen, halte ich für einen guten Schachzug, da ihm entspannende, beruhigende und heilsame Wirkung zugeschrieben wird. Passt prima! :D

Gefällt mir sehr gut!


Ciao
Antonia

 

Hi Antonia,

freut mich. :-)

Mein süßer 666,

ein paar Details die mir helfen meine Geschichte zu verbessern wären nett, aber ... nunja. Dann halt nicht. :-(
Deine Reaktion zeigt mir aber, dass ich wohl nach wie vor bessere Ergebnisse erziele, wenn ich bei meinen kurzen, pointierten Geschichten bleibe.

@relysium: Bin gerade dabei ein paar deiner Anmerkungen einzubauen, aber:

Was für eine Last? Rucksack? Hast du nicht erwähnt.
Doch:
"Auch das noch", schimpfte der junge Mann, schnallte seinen Rucksack enger
:p

G.

 

Diese Geschichte liegt mir sicher nicht so am Herzen wie andere. Der Stil ist aber weitestgehend der gleiche wie bei denen von denen ich, nun, "begeistert" war ...
Einziger Unterschied: Diese Story hier ist viel länger als die allermeisten von mir. Und lange Texte scheinen mir nicht so zu liegen.

 

Geschrieben von yoursweetsixsixsix
Eine Geschichte zu schreiben, die den Leser nicht bei der Stange hält, ist verschwendete Liebesmüh.

Nun ja: Eine dermaßen "müde" Kritik zu schreiben wohl nicht minder. ;)


@ Ginny
Ich sag´s gewohnt hart: Das ist eine deiner üblichen "Pointen-Geschichten", nur um den Seitenfaktor 4 erhöht.
Es freut mich ja unheimlich, dass du dir anscheinend meine dauermäkelnde "Schreib ma wa langes, Kleene"-Kritik zu Herzen genommen hast. Aber damit war nicht gemeint, eine Story einfach nur in die Länge zu ziehen! :)
Der Plot ist natürlich wenig originell und irgendwie nicht ganz schlüssig: Du springst (falls ich nichts überlesen habe) ansatzlos von Irene zu Iris. Rückblickend ist klar, warum dem so ist: Du hättest das "Geheimnis" zu früh verraten. Aber ich fühle mich da als Leser ein wenig an der Nase rumgeführt, als würde ein Zauberer kurz bevor er das Kaninchen aus dem Hut zaubert sagen: "He, seht mal aus dem Fenster, ein UFO!"
Schade, denn der Anfang war sehr viel versprechend. Du führst den Charakter des Jungen gut ein, mit zahlreichen Gedankenspielchen (erinnert sehr an King im übrigen: Wie du schon erwähnst - man kommt einfach nicht so leicht los von ihm! :D). Sobald er aber bei der Alten ankommt passiert nichts mehr, das man nicht in einem kurzen Absatz ausformulieren könnte.
Ich mag, wie du sicher weißt, detaillierte Geschichten und würde mir bei so einer wünschen, dass ich nicht quasi ständig auf die Uhr blicke, wann denn endlich der Schluss kommt. Soll heißen: Bring Elemente ein, die die Spannung erhöhen! Oft sind es nur so die Kleinigkeiten, die das i-Tüpfelchen einer guten Geschichte ausmachen. Das fehlt mir hier. Der Junge ist dauernd müde, badet, schläft, bekommt Tee, schläft, etc.
Stilistisch ist die Story Mittelmaß: Nicht gerade umwerfend, aber auch nicht so schlecht, dass ich den Autor würgen könnte. Grundsolide einfach (wie von dir gewohnt).

So weit nur meine unbescheidene Meinung. Ich gehe wie immer davon aus, wie ICH die Story angelegt hätte, und das bedeutet, dass ich möglicher Weise ohnedies irre und deine Lesart die Richtige ist. Deutet man die positiven Kommentare, kommt sie gut an. Und was will man mehr, außer, gut zu unterhalten?

Fazit: Nette Geschichte für Zwischendurch, mit unnötigen Längen.

 

Geschrieben von Rainer
Aber damit war nicht gemeint, eine Story einfach nur in die Länge zu ziehen! :)
Ich glaub, anders kann ich's halt einfach nicht. :(
Ich bleibe wohl am besten bei meinen kurzen Geschichten, die alle zufriedenstellen, außer dich halt. :p
Du springst (falls ich nichts überlesen habe) ansatzlos von Irene zu Iris. Rückblickend ist klar, warum dem so ist
Rückblickend ist mir irgendwie klar, dass das überhaupt nicht notwendig gewesen wäre. Denn als eine meiner "üblichen "Pointen-Geschichten" sehe ich sie eigentlich nicht, weil die Pointe im Grunde schon sehr früh ersichtlich ist und nicht, wie sonst oft bei mir, im allerletzten Satz erst herauskommt.

Tja nu. Mal sehen, was ich als nächstes probiere, nochmal was längeres, oder wieder was kurzes ... Dass ein paar Leute sich aber gut unterhalten haben freut mich trotzdem. :-)
Danke fürs Kritisieren!

P.S.:

mit unnötigen Längen.
Also, das von DIR zu lesen schmerzt schon. ;-)

Ginny

 

Erst einmal: Es geht nicht darum, einen möglichst hohen Konsens zu erreichen. Ich glaube ganz fest daran, dass die Liebe eines Künstlers zu seinem Kunstwerk Priorität haben sollte. Wenn die Geschichte außer dem Autoren auch noch anderen gefällt, prima! Aber einem beschissenen Markt RTL-verblödeter Buchstaben-Zombies nach dem Mund zu schreiben, kann doch nicht wirklich viel mit Liebe zur Kunst zu tun haben, oder?
Mit anderen Worten: Bleib dir selber treu! Nimm meine oder andere Kommentare hin, denke darüber nach, ob sie angemessen sind und such dir die Rosinen darin heraus. Aber bitte steigere dich nicht in den leider verbreiteten Wahn hinein, für irgend jemand Bestimmten "schreiben zu müssen".
Für mich bleibt die Schwachstelle die Sache mit Iris/Irene: Das riecht ein wenig nach Augen verbinden, um den Leser rumtappen zu lassen. Sobald er die Klappe abmacht ist er dann aber doch enttäuscht. Ich finde immer noch, dass die besten Geschichten jene sind, wo sich alles logisch entwickelt, ohne unnötige Kniffe seitens des Autors. Da fallen dir doch sicher bessere Wege ein, den Leser in die Irre zu führen, oder? :)

Hoffentlich kommt meine Kritik nicht so rüber, als wäre deine Geschichte das Schlechteste nach den Geschichten eines gewissen Landsmannes von mir, das ich hier je gelesen hätte. Es ist eher Durchschnitt, auch für deine Verhältnisse!
Ich sehe deine Stärken bevorzugt in kurzen "realistischen" Beziehungsgeschichten, weniger in ausgefeilten Phantasie-Storys. Das ist jedenfalls mein Eindruck, nachdem ich alle deine Geschichten kenne. Seltsam, dass du in den Horrorgeschichten keine anständigen Charaktere und Story-Entwicklungen zu Stande bringst, wie du es in "normalen" Geschichten schaffst. Vielleicht irgend eine innere Blockade?

@ sixsixsix
Habe deine anderen Kommentare überflogen und würde dich bitten, etwas differenziertere Kommentare zu verfassen. "Gähn, deine Geschichte ist intellektuelles Gesülze" bringt den Autoren wohl kaum weiter. Danke. Zurück zur Werbung.

 

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