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Lavazza
Büttmann denkt manchmal, dass er damit aufhören sollte, dass das eine Spinnerei ist – so von außen betrachtet. Also er fragt sich das zumindest. Ist ja nicht so einfach: von außen betrachtet. Da fehlt ihm eben der Spiegel, dann denkt er an Dolores. Vor Jahren gestorben: Lunge – Morphium und Ende.
Seit Stunden folgt Büttmann den Zeigern auf der Küchenuhr. Schaut durchs Fenster. Halb elf, der DHL-Mann kommt spät. Der andere war schneller.
Büttmann rührt in der Tasse, der Kaffee ist schwarz, kein Zucker, nichts. Eine Tasse, die mal weiß gewesen ist. Vierzig und Bosch kann man noch entziffern. Auf dem Tisch ein Platzdeckchen, das Dolores mal gefilzt hat.
Endlich! Büttmann springt auf, würde er zumindest gerne – die Knie machen da nicht mit –, also steht er auf, drückt den Türöffner und wartet.
Das Päckchen auf dem Küchentisch. Daneben die Tasse mit dem kaltgerührten Kaffee. Die Morgenzeitung, der Löffel, braune Flecken auf der Titelseite.
Spy-Shop steht auf dem Absender. Büttmann lächelt, grinst breit, als er den Inhalt auf der Fingerspitze balanciert. So klein, denkt er. Viel kleiner als die letzten.
Die Technik bringt er rasch zum Laufen. Büttmann sieht auf die Armbanduhr, vergleicht sie mit der Küchenuhr. Um drei, denkt er, lieber vier, dann wird kaum noch gegessen und weniger geklappert.
Gab 'ne Zeit, da ging das nur per Funk. Büttmann in der Nähe – Kopfhörer auf und Empfänger eingestellt. Was fehlte, war ein Bild. Büttmann in der Nähe und Feldstecher vor Augen. Das wurde dann bemerkt, klar. Da wurde nachgefragt, gedroht.
Später die kleinen Kameras. Mieses Bild, der Ton zu schlecht, und ihm, dem Büttmann, fehlte der Bezug. Er weiß nicht, ob man das so sagen kann: Bezug.
Am liebsten sitzt er unweit entfernt. Das Lokal ist schön, Kräutertöpfchen auf jedem Tisch.
Büttmann beim Basilikum, versteckt die Wanze ausgefuchst im Kraut. Er riecht daran und muss an Dolores denken – an Italien.
Ob das gehe, sich umzusetzen, da hinten hin, zum Rosmarin, unter die Linde, wo es schattiger sei.
Aber bitte, natürlich.
Büttmann zupft eines der Blätter vom Gewürz, quetscht es zwischen den Nägeln und hält es sich unter die Nase. Italien wieder, Dolores – und Kartoffeln.
Zwei junge Damen sind die ersten; Lavazzakaffee, Lavazzacappuccino. Büttmann lächelt, sieht, wie sich ihre Lippen bewegen, verstehen kann er nur die Spatzen, die von Tisch zu Tisch hüpfen und Krümel picken. Das Lachen kann er hören, das ja, manchmal auch ein bisschen mehr. Büttmann freut sich auf zu Hause.
Die Damen räumen das Feld und die nächste füllt die Lücke. Eine echtere irgendwie, eine, zu der die Bezeichnung besser passt. Die Frisur, der Ring, das Alter vielleicht. Büttmann kennt die Dame. Hat sie auf dem Friedhof gesehen, gleich neben dem Thujabäumchen. Und im Lokal. Des Öftern sogar.
Sie stellt den Rollator neben den Tisch, darunterschieben geht ja nicht, er ist zu groß und sperrig. Aber ganz nahe ruckelt sie ihn hin – vor und zurück, vor und zurück –, selbst wenn ihr das schwerzufallen scheint. Keine Hand passt mehr dazwischen.
Sie bestellt wohl ein Kännchen Lavazzakaffee, denn wenig später steht eins auf dem Tisch, gleich neben dem Basilikum.
Büttmann zerbröselt den Keks, den es immer als Beilage gibt, und wirft Stückchen davon auf den kiesgesäumten Boden. Beobachtet die Frechdachse, die alles genau im Blick behalten, wie sie angeflogen kommen, das Köpfchen hin und her – zack, nach links, und zack, nach rechts.
Büttmann hebt die Hand und zeigt auf die leere Tasse. Ob er noch ...?
Aber natürlich.
Er lobt den Kellner für den guten Kaffee.
Sehr nett, Verbeugung obendrauf, sehr, sehr freundlich.
Eine Frau gesellt sich hinzu; die Tochter, denkt Büttmann. Die Frau sieht er nur von hinten, ihr Pferdeschwanz pendelt, wenn sie was zu sagen hat. Die Dame hört zu, nimmt einen Schluck, erwidert was und tupft sich mit der Serviette den Mund. Büttman hängt an ihren Lippen, aber er versteht ja nichts. Fragt sich, ob da Lippenstift am Mundtuch klebt und zerbröselt den nächsten Kaffeekeks.
Als er wieder hinsieht, erwidert sie den Blick, ganz kurz nur, und Büttmann glaubt, dass sich ihr Mund für ihn gekräuselt hat.
Die Tasse in die Spüle, Zeitung in den Müll, den Tisch noch flink gereinigt, dann den Laptop obendrauf. Ein Fläschchen Wein darf da nicht fehlen.
Büttmann mit Kopfhörern und die falschen Damen plappern los. Plappern mag er einfach. Da geht es nicht um Inhalt: die Kleine schläft nicht, das zweite unterwegs, der Chef mit Anastasia ... Wie sie das sagt: Anastasia.
Nach dem Stühle rücken, das Ciao vom netten Kellner ertönt und ein Seufzen zu hören ist, gefolgt von: »Für mich ein Kännchen Kaffee, bitte«, öffnet Büttmann die Augen, stellt auf Pause, schenkt ein Gläschen ein und fragt sich, ob das eine ernstzunehmende Spinnerei von ihm ist. So von außen betrachtet. Das fragt er sich wieder. Und meint sein Hobby. So nennt Büttmann das nämlich: Hobby.
Büttmann macht es sich bequem, ein Kissen unterm Hintern, legt wieder Kopfhörer an, trinkt einen Schluck und klickt aufs Pfeilsymbol.
Mutter und Tochter – wusste er's doch. Es geht um den Vater, beziehungsweise den Mann, also den verstorbenen. Ums Grab vielmehr, darum, dass die Dame es nicht mehr so gut pflegen könne, wegen der Beine, der fehlenden Kraft und der Hände erst. Vorwürfe dann, weil die Tochter – Stefanie – sich nie sehen lasse. Eben auch nicht an Vaters Grab, das sei noch mit das Schlimmste. Der arme Alfred, der Vater, der alles für sie getan habe. Ob sie das vergessen hätte. Natürlich nicht! Wenigstens hin und wieder ein paar Blumen? Die Zeit, die Kinder, die Arbeit und so weiter. Friedhofsgärtner käme unter gar keinen Umständen in Frage! Lieber Unkraut sprießen lassen, dass jeder sehen könne, dass die Tochter sich einen Kehricht ...
Büttmann reißt sich die Hörer vom Kopf, ein Knall, irgendwas war passiert. Pause. Vorsichtig drückt er sich wieder eine Hörmuschel ans Ohr, klickt auf Start, sobald das Piepen im Kopf abgeklungen ist. Dann: Tack-tack, Tschirpen. Tack, Tschirpen.
Ein Spatz! Und im Anschluss nur noch Rauschen.
Büttmann flucht, nimmt die Wanze in Augenschein, aber nichts, er wird sie testen müssen.
Das Mikrophon ist hin, das weiß er jetzt, das Werkzeug bringt da nichts. Er denkt ans Geld, dann an die Vögel, an die Köpfchen – zack und zack.
Der Wecker klingelt pünktlich um halb sechs. Büttmann ist schon wach. Wie immer. Er stellt ihn aus und schaut aufs Foto gleich daneben. Dolores wirft ihm eine Kusshand zu, im weißen Käfer, in Rimini war das. Italien, denkt er, sie war so gerne da.
Brot und Butter, Konfitüre. So wie immer. Dann zum Friedhof, auch wie immer. Zuvor noch auf den Markt und eine Rose, das ist neu.
Büttmann nimmt eine der Steckvasen vom Regal beim Brunnen. In der anderen Hand trägt er einen Beutel. Am Thujabäumchen biegt er ab – einen Alfred gibt's nur einmal.
Bisschen Unkraut dürfte weg, die Einfassung gehört mal aufpoliert, aber sonst, so schlecht sieht's gar nicht aus. Büttmann stellt die Rose ins Gefäß und steckt es in die weiche Erde. Nickt dem Grabstein zu, dann weiter zu Dolores.
Dort packt er alle Töpfchen aus, Basilikum, Rosmarin und Thymian. Wie das duftet! Die ollen Nelken: Weg damit! Er pflanzt die feinen Kräuter ein. Auf allen Vieren ist er ihr ganz nahe.
Radio mag er gerne. Deutschlandfunk. Die Stimmen immer, denkt Büttmann, die Stimmen sind's.
Büttmann hat sich fein gemacht, Polohemd mit Krokodil, blaue Hose, Cognac-Slipper. Wie in Italien, denkt er, wie damals in Rimini.
Büttmann bröckelt Kekse und füttert Spatzen, ignoriert die schiefen Blicke.
Der Kaffee schmecke gut. Der Kellner lächelt.
Keine Dame. Schade, denkt er so für sich, dann steht er auf, hat schon bezahlt, und schlendert durch die kleine Stadt.
Als Büttmann aus dem Fahrstuhl steigt, kann er es sehen, ein Päckchen vor der Tür. Er klemmt es sich unter den Arm und betritt sein Reich – Zimmer, Küche, Bad.
Anschließend schneidet er das Paketband durch, das Klebeband, und riecht schon, was da ist. Lavazza, beste Sorte, frisch gemahlen, zwei Pakete. Büttmann lächelt erst, dann friert es ein, die Brauen ziehen sich zusammen.
Der Rollator wieder, akkurat in Stellung gebracht. Er stört nicht, ist nicht im Weg, man merkt nicht gleich, dass es sich um einen handelt. Könnte ein Stuhl sein, der da am Tisch steht. Die Lehne etwas höher. Man muss schon genau hinsehen – und das macht der Büttmann jetzt. Hinsehen. Und gesehen werden. Die Blicke treffen sich, länger diesmal, und der Büttmann gibt sich einen Ruck, springt nicht auf, steht auf, stellt sich vor die Dame hin und zeigt nicht auf den Rollator, sondern den Stuhl, gleich daneben, und die Dame – das ist sie, ganz gewiss –, die Dame lächelt und sagt: »Aber natürlich.«