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- 10.04.2004
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Lauter Einzelne?
Sind wir Schreibenden lauter Einzelne? Können Gruppen, Autorenkreise, Schriftstellerverbände uns weiterbringen?
Wer etwas hervorgebracht hat, einen vielleicht noch sehr subjektiven Text, der braucht den Austausch mit anderen Schreibenden.
Ich setze, als Einblick in meine Werkstatt, einfach mal etwas her,
Brief an den 1. Vorsitzenden (Auszüge)
Das Texten, Schreiben und im Ginsterkleid der Sprache herumzuzupfen beginnt ähnlich wie man beim Weben zuerst die Art der Wolle auswählt: Es geht um die Stofflichkeit des Materials, genarbt, um seine Dichte, um die Flausen und Verdickungen (Noppen) und um das, was hervorsteht in Drehungen und in den Wirbeln der Fäden. Selbst die Art der Beimischungen, des Fetts und der Lanolin-Bestandteile, auch farbliche Einsprengsel: alle diese Dinge geben Charakter. Und was geschieht dann? Unter Spannung, in Zug und Drehung, dann wieder lockernd und ausgleichend, im Greif-Rhythmus der ordnenden, begleitenden Hände, beginnt das Spinnen. Unterdessen ordne ich am groben Tisch die Elemente. Ich bin in meiner Hecke. Ich durchdringe sie tastend und suchend. Dabei werde ich mir über ihre Struktur klar. Welche Zweige gehören welchem Gebüsch? Was liegt über- was untereinander im Gewirr der Stücke, der Stöcke und Ästlein. Freigegebene Spannung schlägt mir „klatsch!“ ins Gesicht: so geht es, wenn man in Strukturen eingreift mit sorglosem Griff. Dicht, bedrängend stößt und schiebt Sabine sich in meinen Text. Sie liest mit zusammengerückten, hellen Augenbrauen: ganz klein geworden ist ihr hübsches Gesicht in der Konzentration. Und ich? Ich betaste, was Gwenda zog, drehte und wob: das fertige Stück an der Wand, die festverwobene, zottig-stramme Struktur des schafduftenden Teppichs aus der Wolle vom Fluß Soomthe im Lake District.
Schwingungen. Über die Künste: „Sie beruhen auf geheimnisvollen Schwingungen, in welche die Seele versetzt wird. Was sich durch diese Schwingungen entbindet, ist dann nicht mehr individuell und zeitlich, sondern sinnbildlich, bedeutungsvoll und unvergänglich“. [Jakob Burckhardt]
Der Künstler weißt oft selbst von seinem Werk wenig und sein Werk beginnt nach seinem Tod, wie Paul Valéry sagte, zu leuchten und zu wirken aus Gründen, die der Autor nicht gewußt, geschweige denn beabsichtigt hat.
Jedes Haschen nach Verbindungsschnüren / selbst das zündendste Zitat / das Auspusseln zerfranster Struktur / das Zupinseln der weißen Felder / der Drang, sich an den Rand zu hängen / dich festzuhalten an Verstrebungen, / an Knochen und Stützen, / im Schaukelspiel von Ast zu Ast / schwappt die glückliche Lasche auf dich zu / als das kalkulativ lockere Auspendeln / der Gedankenschübe, der argumentativen Ketten. / Was in Knotenpunkten zusammenläuft / hat keinen Klingelzug, der die Ankunft meldet. - - - Wo triffst du ein? / Du blickst hinter dich: / spurenlos liegt der Sand.
Ambulatorisches Denken. - Was man mit seinem Gehirn alles machen kann / Bert Brecht bekannte, das Anbacken, das Klebenbleiben an alten Beziehungen, an Bindungen sei ein Problem für ihn, ihm fiele jede Loslösung schwer. Anderen gelingt gerade der Anfang nicht. Walter Benjamin begann Bindungen zu Frauen nur, wenn er eindeutig hierzu aufgefordert war.
Weißt du, dass mein Gedicht LANDUNG einst in "Hamburger ANTHOLOGIE", Marion von Schröder Verlag, im Jahr 1965, erschienen, erst jetzt, nach 32 Jahren, ein erstes Echo kommt, das wirklich zählt? .Eine Abiturientin in Marburg, nach meiner Lesung in Chemnitz, erklärt sich jetzt zu meinem »Landungs-FAN«. Wir müssen alle in die Grube, können nichts mitnehmen, aber späte Freude, spätes Licht, sie geben auch etwas, sie versöhnen.
Stehen die Künstler abseits?
Gehen die Medien über den Schriftsteller hinweg? Ich zitiere:
»Stimmlose Sänger, erbärmliche Künstler, unglückliche Preisträger und geistlose Stars ziehen regelmäßig wiederkehrend am Nachrichtenhimmel mit einer Häufigkeit vorbei, die ihren Platz in der Hierarchie anzeigt.« (VANEINEM, HANDBUCH FÜR TERRORISTEN) Nautilus-Verlag Hamburg
Welchen Platz kann der Künstler erringen? Ist unser Schreiben »für die Katz«?
Siegmar Faust, einst in Leipzig aus dem Institut geworfen, im Westen als Schriftsteller um seine Existenz kämpfend, zieht folgendes Fazit für das Schreiben in Deutschland: »Die Leser werden immer unbelesener, die Verleger walzen verlegen die Inflation aus und die Druckmaschinen wälzen unschuldiges Papier aus.«
Robert Walser, dieser vielen unbekannte Dichter, hat ein Prosastück geschrieben mit dem Titel "Für die Katz", das erst, (eben: für die Katz) nach seinem Tod gedruckt worden ist. Hören Sie Walser:
"Ich schreibe das Prosastück in stiller Mitternacht, und ich schreibe es für die Katz. Die Katz ist eine Art Fabrik oder Industrieetablissement, für das die Schriftsteller täglich, ja vielleicht sogar stündlich treulich und emsig arbeiten oder abliefern".
Was denn, so fragt Walser, "was dürfte sich eventuell herausnehmen, nicht für die Katz bestimmt zu sein?- - was hat sogenannten Ewigkeitswert, wie beispielsweise die Meister der Kunst oder die Taten, die hoch über das Summen, Brummen, Sausen, Brausen des Tages hinausragen... Was von der Katz nicht verzehrt oder aufgegessen wird, das, so wird man sich einbilden können, sei bleibend, lande ähnlich einem Fracht- oder Prachtschiff im Hafen fernliegender Nachwelt."
Und, es spricht immer noch Robert Walser:"Ich nenne die Mitwelt Katz. Oft wird die Katz mißverstanden, man rümpft die Nase über sie, und gibt man ihr etwas, so sagt man hochmütig: "Es ist für die Katz", als wären nicht alle Menschen von jeher für sie tätig gewesen. - Alles, was geleistet wird, erhält zuerst sie; sie läßt sich's schmecken, und nur was trotz ihr fortlebt, weiterwirkt, ist unsterblich."
Da geht es also um die Wurst, - wenn nicht alles für die Katz sein soll. Eine Richtung, den Nebel zerteilen, über den Fluß setzen, ob zur Toteninsel oder zum Paradies, Utopia, Kein Ort, nirgends, unbehaust, oder wir bringen zwar nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse zum Tanzen, wie Marx es wollte, aber doch die Welt, die Menschen, die Herzen. Die Umrisse beginnen zu fließen, sich zu erweitern, Wände brechen herab, Wasser schwillt in die Stube, es strömt, und in diesem Strudel, Wirbel, fühlt, empfindet und lebt der Mensch neu.
Wirkungs-Gesetze literarischer Texte: Wie gelingt es dem Autor, die Menschen der modernen Industrie Gesellschaft zu erreichen? Auf welche Art könnten wir so weit wie möglich innerhalb der Strukturen gewisser Gesetze und im Einklang mit Wirkungsmechanismen arbeiten? Mit anderen Worten: Ließe sich das immense UMSONST literarischer Produktion eindämmen?
Der Staat ver-arbeitet, verschwendet, verschlammt, versaubeutelt so viel, der Staat selbst ist vielleicht gar "die Katz", daß man sich fragt, warum sträubt er sich so gegen die Förderung der freien Künste.
In welchem Ausmaß ist man bereit, sich von einem Kunstwerk einfangen, belasten, beurnruhigen zu lassen? Ulrich Greiner schrieb, waas Kunst eigentlich sei?, nämlich eine Anstrengung, und wie sehr wir uns abgewöhnt haben, das zu begreifen. Die Journalisten, so Greiner, sorgen dafür, dass pausenloses Gerede die Hohlräume füllt, in denen Kunst eben nicht gegenwärtig ist. Die klassische Rezension eines Werks, sie wird verachtet. An ihre Stelle tritt eine immer nur das Obenhin benetzende Schleimspur, die das Private öffentlich macht. Aber fast alle spielen mit und finden dabei ihr Auskommen, die Journalisten ebenso wie die Künstler und die Agenten des Apparats, die Dezernenten und Referent. Mancher Künstler der Ex-DDR könnte uns vielleicht beibringen, was es heißt, Kunst ernst zu nehmen. Die Zahl derer wächst, die dem Betrieb kündigen. Irgendwann werden wir begreifen müssen: Es ist das Werk, das unsere Hingabe erfordert und belohnt, sonst nichts.
(Ulrich Greiner in DIE ZEIT)
Wer sich in Gefahr begibt. Die Bereitschaft, sich von Kunstwerken mitunter verwirren oder gar erschrecken zu lassen. Der Autor als Schamane. Schreiben als Schamanendienst. Hexensprüche und Zauberzeilen. Wirklich ist das Erinnerte. Schriftsteller sind Kinder und Träumer mit dem magischen Weltbesitz. Wir müssen bezahlen: Das Zaubern und das Bezaubern, der Zauberer muß es büßen. Leben ohne Literatur? Ohne das ästhetische Erlebnis wäre die Welt ein Irrtum. Nur der Künstler ist in der Lage, im gegenwärtigen Augenblick zu leben, nämlich in dem Augenblick, der keine Sprache hat und den es davor noch nie gegeben hat. Der Künstler kämpft gegen die Stummheit und Unbeschreibbarkeit dieses Augenblicks. An dieser Grenze schafft er sein Werk.
Den Leser bezirzen
Hören wir nicht auf, Poesie zu "leben"! Ruf nach Poesie im Leben. C.T. 1980: "uns fehlt all das Unmeßbare, Unsichtbare.. uns fehlen Freundlichkeit, Anmut, Luft, Klang, Würde und Poesie; Vertrauen, auch Spontaneität."
Karl Kraus: Künstler ist einer, der aus einer Lösung ein Rätsel macht. - - Belächelte Realität: Das Wirkliche wirkt ja überhaupt immer leicht aufdringlich. Robert Walser.
Unterbewußtes, Träume: Hellsichtig spürte Jean Paul aus, daß die Beiligung des Ich an Träumen stärker ist als an Wachzuständen; dem Traum-Denken räumt er entscheidende Bedeutung ein. Weg vom Realismus: Die Poesie soll überhaupt nicht den Frühling mühsam aus Scholllen und Stämmen vorpressen.
Wirklich ist das Erinnerte: Die Erinnerung erzeugt das wesentlich Wirkliche. Der Traum führt auch zur Kind heit zurück, alles kann nur von neuem erlebt werden durch die Sensibiltät der Person, die wir damals waren. Schriftstiller sind Kinder und Träumer mit dem magischen Weltbesitz. Poesie als letztes Mundstück: - - Die Sprache ist als Poesie erfunden worden, zusammen und mit den Schritten, den Schwüngen und Sprüngen des Tanzes.
Armut der wissenschaftlichen Sprache:
Sie ist teils erbärmlich, blutleer, hilflos. Da "trifft" die sinnliche Kraft des Dichters, da packt der Schriftsteller die Dinge, vergegenständlicht die Welt.