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Laute Stille

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05.10.2002
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Laute Stille

Als ich in den Zug stieg – es muss so gegen sechs Uhr abends gewesen sein – war alles wie immer. Ich bekam keinen Platz, musste stehen und lehnte mich gegen die Tür gegenüber des Einstiegs. Wie immer ließ ich meine Blicke durch den Eingangsbereich des Waggons streifen und musterte die paar Leute, die um mich herum standen. An diesem Tag waren es nur junge Leute, jünger als ich. „Oje“, dachte ich, „die plappern immer soviel.“ Und das einzige, das ich an diesem Tag in diesem Zug wirklich n i c h t gebrauchen konnte, waren ein paar Teenager, die neben mir im Zug herumstehen und sich lautstark über irgendwelche Soap-Operas, Handys oder Popstars unterhalten würden.
Doch ich sollte angenehm überrascht werden. Es war ungewöhnlich leise an diesem Tag in diesem kleinen Raum zwischen Abteilen und Ausgang. Da stand ein vielleicht 14- oder 15-jähriger, blonder Junge, lässig an die Zugwand gelehnt, da und blätterte in einer „Bravo“. Neben ihm stand ein anderer, braunhaariger Junge, offensichtlich ein Freund des Bravo-Lesers, dessen Blicke sich ebenfalls stumm in die Zeitschrift seines Nebenmanns bohrten. Ein Mädchen stand dicht bei den zweien, zu dicht um ihnen fremd zu sein. In ihrer Hand, die seitlich an ihr hinab baumelte befand sich ebenfalls irgendein Magazin, das anscheinend schon ausgedient hatte.
Sie betrachtete die zwei und ihr Hals verschwand ganz im dicken, pelzbesetzten Kragen ihrer Winterjacke, draußen lag nur noch auf den Berggipfeln rund herum Schnee, das Tal war schon seit Tagen schneefrei, aber es war trotzdem unangenehm kalt draußen. Auch das Mädchen war sehr still und blickte lautlos in die Runde der stehenden Fahrgäste. Ich folgte ihrem Blick und neben mir saßen auf ein paar Notsitzen ein südländischer Junge – vielleicht ein bisschen älter als die anderen – und schaute wortlos seinen Freund an, der im gegenüber stand.
Neben mir saß auf der Treppe, die in das obere Stockwerk des Waggons führte, ein zweites Mädchen mit schmutzigen Hosenbeinen, die sich über abgeschabte Turnschuhe stülpten. Sie saß nur da und schien nicht zu einer der beiden Gruppen zu gehören. Sie machte den Anschein als würde sie – ebenso wie ich – die anderen Fahrgäste beobachten um die Zeit bis zu ihrer Station zu überbrücken. Sie war hübsch und hatte ein nettes Gesicht, das allerdings nicht den Anschein eines Lächelns ausdrückte.
Aus dem oberen Stockwerk des Waggons drang gedämpft das schrille Lachen zweier jungen Frauen – sie sahen irgendwie aus wie Studentinnen –, die sich auf das Gitter gesetzt hatten, das eigentlich für die Gepäckstücke der Ersten Klasse reserviert war. Die beiden kicherten vor sich hin und hatten nur Augen für sich selbst, offensichtlich ging es in ihrem Gespräch um ein interessantes Thema.
Ich schaute von den beiden weg und eine kleine Bewegung des Mädchens mit der schmutzigen Hose zog meine Aufmerksamkeit auf sich, offensichtlich war es ihr in ihrer bisherigen Sitzstellung ungemütlich geworden und sie zog ihre Turnschuhe näher an ihren Po um bequemerer sitzen zu können.
Plötzlich musste ich unwillkürlich auf den blonden Jungen blicken, der mit der „Bravo“ dastand. Er schaute das Mädchen mit der Winterjacke an, das gegenüber von ihm stand, zeigte auf die Zeitschrift – vermutlich auf ein Bild von irgendeinem Popidol – und machte eine abfällige Handbewegung. Dazu verzogen sich seine Mundwinkel in einer Weise, die wohl Ablehnung bedeuten sollten. Er tat dies immer noch ohne auch nur ein Wort zu sagen, allerdings war seine Gestik und Mimik wohl deutlich genug für das Mädchen denn ich sah wie sie zustimmend nickte und das Bild genauer unter die Lupe nahm. Der Junge blätterte weiter und ein paar Seiten wiederholte er seine Bewegung und Mimik in verstärkter Weise. Das Mädchen war wiederum seiner Meinung und tat dies durch wiederholtes Nicken kund.
Inzwischen waren seit ich in den Zug eingestiegen war etwa fünf Minuten vergangen und ich begann mich wirklich zu wundern, dass das einzige, das ich bis dahin an menschlichen Geräuschen vernommen hatte, das Gekicher der beiden Studentinnen auf dem Gepäckgitter war.
Das Mädchen, das neben mir auf der Treppe saß, schaute indessen langsam auf und beobachtete die beiden Jungs, von denen der eine neben mir stand und den südländischen Typ anschaute. Er hatte eine Mütze auf, die ihm den Anschein extremer Gelassenheit verlieh, einer dieser viel zu kurzen, schwarzen Strickmützen, bei denen dem Träger bei fünf Grad unter Null trotz Kopfbedeckung die Ohren abfliegen weil diese nicht im Ansatz bedeckt werden.
Er nickte seinem Gegenüber zu, hob die Hand und bewegte seine Finger in einer Weise, die mich sehr erstaunte. Schnelle, aber trotzdem nicht hektische Bewegungen. Seine Finger flogen nur so durch einander und formten die seltsamsten Figuren. Ich war verwundert.
Auch das Mädchen mit den dreckigen Hosen schaute die beiden noch immer an und schien mit den Fingerübungen des Mützenträgers nichts anfangen zu können.
Der blonde Junge mit der „Bravo“ schaute ihn nun ebenfalls an und drehte sich zu seinem braunhaarigen Mitleser um. Ich war gespannt, was sie sagen würden und fixierte die beiden deshalb lange. Doch anstatt sich zu unterhalten schauten sie beide das Mädchen an, das gegenüber von ihnen stand und wiederholten die selben, unverständlichen Zeichen mit ihren Händen, die ich gerade eben schon bei dem Typ rechts von mir gesehen hatte. Auch das Mädchen hob jetzt die Hand, die nicht von der Zeitschrift belegt war, und spreizte ihre Finger in einer unglaublichen Geschwindigkeit in die verschiedensten Richtungen. Inzwischen hatte auch der Südländer angesetzt, seinem Gegenüber mit der Mütze Zeichen zu geben und mir schwirrte schon nahezu der Kopf vor lauter Fingerrasereien.
Inzwischen schien es dem Mädchen mit den dreckigen Hosenbeinen zu dämmern und auch ich kam so langsam auf den Trichter.
Ich hatte mich die ganze Zeit getäuscht. Es war weder leise noch ruhig in diesem Eingangsbereich. Fünf lautlose Stimmen rasten durch einander und Hunderte von Worten wechselten hier jede Minute hin und her. Ich war wirklich fasziniert und dem Mädchen neben mir ging es nicht anders, sie schaute mich kurz an, war aber zu gefesselt von dieser Konversation. Wir verstanden kein Wort. Alles war in einem uns unverständlichen Code, aber diese fünf Menschen verstanden sich untereinander ohne laut zu sprechen so klar und deutlich, dass die Zeichen nun immer schneller hin- und herflitzten.
Meine Station, die Tür geht auf. Ich stieg aus, der Wind pfiff mir um die Ohren und als ich den Straßenlärm hörte wusste ich, dass ich noch nie eine solch laute Stille als eben in diesem Zug gesehen hatte.

 

hi sascha,

gleich zu anfang möchte ich betonen, dass ich den inhalt deiner geschichte sehr aufregend finde. auch die art und weise, wie du einführst und das geschehene wiedergibst, gefällt mir gut. leider ist gerade diese einführung auch ein problem. du bist der versuchung erlegen gewesen, dem leser die szene so nah wie möglich zu bringen. mit der detailisierung leidet aber der erzählfluss. klar, du wolltest eine gruppe von menschen schildert, die augenscheinlich nichts miteinander zu tun haben, die sich auch von allen jungen menschen nicht zu unterscheiden scheinen. und dann der paukenschlag, denn auf einmal kommt eine rege interaktion unter diesen personen zustande. aber die schilderung klingt holprig.
ich gebe dir ein beispiel für störsätze:

Dazu verzogen sich seine Mundwinkel in einer Weise, die wohl Ablehnung bedeuten sollten.

diese vermutungsäusserungen klingen wirklich nicht schön. leider hast du solche sätze oft verwendet. mutmasse doch einfach. Dazu verzogen sich seine Mundwinkel in einer ablehnenden Weise.

Und das einzige, das ich an diesem Tag in diesem Zug wirklich n i c h t gebrauchen konnte, waren ein paar Teenager, die neben mir im Zug herumstehen und sich lautstark über irgendwelche Soap-Operas, Handys oder Popstars unterhalten würden.
"herumstehen" >> "herumstanden" ??
"Soap-Operas" >> "Seifenopern" ?? - klingt doch gut!
"n i c h t" >> "nicht" die kraft eines wortes kommt aus seinem Zusammenhang. Es braucht keinen visuellen verstärker.

Da stand ein vielleicht 14- oder 15-jähriger, blonder Junge, lässig an die Zugwand gelehnt, da und blätterte in einer „Bravo“.

schreibe zahlen weitmöglichst aus.
"Bravo" kann man schreiben, aber neutralität fände ich persönlich besser. >> "Jugenzeitschrift"

Sie betrachtete die zwei und ihr Hals verschwand ganz im dicken, pelzbesetzten Kragen ihrer Winterjacke, draußen lag nur noch auf den Berggipfeln rund herum Schnee, das Tal war schon seit Tagen schneefrei, aber es war trotzdem unangenehm kalt draußen.
"draußen" ist doppelt.

Sie war hübsch und hatte ein nettes Gesicht, das allerdings nicht den Anschein eines Lächelns ausdrückte.

es klingt fast doppelgemoppelt. besser: Sie sah hübsch aus mit ihrem netten Gesicht, obwohl es nicht lächelte.

Die beiden kicherten vor sich hin und hatten nur Augen für sich selbst, offensichtlich ging es in ihrem Gespräch um ein interessantes Thema.
Ich schaute von den beiden weg und eine kleine Bewegung des Mädchens mit der schmutzigen Hose zog meine Aufmerksamkeit auf sich, offensichtlich war es ihr in ihrer bisherigen Sitzstellung ungemütlich geworden und sie zog ihre Turnschuhe näher an ihren Po um bequemerer sitzen zu können.

"offensichtlich" ist hier doppelt
"Ich schaute von den beiden weg und" könnte eigentlich weggelassen werden.
"sitz" ist doppelt. Vielleicht kann man "Sitzstellung" mit "Position" ersetzen.

Plötzlich musste ich unwillkürlich auf den blonden Jungen blicken,

lasse "unwillkürlich" besser weg. es klingt nicht gut, wenn "plötzlich" vorab steht.

der schluss überrascht und ist dir gut gelungen, OBWOHL es einen fehler gibt. die sprachlosen benutzen keine zeichensprache sondern eine gebärdensprache. es fliegen also nicht nur zeichen durch die luft, sondern es wird auch mit der mimik gearbeitet.

fazit: (meiner meinung nach) diese geschichte hat seine stärke im inhalt. die beschreibung der szene ist aber noch zu holprig und sollte dringend überarbeitet werden.

bis dann

barde

Und das einzige, das ich an diesem Tag in diesem Zug wirklich n i c h t gebrauchen konnte, waren ein paar Teenager, die neben mir im Zug herumstehen und sich lautstark über irgendwelche Soap-Operas, Handys oder Popstars unterhalten würden.
"einzige" gross

Da stand ein vielleicht 14- oder 15-jähriger, blonder Junge, lässig an die Zugwand gelehnt, da und blätterte in einer „Bravo“.
das zweite "da" ist zu viel.

In ihrer Hand, die seitlich an ihr hinab baumelte befand sich ebenfalls irgendein Magazin,

hinter "baumelte" ein komma

Sie betrachtete die zwei und ihr Hals verschwand ganz im dicken, pelzbesetzten Kragen ihrer Winterjacke, draußen lag nur noch auf den Berggipfeln rund herum Schnee, das Tal war schon seit Tagen schneefrei, aber es war trotzdem unangenehm kalt draußen.
hinter "Winterjacke"
den Satz beenden.

die anderen Fahrgäste beobachten um die Zeit bis zu ihrer Station zu überbrücken.
vor "um" ein komma

sie zog ihre Turnschuhe näher an ihren Po um bequemerer sitzen zu können.
vor "um" ein komma

Er tat dies immer noch ohne auch nur ein Wort zu sagen, allerdings war seine Gestik und Mimik wohl deutlich genug für das Mädchen denn ich sah wie sie zustimmend nickte und das Bild genauer unter die Lupe nahm.
vor "ohne" ein komma
hinter "Mädchen" ein komma


Inzwischen waren seit ich in den Zug eingestiegen war etwa fünf Minuten vergangen und ich begann mich wirklich zu wundern, dass das einzige,
hinter "waren" und hinter "war" jeweils ein komma
vor "und" ein komma
"einzige" gross

 

Hallo,
im Großen muß ich mich meinem Vorredner anschließen, inhaltlich ist die Geschichte gut, sollte jedoch stilistisch noch einmal überarbeitet werden. Außerdem sind mir noch einige Fehlerchen aufgefallen, die noch nicht aufgelistet worden sind:

Ich folgte ihrem Blick und neben mir saßen auf ein paar Notsitzen ein südländischer Junge – vielleicht ein bisschen älter als die anderen – und schaute wortlos seinen Freund an, der im gegenüber stand.
der Satz ist nicht gut, erstens saß nur einer da, zweitens solltest du die Verbindung zu dem Blick des Mädchens stärker hervorheben
bequemerer
bequemer ist schon die Steigerung von bequem
trotz Kopfbedeckung die Ohren abfliegen
abfliegen? wie wäre es mit abfrieren? außerdem Komma danach
als eben in diesem Zug gesehen hatte.
wie eben in diesem Zug

Gruß
Arthuriel

 

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