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Laufen in der Nacht

Monster-WG
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10.07.2019
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Laufen in der Nacht

Deine Freundin hat sich zur Ex gemacht. Das ging so: Sie saß auf einem roten Schemel in der Wohngemeinschaftsküche. Ihre Haut adlig blass. Der Himmel grau wie Dachpappe. Es gab schwarzen Tee. Sie berichtete aus eurer gemeinsamen Vergangenheit. Die, laut ihr, gar nicht so gemeinsam war. Du merkst: Zwischen Einsam- und Gemeinsamkeit schwebt eine hauchdünne Membran und ein falsches Wort durchstößt sie. Man merkt das manchmal nicht. Du hast es nie gemerkt. Und: Du hast dich nicht entwickelt. Und stellte den Satz sehr fest, unverrückbar fest, dass er in den Tagen nach der Trennung an allen Orten deines Denkens deutlich aufleuchtete wie Wegweiser auf der nächtlichen Autobahn.

Tage vergingen ...

Sich lautlos verabschieden – deine Mitbewohner, die dich verabschieden sehen, haben deine Verabschiedung nicht als Verabschiedung erkannt. Als Gang zum Zigarettenautomaten am Addis-Abeba-Platz oder zu Than Pho Asia interpretiert – sie haben dich als den gesehen, der du für sie bist und nicht bemerkt, wie du bist, wenn du fortgehst. Nämlich sehr, sehr allein.

Aus der Stadt laufen. Sich die Stadt erlaufen. Dem Epizentrum entlaufen. Ein Kind wartet auf seinen Kebab. Die Straßenbahn bummelt im Wendekreis. Laternenmasten biegen sich unter der Last gesammelten Lichts.

Deine Ex hat gesagt: Du hast dich nicht entwickelt.

Du denkst: Jahre sind zum Zählen da. Schaust auf die Hand. Fünf Finger an der linken Hand. Viereinhalb an der rechten. Autounfall.

Jeden Morgen die Inspektion deiner Haut. Sie gründlich abgetrocknet und das Halogenlicht über der Spiegelscherbe auf deinen Intimbereich gelenkt. Riesige, weiße Flächen. Deine Ex hat eine Landkarte in diese Flächen gemalt. Eine Bahnlinie mit Fineliner-Strichen ins Zentrum deiner terra incognita projiziert. Eine Stadt gegründet. Flagge gehisst. Die Hymne gesummt. „So british I am“, und gelacht: „This is my empire.“

Doch du hast jeden Morgen auf die Zeichen deiner Häutung gewartet. Auf den weißen Flächen nach dem Rosaschimmer der neuen Haut gesucht. Da schält sich kein Wesen aus den heißen Kernzentren deines Körpers, in denen was zerfällt, was zusammengehört.

Deine Ex hat auch gewartet. Auf dieses innere Wesen und sie hat sich vorbereitet – auf dieses innere Wesen, sie hat sich auch geduscht und einen schmalen Streifen geöffnet und gewartet – unter Bettdecken, auf Zeltplätzen, in Hotelzimmern. Sie hat gewartet. Lange gewartet. Zählst die Finger deiner linken Hand.

Mit deiner demenzkranken Oma hast du immer Pinguin, Affe und Co. geschaut. Im Juli letzten Jahres haben die Tierpfleger fünf Folgen auf die Häutung einer Schlange gewartet. Fünf Folgen! Die vertiefenden Sorgenfalten der Tierpfleger im warmen Terrarium. Die Schlange zwischen den braunen Steinen aus gebrannter Erde. Der Veterinärmediziner trommelt nervöser und nervöser gegen ein glattgeschliffenes Tropenholz. Schlangenkot und Sorge. Schweiß und Kondenswasser auf fingerdickem Gehegeglas. Plötzlich, ein Wunder, am Abend vor dem Wochenende: Der Praktikant Stefan S. findet zwei Meter Schlangenhaut hinter dem Busch. Freude! Deine Oma freut sich, schlägt die Hacken zusammen, drückt das Rückgrat durch und fragt, ob sie jetzt endlich, endlich nach Hause fahren könne. Aber du bist hier zu Hause, denkst du und lässt den Gedanken Gedanken sein. Und hoffst auch auf ein Wunder, das Wunder einer neuen Haut.

Weiterlaufen. An der Hauptstraße laufen. Ihrer Bordsteinkante folgen. Sich der Richtung nie versichern. Von sechs Fahrspuren überwältigt sein.

Und du denkst:

Sich an einen Ort tragen lassen. Dort aufsetzen. Saat streuen, Saat gedeihen und Saat ernten, der Ernte danken, sie einlagern, in Scheunen und Silos, die in der Sonne glänzen – wie Raumschiffe aus glattgespannter Alufolie. Die Ernte verkaufen, sie investieren. Dann zufrieden sein – die Kinder übernehmen den Hof, schreiten die Parzelle vor Sonnenaufgang ab und lassen das jäten, was zum Jäten bestimmt. Was sprach die Mutter zu ihrem Kind: Du musst den Acker finden, im Leben, Kind, auf dem du die Saat einstreuen darfst, Kind. Nimmt das Kind mit zwei Händen an den Backen, Kind, und formt den Kopf zurecht. Aber Backe bleibt halt Backe, rückt das Kind an Brust und Herzschlag, der beschleunigt und beschleunigt, ehe das Kind sich aus den Händen löst, den Blick auf den Boden richtet und mit der flachen Hand über die Küchenfliesen fährt.

Weiterlaufen. Die Hauptstraße. Jetzt der Blick in die Gegend. Gebäude, die sich vereinzeln, Lagerhallen aus silbernem Stahl, deren große und schwarze Eingänge ein inneres System der Kapitalmehrung erahnen lassen; des kleinen und großen Aufstiegs in deinen Jahren, der des Gleichhaltens in späteren; Autohandel hinter Maschendrahtzaun und schillerndes Buntmetall auf Sandplätzen. Das M des McDonalds leuchtet neben der Tankstelle, an der die Mädchen in weißen Stiefeln Rockstar-Dosen gegen ein Gitter kicken. Nachmittags haben dort ihre männlichen Freunde die Fußmatten ihrer Golfs und Polos abgeklopft.

Du läufst.

Stunden, in denen es dunkel und aufregend oder dunkel und traurig oder dunkel und einsam oder alles zugleich werden kann, in der der Mensch den Blick auf seine Innerlichkeit mit rotem Pfeffi schärft. Das Können ins Werden schieben, bis ein Kind ins Kreißsaallicht der Freiheit plumpst.

Deine Ex hat darauf gewartet.

Aber es klappte irgendwie nicht. Das Warten schon. Das Andere ...

Du läufst.

Sie habe dich immer unterstützt. Emotional. Instrumentell. Aber du hättest dich nicht entwickelt. Du sitzt vor Microsoft Office Excel und siehst die Neuen deine Gehaltsklasse überspringen. Du bist der Büro-Pol, um dich dreht sich alles, aber alle anderen nutzen die Rotation zur Beschleunigung wie kleine Kinder eine Drehscheibe auf dem Spielplatz. Sie halten sich fest, lassen los, fliegen in den Sand: Guck mal, ruft das Kind, bin viel weiter als du geflogen. Schüttelt den Sand ab. Fragt: Kannst du den Betriebsausflug organisieren? Du antwortest: Selbstverständlich.

Jetzt absteigen.

Von der Straße läufst du zum alten Kanal. Jetzt läufst du mit leerem Kopf. Ein, zwei Kilometer. Du merkst, Wasseroberflächen sind kühl und angrenzende Uferstreifen auch – eine Nachtlibelle schwirrt, ein Fisch im Wasser, der sich am Mond der Nacht versichert, du hoffst, keinen Angler zu stören, aber weißt, der Angler sieht und guckt und spricht nicht, das schätzt du an den Anglern. Du bleibst stehen. Das ist ein bekannter Ort.

Hier habt ihr gezeltet. Die Ex. Und du.

Deine Exfreundin hat eine Höhle mit ihren Händen geformt und den Ruf eines Uhus nachgeahmt – Nacht – der Mond ist noch nicht aufgegangen. Im Zelt der Geruch alter Nässe, die zu schnell getrocknet ist, die Mischung aus Tagesschweiß und Pollenflug des Zeltplatzes. Du hast ihn bestimmt und deine Exfreundin ist lächelnd gefolgt. Ihr habt einen Kaffee gekocht, welch‘ komplizierter Prozess: Das Instantpulver nicht verschütten, das Gas vorsichtig ablassen, sich nicht am Streichholz verbrennen und den unsichtbaren Butanstrahl mit der Flamme treffen, diskutieren, ob kochendes Wasser jedes Bakterium abtötet, die Sorge vor Verpuffung oder Verlust allen Gases. Aber es hat im achten Versuch geklappt und du hast erleichtert aufgeatmet. Deine Ex hat mit verschränkten Armen genickt. „Gib mir Topf, Wasser, Deckel!" Wasser braucht viele Warmzeiten, bis es blubbert, das kann ein Wasserkocher im urbanen Umfeld eben schneller. Trotzdem hast du dich geschämt, ein Dilettant des einfachen Lebens zu sein: Gaskocher, Zeltaufbau, du hast dich geschämt, ein Zelt nur schief in seine Teile zu falten, während deine Exfreundin geprüft hat, ob der Mann ein Mann ist und das „ist“ ist ein naturgesetzliches – du spürst ihn, den Selektionsdruck, ganz massiv auf deinen dünnen, nach vorne gekrümmten Schultern drücken. Du hast an die Zeit nach dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung gedacht und hast festgestellt: Wir werden nicht überleben. Du, ich, la famiglia. Die Ex und la famiglia werden ganz sauer sein und sich einer Bande Waldnomaden anschließen. Der Anführer hat sich den Sixpack nicht antrainieren müssen, er hat ihn; den Ehrgeiz ja auch; den Willen, eine Gruppe verängstigter Halbfamilien in einer Welt von Faust und Geschick zu verteidigen, mit Kniff und physischer Raffinesse. Und jeden Abend wählt er eine Mutter zur Prinzessin seiner Nacht. Die danken ihm befriedigt und erleichert und packen einen Schokoladenkeks für die Kinder ein.

Du läufst. Die Stadt in deinem Nacken. Heute ist Vollmond. Stehen und Bleiben. Du ziehst dich aus. Das T-Shirt, die kurze Hose, die löchrige Unterhose. Du bist nackte Existenz. Die weißen Stellen auf deiner Haut leuchten. Du nennst sie Milchbrand. Früher hast du deiner Ex die Geschichte erzählt, sie seien von intensivem Mondlicht verursacht. Nackt seist du im Feld eines Berges gewandert. Sie hat die Fläche berührt, ist dem unscharfen Rand gefolgt - „No, thats a scarf“ - und dann hast du eine andere Geschichte erzählt, von einem Auto, das ein anderes Auto traf.

Der Kanal liegt jetzt offen in der Ebene. Es fehlen die Bäume, die Schiffe, die Angler, die Kanalspazierer. Es fehlen die Verkehrsbojen der Binnenschifffahrt und die blassen Schwimmer mit zwei kalten funktionsunfähigen Brustwarzen. Hier bist du und du bist hier. Stadtentfernung vielleicht fünf, wahrscheinlich nur zwei, drei Kilometer. Du richtest den Blick auf die Ebene. Auf der Ebene sammelt sich die Dunkelheit und zieht den Horizont an dein Gesicht. Dein Horizont in Nasenlänge. Das Weltall tanzt auf deinem Kopf. Lauer Wind. Wenn du Kartograph wärst, würdest du eine Landkarte der Steinchen zwischen deinen Füßen zeichnen oder eine aller Sterne, die du siehst. Das wären Aufgaben für dich – präzise klassifizieren, nach Sternenform und Sternenblink oder Steinchenform und Steinchenfühl in deiner linken Hand. Eine Aufgabe beginnen und abschließen.

Deine Ex wartet.

Anlauf aus hohem Gras.

Springst in den Kanal. Tauchst ein und tauchst auf. Steigst aus dem Kanal. Klopfst Kanalwasser von dir ab. Ziehst dich wieder an.

Zurücklaufen.

"Wo bist du gewesen?", fragen die Mitbewohner am nächsten Morgen.
"Schwimmen", antwortest du.
"In der Nacht?"
"In der Nacht."
"Du hast Farbe im Gesicht."

Nach dem Duschen lenkst du das Halogenlicht über der Spiegelscherbe auf deinen Intimbereich. Die weißen Flecken sind verschwunden.

 
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O je. Ich will deinem Protagonisten sagen, dass wir reden können. Aber ja, letztlich kann niemand einem diese erste beziehungsweise letzte Entscheidung abnehmen – will ich leben: ja / nein / (vielleicht). Herauszögern und den klinischen Weg versuchen; nur leider, müssten die "Mitbewohner" in deinem Text die Verabschiedung dafür auch als Verabschiedung erkennen – was sie nicht tun, wie du schreibst – und an seiner statt handeln.

1. Das ist ein konzentriert geschriebener kiroly-Text. Also für mich Gold auf der Waage. Die Sätze sind wohl portioniert und proportioniert, wohl überlegt und wohl von kiroly und niemand anderem.

2. Es ist ein bisschen voll hier. Ich habe das auch noch nicht geknackt, aber diese sehr konzentrierten, sehr reichen Texte bringen, finde ich, wie auch hier mit sich, was du bei mir schon mal "reich an Motiven" genannt hast, viele offene Fäden, viele Hautschichten unter Hautschichten. Ich sehne mich dann manchmal nach der Konsumierbarkeit und zugleich weiß ich, dass das nur Angst ist, vor der neuen, unüblichen, noch nicht etablierten Form eines literarischen Pop des einundzwanzigsten Jahrhunderts ;)

3. Ich frage mich, ob du (und ich sehe das bei mir auch) zu sehr an herkömmlichen Erzählstrukturen festhältst. Der ganze Text ist ein einziges Assoziationsnetz; aber es MUSS diese Rahmenhandlung geben – einer läuft durch die Stadt. Und es MUSS diese Dramaturgisierung geben – er denkt noch einmal zurück, erreicht sein Ziel, springt. Ich denke, ich mache es ganz genau so in manchen Geschichten, aber ich frage mich, ob wir uns damit einen Gefallen tun. Dann aber denke ich wieder: es ist dieselbe Angst von der ich schon in (2) kurz gesprochen habe.

Jahre sind zum Zählen da. Fünf Finger an der linken Hand. Viereinhalb an der rechten. Autounfall.

letztlich ein totes Detail. Das tut nichts. Aber ich will das einfach nicht kritisieren, ich weigere mich. Einfach weil ich denke, dass es irgendwie auch völlig egal ist, ob das Detail jetzt tot ist oder nicht – es geht doch hier um einen konzentriert arbeitenden Kiroly und um ein Erzeugnis. Was soll man denn daran kritisieren? Daran gibt es eigentlich nichts zu kritisieren.

Deine Ex hat gesagt: Du hast dich nicht entwickelt.
Plötzlich, ein Wunder, am Abend vor dem Wochenende: Der Praktikant Stefan S. findet zwei Meter Schlangenhaut hinter dem Busch.

Nur halbwegs wahllos ein starker Satz und ein witziger Climax (die Geschichte ist wie gesagt voll von guten Sätzen).

lassen das jäten, was zum Jäten bestimmt.

fehlt da was?

Weiterlaufen. An der Hauptstraße laufen. Ihrer Bordsteinkante folgen. Sich der Richtung nie versichern. Von sechs Fahrspuren überwältigt sein. Und du denkst: Sich an einen Ort sich tragen lassen. Dort aufsetzen. Saat streuen, Saat gedeihen und Saat ernten, der Ernte danken, sie einlagern, in Scheunen und Silos, die in der Sonne glänzen, wie Raumschiffe aus glattgespannter Alufolie. Die Ernte verkaufen, sie investieren. Dann zufrieden sein – die Kinder übernehmen den Hof, schreiten die Parzelle vor Sonnenaufgang ab und lassen das jäten, was zum Jäten bestimmt. Was sprach die Mutter zu ihrem Kind: Du musst den Acker finden, im Leben, Kind, auf dem du die Saat einstreuen darfst, Kind. Nimmt das Kind mit zwei Händen an den Backen, Kind, und formt den Kopf zurecht. Aber Backe bleibt halt Backe, rückt das Kind an Brust und Herzschlag, der beschleunigt und beschleunigt, ehe das Kind sich aus den Händen löst, den Blick auf den Boden richtet und mit der flachen Hand über die Küchenfliesen fährt.

Ja, könnte man vielleicht auch streichen. Aber das geht andersherum auch nicht. Ich glaube, man kann nicht einfach was an dieser Geschichte verändern.

Gebäude, die sich vereinzeln, Lagerhallen aus silbernem Stahl, in das große schwarze Eingänge ein inneres System der Kapitalmehrung erahnen

hier stimmt was nicht, oder?

Am nächsten Morgen sind die weißen Flecken verschwunden.

bzw. mit dem übrigen Weiß des Körpers verschmolzen? Ich habe mir vorgestellt, er springt und ertrinkt und seine Vitiligo wird im übrigen Weiß der am nächsten Morgen kalten, bleichen, leicht aufgedunsenen Haut unsichtbar.

--

Das erst mal. Nicht unwahrscheinlich, dass ich nochmal zurückkomme ...
Ich mag diesen Text
Liebe Grüße
Carlo

 

Oje oje,

lieber @Carlo Zwei :-) ,

da musste ich dank deines Kommentars - hoffentlich gelingt das auch - die Motivwahl schärfen. Vielen, vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren! Wirklich vielen Dank, denn jetzt wird einiges klarer ... traurig sollte er sein, der Text, aber mit einem optimistischen Ende, aber klar, das Ende ließ sich eher suizidal lesen. Ich habe enorme Probleme, dass, was ich denke, so in den Text zu bringen, dass der Leser es auch so sieht. Oder stärker geführt wird.

2. Es ist ein bisschen voll hier. Ich habe das auch noch nicht geknackt, aber diese sehr konzentrierten, sehr reichen Texte bringen, finde ich, wie auch hier mit sich, was du bei mir schon mal "reich an Motiven" genannt hast, viele offene Fäden, viele Hautschichten unter Hautschichten. Ich sehne mich dann manchmal nach der Konsumierbarkeit und zugleich weiß ich, dass das nur Angst ist, vor der neuen, unüblichen, noch nicht etablierten Form eines literarischen Pop des einundzwanzigsten Jahrhunderts
Aber andererseits - merci für das Lob und die Kritik - möchte ich ja nicht, dass die Texte als schön anzusehende Schmuckstücke im Museum der Wortkrieger vor sich hin dämmern. Hm, ja, ist schon relativ viel ... wieder. Ich habe durch ein paar Sätze vorne und hinten versucht, Intention und Erzählbogen stärker zum Vorschein kommen zu lassen. Vielleicht wird jetzt das Motiv der Häutung deutlicher. Vielleicht sind die Sätze alle zu ... überladen. In dem Sinne, dass ein Satz die Konsumierbarkeit des ganzen Textes umhaut.
Ich frage mich, ob du (und ich sehe das bei mir auch) zu sehr an herkömmlichen Erzählstrukturen festhältst. Der ganze Text ist ein einziges Assoziationsnetz; aber es MUSS diese Rahmenhandlung geben – einer läuft durch die Stadt. Und es MUSS diese Dramaturgisierung geben – er denkt noch einmal zurück, erreicht sein Ziel, springt. Ich denke, ich mache es ganz genau so in manchen Geschichten, aber ich frage mich, ob wir uns damit einen Gefallen tun.
Das ist ein superinteressanter Punkt, weil ich gehofft habe, dass das MÜSSEN nicht wirkt - ich wollte eine lose Assoziationskette zu den Erfahrungen eines Menschen nach einer Trennung schreiben. Die Häutung ermöglicht ihm, ein anderer Mensch zu werden, die Erfahrungen mit ihr abzustreifen, die Trennung zu überwinden. Vielleicht sollte auch der Punkt "sexuelle Erfahrungen" akzentuierter geschrieben werden. Du merkst, der Text ging in eine andere Richtung ... auch das suizidale Motiv sollte nicht erscheinen.
lassen das jäten, was zum Jäten bestimmt.
fehlt da was?
Das würde ich gerne so lassen, da wirkt die Macht der Kinder: Am Satzende klingt "bestimmt" so schön forsch.
Weiterlaufen. An der Hauptstraße laufen. Ihrer Bordsteinkante folgen. Sich der Richtung nie versichern. Von sechs Fahrspuren überwältigt sein. Und du denkst: Sich an einen Ort sich tragen lassen. Dort aufsetzen. Saat streuen, Saat gedeihen und Saat ernten, der Ernte danken, sie einlagern, in Scheunen und Silos, die in der Sonne glänzen, wie Raumschiffe aus glattgespannter Alufolie. Die Ernte verkaufen, sie investieren. Dann zufrieden sein – die Kinder übernehmen den Hof, schreiten die Parzelle vor Sonnenaufgang ab und lassen das jäten, was zum Jäten bestimmt. Was sprach die Mutter zu ihrem Kind: Du musst den Acker finden, im Leben, Kind, auf dem du die Saat einstreuen darfst, Kind. Nimmt das Kind mit zwei Händen an den Backen, Kind, und formt den Kopf zurecht. Aber Backe bleibt halt Backe, rückt das Kind an Brust und Herzschlag, der beschleunigt und beschleunigt, ehe das Kind sich aus den Händen löst, den Blick auf den Boden richtet und mit der flachen Hand über die Küchenfliesen fährt.
Ja, könnte man vielleicht auch streichen. Aber das geht andersherum auch nicht. Ich glaube, man kann nicht einfach was an dieser Geschichte verändern.
Das würde ich erstmal lassen. Es soll Erwartungshaltung an einen Menschen darstellen; ihre ehemalige Beziehung in einen größeren Kontext setzen, in die vielen Lebensphasen.
Gebäude, die sich vereinzeln, Lagerhallen aus silbernem Stahl, in das große schwarze Eingänge ein inneres System der Kapitalmehrung erahnen
hier stimmt was nicht, oder?
Richtig. Jetzt stimmt es. ^^
Am nächsten Morgen sind die weißen Flecken verschwunden.
bzw. mit dem übrigen Weiß des Körpers verschmolzen? Ich habe mir vorgestellt, er springt und ertrinkt und seine Vitiligo wird im übrigen Weiß der am nächsten Morgen kalten, bleichen, leicht aufgedunsenen Haut unsichtbar.
Ja, hoffentlich wirkt das Ende jetzt optimistischer ... um 180° gedreht.

Vielen, vielen Dank für Deine Anmerkungen :-)

Lg
kiroly

 

Hallo @kiroly

ich habe Deinen Text genossen. Deinen individuellen Schreibstil, die Melodie der Geschichte, die Melancholie. Du hast eine ganz eigene Art zu schreiben, irgendwie strange (das ist als Kompliment gemeint), unverwechselbar. Das Spiel mit den Worten, das Tempo - da passt alles zusammen. Das optimistische Ende hat mir gut gefallen.

Hier ein paar Leseeindrücke:

Deine Freundin hat sich zur Ex gemacht. Das ging so: Sie saß auf einem roten Schemel in der Wohngemeinschaftsküche. Ihre Haut adlig blass. Der Himmel grau wie Dachpappe. Es gab schwarzen Tee. Sie berichtete aus eurer gemeinsamen Vergangenheit. Die, laut ihr, gar nicht so gemeinsam war. Du merkst: Zwischen Einsam- und Gemeinsamkeit schwebt eine hauchdünne Membran und ein falsches Wort durchstößt sie.

Den Einstieg finde ich sehr gelungen. Auch die verschiedenen Farben. Ich hatte sofort ein Bild im Kopf. Sehr tiefsinnig und ein wenig philosophisch.

Sich lautlos verabschieden – deine Mitbewohner, die dich verabschieden sehen, haben deine Verabschiedung nicht als Verabschiedung erkannt. Als Gang zum Zigarettenautomaten am Addis-Abeba-Platz oder zu Than Pho Asia interpretiert - sie haben dich als den gesehen, der du für sie bist und nicht bemerkt, wie du bist, wenn du fortgehst. Nämlich sehr, sehr allein.

Du spielst mit Wortwiederholungen und das passt hier sehr gut.
Hier greifst Du etwas auf, was leider sehr oft vorkommt: nur die äußere Fassade wird gesehen, wirklich hineinblicken in die Menschen kann man nicht (wollen viele oftmals vielleicht auch nicht)

Aus der Stadt laufen. Sich die Stadt erlaufen. Dem Epizentrum entlaufen. Ein Kind wartet auf seinen Kebab. Die Straßenbahn bummelt im Wendekreis. Laternenmasten biegen sich unter der Last gesammelten Lichts.

Auch hier gefällt mir die Verwendung der Doppelungen. Das Bild mit den Laternenmasten ist fasziniernd.

Jahre sind zum Zählen da. Fünf Finger an der linken Hand. Viereinhalb an der rechten. Autounfall.

Und hier gewährst Du Einblick. Der Prota hat schlimmes erlebt. Ich finde das toll, wie Du das vermittelst.

Die Hymne gesummt. „So british I am“, und gelacht: „This is my empire.“

Ein wenig Humor ist auch dabei. Das gefällt mir.

Stunden, in denen es dunkel und aufregend oder dunkel und traurig oder dunkel und einsam oder alles zugleich werden kann, in der der Mensch den Blick auf seine Innerlichkeit mit rotem Pfeffi schärft.

Diese Stelle hat mir auch sehr gut gefallen.

Von der Straße läufst du zum alten Kanal. Jetzt läufst du mit leerem Kopf. Ein, zwei Kilometer. Du merkst, Wasseroberflächen sind kühl und angrenzende Uferstreifen auch – eine Nachtlibelle schwirrt, ein Fisch im Wasser, der sich am Mond der Nacht versichert, du hoffst, keinen Angler zu stören, aber weißt, der Angler sieht und guckt und spricht nicht, das schätzt du an den Anglern. Du bleibst stehen. Das ist ein bekannter Ort.

Sehr schön beschrieben. Hier bin ich ganz nah an Deinem Prota.

Du richtest den Blick auf die Ebene. Auf der Ebene sammelt sich die Dunkelheit und zieht den Horizont an dein Gesicht. Dein Horizont in Nasenlänge. Das Weltall tanzt auf deinem Kopf. Lauer Wind. Wenn du Kartograph wärst, würdest du eine Landkarte der Steinchen zwischen deinen Füßen zeichnen oder eine aller Sterne, die du siehst. Das wären Aufgaben für dich – präzise klassifizieren, nach Sternenform und Sternenblink oder Steinchenform und Steinchenfühl in deiner linken Hand. Eine Aufgabe beginnen und abschließen.

Ebenfalls eine wundervolle Stelle.

Springst in den Kanal. Tauchst ein und tauchst auf. Steigst aus dem Kanal. Klopfst Kanalwasser von dir ab. Ziehst dich wieder an.

Gut beschrieben.

Sehr gern gelesen!

Liebe Grüße und einen schönen Tag,
Silvita

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @kiroly

Bin erleichtert, dass es eine Ex ist.
Ich denke, dass ich vieles an deinem Text nicht verstanden habe. Er ist verdichtet, voll mit Bildern. Genau das ist es was deine Texte mMn so besonders machen, die wunderbaren Bilder und diese Art des Schreibens.
Da ich das sehr bewundere, möchte ich dir mein Eindruck und meine Gedanken schreiben.

Zwischen Einsam- und Gemeinsamkeit schwebt eine hauchdünne Membran und ein falsches Wort durchstößt sie. Man merkt das manchmal nicht.
Verstehe ich nicht. Eine Membran? Es sind drei Buchstaben oder ganz viel. Macht nichts, dass ich es nicht verstehe für dich ist es so.
Du hast es nie gemerkt, laut ihrer Aussage. Und: Du hast dich nicht entwickelt. Und stellte den Satz sehr fest, unverrückbar fest, dass er in den Tagen nach der Trennung an allen Orten deines Denkens deutlich aufleuchtete wie nächtliche Wegweiser auf der Autobahn.
Klare Ansage. Und es bestimmt das Denken deines Prota.
Sich lautlos verabschieden – deine Mitbewohner, die dich verabschieden sehen, haben deine Verabschiedung nicht als Verabschiedung erkannt. Als Gang zum Zigarettenautomaten am Addis-Abeba-Platz oder zu Than Pho Asia interpretiert - sie haben dich als den gesehen, der du für sie bist und nicht bemerkt, wie du bist, wenn du fortgehst. Nämlich sehr, sehr allein.
Dein Prota macht eine Tür zu und öffnet eine andere. Alleine.
Deine Ex hat gesagt: Du hast dich nicht entwickelt.
Für mich einer der Kernsätze.
Doch du hast jeden Morgen auf die Zeichen deiner Häutung gewartet. Auf den weißen Flächen nach dem Rosaschimmer der neuen Haut gesucht. Da schält sich kein Wesen aus den heißen Kernzentren deines Körpers, in denen was zerfällt, was zusammengehört.
Der Wunsch nach Veränderung. Während in dem Prota was kaputt geht
Zählst die Finger deiner linken Hand.
Ich habe mich gefragt, warum es gerade die linke Hand ist?
Weil sie vom Verstand gelenkt wird. Weil er sich auf der Verstandesebene nicht vollständig fühlt. Während die andere Hand, das Gefühl fast zu stark ist.
Deine Ex hat gesagt: Du hast dich nicht entwickelt. Jahre sind zum Zählen da. Fünf Finger an der linken Hand. Viereinhalb an der rechten. Autounfall.
Verstehe auch nicht, hat sie das gesagt?
Aber du bist hier zu Hause, denkst du und lässt den Gedanken Gedanken sein. Und hoffst auch auf ein Wunder, das Wunder einer neuen Haut.
Was bringt die neue Haut was verspricht sich dein Prota davon?
Zumal es weiter oben heißt im innern zerfällt was zusammen gehört.
Vielleicht ich möchte nach außen top erscheinen, egal was im innern kaputt geht.
Weiterlaufen. An der Hauptstraße laufen. Ihrer Bordsteinkante folgen. Sich der Richtung nie versichern. Von sechs Fahrspuren überwältigt sein.
Ich spüre Überforderung.
Sich an einen Ort sich tragen lassen.
Ja
Nimmt das Kind mit zwei Händen an den Backen, Kind, und formt den Kopf zurecht. Aber Backe bleibt halt Backe, rückt das Kind an Brust und Herzschlag, der beschleunigt und beschleunigt, ehe das Kind sich aus den Händen löst, den Blick auf den Boden richtet und mit der flachen Hand über die Küchenfliesen fährt.
So klasse beschrieben.
Weiterlaufen. Die Hauptstraße. Jetzt der Blick in die Gegend. Gebäude, die sich vereinzeln, Lagerhallen aus silbernem Stahl, deren große schwarze Eingänge ein inneres System der Kapitalmehrung erahnen lassen; des kleinen und großen Aufstiegs in deinen Jahren, der des Gleichhaltens in späteren; Autohandel hinter Maschendrahtzaun und schillerndes Buntmetall auf Sandplätzen. Das M des McDonalds leuchtet neben der Tankstelle, an der die Mädchen in weißen Stiefeln Rockstar-Dosen gegen ein Gitter kicken. Nachmittags haben dort ihre männlichen Freunde die Fußmatten ihrer Golfs und Polos abgeklopft.
Alltag, Leben.
Stunden, in denen es dunkel und aufregend oder dunkel und traurig oder dunkel und einsam oder alles zugleich werden kann, in der der Mensch den Blick auf seine Innerlichkeit mit rotem Pfeffi schärft. Das Können ins Werden schieben, bis ein Kind ins Kreißsaallicht der Freiheit plumpst.
Einfach klasse. Das gefällt mir sehr.
Ich hab‘ dich immer unterstützt. Emotional. Instrumentell. Aber du hast dich nicht entwickelt. Und du sitzt vor Microsoft Excel Office und siehst die Neuen deine Gehaltsklasse überspringen. Weißt du, du bist der Büro-Pol, um dich dreht sich alles, aber alle anderen nutzen die Rotation zur Beschleunigung wie kleine Kinder eine Drehscheibe auf dem Spielplatz. Sie halten sich fest, lassen los, fliegen in den Sand: Guck mal, ruft das Kind, bin viel weiter als du geflogen. Schüttelt den Sand ab. Fragt: Kannst du den Betriebsausflug organisieren? Du antwortest: Selbstverständlich.
Du bist nicht so geworden wie ich dich haben wollte und für die andern bist du nur der Depp.
Deine Exfreundin hat eine Höhle mit ihren Händen geformt und den Ruf eines Uhus nachgeahmt – Nacht – der Mond ist noch nicht aufgegangen. Im Zelt der Geruch alter Nässe, die zu schnell getrocknet ist, die Mischung aus Tagesschweiß und Pollenflug des Zeltplatzes, du hast ihn bestimmt und deine Exfreundin ist lächelnd gefolgt. Ihr habt einen Kaffee gekocht, welch‘ komplizierter Prozess: Das Instantpulver nicht verschütten, das Gas vorsichtig ablassen, sich nicht am Streichholz verbrennen und den unsichtbaren Butanstrahl mit der Flamme treffen, diskutieren, ob kochendes Wasser jedes Bakterium abtötet, die Sorge vor Verpuffung oder Verlust allen Gases. Aber es hat im achten Versuch geklappt und du hast erleichtert aufgeatmet. Deine Ex hat mit verschränkten Armen genickt. „Gib mir Topf, Wasser, Deckel“. Wasser braucht viele Warmzeiten, bis es blubbert, das kann ein Wasserkocher im urbanen Umfeld eben schneller. Trotzdem hast du dich geschämt, ein Dilettant des einfachen Lebens zu sein: Gaskocher, Zeltaufbau, du hast dich geschämt, ein Zelt nur schief in seine Teile zu falten, während deine Exfreundin geprüft hat, ob der Mann ein Mann ist und das „ist“ ist ein naturgesetzliches – du spürst ihn, den Selektionsdruck, ganz massiv auf deinen dünnen, nach vorne gekrümmten Schultern drücken.
Ich leide mit ihm, weil ich nicht perfekt bin … Den Druck kenne … Und wütend über die nach vorne gekrümmten Schultern bin.
Du läufst. Die Stadt in deinem Nacken. Heute ist Vollmond. Stehen und Bleiben. Du ziehst dich aus. Das T-Shirt, die kurze Hose, die löchrige Unterhose
Stehen und Bleiben keine Veränderung. Alles löchrige hinter sich lassen und hier sein.
Du richtest den Blick auf die Ebene. Auf der Ebene sammelt sich die Dunkelheit und zieht den Horizont an dein Gesicht. Dein Horizont in Nasenlänge.
Der eigene Horizont ist so nah.
Klopfst Kanalwasser von dir ab. Ziehst dich wieder an.
Er klopft das Wasser ab und streift es nicht ab!

Ich denke, wenn hundert Menschen diese Geschichte lesen, bekommst du hundert verschiedene Rückmeldungen.
Ob meine Dir etwas bringt, weiß ich nicht.
Ich habe deine Geschichte sehr gerne gelesen.

Danke dafür CoK

 

Hallo @Silvita :-)

Vielen Dank für das Lesen und Kommentieren und die lobenden Worte! Mehr kann ich zu deinem Kommentar nicht anbieten, ich arbeite ja meist die Kritikpunkte ab ... also, danke, ich hoffe, das ist dir ausreichend :-)

***

Hallo @CoK :-)

Merci für Lesen und Kommentar!

Zwischen Einsam- und Gemeinsamkeit schwebt eine hauchdünne Membran und ein falsches Wort durchstößt sie. Man merkt das manchmal nicht.
Verstehe ich nicht. Eine Membran? Es sind drei Buchstaben oder ganz viel. Macht nichts, dass ich es nicht verstehe für dich ist es so.
Eigentlich wollte ich damit die Instabilität, die Verletzbarkeit einer Beziehung ausdrücken. Wie schnell eine Beziehung in sich zusammenfallen kann. Membran ... das sollte quasi den Leser auf das Haut-Motiv vorbereiten. Ich lasse es erstmal so stehen, werde aber etwas anderes versuchen.

Zählst die Finger deiner linken Hand.
Ich habe mich gefragt, warum es gerade die linke Hand ist?
Weil sie vom Verstand gelenkt wird. Weil er sich auf der Verstandesebene nicht vollständig fühlt. Während die andere Hand, das Gefühl fast zu stark ist.
Soweit habe ich gar nicht gedacht. Aber schön, wenn es dir a) gefällt und b) eine Assoziation entsteht, die in den Text passt.
Deine Exfreundin hat eine Höhle mit ihren Händen geformt [...] du spürst ihn, den Selektionsdruck, ganz massiv auf deinen dünnen, nach vorne gekrümmten Schultern drücken.
Ich leide mit ihm, weil ich nicht perfekt bin … Den Druck kenne … Und wütend über die nach vorne gekrümmten Schultern bin.
Sich freuen ist das falsche Verb, aber schön, dass du dich mit dem Protagonisten identifizieren kannst (obwohl ich ja die Du-Perspektive verwendet habe).

Rücksprung:

Deine Ex hat gesagt: Du hast dich nicht entwickelt. Jahre sind zum Zählen da. Fünf Finger an der linken Hand. Viereinhalb an der rechten. Autounfall.
Verstehe auch nicht, hat sie das gesagt?
Das habe ich ausgebessert, das ist jetzt pointierter.
Aber du bist hier zu Hause, denkst du und lässt den Gedanken Gedanken sein. Und hoffst auch auf ein Wunder, das Wunder einer neuen Haut.
Was bringt die neue Haut was verspricht sich dein Prota davon?
Zumal es weiter oben heißt im innern zerfällt was zusammen gehört.
Vielleicht ich möchte nach außen top erscheinen, egal was im innern kaputt geht.
Das Hautmotiv scheint noch nicht so gut zu funktionieren. Ich möchte über die Häutung einen Neustart darstellen, dass hier ein Mensch seine Beziehung überwunden hat und neu ins Leben starten kann. Spontan fällt mir da keine andere Idee ein. Nur zum Verständnis! Danke für den Hinweis :-)

Ich denke, wenn hundert Menschen diese Geschichte lesen, bekommst du hundert verschiedene Rückmeldungen.
Ob meine Dir meine etwas bringt, weiß ich nicht.
Klar hat sie was gebracht. Du liest es ja! Sie schärft den Blick auf das, was geht, was ruckelt und was nicht geht. Eigentlich habe ich gehofft, dass von hundert Menschen - sagen wir mal - 75 ähnliche Rückmeldungen auftauchen. Auch in der Motivwahl, im Verständnis :-D Ist eben meine Schwierigkeit.

Ich danke dir sehr, sehr, sehr, liebe @CoK :-)

Lg
kiroly

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @kiroly

Eigentlich habe ich gehofft, dass von hundert Menschen - sagen wir mal - 75 ähnliche Rückmeldungen auftauchen. Auch in der Motivwahl, im Verständnis :-D Ist eben meine Schwierigkeit.
Ich denke, dass die Meisten verstehen werden, worum es in deiner Geschichte geht.
Bilder erzeugen mMn bei jedem Menschen unterschiedliche Assosazionen. (Wie bei mir zB die linke Hand.) Das hatte ich gemeint.
Es ist egal wie oft ich deine Geschichte lese, jedes Mal finde ich einen neuen Gedanken. Mich begeistert das.

Liebe Grüße CoK

 

Guten Abend @kiroly!

Ich mag diesen Text sehr gerne. Ich bin eigentlich ein Fan von straight forward Texten, von einer Story, die erzählt wird, Figuren, das Klassische, man kennt das Spiel.
Bei Texten, die so eine (für mich) „klassische“ Form verlassen und bei denen die Sprache nicht nur hübsches Kommunikationsmittel, sondern auch Teil des Erzählten des Textes wird (ich hoffe, du kannst mir folgen), bin ich ein wenig ein gebranntes Kind, weil ich nicht selten mit solchen Texte, die einen literarischen Anspruch suggerierten, sehr wenig anfangen konnte. Das liegt daran, dass ich, wenn ich z.B. mein Lieblingshassobjekt, den Bachmannpreis, anschaue, ich oft Null Zugang zu den Texten finde, weil sie so auf Sprache gewichtet sind, dass alles andere dahinter mir wie Nebel erscheint.

Anders hier bei deiner Story. Du erzählst - und das ist ein Kompliment - sehr kirolyesk, und dir gelingt hier der Spagat, einerseits sehr experimentell oder avantgardistisch (?) auf sprachlichem Niveau zu schreiben, und andererseits hilft mir als Leser genau diese Sprache dabei, diese zwei Figuren, von denen du berichtest, wirklich gut greifen zu können, wahrscheinlich kannst du ihre auf eine Art eigensinnigen Wesen nur durch eine solche Sprache zum Ausdruck bringen, besser als eine durchschnittliche, „normale“ Prosasprache.

Also im Mittelpunkt stehen hier für mich, und das hat mir hier so gut gefallen, der Erzähler und die Exfreundin, und wie authentisch du sie rüberbringst und ich sie mir vorstellen kann.

Mitgeschriebenes:

du spürst ihn, den Selektionsdruck, ganz massiv auf deinen dünnen, nach vorne gekrümmten Schultern drücken.
haha das ist stark
feel it

Deine Freundin hat sich zur Ex gemacht.
Das ist ein guter erster Satz.

Zwischen Einsam- und Gemeinsamkeit schwebt eine hauchdünne Membran und ein falsches Wort durchstößt sie.
Fand ich sehr gut.

Deine Ex hat gesagt: Du hast dich nicht entwickelt.
Das klingt einfach so verdammt authentisch.

Jeden Morgen die Inspektion deiner Haut. Nach dem Duschen in der Spiegelscherbe über dem Wasserklosett. Sie gründlich abgetrocknet und das Halogenlicht über der Spiegelscherbe auf den Intimbereich gelenkt. Riesige, weiße Flächen.
Auch das.

Deine Ex hat eine Landkarte in diese Flächen gemalt. Eine Bahnlinie mit Fineliner-Strichen ins Zentrum deiner terra incognita projektiert.
Und das.

Deine Exfreundin hat eine Höhle mit ihren Händen geformt und den Ruf eines Uhus nachgeahmt – Nacht – der Mond ist noch nicht aufgegangen.
Sowie das.

Ich finde die Motive der Häutung und der weissen Flecken auf der Haut gut. Suizidabsichten hatte ich in der Version nicht gelesen. Ich hatte zum Ende hin, als er ins Wasser steigt, kurz Sorge, dass es in die Richtung gehen könnte, aber das ist zum Glück nicht gekommen, das hätte für mich die Story abgeschwächt. Du könntest das Eisbaden bzw. In-den-Fluss-steigen am Ende noch etwas mehr ausführen, es ist ja sehr metaphorisch, auch ein Knackpunkt in der Story, eine Art Selbsttaufe und Wiederauferstehen danach.

Ja, solche Figuren und Themen haben ein Stein bei mir im Brett.


Beste Grüße
zigga

 

Hallo @zigga :-)

Über deinen Besuch, deine (positive) Rückmeldung, das Lesen und Kommentieren - ich habe mich sehr, sehr gefreut. Sowohl in den Kommentaren als auch in deinen Texten schätze ich die Qualität, der genaue sprachliche Blick und den Willen, es besser zu machen.

z.B. mein Lieblingshassobjekt, den Bachmannpreis,
Verena Güntner! Die hat den Preis, okay, nicht gewonnen, aber sie hat mal einen genialen, prosaischen Text eingereicht. Das nur so am Rande.
Anders hier bei deiner Story. Du erzählst - und das ist ein Kompliment - sehr kirolyesk, und dir gelingt hier der Spagat, einerseits sehr experimentell oder avantgardistisch (?) auf sprachlichem Niveau zu schreiben, und andererseits hilft mir als Leser genau diese Sprache dabei, diese zwei Figuren, von denen du berichtest, wirklich gut greifen zu können, wahrscheinlich kannst du ihre auf eine Art eigensinnigen Wesen nur durch eine solche Sprache zum Ausdruck bringen, besser als eine durchschnittliche, „normale“ Prosasprache.
Das freut mich besonders, auch, weil ich das Experimentelle gar nicht beabsichtige, irgendwie entsteht das eben beim Schreiben. Oder besser beim Überschreiben und Überschreiben, ähnlich der Lasurtechnik eines Stilllebens. Ja, der straighte Plot ... dabei empfinde ich deine Texte gar nicht so sehr plotwirkend, eher milieuschildernd ... sozialrealistisch könnte man vielleicht sagen ... kurzum: Dein Selbstbild vom straighten Plot deckt sich nicht mit meinem Bild von dir. Es deckt sich ein bisschen. Kleiner Halbmond oder so. :-D
Suizidabsichten hatte ich in der Version nicht gelesen. Ich hatte zum Ende hin, als er ins Wasser steigt, kurz Sorge, dass es in die Richtung gehen könnte, aber das ist zum Glück nicht gekommen, das hätte für mich die Story abgeschwächt. Du könntest das Eisbaden bzw. In-den-Fluss-steigen am Ende noch etwas mehr ausführen, es ist ja sehr metaphorisch, auch ein Knackpunkt in der Story, eine Art Selbsttaufe und Wiederauferstehen danach.
Das war in der ersten Version anders, da hätte ein Suizid erkennbar sein können und wurde auch von Carlo Zwei so erkannt; aber nein, irgendwie brauchte ich etwas aussichtsreicheres, optimistischeres, etwas mit einem Punkt, der an den Horizont gesetzt wird und dem mit einem Gefühl des Neuen gefolgt wird. Du hast aber recht, der Tauchgang als zentrales Element bricht doch ein bisschen vom Rest des assoziativen Laufens ab, quasi eine Wort-Klippe, die teilweise erodiert ist. Ich schreibe es mir als Punkt auf, werde ich nochmal bearbeiten.

Lieber @zigga -

Vielen Dank.

Auch deinen Text werde ich noch kommentieren, er ist aber entsprechend lang und entsprechend lang braucht ein Ticken mehr Zeit als ein kurzer. So.

Lg aus Leipzig,
merci
kiroly

 

Ja, der straighte Plot ... dabei empfinde ich deine Texte gar nicht so sehr plotwirkend, eher milieuschildernd ... sozialrealistisch könnte man vielleicht sagen ... kurzum: Dein Selbstbild vom straighten Plot deckt sich nicht mit meinem Bild von dir. Es deckt sich ein bisschen. Kleiner Halbmond oder so. :-D
Kurz: Ich meinte das Schema szenische Szene an szenischer Szene, mit einer klassischen Dramaturgie - wobei ich mich selbst jetzt nicht darunter gerechnet habe, es wae eher so rum gemeint, dass ich halt solche Romane/Shortstories als Leser lese :D Aber Sozialrealismus finde ich treffend, danke für die Einschätzung!

Güntner checke ich mal ab. Klar, da sind auch sehr gute Sachen dabei! :D

Beste Grüße
zigga

 

Hallo @Rob F :-)

Vielen, vielen Dank für Deinen Kommentar, speziell für die kleinteilige Textarbeit! Ich habe vieles übernommen, ein, zwei Punkte sehe ich anders. :-)

Habe ich gerne gelesen, ein Einblick in die Gedankenwelt und die Emotionen des Protagonisten, erzählt von einer fremden Person. Interessante Konstellation!
Schön, das freut mich :-)

obwohl ich grundsätzlich eher zu den Langsamlesern gehöre, haben die Formulierungen und der Sprachrhythmus mich zu einer seltenen Geschwindigkeit gebracht.
Meinst du damit, dass du schneller gelesen hast?
Sie saß auf einem roten Schemel in der Wohngemeinschaftsküche. Ihre Haut adlig blass. Der Himmel grau wie Dachpappe. Es gab schwarzen Tee.
Ist mir persönlich doch etwas zu viel hier mit den Farben ...
Hm, das würde ich doch so stehen lassen. "Schwarzer Tee", das ist ja fast ein Eigenname, der das "schwarz" rückt so sehr in die Alltäglichkeit ... und "blass" hätte ich als Farbe nicht wahrgenommen.

Man merkt das manchmal nicht. Du hast es nie gemerkt, laut ihrer Aussage.
Die markierte Formulierung passt m.E. nicht so ganz zum Rest der Geschichte, hört sich eher an wie in einem sachlichen Zeitungsartikel.
Das habe ich gestrichen, danke für den Hinweis :-)

Tage vergingen ...
Ich würde hier nur einen Punkt verwenden.
Hm, hier lasse ich es bei den drei Punkten, um das "Verlaufende", das "Ablaufende" als Grundton der Geschichte beizubehalten.

Aus der Stadt laufen. Sich die Stadt erlaufen. Dem Epizentrum entlaufen. Ein Kind wartet auf seinen Kebab. Die Straßenbahn bummelt im Wendekreis. Laternenmasten biegen sich unter der Last gesammelten Lichts.
Zwar schön formuliert, aber inhaltlich ... ich weiß nicht
Hm ja, ja ... jetzt ist da natürlich einerseits das schön formulierte. Andererseits enthält ja die Geschichte mit der Häutung schon ein magisches Element ... die Geschichte hält sich nicht an der realistischen Darstellung einer Hauptstraße sondern an einer, in der alles ein bisschen seltsam, eigenartig und merkwürdig verläuft. Ich bleibe dabei, einerseits aus dem sehr egoistischen Grund, dass ich den Satz mag, andererseits wird dem Leser so die Merkwürdigkeit, die Seltsamkeit, das eigenartige Treiben und leichte Irrealität des Textes vertraut gemacht - hier durch eine Umkehrung: Das Licht (als Grundfunktion einer Laterne) biegt den Mast, der Mast ist nicht gebogen, hier zieht eine Funktion die Welt krumm.

Kann man das verstehen? Nachvollziehen? Ich hoffe es :-D

;)
Nach dem Duschen in der Spiegelscherbe über dem Wasserklosett. Sie gründlich abgetrocknet und das Halogenlicht über der Spiegelscherbe auf den Intimbereich gelenkt
An der zweiten Stelle würde ich nur "Scherbe" schreiben ;
"Sie" zu Beginn des zweiten Satzes könntest du streichen
Da habe ich generell die Satzstruktur geändert, danke dafür :-)

Deine Oma freut sich, schlägt die Hacken zusammen, drückt das Rückgrat durch und fragt, ob sie jetzt endlich, endlich nach Hause fahre könne.
fahren
Sich an einen Ort sich tragen lassen.
nur einmal "sich"
... und lassen das jäten, was zum Jäten bestimmt.
Da fehlt m.E. am Ende ein "ist".
Die ersten zwei Hinweise habe ich übernommen, merci :-) Was man immer so alles überliest! Den letzten Satz lasse ich aus Gründen der Intonation so. Außerdem: Was zum Jäten bestimmt / was zum Jäten bestimmt ist, ich denke, dass in dem epischen Kontext eine solche Ellipse besser passt ... oder? Aber Carlo Zwei hatte das bereits angemerkt ...

Gebäude, die sich vereinzeln
Wie machen Gebäude das?
Hm, ist vielleicht doch zu experimentell. Aber ich kann dir sagen wie das geht: Doppelhaushälfte teilen. :-D Dummer Witz, pardon. Also, hier kann ich wieder auf den magisch-realistischen Kontext verweisen (ist das erlaubt?). In einem realistischen Text wäre das anders, da ginge ein solcher Satz überhaupt nicht. Beispiel:

Acht Sargträger waren nötig, um den Sarg zu tragen, so schwer war er von all den Sünden des Mannes und der Sarg wurde schwerer und schwerer, je länger sich die Trauergäste austauschten. Über Erlebnisse, Ereignisse in der Schule, im Beruf, beim Warten auf die raren Lebensmittel ...

:confused:
Und du sitzt vor Microsoft Excel Office und siehst die Neuen deine Gehaltsklasse überspringen.
"Office" streichen, das ist auch so klar. Ansonsten würde ich "Office" vor "Excel" schreiben.
Habe ich übernommen, danke :-)

:thumbsup:
... die zu schnell getrocknet ist, die Mischung aus Tagesschweiß und Pollenflug des Zeltplatzes, du hast ihn bestimmt und deine Exfreundin ist lächelnd gefolgt.
Ich würde nach "Zeltplatzes" einen neuen Satz beginnen.
Danke! Direkt übernommen, hast Recht.

Gib mir Topf, Wasser, Deckel“.
. vor "
Superpräziser Blick, danke :-) :-)
Es fehlt wirtschaftliche Aktivität auf dem Kanal.
Das klingt m.E. zu sachlich, vielleicht nur "Aktivität"?
Ja, so ein typischer Satz von mir. Stimmt schon, der fällt in dem Kontext ein bisschen raus und wurde gnadenlos gestrichen. Danke :-)

Lieber @Rob F :-) Ich danke dir! Und wünsche dir einen guten Start in das Wochenende 11-12-09-21 !

Liebe Grüße aus Leipzig-Stadt,
kiroly

 

Laternenmasten biegen sich unter der Last gesammelten Lichts.
...
Du hast an die Zeit nach dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung gedacht und hast festgestellt: Wir werden nicht überleben.

Welcher staatliche Zusammenbruch?
Durch die „Treuhand“ (schon vor solchen Bezeichnungen müsste jeder zusammenzucken) wurde das vollzogen, was im großen Kapital Gang und gäbe ist, wenn der Stärkere einen andern aufkauft (wobei die aufgekaufte Firma eher stillgelegt wird als erhalten bleibt: die heren Worte zuvor pure Schaumschlägerei. Zuerst werden die eigentlichen, die noch tendenziell gefährlichen Konkurrenten „geplündert“ und dann stillgelegt.

Aber zum Text, der „Einsamkeit“ des (nächtlichen Langstrecken-)Läufers, der nachts läuft, aber warum in Zeiten, da Wohngemeinschaften keine Kommune (da steckt vor allem Kommunikation drin), sondern nur noch Zweckgemeinschaften sind, weil das wirtschaftlich erwünschte Singledasein (ein Einpersonenhaushalt ist auf den Kopf errechnet teurer und damit lukrativer als der Zweipersonenhaushalt und der wiederum als …) Aber wer ist es da, der da angesprochen wird? Der Andere, der von der Ex zum Ex gemacht wurde, selbst wenn „ander“ anno tobac „zwei“ bedeutete (bis Luther eben das eine Zahlwort durch die nackte Zahl selbst ersetzte) – was heute noch im anderthalb fortlebt, nicht mehr zwo, aber immer noch mehr als eins. Ähnlich verhält es sich hier in der feinen Beobachtung

Zwischen Einsam- und Gemeinsamkeit schwebt eine hauchdünne Membran und ein falsches Wort durchstößt sie.

Und wie die liebe @CoK vor einiger Zeit einen Fremden zitiert hatte zum Unterschied zwischen ein- und gemeinsam: mittendrin steckt auch die Umkehrung und der Austausch der Endungen von gemeinsam zur Gemeinheit.

Zwei/drei Flüschen

Eine Bahnlinie mit Fineliner-Strichen ins Zentrum deiner terra incognita projektiert.
Nein, da wird kein Projekt gestartet, da wird eher was mit feinen Strichen „projiziert“

Hier wüsst ich nun keinen Grund, Kommas zu setzen

Deine Ex hat auch gewartet. Auf dieses innere Wesen und sie hat sich vorbereitet[...]auf dieses innere Wesen, sie hat sich auch geduscht und einen schmalen Streifen geöffnet und gewartet[...] unter Bettdecken, auf Zeltplätzen, in Hotelzimmern. Sie hat ...
im Falle der „Regieanweisung“ statt einer ordentlichen Regel wären Gedankenstriche sinnvoller.

Ähnlich hier

Saat streuen, Saat gedeihen und Saat ernten, der Ernte danken, sie einlagern, in Scheunen und Silos, die in der Sonne glänzen[...] wie Raumschiffe aus glattgespannter Alufolie.
Wo die Konjunktion „wie“ keinen vollständigen Satz einleitet und „nur“ ein Vergleich vorliegt. Aber hier

Gebäude, die sich vereinzeln, Lagerhallen aus silbernem Stahl, deren große schwarze Eingänge ein inneres System der Kapitalmehrung erahnen lassen; …
muss m. E. ein Komma (große, schwarze) oder ein „und“ (große und schwarze) eingesetzt werden bei gleichrangigen Adjektiven

„Gib mir Topf, Wasser, Deckel."
Klingt doch sehr nach Imperativ!, wenn auch nicht allein durch ein fehlendes "bitte"

Wie immer

gern gelesen vom

Friedel

 

Hallo @kiroly

Ein wunderbarer Text, der zum genauen Lesen zwingt und keine abgespeicherten Muster im Hirn abruft, sondern Wort für Wort die Sätze bildet, und hernach sich erst die – oft tiefsinnigen – Aussagen offenbaren. Ich konnte nicht wie Rob F einfach mal drüber lesen.

Als Beispiel erwähne ich den folgenden Schlüsselsatz:

Und: Du hast dich nicht entwickelt. Und stellte den Satz sehr fest, unverrückbar fest,
würde in gerade aus Prosa etwa so lauten:
"Du hast dich nicht entwickelt", stellte sie unverrückbar fest.
und mein Hirn würde den Sinn mühelos aus bekannten Bausteinen zusammensetzen. Aber nein, du forderst mich als Leser heraus, zu erkennen, wie das unverrückbare Feststellen des Satzes schon fast materiell wie eine Mauer hochgezogen wird und das finde ich echt spannend geschrieben. Und der Stil zieht sich bis zum Ende durch, ohne unterwegs an Kraft zu verlieren. Ausser diese eine Stelle, da stolperte ich über die Perspektive
Ich hab‘ dich immer unterstützt. Emotional. Instrumentell. Aber du hast dich nicht entwickelt. Und du sitzt vor Microsoft Office Excel und siehst die Neuen deine Gehaltsklasse überspringen. Weißt du, du bist der Büro-Pol, um dich dreht sich alles, aber alle anderen nutzen die Rotation zur Beschleunigung wie kleine Kinder eine Drehscheibe auf dem Spielplatz. Sie halten sich fest, lassen los, fliegen in den Sand: Guck mal, ruft das Kind, bin viel weiter als du geflogen. Schüttelt den Sand ab. Fragt: Kannst du den Betriebsausflug organisieren? Du antwortest: Selbstverständlich.
Erst dachte ich, es wäre immer noch der Du-Erzähler, aber im weiteren war dann deutlich die Ex zu erkennen.
Obwohl das schon toll gemacht ist, wie sie ihm den Spiegel vorhält, kurz als Metapher spielende Kinder verwendet um mit dem Zeitsprung ins jetzt (Das Kind mutiert wieder zum vorbeisausenden Mitarbeiter, der da nach der Orga fragt) und somit seinen stoischen Stillstand vor Augen führt.
Aber auch nach erneutem Lesen des Textes stört mich dieser Bruch der Perspektive. Möglicherweise, weil es die einzige Stelle ist, wo du den Du Erzähler ohne Vorwarnung verlässt. Ich wünschte mir hier ein
Deine Ex hat gesagt: Ich hab' dich immer ...
Deine Ex – zieht sich sowieso wie ein Mantra durch den ganzen Text, gibt den nötigen Druck zur längst überfälligen Häutung deines Protagonisten.

Und das bringt mich zu dieser Stelle

[...]
Das Können ins Werden schieben, bis ein Kind ins Kreißsaallicht der Freiheit plumpst.

Deine Ex hat auch gewartet.

Aber es klappte irgendwie nicht. Das Warten schon. Das Andere ...

Dieses auch, das stört mich, denn davor wartet niemand, da plumpst ein Baby in die Welt.
Vielleicht "Deine Ex hat (auch) darauf gewartet".


Fazit: Ich mag den Text, sehr, auch wenn er – oder gerade weil er – meine Lesegewohnheiten aufbricht.

Gerne gelesen, liebe Grüsse
dot

 

Hallo @dotslash :-)

vielen Dank für das Lesen und Kommentieren. Über deinen präzisen Kommentar habe ich mich sehr gefreut. Auch, dass der Text dich als Leserin nicht verliert ... :-)

Ausser diese eine Stelle, da stolperte ich über die Perspektive
Ich hab‘ dich immer unterstützt. Emotional. Instrumentell. Aber du hast dich nicht entwickelt. Und du sitzt vor Microsoft Office Excel und siehst die Neuen deine Gehaltsklasse überspringen. Weißt du, du bist der Büro-Pol, um dich dreht sich alles, aber alle anderen nutzen die Rotation zur Beschleunigung wie kleine Kinder eine Drehscheibe auf dem Spielplatz. Sie halten sich fest, lassen los, fliegen in den Sand: Guck mal, ruft das Kind, bin viel weiter als du geflogen. Schüttelt den Sand ab. Fragt: Kannst du den Betriebsausflug organisieren? Du antwortest: Selbstverständlich.
Erst dachte ich, es wäre immer noch der Du-Erzähler, aber im weiteren war dann deutlich die Ex zu erkennen.

Sehr guter Punkt, richtig, die Perspektive wechselt. Ich habe jetzt die ersten beiden Sätze in den Konj I gesetzt, als indirekte Rede. Vielleicht wird so deutlich, dass die Ex gesprochen hat; die Nicht-Entwicklung wird als Feststellung beibehalten und bleibt im Präsens. Danke =)

Und das bringt mich zu dieser Stelle
[...]
Das Können ins Werden schieben, bis ein Kind ins Kreißsaallicht der Freiheit plumpst. Deine Ex hat auch gewartet. Aber es klappte irgendwie nicht. Das Warten schon. Das Andere ...
Dieses auch, das stört mich, denn davor wartet niemand, da plumpst ein Baby in die Welt.
Vielleicht "Deine Ex hat (auch) darauf gewartet".

Danke für den Hinweis - das habe ich geändert, der Text wirkt an der Stelle jetzt unmittelbarer, deutlicher :-)
Fazit: Ich mag den Text, sehr, auch wenn er – oder gerade weil er – meine Lesegewohnheiten aufbricht. Gerne gelesen, liebe Grüsse
dot
Das freut mich sehr, dot.

Vielen Dank für deine Hinweise,

Lg aus Leipzig
kiroly :-)

 

Hallo @Friedrichard :-)

merci für Deinen Besuch, für die Flüsschenlese, für Deine Hinweise: Die Flüsschen habe ich übernommen.

Welcher staatliche Zusammenbruch?
Durch die „Treuhand“ (schon vor solchen Bezeichnungen müsste jeder zusammenzucken) wurde das vollzogen, was im großen Kapital Gang und gäbe ist, wenn der Stärkere einen andern aufkauft (wobei die aufgekaufte Firma eher stillgelegt wird als erhalten bleibt: die heren Worte zuvor pure Schaumschlägerei. Zuerst werden die eigentlichen, die noch tendenziell gefährlichen Konkurrenten „geplündert“ und dann stillgelegt.
Da war ich dieses Wochenende in Zeitz, einer Kleinstadt an der Elster südlich von Leipzig und nah an Gera: Einst Zentrum der Kinderwagenindustrie und Zentralort der DDR-Schokomarke Zetti (die in den Kapitalismus überführt und von Zeitz verlagert wurde), jetzt ist es Südzucker und die MIBRAG, der riesige Braunkohlekonzern des Leipziger Tieflands. Aber was fehlt, ist die lokale Bindung, Konzerne von einer ganz anderen geographischen Weite als die von früher, keine Zeitzer Firmen sondern Zufallsfirmen auf Zeitzer Grund.
Aber wer ist es da, der da angesprochen wird? Der Andere, der von der Ex zum Ex gemacht wurde, selbst wenn „ander“ anno tobac „zwei“ bedeutete (bis Luther eben das eine Zahlwort durch die nackte Zahl selbst ersetzte) – was heute noch im anderthalb fortlebt, nicht mehr zwo, aber immer noch mehr als eins.
Tja, wer ist es da? Diese Du-Perspektive ... sie rüttelt schon an den Erfahrungen vieler Menschen (irgendwie ein pathetischer Satz), im Glauben, hier eine individuelle Erfahrung quasi kollektiv einzufangen - das Verbindende vieler einzelner individuellen Erfahrungen. Und sie stellt vielleicht auch die Frage, was sich in einer Beziehung zwischen zwei Menschen als gemeinsame und was als individuelle Erfahrung bleibt ... ob da eine trennscharfe Aufteilung überhaupt möglich ist.
Wie immer gern gelesen vom
Merci :-)

Dem Pott einen guten Start in diese Woche! Oh der Pott!

Lg aus Leipzig
kiroly

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey kiroly,

so, das ist ein: Quid pro quo, Doktor Lektor. ;) Toll; da wollte ich "kurz" in deine Sachen reinspinsen, und dann das!

Vorab: Ich mag den Text. Auch ich lasse den Leser gerne meine Texte "erarbeiten" anstatt dass sie stumpf konsumiert werden können, dennoch kannst du hier noch ein paar "Darlings killen", die sperrig im Wege stehen, oder anders:

"Manchmal verwechselt der Autor Angeberei mit Genialität." (frei nach Stephen King) (Wer hier ein *Gendersternchen braucht, kann sich selbst eins reinkrakeln^^)

Als zwei Beispiele seien genannt:

Du merkst: Zwischen Einsam- und Gemeinsamkeit schwebt eine hauchdünne Membran und ein falsches Wort durchstößt sie.
Kurz davor kam doch schon dein "Weiß wie Schnee, rot wie Blut und Schwarzer Tee" ;) Das würde ich nachhallen lassen und nicht mit dieser Membran-Kiste kaputtmachen. Klar, ist iwie "schlangiger"^^, aber: raus damit!

Sich lautlos verabschieden – deine Mitbewohner, die dich verabschieden sehen, haben deine Verabschiedung nicht als Verabschiedung erkannt.
Ja ja ... Merkste selber, ne? ^^

Auch so was hier:

Aus der Stadt laufen. Sich die Stadt erlaufen. Dem Epizentrum entlaufen. Ein Kind wartet auf seinen Kebab. Die Straßenbahn bummelt im Wendekreis. Laternenmasten biegen sich unter der Last gesammelten Lichts.
Das letzte Bild ist schön, wird aber von der Laufen-Lawine davor plattgemacht. Lass es schweben ...

Deine Ex hat auch gewartet. Auf dieses innere Wesen und sie hat sich vorbereitet – auf dieses innere Wesen, sie hat sich auch geduscht und einen schmalen Streifen geöffnet und gewartet – unter Bettdecken, auf Zeltplätzen, in Hotelzimmern. Sie hat gewartet. Lange gewartet. Zählst die Finger deiner linken Hand
Ganz ehrlich: Gottseidank bin ich meine Ex los! :D Dass sich das Beta-Männchen zum Alpha weiterentwickeln muss, ist doch in Zeiten eines gallopierenden Feminismus doch völlig reaktionäre Denke. :D Alle Männer an den Herd!
Deine Oma freut sich, schlägt die Hacken zusammen, drückt das Rückgrat durch und fragt, ob sie jetzt endlich, endlich nach Hause fahren könne.
Das ist supergeil. Danke dafür. Hoffentlich sind sie über die "Autobahn" nach Hause gefahren ... ^^
Sich an einen Ort tragen lassen. Dort aufsetzen. Saat streuen, Saat gedeihen und Saat ernten, der Ernte danken, sie einlagern, in Scheunen und Silos, die in der Sonne glänzen – wie Raumschiffe aus glattgespannter Alufolie. Die Ernte verkaufen, sie investieren. Dann zufrieden sein
Das ist auch wieder so ein antiquiertes Männerbild von der eigenen Scholle. Was kommt als Nächstes: Das Haus, der Baum, das Kind? Aber natürlich!
Sie habe dich immer unterstützt. Emotional. Instrumentell. Aber du hättest dich nicht entwickelt. Du sitzt vor Microsoft Office Excel und siehst die Neuen deine Gehaltsklasse überspringen.
*abwink* Vielleicht hätte sie mal fragen sollen, welche "Softskills" er sonst so draufhat: Kann er ein Instrument spielen? Kann er schreiben? Ist er gut im Bett? Usw.
während deine Exfreundin geprüft hat, ob der Mann ein Mann ist und das „ist“ ist ein naturgesetzliches – du spürst ihn, den Selektionsdruck, ganz massiv auf deinen dünnen, nach vorne gekrümmten Schultern drücken.
Ja, genau. Das Sehnen nach dem starken Mann ... Selbst ist die Frau! Soll sie die Kohle selbst ranschaffen und/oder ins Fitnessstudio gehen, um für die Zombie-Apokalypse körperlich gerüstet zu sein. ;)
Nach dem Duschen lenkst du das Halogenlicht über der Spiegelscherbe auf deinen Intimbereich. Die weißen Flecken sind verschwunden.
Ja, nee. Ich würde die Flecken nicht verschwinden lassen: Es sind Narben, und sie bleiben. Vielleicht sollte er seinen Verkehrsunfall als "Trigger" einsetzen, um zu erkennen, was im Leben WIRKLICH zählt ... Sprich: Er muss gar nicht aus seiner Haut fahren, sondern sich darin häuslich einrichten, im Körperzelt. Und froh sein, die dumme Kuh losgeworden zu sein. Und mit "er" meine ich natürlich mich. ;)

In diesem Sinne einen trockenen Chianti.

Der Dante

P.S.: Der Titel könnte noch ein bisschen aufgepimpt werden; du bist doch sonst nicht so verlegen ... ^^ "Milchbrand" bietet sich ja an.

P.P.S.: Die Semikolons sind nur geliehen, die will ich später zurück! :D

 

Morgen @Dante :-)

merci für Deinen Kommentar!

Heutezutage nehmen alle aus allem was mit - "ich habe diese Erfahrung mitgenommen" :D:

Das würde ich nachhallen lassen
Lass es schweben ..
..., der Halo-Effekt der Bilder

Ich denke, ich werde den Text nochmal überarbeiten ... ein bisschen diese Darlings reduzieren, inzwischen ist der Text ja etwas älter, der Zeitabstand ist jetzt da ... danke auf jeden Fall :-)

Auch ich lasse den Leser gerne meine Texte "erarbeiten" anstatt dass sie stumpf konsumiert werden können, dennoch kannst du hier noch ein paar "Darlings killen", die sperrig im Wege stehen, oder anders: "Manchmal verwechselt der Autor Angeberei mit Genialität." (frei nach Stephen King) (Wer hier ein *Gendersternchen braucht, kann sich selbst eins reinkrakeln^^)

Waaas, ich einsame, verlorene Seele der Morgennacht will nicht angeben und sich selbst zum Sonnenkönig pimpen :sad:

ist doch in Zeiten eines gallopierenden Feminismus doch völlig reaktionäre Denke.
Zitat einer Kollegin vom Weltfrauentag: "Wer auf diese Feminismus-Demo geht, der kann Doppeldienst gehen." Allgemeine Zustimmung im Kollegium.

Danke @Dante :-) Freut mich, dass du den Text magst,

Lg aus Leipzig :kaffee:
kiroly

 

Hallo @kiroly,

ein Text, der eigentlich in der Was ist neu-Rubrik oben an Platz 1 gefixt sein sollte, weil er das ist, wenigstens ein paar Wochen lang, damit er gelesen wird, von vielen, immer wieder, statt langsam nach unten zu sinken. Das ist kiroly-Sprech in Essenz, unverkennbar, erzwungene Häutung als Trennungsfolge, eine Rettungsleine, an der ich mich immer wieder hochziehen kann, wenn die gewaltigen Wortgebirge über mir zusammenkrachen.
Du hast dich nicht entwickelt, ein Vernichtungsversuch, vor dem der Ich-Erzähler wegläuft, dem Epizentrum entläuft, ein Spießrutenlauf, der Muttergriff an die Wange, um den Kopf zu formen, der Betriebsausflug für die beschleunigungsrotierten Überholer, dilettantisches Kaffeekochen im Zelt mit Selektionsdruck, weiße Flecken, die als Landkarte beschrieben werden wollen, Warten auf das Wunder einer neuen Haut.
Das was im Kopf des Erzählers flirrt, flirrt auch in meinem. Ein erzählerischer Brühwürfel, dem kein Wasser beigegeben wird, sondern stattdessen noch körnige Brühe obenauf gehäuft. Ein wenig ersticke ich an alledem und suche Abstand, doch wenn ich mit der Zunge dran lecke und das einspeichele, portionsweise und immer wieder, löst es sich auf in amuse gueule, in Häppchen, die süchtig machen.

Peace, l2f


Kleinigkeit:

interpretiert - sie haben dich
Halbgeviert.

 

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