- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 15
Lauf zurück
Lauf weg…
Lauf, wohin dich die Sterne tragen…
Lauf weit…
Lauf, wenn dich die Liebe zieht…
Lauf schnell…
Lauf, bevor du Liebe fühlst…
Lauf zu ihr zurück
Seine Blicke verlieren sich an Orten, die für andere Menschen nicht sichtbar sind. Manchmal scheint es, als kämen sie nie mehr zurück.
Ich beobachtete ihn für eine Weile. Er bewegte sich nicht. Sein Mund war leicht geöffnet, seine vollen Lippen zuckten. Woran denkt er jetzt bloß, dachte ich. Niemals wusste ich, was in ihm vorging. Wie so oft hatte ich das Gefühl, dass er mich nicht wirklich an seinem Leben teilnehmen ließ und wie so oft schien er in diesem Moment für mich verloren. Er war nicht gleichgültig. Vielleicht liebte er mich. Aber er war traurig.
In mir kam das Bedürfnis hoch, ihn wieder in die Realität zu holen, ihn herauszureißen aus seinen Gedanken, ihn zu mir zurückzubringen. Es war schön, ihn anzusehen. Und der Gedanke daran, dass ich das nachher nicht mehr tun konnte, ängstigte mich. Vielleicht wollte er ja auch nicht zu mir zurück.
Er zündete sich eine Zigarette an. Ich liebte den Duft der aufsteigenden Nebelfetzen. Langsam drehte er sich zu mir um und flüsterte: „Es gibt keinen Ort, an dem ich zu Hause sein kann.“ Die Hand mit der Zigarette suchte den Weg zu seinem Mund. Sie zitterte. „Darf ich heute Nacht bei dir bleiben? Wenn du neben mir liegst, kann ich einschlafen. Und das Aufwachen ist erträglich, wenn ich dein Gesicht auf meiner Brust sehe.“ Ich nickte. Ich hatte gehofft, dass er bei mir bleiben würde. Wenn ich auch nicht neben ihm einschlafen konnte. Er war für mich ein Phantom, ein Geist, eine Vorstellung, nach der ich mich verzehrte. Es tat mir um jede Sekunde leid, die ich nicht neben ihm wach war, zu schlafen war verlorene Zeit. Ich wollte bewusst erleben, wie er neben mir lag, wie er sich umdrehte, wie er schlief. Ich wollte seinen Atem hören und es einfach spüren, wenn er meine Hand hielt.
„Ich gehe ins Bad“, sagte ich. Ich spürte, wie er mir hinterher blickte. „Zieh das schwarze Negligee an“, rief er mir nach. Er mochte dieses Nachthemd. „Es fühlt sich beinahe an, wie deine Haut“, hatte er einmal gesagt. Während ich mir die Zähne putzte, kam er herein. Er hielt mir die Haare zurück, als ich mich über das Waschbecken beugte. Dann blieb er in der Tür stehen und sah mir zu wie ich mir meine Haare kämmte. Ich wandte mich ihm zu und er ging ins Schlafzimmer. Meine Kleider legte ich auf einen Stuhl und ich holte mein schwarzes Negligee hervor. Es fühlte sich beinahe an wie Haut. Ich betrachtete mich im Spiegel, ich war noch nackt und bemerkte, wie ein Kribbeln in meinem Körper aufstieg, ich bekam Gänsehaut. Ich hatte Angst. Ich liebte diesen Mann, der wohl schon im Bett lag und auf mich wartete. Diesen Mann, dessen Herz schon vor langer Zeit zu fühlen aufgehört hatte. Ich liebte diesen Mann, der keine Liebe fühlen konnte.
Sacht ließ ich mein Negligee über meinen Körper fallen, Haut auf Haut. Ich drehte das Licht ab und ging barfuß den Flur zum Schlafzimmer entlang, ließ meine linke Hand die weiße Wand entlang gleiten. Dumpfes Schlafzimmerlicht erleuchtete den Gang, die Tür war einen Spalt offen. Nervös betrat ich den Raum, er lag mit dem Rücken zu mir auf dem großen Bett. Kerzen brannten. Als er mich hörte, drehte er sich zu mir um und lächelte. Dann verfiel er seinem starren Blick, der ihn unerreichbar erscheinen ließ. Ich legte mich zu ihm. Langsam legte er seine Hand auf meinen Bauch. „Ich bin froh, bei dir sein zu dürfen. Einsamkeit würde mich umbringen. Ich sterbe lieber bei dir.“
Ich fühlte seinen Atem an meinem Hals und strich ihm die langen schwarzen Haare aus seinem Gesicht. Dabei sah ich, wie er die Augen schloss. Sein Mund öffnete sich ein wenig. Er begann, meinen Bauch zu streicheln, mein Negligee faltete sich zu Wellen zusammen. Es fühlte sich beinahe an wie Haut… Ich spürte, wie seine Tränen über meinen Hals zwischen meine Brüste liefen.
Seine Hand wurde ruhiger, zuckte gelegentlich noch ein wenig. Er schlief.
Ob er ahnt, dass ich ihn liebe? Vielleicht denkt er, ich empfinde dasselbe für ihn, wie er für mich. Würde er noch bei mir übernachten, wenn er wüsste, was er für mich ist? Er weiß es nicht. Er weiß es nicht, weil er keine Ahnung davon hat, was ein Mensch für einen anderen empfinden kann.
Ich kann es ihm auch nicht sagen. Er lebt in einer Welt, die für mich nicht sichtbar ist, eine Welt, aus der er nicht zurückkann und in die ich nicht hinein kann.
Ich kann ihn nicht zurückholen, herausreißen, ich kann ihn nicht zu mir holen.
Es war schön, ihn anzusehen, und der Gedanke daran, dass ich das nachher nicht mehr tun konnte, war unerträglich. Er wollte ja auch nicht zu mir. Er liebte mich nicht.
Sein Herz verliert sich an Orten, die für andere Menschen nicht sichtbar sind. An diesen Orten ist es sehr kalt. Nichts lebt dort mehr. Und manchmal scheint es, als wolle es nie mehr zurück.