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Last Stop
Ein letzter Ruck und die AH-47 kam zur Ruhe. Mark Kagayashi seufzte.
Diesmal musste es klappen. Einen weiteren Versuch gab es nicht. Es war der dritte Hop-Stop und damit war Sense. Doch warum aufregen?
Was hatten die Erdwissenschaftler denn schon Großartiges in der Raumfahrt erreicht? Nichts! Katastrophale Marsmissionen Ende des 20. - Anfang des 21. Jahrhunderts, ein paar explodierende Raumfähren und zu den wenigen, die es nicht erwischt hatte, verloren sie den Kontakt früher oder später. Doch an der Grenze zum 22. Jahrhundert hatten sie das Hopping "erfunden" - und das war Zufall. Wäre nicht die eine noch sendende Sonde abgestürzt und dabei in ein sogenanntes kosmisches Ereignis geraten, vom Schirm verschwunden und überraschend ein halbes Jahr später fröhlich sendend in einem bis dahin unbekannten fremden Sonnensystem aufgetaucht ... sie wüssten bis heute nichts. Dann war eines zum anderen gekommen. Sie lernten, diese kosmischen Ereignisse vorauszuberechnen, schickten mit Scouts bemannte Kapseln los und konnten dann tatsächlich nach einigen gewaltigen Fehlschlägen in fremden Sonnensystemen herumspionieren.
Zwischenzeitlich war allerdings die Erdatmosphäre gekippt. Städte, ja, ganze Länder wurden atmo-überkuppelt, bis sie dahinterkamen, dass in den Kuppeln ziemlich schnell zu wenig Platz für alle war. Die Scouts wurden darauf getrimmt, fremde Planeten mit erdähnlichen Atmosphären zu finden und nicht mehr willkürlich herumzuschnüffeln. Die eventuell so gefundenen Planeten mussten umgehend an die Erdbasis gemeldet werden.
Pech einzig, dass sie bis heute nur maximal zwei Ereignisse vorausberechnen können - Rückfahrkarten nicht inkludiert. Was aus den Atmo-Huntern wurde, interessierte niemand. Aber immerhin - sie hatten ein gutbezahltes Leben, bevor es ans Hoppen ging.
Kagayashi verdrängte diese Gedanken und tat, wozu er ausgebildet war. Gestirne-Scan. Bio-Scan. Scan hier und Scan da. Bis er Daten bekam, würden Wochen vergehen. Als er alle Taster und Mini-Sonden ausgeschickt hatte, gönnte er sich ein paar Koffein-Pillen und spritzte sich sein Nikotin. Gerade wollte er in die Ruhekammer gehen, als der Bordcomputer die Untersuchungsergebnisse signalisierte.
Das konnte nicht wahr sein. So schnell?
Mark stürzte zum Computer und keuchte überrascht auf. Die Daten zeigten allergrößte Ähnlichkeiten mit seinem Heimat-System. Eine Sonne, vierzehn Planeten, 78 Trabanten, Biosignale. Es gab gleich fünf Planeten mit erdähnlicher Atmosphäre und einen davon würde er bereits am nächsten Tag erreichen. Der Atmo-Scout war so aufgeregt, dass er sich gleich nochmal Nikotin spritzte und ein paar Pillen einwarf. Diesen Umstand verfluchte er allerdings etwas später, denn an Schlaf war nicht zu denken.
Eintritt in Umlaufbahn des Planeten Kataster-Nummer 7482. Biosignale. Atmo-Güte-Klasse I bfd. Landesequenz eingeleitet.
Mark schnallte sich in seiner Koje los und knallte durch die momentan herrschende Schwerelosigkeit an die Decke. Mühsam zog er sich zu seinem Sitz und gurtete sich fest. Da hörte er schon die Zuschaltung der Bremsraketen und Luftringe. Ein paar bange Minuten vergingen, bis sich der Computer wieder meldete.
Umweltprüfung: Erdähnlich. H2O vorhanden. O2vorhanden. Fauna erdähnlich. Flora erdähnlich. Humanoide Biosignale positiv.
Empfohlene Ausrüstung: Waffe. Scan-Gurt. AV-Scanner. Proviantierung.
Sendebetrieb wird aufgenommen. Signale erreichen Erd-Basis in 13,4 Monaten Erdzeit. Unschärfe Plus/Minus 0.7463. Viel Glück Atmo-Hunter Mark Kagayashi.
Ein Zischen sagte Mark, dass der Landungssteg ausgefahren wurde. Schnell stellte er die empfohlene Ausrüstung zusammen und machte sich zum Ausstieg bereit.
Mark Kagayashi betrat den neuen Planeten und holte tief Luft. Noch nie hatte er so etwas Würziges, Reines geatmet. Am liebsten hätte er sich ein Stück aus dieser Luft herausgebissen.
Berge, Gras und Bäume - alles Dinge, die er nur aus Computersimulationen kannte - waren vorhanden. Ein leichtes Heulen ließ ihn erschreckt zusammenzucken und nach seiner Waffe greifen, doch es war scheinbar nur der Wind, der zwischen Bäumen spielte. Auch etwas, das in den klimatisierten Atmokuppeln unbekannt war. Mark genoss jeden Schritt, den er auf den fremden Planeten machte. Ein heiserer Schrei ließ ihn hochblicken, wo er gerade noch einen mächtigen Vogel über sich gleiten sah. Sofort richtete er den Scanner auf den sich schnell entfernenden Punkt.
Search ... Vogel ... Gattung Raub- und Greifvogel ... Weißkopf-Seeadler ... Wahrscheinlichkeit 92% ... terranisch ausgerottet 2028.
Nachdenklich ging er weiter. Sein Weg führte nun bergan und durch all die sensationellen visuellen und sonstigen Eindrücke hatte er die Scan-Meldung schnell vergessen. Seltsam duftende Pflanzen, schillernde Insekten und vor allem diese schier unglaubliche Luft. Er ertappte sich bei dem seltsamen Verlangen, sich einfach zu Boden zu werfen und sich in dieser üppigen Flora zu wälzen.
So gelangte er zu einem Plateau, von dem er einen gewaltigen Ausblick auf diese schöne, weite Landschaft hatte. Flüsse durchzogen saftige Wiesen. Bäume wiegten sich in einem hier nicht spürbaren Wind. Am Horizont buntschillernde Berge und weiße Wolken, die über den Himmel zogen und wandernde Schatten auf das Tal warfen. Seine Blicke folgten den Schatten und blieben an einer großen Herde bulliger Tiere hängen, die im Tal grasten. Ein Fall für seinen Scanner.
Search ... Säugetier ... Gattung Paarhufer ... Amerikanischer Bison ... Wahrscheinlichkeit 72% ... terranisch ausgerottet 2012.
Fast wäre Mark der Scanner aus der Hand gefallen, als ihn eine kehlige Stimme von hinten ansprach. Er fuhr herum und sah sich einer seltsamen Gestalt gegenüber, die gerade glucksend lachte, weil Mark so erschrocken war. Der Mann - zumindest hielt Mark ihn für einen - war uralt. Sein Gesicht bestand nur aus Falten und silbergraues, langes Haar, in das kunstvoll eine Feder geflochten war, spielte um seine Schultern. Die Hautfarbe war irgendwie braun mit einem Kupferton und sein Gewand schien aus weichen Tierhäuten zu bestehen. In der Hand hielt er etwas, das Mark zuerst für eine Waffe gehalten hatte - ein kleines Rohr mit einem Aufsatz, aus dem sich Rauch kringelte - das wahrscheinlich harmlos war.
Kurz war Mark versucht, trotzdem die Waffe zu ziehen, entschied sich aber letztendlich für seinen Scanner. Bevor noch Ergebnisse übermittelt wurden, sprach der alte Mann heftig auf den Atmo-Hunter ein, deutete auf die "Bisons-72%-Wahrscheinlichkeit" und sagte so etwas wie "Tautankaaa". Plötzlich meldete sich der Scanner.
Gattung Primat ... humanoid ...Und weiter? Search Was war da los? ... Möglichkeit gefunden Möglichkeit? Was war mit Wahrscheinlichkeit? ... Ureinwohner ... Indianer ... Native ... Scheiß Datenbank. Indianer? Hatte nicht sein Großvater von irgendwelchen Mythen oder Filmen gesprochen? ... terranisch integriert ... nicht Integrierte 2012 verschwunden ... Möglichkeit Ausrottung ... Möglichkeit Verschwinden ...
Bevor Mark dieses Ergebnis realisierte, hatte sich der Alte bereits bei ihm untergehakt und zog ihn mit sich. Der Atmo-Hunter konnte gerade noch seinen Scanner auf Voice-Scan stellen. Der alte Mann deutete links und zeigte rechts und sprach ununterbrochen auf Kagayashi ein. Vielleicht erklärte er ja alles, doch Mark verstand kein Wort. Immer wieder schielte er verstohlen auf die Scan-Anzeige. ... Search ... Doch für Ärger war keine Zeit. Der Alte schleppte Mark unbarmherzig weiter, auf einen kleinen Berg zu und sogar um diesen herum. Plötzlich kamen ihnen immer mehr ebenfalls in Tierhäute gekleidete Menschen entgegen. Alte, Junge, Frauen, Männer und sogar Tiere, die Mark selbst ohne Scan-Hilfe als Pferde und Hunde identifizierte. Manchen der hübschen, ihn bestaunenden Mädchen sah Mark ungeniert hinterher. Dazwischen erinnerte er sich wieder an seinen Scanner.
Search ... Möglichkeit ... Navajo ... unübersetzbar ... Search ... Büffel ... Zedern ... Geist ... groß ... Search ... Geheimsprache ... Funker ... Weltkrieg ... nicht entschlüsselbar ... Prärie ... Search ...
Das Ding rastete komplett aus. Ein Hop zuviel. Wahrscheinlich.
Mittlerweile waren sie an einem Platz angekommen, der von mächtigen Pfählen dominiert wurde. Aus diesen waren nicht näher definierbare Fratzen herausgearbeitet und in herrlichen Farben bemalt. Der Ton des Alten war ernst und gemessen worden. Scheinbar schien er gerade etwas Wichtiges zu erzählen. Obwohl Mark nach wie vor kein Wort verstand, war er beeindruckt. Aber nicht nur er. Auch all die anderen "Indianer" lauschten ehrfurchtsvoll. Mark riskierte einen kurzen Blick auf den Scanner.
Search ... Rothaut ... Nur toter Indianer ist guter Indianer ... Skalpieren ... Custer ... töten ... fressen Kinder ... Mord ... Marterpfahl ... Sitting Bull ... Search ...
Das Mistding war eindeutig kaputt. Nur Schwachsinn, was da am Display aufblinkte. Da würde er selbst ja die Sprache früher lernen, als dass ihm dieses Ding helfen würde.
Wieder hatte sich der Alte bei Mark untergehakt und zog ihn weiter. Alle anwesenden Zuhörer und Beobachter vereinten sich hinter den beiden und folgten ihnen. Scheinbar sollten ihm die Behausungen der "Indianer" gezeigt werden, aus Stein gehauene Häuser, die sich an eine Felswand schmiegten. Zu diesem Zweck stiegen sie einen steilen Pfad hoch, wo Mark dann einen günstigen Moment nutzte, seinen Scan-Gurt und den dazugehörigen Scanner unauffällig in eine Felsspalte zu schmeissen.
Egal. Sowieso mein letzter Aufenthalt. Da brauch' ich dieses Ding auch nicht mehr.
Ein paar Nächte später beschnupperte eine Spitzmaus den Scanner und betätigte dabei dessen Leuchtfunktion. Panisch rannte sie davon.
... letzter Büffel gestorben ist ... letztes Wasser ... dahinter kommen ... dass Gold nicht essbar ... Geschenke ... Großer Geist ... die heiligen Totems ... Bilder der Geistbegleiter ... Holz Wasser Luft Feuer Erde ... Geschenk ... Möglichkeit ... mit den Winden reisen ... sind wir gegangen ... gefunden ... Ewige Jagdgründe.