Lass mich nicht allein!
Ich weiß, du siehst mich! Ich weiß nicht, wo du bist, aber von irgendwoher merke ich deine Augen an mir haften. Einsam stehe ich hier und schaue nach unten. Was soll ich tun? Kann nicht nach dir suchen, hab Angst, du enttäuscht mich noch einmal. So bleib ich hier stehen, schaue nach unten und weiß, du siehst mich, von irgendwoher.
Menschen gehen an mir vorbei, nicht viele, aber ein paar. Alle schauen mich betroffen an, doch ich kann nicht aufschauen, kann mich nicht regen. Hab Angst, ich werde wieder enttäuscht. So bleib ich hier stehen und spüre die betroffenen Blicke der vorbeigehenden Menschen an mir haften.
Eine einsame Träne wandert mir über die Wange, wenige, nicht viele, folgen. Ich spüre ein Stechen im Herz, denn ich denke: Ich will eine Träne sein, in deinen Augen auf die Welt kommen und auf deinen Lippen sterben. Eine der Tränen berührt meine Lippe. Ich spüre dich weiter in meiner Nähe und schaue weiter nach unten. Hab Angst, du verlässt mich ein zweites Mal. Will nur weiter deine Augen an mir spüren. Die Tränen wandern weiter, kleben an meinen Wangen – obwohl ich nicht aufschaue.
Ich hasse ihn. Er zerstörte unsere Leben. Warum lässt er mich jetzt alleine hier stehen, warum hat er dich seitdem nicht mehr besucht? Ich denke an ihn und Wut kommt auf. Wie konnte ich das zulassen? Warum blieb er einfach nicht bei dir? Ich hab ihn lange nicht mehr gesehen, obwohl er mir sehr nahe steht – zu nahe. Ich will ihn aber auch nicht mehr sehen. Er hat mir zuviel Schmerz zugefügt – versuch ihn zu vergessen, gelingt mir aber nicht. So schaue ich weiter nach unten und rege mich nicht. Hab Angst, deine Augen könnten von mir lassen.
Warum kannst du mich sehen? Warum ich dich nicht? Warum ist die Welt nicht fair? Warum bin ich nicht bei dir? Oder warum kam ich dir nicht einfach zuvor? Dann würdest du dir jetzt Gedanken machen, so wie ich mir jetzt Gedanken mache. Ich könnte dann dich beobachten, deine Trauer bemitleiden. Doch du bist gegangen und hast vergessen, mich mitzunehmen. Komm noch mal zurück, vergiss mich bitte nicht oder sag mir, wo du bist, damit ich dir folgen kann. Ich werde dir folgen. Nicht so wie er. Ich kann dich nicht alleine lassen. Ich hab Angst, du bist weg. Doch dann spüre ich wieder deine Augen.
Ich kann mich immer noch nicht regen, bin gelähmt, weil du weg bist. Ich schaue immer noch nach unten. Aber ich spüre es wieder. Spüre einen hellen Lichtschein in meinem Gesicht, wage nicht aufzuschauen, um geblendet zu werden. Ich fühle es und es schmerzt. Das alles noch einmal zu erleben, ist eine Tortur für mich. Hilf mir doch endlich und sag mir, wo du bist. Lass mich nicht alleine. Ich folge dir, doch dazu muss ich wissen, wo du bist.
Ich höre die Geräusche der vorbeifahrenden Autos und ich erinnere mich, wie wir zusammen Auto gefahren sind. Es war doch eine lustige Fahrt. Wir hatten viel Spaß. Mein Magen dreht sich um, will wegschauen, so wie ich, doch ich kann nicht, bleib weiter dabei. Deshalb sehe ich dann auch diese zwei Lichter. Sie blenden mich, ich sehe nichts... Deine letzten Worte sind: Lass mich nicht allein!