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Kurzgeschichte, welche ich nach einem Musikfestivalbesuch im Sommer 2019 verfasst habe.
Lara
Die Frage, die mir sofort in den Kopf schoss war, ob sie mich anlächelte. Sie war wenige Schritte entfernt und bevor ich mir darauf eine Antwort bilden konnte, stand sie neben mir im nassen Gras. Mein Herz pochte. Dieses Mädchen mit hellgrünen Haaren, die aus der Kapuze über ihre Schultern fielen, hockte sich neben mich. "Darf ich mich zu dir setzen?" Mein Herz pochte schneller. Im beiläufigen Tonfall, welchen ich ihr nachzuahmen versuchte, antwortete ich "Ja natürlich". Sie setzte sich auf ihren weiten Pullover neben mich auf den Boden. Ich schaute zur Festival Bühne, welche sich vor uns unter einer Zeltdecke ausbreitete.
Die nächste Band würde in zehn Minuten spielen. "Mit wem bist du hier?" war das erste, was mir einfiel, um die Stille zu durchbrechen. Und bereits hierbei verschwimmt meine Erinnerung. Sagte sie mit einem Freund oder mit ihrem Freund? Jedenfalls hatte sie diese Person verloren und es schien ihr nicht wichtig zu sein, sie in nächster Zeit wieder zu finden. Mein bester Freund Markus stand neben mir, ich sah zu ihm hoch, doch er schien das Mädchen nicht bemerkt zu haben, denn er blickte erst zu uns, als ich ihn anstupste und sie ihm beiläufig vorstellte. Sie hieß Lara. Die restliche Zeit bis zum Konzert saß sie still neben uns auf der leichten Anhöhe vor dem offenen Festival Zelt. Es regnete. Als der Soundcheck auf der Bühne beendet war, stand ich auf. Sie sah schweigend zu mir hoch und ich wusste nicht sofort, was ich sagen sollte. "Kommst du mit nach vorne zum Konzert?" durchbrach das unangenehme Schweigen. Sekunden später standen Markus, Lara und ich im Trockenen inmitten der zahlreichen Festival Besucher.
Und ab hier bin ich mir nicht mehr sicher, was wie und wann geschah. Ich weiß, dass ein Mann Ende zwanzig in roter Regenjacke auf uns zukam. Er könnte ihr Freund sein. Er war ihre Begleitung und schien verärgert. Er hatte sie gesucht. Sie bot ihm mit ihrer ruhig- lockeren Art an, etwas essen zu gehen und fragte uns, ob wir mitkommen wollten. Zuerst willigten Markus und ich ein, doch nach einer Weile unbehaglichen hinterhergehen, lösten wir uns mit irgendeiner Ausrede los. Laras Begleitung blickte verächtlich auf uns zurück.
Stunden später. Dunkelheit und kühler Wind gesellten sich zum nicht aufhören wollenden Nieselregen. Wir hatten unsere Becher aufgefüllt und standen im hinteren Teil des hügeligen Festivalgeländes. Bäume warfen riesige Schatten ins kalte feuchte Gras. Wir waren uns sicher, Lara die Nacht nicht mehr wieder zu sehen. Da wir mit dem Zug angereist und auch kein Zelt mit hatten, waren wir darauf eingestellt, die Nacht durchzumachen und trotz Kälte erst am nächsten Tag mit einem der ersten Züge nach Hause zu fahren. Es muss gegen Mitternacht gewesen sein, da sahen wir den jungen Mann mit roter Jacke wieder. Er stand auf dem rustikalen Holzboden nahe der Bühne unter dem offenen Festival Zeltdach, beleuchtet von orangefarbenen Spotlights. Direkt neben ihm und etwa 20 Meter von uns entfernt stand Lara. Was in meiner Erinnerung nun passierte, mag seltsam klingen. Denn einen Augenblick später war Laras Freund verschwunden und sie hatte den Kopf in unsere Richtung gewandt. Der letzte Live Act hatte noch nicht zu spielen begonnen, die Bühnenbeleuchtung war aufs Publikum gerichtet. Leicht geblendet sah ich sie mit leeren Blick zu mir herstarren. Blackout.
Dumpfe Musik, Bässe aus der Ferne. Klirrende Schritte auf einem völlig dunklen Schotterweg. Es regnete. Es schienen vereinzelt diffuse Lichter aus Zelten, welche sich von Bäumen umgeben am Wegrand befanden. Klarer Sternenhimmel. Meine Hand in Laras Hand, mich am Weg entlang ziehend. Ich versuchte mich zu erinnern, wie wir das Gelände verlassen hatten. Ich erinnerte mich nicht. Der Geruch von Rauch und verschüttetem Bier war nun klarer, kalter Luft gewichen. Es roch nach Nadelbäumen. Ich stolperte schnellen Schrittes hinter Lara her. Wo war Markus? Mein Handy. Ich musste nachschauen ob er mich angerufen hatte. Als ich es aus meiner Hosentasche zog, blinkte die Akkuanzeige dreimal und das Display erlosch. "Lara" war alles was ich sagen konnte. Sie lief, an meinem Arm zerrend, weiter. Ich konnte durch das dumpfe Mondlicht leere Autos am Wegrand entdecken. Hier parkten die Festival Besucher. Anscheinend war das Konzert in der Ferne noch voll im Gange. Was war also geschehen? Wir gingen, oder besserer gesagt kletterten einen Hügel entlang, ich musste mich öfters mit meiner freien Hand am Erdboden abstützen, da fiel es mir plötzlich auf. Die Jacke. Die Jacke, die ich trug war nicht meine. Sie fühlte sich zu glatt an und das Gewicht meiner vollen Geldbörse an der linken Seite fehlte. Als ich mit den erdigen Fingern danach griff, gab es keine Jackentasche. In dem Moment hörte ich das Öffnen eines Zelts. Lara stieg hinein. "Kommst du?"
Markus hatte unsere Becher mit Wasser gefüllt und kam auf mich zu. Ich hatte mich während des Wartens auf eine kleine überdachte Bank hinter der Sound Stage gesetzt und war außerhalb des Lichtkegels der Beleuchtung. Ich stand auf und ging auf ihn zu. Er reichte mir den Becher und man sah im vorbeiflitzenden Scheinwerferlicht, wie Regentropfen auf der Wasseroberfläche wegsprangen. Wir waren gerade dabei, aus dem Nass in Richtung überdachter Bühne zu gehen, da sahen wir sie. Lara und diesen Typ in roter Jacke. Ich fühlte etwas wie Eifersucht und puren Hass auf ihre Begleitung in mir hochkommen, warum wusste ich nicht. Markus fragte, ob wir uns zu ihnen stellen wollen. "Nein, besser nicht." Da bewegten sich die Beiden Richtung Ausgang und waren verschwunden. Das letzte Konzert endete gegen 01:00 Uhr und es war schweinekalt. Der erste Zug würde um 6 Uhr gehen, eine halbe Stunde Fußweg vom Festivalgelände entfernt. Wir beschlossen am Bahnsteig zu warten und uns die Kälte durch langsames spazieren zu vertreiben. Ich weiß noch, dass wir am Straßenrand entlang marschierten, vereinzelt geblendet von Autos, welche mit Fernlicht auf uns zukamen. Mein Handy zeigte 01:50 Uhr als wir den kleinen Bahnhof erreichten. Wir waren beide erledigt und die Kälte machte uns trotz Bewegung zu schaffen. Der Bahnsteig war menschenleer, auch rundum hörte man nur das Zirpen der Grillen. Auf einer überdachten Bank wollten wir die restliche Zeit bis zum Zug mit schlafen hinter uns bringen. Davor sprachen wir noch kurz über die seltsame Bekanntschaft mit Lara. Dann schlief ich in meine Jacke gehüllt ein.
Lara knipste eine Taschenlampe an. Sie war rot. Die Jacke, die ich trug war rot. Wo ist dein Freund, fragte ich sie, in den kleinen Eingang des Zelts blickend. Sie sah mich fragend an: "Du bist mein Freund."
*
Ich wachte auf, mein Mund trocken und meine Füße frierend vor Kälte. Ich hörte eine Gelse gegen die Zeltwand fliegen. Schnell deckte ich mich zu. Durch das Gitter sah ich trübes Sonnenlicht strahlen. Neben mir lag Lara, tief schlafend. Nachdem ich nochmal kurz eingenickt war, zog ich mir meine dreckigen Sportschuhe an und ging mit der Hoffnung, Kaffee und Zigaretten zu finden, den Hügel hinunter. Trotz der frühen Morgenstunde schienen fast alle Camper wach zu sein. Ich näherte mich einer Gruppe von Personen, mit dem Ziel, eine Tasse Kaffee zu ergattern. Dann entdeckte ich, dass die Leute um zwei Polizisten herum standen. Einen Mann mittleren Alters mit Jogginghose, bunter Haube und Zigarette in der Hand fragte ich, um was es denn hier gehe. Er erzählte mir, dass eine Personen am Bahnsteig, nicht weit entfernt, erfroren ist. "Zum Verstorbenen gibt es keine Daten, ein zweiter Mann am Bahnsteig wurde unterkühlt ins Krankenhaus gebracht - Dieser war jedoch laut eigenen Angaben alleine am Festival gewesen und am Bahnsteig eingeschlafen. Die Polizei sagte, der Verletzte habe den Verstorbenen noch nie gesehen. Deshalb erhofft sie sich nun Hinweise der Besucher, ob jemand den Toten kannte. Kurze Haare, eine grüne Stoffjacke. Schien nur eine Geldbörse mit Kleingeld bei sich getragen zu haben. Kein Führerschein, Ausweis. Nichts. Echt tragisch."
Ich fragte den Mann nach einer Zigarette und ging zurück zum Zelt meiner Freundin.