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Langeweile
Langeweile
Das Piepsen des Monitors weckte mich. Wieso weiss ich nicht, es hörte sich nicht ungewöhnlich an. Nur das gleichmässige Piepsen, das einem Herzschlag nachahmte. Ich sass genau wie gestern auf dem Sessel, neben deinem Bett. Die Sterne waren in dieser Nacht sehr hell, ich sah den grossen Bären. Wie spät war es überhaupt? Meine Armbanduhr hatte ich nicht an und mein Handy war zu Hause. Ich schätzte halb vier vielleicht. Mein Nacken war ganz steif. Ich richtete mich auf und dehnte mich. Ich schritt Richtung Tür, behielt dich aber im Auge und ging hinaus in den Flur. Ich erkannte die Krankenschwestern nicht, es musste die Frühschicht sein. Langsam aber sicher bewegte ich mich Richtung Trinkautomaten. Meine Beine fühlten sich wie Gummi an. Keine Chance Kaffee zu trinken, nicht in einem Krankenhaus; ich entschied mich für Wasser. Der Betrieb im Krankenhaus war bereits in vollem Gange, obwohl es so früh am Morgen war. Ich suchte nach einer Uhr, gleichzeitig merkte ich mir den Weg den ich zurückgelegt hatte, um dein Zimmer nicht zu verlieren. Nach zwei Minuten fand ich eine. Viertel vor 3. Langsam kehrte die Müdigkeit zurück. Ich bahnte mir einen Weg durch die Menge, offenbar hatte eine Braut einen Unfall gehabt, alle Gäste waren anwesend (so kam es mir jedenfalls vor). Als ich in deinem Zimmer zurück war, hattest du den Kopf gedreht, zu mir. Immer noch schlafend. Ich war keine fünfzehn Minuten weg gewesen, bist du dann aufgewacht? Dachtest du, du wärst allein? Habe ich die einzige Chance verpasst, mit dir zu reden? Nein, du wirst aufwachen, ich weiss es. Ich hoffe es. Ich setzte mich wieder auf den Sessel. Ich öffnete die Flasche so geräuschvoll wie möglich. Wach auf, du bist doch mein Held. Helden sterben nie. Ich schaute mich um nach irgendeiner Schreibgelegenheit, ich durchsuchte meine Hosentaschen und fand Taschentücher. Das ging auch. Ich schaute in die Schublade neben deinem Bett und entdeckte einen roten Stift. Schnell kritzelte ich die Nachricht:
Seb, vergib mir. Werde gesund. Ich brauche dich, ich habe es endlich eingesehen. Ich liebe dich. Verlass mich nicht. E.
Ich schob die Nachricht wieder in meine Hosentasche. Er soll sich nie wieder einsam fühlen, er soll wissen, dass ich hier war.
Meine Nackenmuskeln krampften sich zusammen, als ich daran dachte wieder auf dem Sessel einzuschlafen. Sollte ich versuchen neben dir auf dem Bett zu schlafen? “Darf ich neben dir liegen? Keine Antwort. Du siehst so friedlich aus wenn du schläfst, kein schmerzverzerrtes Gesicht, keine Andeutung, dass du vielleicht nie aus dem Land der Träume aufwachen wirst. “Darf ich überhaupt neben dir liegen, nachdem was zwischen uns passiert ist?” Keine Regung. Langsam versuchte ich mich auf das Bett zu legen. Dein Gesicht war ganz nah an meinem. Ich gab dir einen flüchtigen Kuss, legte dann meinen Kopf an deine Schulter. So sollte es sein. So ist es richtig. Ist es möglich?
„Mein Lebensziel ist es dich zu heiraten!” Ich sitze im Wohnzimmer mit meinen Eltern. Wir schauen Fern und essen gleichzeitig. Mein Laptop ist auf meinem Schoss. Ich schreibe gerade mit dir im MSN. “Hohoho, du bist aber schnell, sagst du das jedem Mädchen, das du kennengelernt hast, nach 48 Stunden?“ Ich habe Schmetterlinge im Bauch. Es ist schwierig nicht zu lächeln, meine Eltern sollen ja nichts merken. „Bist du sicher, ich bin ein ziemlich schwieriges Mädchen!!“ Dieses Katz und Mausspiel gefällt mir. Es ist so schön, ein Teenager zu sein und von einem Jungen nahezu begehrt zu werden. Ich habe das Gefühl schon lange nicht mehr gehabt. Plötzlich bin ich auf einer Wiese Monate später, ich liege in deinen Armen. Ich spüre wie du mich zurückhälst, wenn ich versuche aufrecht zu sitzen. „Pssst, sieh dir die Sterne an“,flüsterst du, „sieh wie sie funkeln, ich würde dir jeden von ihnen vom Himmel holen.“ Ich halte den Atem an. Kann es wahr sein, kann es sein, dass dieses Gefühl Wirklichkeit ist? Oder bilde ich es mir nur ein? „Ich liebe dich, Ely“, sagst du leiser als ein Flüstern. Ich halte den Atem an, lange, um dieses Moment nicht zu zerstören. „Danke“, kommt es nur aus mir heraus. „Genügt das? Oder muss ich es dir ausführlicher sagen?“ Aber ich kann nichts mehr sagen, du hast schon alles ausgesprochen. Du streichelst mir über den rechten Arm, während wir da liegen. Ich versuche deinen Geruch tief in mich hinein zu saugen, ihn nie mehr los zulassen. Jede Faser meines Körpers sehnt sich nach mehr. Ich bleibe liegen. Mir ist kalt. Kalt? Es ist doch Mitte Sommer.
Langsam öffnete ich die Augen, wo bin ich? Ich erschrak beinahe als ich eine Gestalt neben uns sah. „Wer ist da?“, sagte ich laut. „Was machst DU hier?“, sagte eine Stimme. „Marianne?“, fragte ich erschrocken. „Wer sonst, vergiss nicht , das ist MEIN Sohn“, sagte sie mit einer Stimme voller Hass. Ich setzte mich auf und versuchte das Dröhnen in meinem Kopf zu ignorieren. „Es... es tut mir Leid , ich wollte nur wissen..., ich wünschte...“, versuchte ich mit einem Riesenkloss im Hals. „Ich finde, du hast in dieser Familie schon genug angerichtet!“, schrie sie beinahe. Ein Loch machte sich in meiner Brust breit. Es schmerzte viel zu sehr, als das ich es unbemerkt hätte verkraften können. Ich stellte mich auf die Beine, ging zu dem Sessel und nahm meine Jacke. Tränen, nein Flüsse liefen mir regelrecht über die Wangen. „Ach, noch etwas, Elisa. Komm nie wieder hierher.“ War da ein leichter Ton von Überlegenheit in ihrer Stimme? Konnte es sein, dass diese einst so fürsorgliche Mutter, mich derart abgrundtief hasste? Wieso bin ich so naiv, ich habe ihren Sohn ja regelrecht in Stücke zerrissen und das freiwillig. Hätte ich es nicht auch so gemacht? Das Loch in mir riss weiter auf. Durch die Tränen hindurch lachte ich mich selber aus. Werde endlich erwachsen, verdammt noch mal. Das Leben ist nicht so rosarot, wie du meinst. Ohne nach Mariannes Reaktion zu schauen, ging ich wieder zu deinem Bett hinüber, nahm deine Hand, schob den Zettel da hinein und küsste sie vorsichtig. Marianne schnaubte vor Wut, das war nicht zu überhören. Aber das war mir herzlich egal. Das einzige was zählte war deine Antwort. Ich schaute in ihr Gesicht um irgendeine Deutung von Frieden zu sehen. Nichts. Hastig dieses mal ging ich zur Tür hinaus. Ich lief so schnell wie ich nur konnte durch den Flur, die Treppen hinunter bis zur Ausgangstür. Dort blieb ich abrupt stehen. Draussen schneite es. Der erste Schnee. Das war normalerweise meine Lieblingszeit. Alle waren fröhlicher, die Weihnachtsstimmung war da. Aber jetzt... Ja, was war jetzt? Es begann schleichend hell zu werden. Ich entschied mich nach Hause zu gehen, meine Eltern schliefen wahrscheinlich noch. Ich hatte mich gestern Abend aus dem Haus geschlichen.
Eine halbe Ewigkeit später, so schien es mir, war ich zu Hause. Ich schlich durch mein offenes Fenster in mein Zimmer. Mein Wecker zeigte sieben Uhr an. Ich zog meinen Pyjama an und legte mich ins Bett. Ich versuchte einzuschlafen.
„Ich mache Schluss.“ Wir sitzen auf einer Bank neben der Hauptstrasse, du hast deinen Arm um mich gelegt. Du schaust mich entgeistert an. Er denkt, dass du Witze machst.
„Sorry, ich empfinde nichts mehr für dich. Alles ist zu normal geworden. Nichts fühlt sich aufregend an. Es ist fast langweilig geworden. Du bist zu eifersüchtig, jedes mal wenn ich von einem Kollegen rede wirst du wütend, ich habe einfach keine Freiheit. Ich kann einen Jungen nicht mal flüchtig anschauen, da bist du schon beleidigt.“ Dein Arm ist immer noch um mich geschlungen und du machst kein Anzeichen ihn wegzunehmen, geschweige denn ihn zu lockern. Dein Blick bringt mich fast um. Nicht, weil ich dich noch liebe, sondern mein schlechtes Gewissen nagt an mir. Ich sehe wie etwas in deinen Augen zerbricht. Die ewige Liebe zerbröckelt vor deinen Augen. Du bewegst dich nicht, ich weiss nicht was ich tun soll. Plötzlich drückst du deine Lippen so fest zusammen, dass sie eine weisse Linie bilden. Du legst deinen zweiten Arm um mich.
„Gib mir eine zweite Chance! Bitte, ich weiss ich habe Mist gebaut. Ich werde mich ändern, ich verspreche es, gib mir nur diese zweite Chance. Du bist doch die einzige für mich. Ich kann nicht ohne dich.“ Deine Stimme bricht ab. Er liebt mich wirklich... Wieso lüge ich ihn an? Wieso, was erhoffe ich mir dabei? Eine einzige Träne rollt deine Wange herunter. Du liebst mich wirklich, du lässt deinen Stolz dahin fliessen. Aber ich kann nicht zurück, das wissen wir beide. Es ist schon getan. Wieso machst du es so schwierig?
„Es tut mir Leid. Es ist vorbei. Es tut mir wirklich Leid.“ Ich stehe auf, Erleichterung kommt in mir hoch. Ich spüre deinen Griff nicht mehr um mich, ich kann aufatmen. Ich muss keine Augen hinter meinem Kopf haben um zu wissen, dass du in Tränen ausbrichst, du sinkst in die Knie. Ich laufe los, schneller und schneller. Ich schaue mich nicht um. Ich weiss wie du aussiehst, ich kenne dein Gesicht genau. Jedes Detail.
Stunden später bekomme ich die SMS von deinem besten Freund.
Krankenhaus,
Sebastian liegt dort.
Überdosis an Pillen.
Wissen nicht ob er es schafft.
Was ist los?