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Lang sterbe der König
»Mein Vater ist was?« Prinz Toldi fiel der Joystick aus der Hand, mit dem er gerade eine zünftige Raumschlacht im Gecko-Sektor steuerte.
»Tot.«
»Unmöglich!«
»Das stimmt eigentlich.«
Der Prinz stellte die Raumschlacht auf Pause und bewegte lautlos den Mund. »Aber ...«, brachte er schließlich hervor, »heißt das, ich muss jetzt seinen Job übernehmen?«
»Du darfst«, lächelte Megaberater Derwon Kultwig.
»Inklusive der ganzen ... Orgien?«
»Selbstverständlich«, nickte Kultwig und lächelte etwas breiter.
»Aber ich habe eine Freundin!«
»Noch.«
Der Prinz hockte sich auf eine Marmorstufe des Palastplaneten – seines Palastplaneten.
Mit gefalteten Händen sah der Berater auf seinen Schützling hinab. »Dein Vater war ohnehin dagegen, dass du eine rein virtuelle Persönlichkeit heiratest.«
»Ohne Körper keine Kosten für Schönheitsoperationen«, versetzte der Prinz.
»Überlass das dem Steuerminister«, wischte Kultwig den Einwand beiseite. Er zupfte mit der einen Hand seinen neoantiken Umhang zurecht und mit den anderen beiden an seinen Ohrenbärten.
Mit zittrigen Fingern holte Prinz Toldi eine Zigarette aus seinem Platin-Etui und zündete sie an.
»Selbstmord ist keine Lösung«, schüttelte der Berater den Kopf.
Niemand, der noch ganz bei Trost war, hatte damit gerechnet, dass der König der Galaxis jemals versterben würde. Nicht einmal einen adäquaten Friedhofmond hatte man für ihn bereitgehalten, daher musste fix einer beschafft werden. Dagegen protestierten die Bewohner von Quasi Ultimo energisch, weil sie sich seit Jahrmillionen an ihre Gezeiten gewöhnt hatten. Es half nichts: Der Mond wurde abtransportiert und in der Umlaufbahn eines verkehrsgünstig gelegenen Braunen Zwergs platziert. Als Gegenleistung versprach man allen Quasiultimonier lebenslang reduzierte Eintrittskarten für das Mausoleum des Königs.
»Derwon?«, rief Prinz Toldi.
Der Megaberater ließ die Krone sinken, die er für die bevorstehende Krönung polierte. »Ja, mein Kö... Prinz?«
»Der König ... mein Vater ... war doch unsterblich, oder?«
»Aber gewiss«, nickte Kultwig.
»Wieso ist er dann tot?«
»Ich schätze, dem Universum ist ein Fehler unterlaufen.«
»Ein Fehler.« Toldi machte ein Gesicht, als hätten die Geckos die Raumschlacht für sich entschieden.
»Sowas geschieht von Zeit zu Zeit. Denk nur an den Gewinn der Galaktischen Fußballmeisterschaft durch die Felonier«, gab Kultwig zu bedenken.
»Der Schiedsrichter war gehackt«, entgegnete der Prinz.
»Ja, aber das war wegen der Sicherheitsvorkehrungen eigentlich unmöglich, genau wie der Tod deines Vaters«, belehrte ihn der Berater.
»Erklär's mir bitte nochmal.«
»Du weißt das doch alles! Oder hören uns Leute zu, die keine Ahnung haben, wovon wir reden?« Kultwig sah sich um, schloss kurz die Augen, nickte wissend. Dann faltete er das Kronenputztuch und steckte es ohne Eile in eine Innentasche seines Prachtumhangs. »Also gut. Dein Vater trug, wie du weißt, einen DeWitt-Selektor am Gürtel. Immer, wenn die Quantenzustände des Universums sich aufspalteten, wurden jene verworfen, in denen dein Vater in Lebensgefahr geraten wäre.«
Der Prinz dachte angestrengt nach. Als Quantenphysik im Kindergarten dran gewesen war, hatte er meistens unterm Tisch neue Raumschiffflotten designt.
»Und das Rootpasswort des Schiedsrichters hatte 26 Millionen Buchstaben, also ...«
Prinz Toldi schnippte mit den Fingern. »Jemand hat die Naturgesetze der Wahrscheinlichkeit geändert!«
»Das ist völlig unmög ...« Es machte doing, als Derwon Kultwig die Krone aus der Hand fiel.
»Behandelt man so einen künftigen König?«, beschwerte sich Prinz Toldi.
»Wir müssen dringend Gottchen fragen«, keuchte Kultwig und fuhr damit fort, den Prinz am Ärmel durch die Marmorgänge des Palastes zu zerren.
»Warum müssen wir zu ihm? Kann er nicht zu uns kommen?«
Der Berater blieb abrupt stehen, so dass Toldi auf ihn prallte. »Stimmt eigentlich«, sagte Kultwig. Der Prinz strich seinen Trainingsanzug glatt. »Ein schöner Berater bist du mir.«
»Guten Tag«, sagte Gottchen, die in Gestalt einer aktuell beliebten Fernsehmoderatorin aus der Wand trat, als hätte sie gehört, dass man von ihr sprach. Genau das war der Fall, wie es sich für eine ordentliche Galakto-Universalmaschine gehörte.
»Erina Paarkelinnen?« Prinz Toldi sperrte den Mund auf und sah sich eilig nach Fernsehkameras um, übersah in der Eile völlig die Pikoobjektive der Nanotec-war-gestern-Generation.
»Nein«, seufzte die vermeintliche Moderatorin. »Ich bin's, Gottchen. Ihr habt von mir gesprochen.«
»Aber du siehst aus, wie ...«, begann der Prinz, aber Kultwig unterbrach ihn: »Hör zu, Gottchen, wir wissen nicht weiter, und nur du kannst ...« »Warum siehst du wie diese alberne Paarkelinnen aus?«, übertönte Toldi seinen Berater und runzelte die Stirn.
»Sie ist derzeit ziemlich beliebt«, meinte Gottchen und prüfte den Sitz ihrer Frisur. »Stimmt's?«
»Warum wir dich gerufen haben«, drängelte Berater Kultwig, »ist eine einfache Frage:« Er unterbrach sich, denn die Moderatorin holte in aller Ruhe einen Schminkspiegel hervor.
»Wieso ist mein Vater tot?«, fragte Prinz Toldi.
»Er ist nicht dein Vater«, sagte Gottchen.
»Wieso ...« Toldi stockte.
»Einerlei«, tippte Kultwig der hübschen Moderatorin auf die Brust, »beantworte gefälligst die Frage.«
Gottchen seufzte und rollte mit den Augen. »Er ist nicht tot«, sagte sie. »Jedenfalls nicht in seinem Universum.«
»Hä?«, machte Prinz Toldi.
»Hä?«, machten die drei Zigillionen Zuschauer, die sich inzwischen zugeschaltet hatten, weil sie die Übertragung für eine neue Daily Casting Soap hielten.
»Dummerchen«, lächelte Gottchen, woraufhin Milliarden Zuschauer kostenpflichtige Kurznachrichten an zufällige Nummern schickten, in der Hoffnung, die zu erwischen, mit der man sie aus der Show wählen konnte. »Wenn ihr euch die Leiche anschaut, werdet ihr keinen DeWitt-Selektor finden.«
»Wieso nicht?«
»Weil er im richtigen Universum weilt. Mit dem quicklebendigen König.«
»Und ...« Prinz Toldi lehnte sich an eine leicht schräge Säule, um nicht umzukippen. »Und wir?«, hauchte er und sprach damit die Gedanken aller Bewohner der Galaxis aus, die nicht gerade auf dem Klo waren oder gehackte Fußballmatches guckten.
»Wir alle befinden uns in einem deselektierten Universum«, erklärte Gottchen mit glückseliger Miene. »In einem von unendlich vielen.« Sie sah direkt in eines der Pikoobjektive. »Ist das nicht toll?«
Zigillionen Personen schüttelten gleichzeitig ihre Köpfe und verursachten damit eine Gravitationswelle, auf die sogar ein mittelgroßer Pulsar stolz gewesen wäre.
»Äh«, machte Berater Kultwig und wedelte mit drei Händen. »Ist das irgendwie ein Problem? Ich meine: Muss ich meine Termine für morgen absagen?«
»Keineswegs«, entgegnete Gottchen.
»Gut.« Kultwig streichelte erleichtert seine Ohrbärte, während Prinz Toldi immer bleicher wurde.
»Na ja«, plapperte Gottchen, »bis morgen ist dieses Universum längst zerfallen. Es muss sich die verfügbare Energie mit den anderen vom DeWitt-Selektor verworfenen Exemplaren teilen. Tja, da bleibt nicht viel übrig. Und, nein ...« Gottchen wandte sich an die Zuschauer, »es hilft nicht, wenn Sie sofort Ihren Elektrogrill abschalten, um Energie zu sparen. Genießen Sie ruhig Ihr letztes Steak.«
»Unsere Wirklichkeit gibt nach und nach auf«, schluchzte der Prinz.
»Wie Gegner in einem ordentlichen Krieg«, verglich Gottchen gemütlich. »Da fällt mir ein, dass ich was zu erledigen habe. Braucht ihr mich noch?«
»Äh ...«, machte Kultwig.
»Gut«, sagte Gottchen und fing an, sich in Luft aufzulösen. »Meine Geckos warten. Schönen Tag noch!«