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Landluft
Inka radelt mit ihren Bio-Wochenmarkteinkäufen, die sie fein-säuberlich in einem Flechtkorb verstaut hat über einen Waldweg, der quer durch ein Kieferwäldchen führt. Links und rechts neben ihr erheben sich die einnehmenden Bäume. Es riecht nach Hartz und man hört das monotone Plätschern einer Quelle, die gleich neben dem Weg entspringt. Eine leichte Westbrise weht ihr ins Gesicht und durch die braunen Haare, die sie in einem geflochtenen Zopf zusammengebunden hat. Inka zieht die Luft mit tiefen Zügen ein und stößt sie langsam wieder aus. Idylle! Ästhetik! Freiheit.
Langsam hoppelt das Rad von dem Waldweg auf einen mit Gras und leuchtend gelben Löwenzahn bewachsenen Pfad, der zwischen zwei Rapsfeldern in Richtung Dorf führt.
Sie fährt um eine Kurve und sieht gerade noch den alten Deutz, der mit einer Geschwindigkeit über den Pfad fegt, die man der verrosteten Karosse nicht zutrauen würde. Inka stürzt sich bei ihrem verzweifelten Ausweichmanöver kopfüber, zusammen mit ihren Bioäpfeln und der Frischmilch, ins Feld.
Der Deutz kommt quietschend zum Stillstand. Die Bremsen qualmen unheilvoll. Aus dem grünen Ungetüm springt ein kleiner, dürrer Mann. Er ist in einen grünen Overall gehüllt und trägt auf seiner Glatze eine abgeranste Schiefermütze. Um ihn weht der beißende Geruch von frischer Gülle. Er erinnert Inka an ein Mitglied der Olchis.
Kaum auf dem Boden aufgekommen fängt er an loszuschreien: „Verdammte Scheiße! Was denkst du dumme Sau dir dabei hier herumzuradeln? Sieht das aus wie ein Radweg? Das ist ein Acker, ne? Kein Radweg. Verdammte Scheiße.“ In seinen Mundwinkeln bilden sich Spuckebläschen, so groß wie Seifenblasen. Vom Schreck noch ganz vernebelt und sichtlich eingeschüchtert stottert Inka: „Entschuldigung, ich fand es so schön hier entlangzuradeln.“
Der Deutzbesitzer, der seinen cholerischen Anfall noch nicht überwunden zu haben scheint, setzt erneut an: „Schön? Deswegen denkst du es wäre Ok hier herzufahren? Deswegen hab ich jetzt ein Loch im Feld?“ Er deutet auf die abgeknickten Pflanzen, die Inka, ihr Fahrrad und Einkäufe verursacht haben.
Inka scheint durch diese maßlose Ungerechtigkeit ihren Mut wiedergefunden zu Haben. Ihr Zopf bebt, als sie zu sprechen anfängt: „Nun hören sie mal! Sie haben mich halb zu Tode gefahren. Und mein Fahrrad ist auch hin.“ Sie deutet auf den verbogenen Lenker. „Wer sind sie überhaupt?“ „Bauer Gesenhuß.“ ,erwidert der grüne Zwerg. „Und du? Wahrscheinlich gerade zugezogen, sonst würdest du mich wohl kennen.“ Inka strafft die Schultern. Gesenhuß den Namen kennt sie. Kein bisschen eingeschüchtert mehr erklärt sie ein wenig lauter als beabsichtigt: „Ich heiße Inka Hermann. Und ja ich bin gerade in das kleine Haus im Ortskern gezogen.“ Gesenhuß wird ein wenig bleich im Gesicht und kratzt sich unter der Mütze: „Frau Hermann. Die Frau Hermann vom Ministerium?“ Inka streckt ihr Kinn in die Luft und nickt überdeutlich. Gesenhuß wird noch etwas bleicher: „Oh, die alte Dame, er deutet auf den Trecker, mag es etwas schneller. Tut mir leid.“ Er hustet etwas unbeholfen und macht sich schnell daran Inkas Sachen aufzusammeln. Der Agrarier nimmt eine Glasflasche Milch, mustert das Etikett und muss leicht grinsen. Er zieht die Mundwinkel so verkrampft Richtung Ohren, dass es eher nach einer Schmerzgrimasse als einem Lächeln aussieht. „Die ist von mir. Wird ihnen schmecken!“ Auch Inka grinst keck: „Da bin ich mal gespannt.“ Beide lachen.