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Lamamania
Als Peter bemerkte, dass er den Kühlschrank offen gelassen hatte, war es bereits zu spät. Das Lama war aus dem Gefrierfach geklettert und hinterließ beim Auftauen feuchte Hufabdrücke auf dem Küchenboden.
»He«, sagte Peter und griff nach dem Besen. »Du solltest da drinbleiben!«
Das Lama gähnte, klapperte vernehmlich mit den Zähnen und schaute Peter unschuldig an. Es reichte ihm nur ungefähr bis zum Knie, und das war der Grund, warum es so ausgezeichnet ins Gefrierfach gepasst hatte. Peter stieß mit dem Besen nach dem Lama. Es kippte um, und die dünne Eisschicht klirrte von seinem Fell. Empört quietschte es und spuckte einen spitzen Eiskristall nach Peter, der sich in seine Wange bohrte.
Er taumelte rückwärts gegen das Wandbord und fluchte, als die beiden Einweckgläser auf dem Boden zerschellten. Die Bonsai-Lamas darin hatten so drollig ausgesehen mit ihren an der Glaswand plattgedrückten Schnauzen, und es hatte so lange gedauert, bis er die Deckel zu bekommen hatte.
Das Gefrierfach-Lama war unterdessen wieder auf die Beine gekommen. Es bibberte noch immer vor sich hin und bedachte Peter mit einem bösen Blick. Die beiden Bonsai-Lamas - eines braun, eines weiß - galoppierten begeistert hinüber ins Wohnzimmer.
»Um Gottes willen, nein!« Peter fasste den Besenstiel fester und hastete hinterher. Er musste die Biester schnellstmöglich wieder erwischen, sonst hatte er ein Problem.
Das braune Lama war bereits in die Yuccapalme gesprungen und knabberte enthusiastisch an einem Blatt.
Suchend sah Peter sich nach dem weißen um.
Er entdeckte es auf der Couch. Auf dem hellen Polster war es äußerst gut getarnt. Gerade ackerte es mit seinen Zähnen an dem Couchkissen herum, in dem er das kleine dicke Lama eingesperrt hatte.
Peter sprang auf das weiße Lama zu und erwischte es am Genick. Es zappelte empört und spuckte, aber Bonsai-Lamas hatten Gott sei Dank keine besonders große Reichweite. Die Hose würde er halt später waschen müssen. Nun schnell zurück ins Einweckglas mit dem Rabauken!
Als er sich umdrehte, blieb er wie angewurzelt stehen. Das Lama in seiner Hand zirpte triumphierend. (Peter hatte nicht gewusst, dass Lamas so laut zirpen konnten.)
Das Gefrierfach-Lama musste es irgendwie geschafft haben, den Herd zu öffnen und die drei Osterlamas herauszulassen. Für Äpfel waren ihre Mäuler zu klein, und Peter beglückwünschte sich noch immer zu der Idee, stattdessen Cocktailtomaten verwendet zu haben. Auch auf die Schnittlauchschleifchen um die schlanken Hälse war er sehr stolz gewesen. Aber diese Tiere hatten eindeutig keinen Sinn für Art déco. Sie trampelten ins Wohnzimmer und hinterließen feine Spuren aus Senf-Sahnesauce. Warum auch hatte er den Herd nicht gleich angemacht?
Das weiße Lama meckerte erfreut und biss ihn dann genau in die feine Haut zwischen Daumen und Zeigefinger. Mit einem Aufschrei ließ Peter das Lama fallen. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sich das dicke Lama mit einem Schnaufen aus dem Kissenbezug befreite. Aus dem anderen Augenwinkel erahnte er das Umkippen der Yuccapalme.
Peter hob den Besen, aber es war bereits zu spät. Die Lamas traten ihren Siegeszug durchs Wohnzimmer an. Sie brauchten nicht lange, um ihren Gefährten in der Waschmaschine zu entdecken und das Bullauge einzutreten. Das Waschmaschinen-Lama spurtete mit einem schrillen Kreischen durch die Wohnung. Schaumflocken stoben von seinem Fell, und bei jedem Schluckauf schwebte eine Seifenblase von seinem Maul.
Peter ließ den Besen fallen und rannte in Richtung seines Keschers, wobei er über das Alpaka stolperte, das aus der Wanduhr gesprungen war.
»Kuckuck!«, sagte es stolz.
Trotz seiner Panik rang er sich ein anerkennendes Nicken ab und rappelte sich wieder auf. Der Kescher! Eines nach dem anderen würde er diese Biester wieder einfangen, und dann konnten sie was erleben. Marlene hatte ihn ja noch gewarnt und gesagt, er solle lieber die kleine Packung kaufen. Aber er hatte nicht geglaubt, dass Lamas so anstrengend sein konnten.
Noch bevor er den Kescher erreichte, stolperte er ein weiteres Mal. Diesmal war es das dicke Lama aus dem Sofakissen, das ihn angrinste und dabei auf etwas herumkaute, das Peter beim zweiten Blick als seine Lieblingskrawatte erkannte.
Das Gefrierfach-Lama stieß so etwas wie einen Kriegsschrei aus. Peter hörte das Trommeln winziger Hufe und spürte einen Ruck an seinen Hosenbeinen. Die Lamas hatten ihre Zähne in den Stoff gegraben und zogen. Peter versuchte es mit Treten und Strampeln, aber davon zeigten sich die Lamas nicht im geringsten beeindruckt.
»Aufhören!«, jaulte er auf, während er von den kleinen Tieren über den Wohnzimmerboden geschleift wurde. Das Sofakissen-Lama trottete neben seinem Kopf her und grinste ihn weiter debil an.
Was hatten die Biester vor? Sie zerrten ihn in Richtung Küche. Er versuchte es mit einem erneuten Tritt, aber das dicke Lama sprang auf seine Brust und bleckte die Zähne. Das sah eher drollig als drohend aus.
Als er den Kopf drehte, sah er direkt in die Augen des Gefrierfach-Lamas. Sie glitzerten bedrohlich. Rachedurst sprach aus dem Blick des wolligen Kerlchens. Peter schluckte schwer. Dann spürte er die Kälte an seinen Füßen und starrte aus weit aufgerissenen Augen in das geöffnete Gefrierfach.
»Nein! Um Himmels willen, tut das nicht!«
Aber die Lamas waren überall. Sie zerrten an seinen Ärmeln, seinem Kragen, seinen Armen. Sie stießen ihn mit ihren spitzen Mäulern voran. Peter heulte. Die Tränen gefroren auf seinem Gesicht, als er ins Gefrierfach gequetscht wurde. Mehrere Lama-Augenpaare sahen ihn triumphierend an, und dann wurde es dunkel um ihn.
Die Kühlschranktür war geschlossen worden.