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Laines, Phillip Laines

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06.04.2002
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Laines, Phillip Laines

Waldemar Schleicher

LAINES, PHILLIP LAINES


"Was soll das heißen, das waren alle!", rief Phillip Laines empört. Er hatte allen Grund dazu. Das Deck des Transportschiffes hinter ihm war leer. Und das war nicht gut so.
"Das soll heißen, dass alle Wagen weg sind", sprach der schmuddelige Typ im blauen Arbeitsanzug, "ihre rechtmäßigen Fahrer sind gekommen und haben sie weggefahren."
"Das kann nicht sein!", rief Laines. Er hatte sein Auto auf dem Deck. Jetzt nicht mehr.
"So ist es aber", fuhr der Typ im Arbeitsanzug fort. "Wenn Sie glauben, ihr Gefährt wurde ihnen gestohlen, dann melden Sie das den Bullen."
"Bullen?", fragte Laines iritiert.
"Polizei", sagte der Typ. Laines tat einen Schritt zurück. Er sah sich um, prüfte mit seinen Augen das Deck nochmals. Das Auto war nach wie vor fort.
"OK...", sagte Laines vorsichtig, "kann ich... kann ich die Besatzungsliste sehen?"
Der Typ im Arbeitsanzug schaute sich auf die Füße als wolle er prüfen, ob nicht ein Vogel draufgeschissen hatte.
"Naja... eigentlich nicht..."
Laines stöhnte auf. Er griff in die Innentasche seiner schwarzen Herbstjacke und holte eine dicke Brieftasche heraus.
"Wieviel?", stöhnte er. Der Typ sah ihn erschüttert an.
"Sie sind Laines! Phillip Laines!"
"Woher...", begann Laines, aber dann überlegte er es sich besser. Es würde zu nichts führen, jetzt mit diesem Typen zu diskutieren.
"50", schlug Laines vor. Der Typ trat einen Schritt zurück. Die Entsetzung auf seinem Gesicht wuchs zu einer anklagenden Visage.
"Mit mir können Sie..."
"100", stöhnte Laines laut auf. Er holte einen 100-Euro-Schein aus der Brieftasche und schob ihn unsanft in eine der Taschen des Arbeitsanzugs.
"Gut, gehen Sie ins Büro und sagen Sie, Ruprecht schickt Sie", sagte der Typ mit ganz normalem Gesichtsausdruck in ganz normaler Stimmlage. Nicht ohne Stolz. Mit dem linken Arm deutete er auf ein flaches Gebäude hinter seinem Rücken.
Laines grunzte einmal laut. Dann verzog er sich.
Als der Brite weg war, holte Ruprecht den 100er aus der Tasche, faltete ihn ordentlich und schob ihn in die Tasche zurück. Sich die Hände reibend, schlich er zum nächsten Telefon.

"Ruprecht schickt mich", sagte Laines der Frau am kleinen IKEA-Schreibtisch im Empfangsraum, "ich brauch die Besatzungsliste für die 'King Size'." Er schaute lächelnd auf sie herab. Sie warf ihm einen fragenden Blick zu.
"Wer ist Ruprecht?"
Laines' Augen weiteten sich.
"Dieser..." Er schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. Die Frau zuckte in ihrem Stuhl zusammen.
"Kann ich etwas für sie tun, Herr..?", fragte sie mit zittriger Stimme.
"Laines. Ich brauche die Besatzungsliste für die..."
"Laines?", fragte sie zurück, "Phillip Laines?"
Er schaute sich schnell um. Seine Augen weiteten sich zu einer beinah perversen Größe.
"Woher..?"
Doch sie schnitt ihm den Satz ab.
"Es tut mir leid, Herr Laines, aber ich bin nicht befugt, an Sie Informationen weiterzugeben", sagte sie entschieden. Ihre Stimme zitterte, doch sie schien das, was sie sagte, wirklich ernstzunehmen.
Laines stöhne laut auf und griff in die Innentasche seiner Herbstjacke. Er holte sein dickes Portemonnaie heraus. Die Sekretärin schaute ihn mit unterdrückter Gier an. Er schlug die Brieftasche auf und griff sich einen 100er. Er zeigte ihn hoch. Sie blickte wieder entschlossen wie eh und je.
"Tut mir leid, ich bin nicht befugt..."
"Oh Gott!", stöhnte Laines und holte einen zweiten 100er heraus. Die Sekretärin riss ihm das Geld regelrecht aus der Hand.
"Ich glaube, da lässt sich was machen", rief sie, als sie aufsprang und durch eine kaum bemerkbare Tür ins Nebenzimmer verschwand. Laines setzte sich in ihren Stuhl. Er war ziemlich warm.
"Wie sagten Sie, heißt das Schiff?", ertönte eine gedämpfte Stimme aus dem Nebenzimmer.
"King Size!", schrie Laines zurück, "Route London - Hamburg!"
Es vergingen noch fünf Minuten. Laines überlegte sich schon, was von seinem Wagen übrigbleiben würde, wenn er ihn endlich finden würde.
Als die Sekretärin wieder in den Epfangsraum kam, hielt sie eine dicke Mappe in der Hand. Der Brite sprang auf, riss ihr die Mappe aus den Armen und sprang rennend hinaus. Er bedankte sich nicht.
Als der Brite weg war, holte die Sekretärin die zwei 100er aus der Tasche, roch an ihnen und schob sie zurück in die Tasche. Sich die Hände reibend, schlich sie zum nächsten Telefon.

Laines schlug die Mappe auf. Sie stank nach Öl. Der ganze Hafen stank nach Öl, und mehr von Hamburg hatte Phillip Laines bisher auch nicht gesehen. Er war schon oft in Deutschland, aber normalerweise flog er.
Aber warum zum Teufel nicht diesmal?
Warum musste ich mich unbedingt für das Schiff entscheiden?
Es war billiger.
Das war es. Laines schaute noch einige Momente in die Leere, bis er den Mut fand, seine Augen lieber in diese Liste zu richten. Sie war ziemlich lang.
Er überflog das Ganze. Es waren rund 100 Leute auf diesem Schiff als Besatzung und weitere 300 als Passagiere. Wenn er jeden einzeln überprüfen würde, das würde Monate dauern. Und so viel Zeit hatte er bei Gott nicht. In einer Woche ging sein Schiff zurück nach London. Bis dahin müsste er sein Auto gefunden haben.
Er müsste zur Polizei gehen.
Also doch.
Er hatte nur eine einzige Tasche als Gepäck. Sie war nicht groß, er hatte dort nur das Nötigste: seinen Anzug, etwas Wechselwäsche und alles, was er für die Arbeit brauchte. Schließlich kommt kein Brite zum Vergnügen nach Deutschland.
Unweit sah er einen Taxi-Halteplatz. Drei Gefährte parkten dort. Der Brite schwang sich den Riemne der Tasche über die Schulter und ging los.

"Zum nächsten Polizeirevier", wies Laines dem Fahrer an.
"Warum?", fragte dieser ohne jede Spur von Humor. Er machte keine Anstalten, den Motor seiens Taxis zu starten.
"WARUM!?", schrie Laines ihn von dem Rücksitz aus an. Der Taxifahrer zuckte nicht mal mit der Wimper. "WARUM!? Bitte, tun Sie mir einen Gefallen und setzen Sie diesen... diesen Wagen in Bewegung."
Der Fahrer richtete den Rückspiegel so, um in Laines' Augen sehen zu können.
"Sie sind Laines", sagte er vorsichtig, "Sie sind Phillip Laines..!"
Der Brite lehnte sich sprunghaft vor.
"WOHER VERFLUCHT WISSEN SIE DAS!?!?!?"
Der Taxifahrer schien ihn kaum zu bemerken. Stattdessen verriegelte er die Türen und ließ eine Glastrennwand zwischen ihm und der Fahrgastzelle emporfahren.
Der Brite schrie und schlug gegen die Trennwand. Doch der Fahrer hörte ihn nicht. Sich die Hände reibend, fuhr er zum nächsten Polizeirevier.

Der Straßenrand am Revier war überfüllt mit Polizeiwagen. Darum parkte das Taxi auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Der Fahrer hupte. Ein langer, gleichmäßiger Ton. Er hupte erneut. Neben dem Revier wurden zwei Beamte hellhörig. Sie setzten ihre Sitzfleischärsche in Bewegung. Unzählige Autos zischten auf der Straße vorbei.
Das Radio ging an. Nachrichten. Der Fahrer ließ die Trennwand einige Millimeter herabfahren, damit auch Laines was davon mitbekam.
"...eine Hinweise, dass Phillip Laines", sprach die unpersönliche Stimme auf dem Sender, "Mörder von Klaus Rieck..."
"Sie haben mich gefunden", flüsterte Laines, "Wie zur Hölle haben sie mich gefunden?"
"...seit heute wieder im Lande ist. Ebenfalls auf sein Konto gehen die Morde an Fabian Schnee, Martin Frisch, Paula Gebhardt..."
Die Polizisten standen auf dem Mittelstreifen, kurz davor, durch die Flut fahrender Automobile zu brechen.
Der Taxifahrer lehnte sich entspannt zurück.
"...und Bernd Sackl. Laines ist seit 14 Jahren aktiver Auftragskiller..."
"WIE?", schrie Laines, als er seine Tasche aufriss und zwei geladene Desert Eagles rausholte. Er rutschte in die rechte Ecke und schoss auf das Schloss der linken Tür. Sie sprang auf. Die Bullen waren inzwischen keine zehn Schritt mehr entfernt. Die Schüsse hatten sie alarmiert. Laines sprang aus dem Wagen. Der Taxifahrer zuckte zusammen, als der Killer seine Waffen auf ihn richtete und abdrückte.
"...dessen Boss, Mario Torcello, er jetzt zu heiß wurde. Er verriet ihn und andere Mitglieder der Organisation, um ins..."
Als diese Zeile durch die Boxen vibrierte, war Stille.
Stille.
"TORCELLO!", schrie Laines aus vollem Hals über die Straße. Kimme und Korn der Kanonen trafen sich auf den Leibern der Polizisten. Sie versuchten, ihre Glocks aus den Holstern zu ziehen.
"MARIO TORCELLO!!!", schrie er. Seine Stimme verlor sich in einem zornigen Quiecken.
Es fielen Schüsse, viele Schüsse.
Fluchend humpelte Laines die Straße rauf.


12. September 2002

 

Hallo Creeper,

findest du nicht, dass "Spannung" als Kategorie deiner Geschichte ein geeigneteres Umfeld bieten würde?
Nur mal so in den virtuellen Raum gestellt...


Nun, äh... zur Geschichte: Schematisch gesehen ist die Handlung aufgebaut wie eine Mischung aus Action- bzw. Krimicomics und Kriminalfilmen.
Im Grunde ist die Idee zwar handelsüblich aufbereitet, doch ab und an mit witzigen Pointen versehen. Der Schluss kommt zwar einigermaßen unerwartet, doch auf der anderen Seite wiederum viel zu plötzlich. Ich denke, eine etwas ausführlichere Hinführung zur Pointe käme da nicht ungelegen.
Vom reinen Unterhaltungswert her jedoch ganz akzeptabel, die Geschichte.


Hendek

 

Hallo Creeper,

du hast deine Geschichte flott und mit einem Augenzwinkern erzählt. Ich fand sie ganz unterhaltsam.

Nur der Schluss hat mich etwas enttäuscht. Dadurch wird die ganze Sache ein bisschen unglaubwürdig. Ein Killer, der seit vielen Jahren tätig ist und jeder Empfangsdame und jedem Taxifahrer bekannt ist, kann sich nicht mehr frei bewegen - und er wird es auch kaum mehr tun, weil ihm klar ist, dass er dann geschnappt wird.

Das ist ein bisschen wie bei 007. Jeder Barkeeper zwischen Kairo und Hongkong hat schon den Martini fertig (geschüttelt, nicht gerührt), bevor er seinen Satz "Mein Name ist Bond, James Bond" beendet hat. Soviel zu Geheimagenten.

Auf der anderen Seite ist deine Geschichte ja nicht bierernst, und insofern ist's nicht so schlimm.

Viele Grüße

Christian

 

Hey, es laufen Dutzendweise Fernsehberichte über den Mann, darum kennt ihn ja jeder. Die Leute sollen ihn ja erkennen, wenn sie ihn sehen.

Er selbst weiß das ja noch nicht.
Woher denn auch, er ist gerade erst ngekommen!

 

Ja, klar ist er gerade eben erst angekommen. Aber ein Profikiller, der so lange im Geschäft ist, sollte in London oder auf dem Weg von London aufs Festland mitbekommen, wenn im Nachbarland (wo er seinen Beruf ausüben will!) dutzendweise Fernseh- bzw. Fahndungsberichte über ihn laufen. Wie hat er es sonst geschafft, vierzehn Jahre lang seinen Beruf unerkannt auszuüben?

Aber, wie schon gesagt: Die Geschichte ist nicht bierernst, was auch ein Grund war, warum sie mir gefallen hat - deshalb will ich das gar nicht überbewerten. Und der Erfolg von Bond zeigt ja, dass solche Sachen vom Publikum auch nicht immer ganz so ernst genommen oder gesehen werden. :)

Viele Grüße

Christian

 

Hi Creeper,
"Schließlich kommt kein Brite zum Vergnügen nach Deutschland."
Was für ein Satz! Der schönste in dieser Geschichte. Den lerne ich auswendig.

Und dann wird's kriminell. Für mich sind Krimis wie Pornos: Zuerst ein wenig Geplänkel und Gesäusel; wer mit wem?; dann wird geballert, was das Zeug hält; und zum Schluss fallen sie tot um (oder tun so).
Grüße von Emma

 

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