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Laila Hadas Nachtrausch
Laila Hadads Nachtrausch
In tiefem Rot zog Laila ihre Lippen nach. Hinter starker Schminke lag nun ihr Gesicht verborgen. Ihre schwarzen Locken schüttelte sie nochmals kräftig durch. Sie war nun bereit für ein Abenteuer. Ein letzter, prüfender Blick in den Spiegel an der Innentür des Schlafzimmerkastens, ein wohlwollendes Nicken zu sich selbst. Wie angegossen saß das dunkelrote Kleid mit dem tiefen Ausschnitt. Laila war mit sich zufrieden.
Voller Erwartung begab sie sich in den Guantanamo-Klub, einer Art Tanzlokal, welches, in düsterem Licht gehalten, des Nachts seltsame Stadtbewohner beherbergte. Einige kamen elegant verkleidet, andere in schäbiger Aufmachung. Gekünstelt schien das Leben im Klub, ein Schattenspiel unter schummrigen Lichtern. Zwischen verschnörkelten Plastiksäulen und verstaubten Kunstblumen huschten sie umher, tanzten, warfen sich zweideutige Blicke zu. In Begleitung kam niemand in den Guantanamo-Klub.
Laila nahm an der Theke Platz. Sie schlug die Beine übereinander, schob das Kleid ein wenig hinauf, sodass man ihr Knie sehen konnte. Ihren Fuß ließ sie ein wenig aus dem hochhackigen Schuh aus schwarzem Samtleder schlüpfen. Der Schuh fiel zu Boden. Fluchend bückte sich Laila, zog ihn sich wieder an. Ihre Handtasche hatte sie auf dem Haken an der Unterseite der Theke hängen. Die Kellnerin meinte, sie solle besser darauf Acht geben, denn es würde so viel gestohlen in letzter Zeit. Laila bestellte Wermuth.
Hinter Laila war schon seit einiger Zeit ein Mann von großer Statur gestanden. Er hatte sie beobachtet, lachte, als sie ihren Schuh verloren hatte. In einem Zug trank er den Rest seines Schnapses und gesellte sich zu ihr. Laila lächelte ihn an. Seine tiefe Stimme, der Spitzbart, seine anmutig gewachsene Gestalt, der dunkle Lockenkopf. Sie hatte sofort an ihm Gefallen gefunden. Anfängliches Geplänkel und Wermuth lockerte Lailas Zunge. Er scherzte mit ihr, mit der Kellnerin. Keck zupfte Laila an seinem Bart.
„Au", schrie er auf, „lass doch meinen Bart!"
„Ich wusste nicht, dass er echt ist, entschuldige!" Laila zauberte das verführerischste Lächeln, zu dem sie im Stande war.
„Wieso sollte er nicht echt sein?"
„Manche kleben sich den Bart auf, bevor sie herkommen."
„Ich nicht!" Der Klang seiner Stimme nahm Laila zusehends in Bann.
„Gibt es einen Namen zu den grünen Augen?" Sein Lächeln formte kleine Grübchen neben den Mundwinkeln.
„Laila"
„Laila und...?"
„Laila Hadad!"
Er umfasste ihren Handknöchel.
„Holger!", brummte er.
„Und?" Laila blickte ihn keck von der Seite an und lächelte.
„Unwichtig!"
Achselzuckend meinte Laila, dass sie noch nie den Nachnamen Unwichtig gehört habe und beließ es dabei. Sie hatte keine Lust, weiter nachzubohren.
Holger zog Laila zu sich, fuhr durch ihre schwarzen Locken. Der erste Kuss schmeckte nach Bier, Rauch und Schnaps. Laila störte es nicht.
„Noch einen Wunsch? Ich muss jetzt nämlich aufs Klo." Die feiste Kellnerin unterbrach jäh die zarte Spielerei.
Laila verneinte, war es doch schon das vierte Glas Wermuth. Holger bezahlte. Er hatte sie eingeladen.
Heftig zog er Laila vom Barhocker zu sich, umarmte sie, drückte sie fest an sich.
„Wir fahren zu mir!", flüsterte er ihr ins Ohr.
Laila zögerte, „ich weiß nicht so recht..."
„Du pennst bei mir!", seine Stimme war plötzlich noch tiefer, der Ton bestimmt.
Wehren konnte sich Laila nicht mehr. Zu stark war der Bann seiner Stimme, seiner Locken, seines Geruches, seiner Umarmung.
Im Taxi fuhr er mit der Hand schamlos Lailas Bein entlang. Brüsk stieß sie ihn weg. Sie möge derlei nicht in der Öffentlichkeit, feixte sie. Holger lachte. Kopfschüttlend bog der Taxifahrer in eine Seitengasse ein.
Weiß gekalkt war der Gang von Holgers Wohnhaus. Stuckatur prangte auf den Wänden, an der Decke. Polierte Messingleuchten strahlten in angenehm gelblichem Licht. Jahrhundertwende in voller Pracht. Im Fahrstuhl drückte er Laila gegen die Holzvertäfelung, fuhr ihr durch das Haar. Laila wehrte ab, meinte sie möge es nicht, wenn man sie so fest am Haar anfasse. Der Fahrstuhl hielt. Holger nahm ihre Hand, führte sie zur Türe am Ende des Korridors. Sein Schlüssel knackte im Schloss. Geräumig war die Wohnstatt, mit hohen Wänden. Die Möbel waren von erlesenem Geschmack, teils antik, teils modern.
Er bot ihr ein Getränk an. Laila lehnte ab.
„Ich bin schon ganz schwindelig vom Wermuth vorhin."
Im Spiegel des Vorzimmers betrachtete sie ihr Gesicht. Der Lippenstift war verschmiert, zerronnen. Aus der Handtasche kramte sie unter dem geblumten Leinenkleid, das sie zu Hause schnell zusammenknüllt und hineingestopft hatte, ein Taschentuch hervor. Hastig wischte sie die Schminke von ihrem Mund.
„Kommst du jetzt?", rief er ihr aus dem Wohnzimmer zu. Leise Musik ertönte.
«Rad des Glückes. Immer drehst du dich. Wird dein Pfeil mich treffen?... Oh Rad des Glückes, solltest du jemals mir deine Gunst erweisen, bitte tu es jetzt...»
Laila hörte das Lied zum ersten Mal. Warm wurde ihr ums Herz. Süßem Honig gleich, glitt das Lied in ihr Ohr, in ihr Herz. Sie folgte seiner Stimme. Holger nahm ihre Hand. Sanft fuhr sie mit den Fingern über die breite, fleischige Fläche. Seine Zungenspitze lag auf der Oberlippe. Sachte zog er sie in das Schlafzimmer. Über die Stehlampe hatte er seinen Bademantel geworfen. Dämmrig bläuliches Licht schimmerte auf das Bett. Laila setzte sich auf die Bettkante, entkleidete sich. Bewundernd blickte sie zu ihm auf, als er vor ihr stand. Unbekleidet wirkte seine Gestalt auf Laila noch anziehender.
Der Akt war von nicht großer Dauer. Laila hatte ihm etwas vorgespielt. Der Wermuth hatte sie bleiern werden lassen. Leise, dumpfe Schmerzen hatten sich ihres Kopfes bemächtigt. Holger konnte sich ergötzen. Seinen Arm um Lailas Oberkörper geschlungen, schlief er ein. Laila presste sich fest an ihn. Sie konnte nicht einschlafen. Behutsam drehte sie sich um, damit sie sein Gesicht, seinen Oberkörper sehen konnte. Friedlich lag er da. Tröpfchen von Geifer rannen still aus seinem Mund, benetzten den Polsterbezug. Zärtlich strich sie ihm durchs Haar, ganz sanft, sodass sie ihn nicht weckte. Die Grübchen in seinem Gesicht hatten sich im Schlaf ein wenig vertieft. Laila versuchte ihrem Schlaf nachzugeben, doch konnte sie nicht davon ablassen, ihn zu betrachten.
«Oh Rad des Glückes», hallte es wieder und wieder in ihrem Kopf. «Oh Rad des Glückes». „Wie ich dich lieben könnte, Holger Unbekannt", flüsterte sie ihm ins Ohr. Laila fiel in seichten, unruhigen Schlaf. Sie erwachte, als die ersten Strahlen der Morgensonne durch den Spalt zwischen den Vorhängen durch drangen. Die Dumpfen Kopfschmerzen waren nicht zur Gänze vergangen. Laila beobachtete weiterhin den Schlafenden. «Oh Rad des Glückes» klang es in ihrem Kopf. Seine Arme suchten sie im Schlaf, griffen nach ihr, umschlangen sie schließlich.
Mit wachsender Zuneigung betrachtete sie den sprießenden Morgenbart an den Wangen, den mit Geifertröpfchen benetzten Spitzbart, die Achselhaare, die Brust. Für ein paar wenige Stunden gelang es auch ihr zu schlafen. Holger erwachte gegen Mittag. Laila war schon zuvor erwacht, wartete auf ihn. Als er sich im Erwachen ächzend im Bett wälzte, setzte sich Laila auf. Sie umhüllte sich mit der Bettdecke, sah sich nach dem Badezimmer um. Ohne anzuklopfen betrat Holger nach einiger Zeit das Bad und legte ihr ein frisch gewaschenes Handtuch auf das Waschbecken. Mit heftigen Bewegungen wusch sich Laila die Schminke vom Gesicht. Wohlig warm rann das heiße Wasser aus dem Brausekopf über ihren Körper. Lange rieb sie die frisch duftende Seife an ihrer Haut. «Oh Rad des Glückes» Der Tag konnte die liebliche Melodie der Nacht nicht verscheuchen. Laila trocknete sich mit heftig reibenden Bewegungen ab. Aus der Handtasche im Vorzimmer nahm sie das geblumte Leinenkleid heraus und zog es sich rasch über. Müde und zerknittert hing es an ihr. Sorgfältig legte sie das Abendkleid zusammen und gab es anschließend in die Tasche. Holger stand erstaunt vor ihr.
„Ach, ich kann doch nicht so...", sagte sie entschuldigend
„Ja, ja", brummte er.
„Ich werf dich jetzt raus. Ich bekomme später Besuch."
Laila wollte ihn umarmen, doch er flüchtete sich zu dem großen Spiegel und begutachtete sein Gesicht.
Sie ging zum Spiegel, stellte sich hinter ihn. Holger wandte sich ihr zu.
„Ich muß dich jetzt..."
Sanft blickte Laila in seine verschwollenen Morgenaugen. Im nur schlampig umgehängten blauen Bademantel stand er vor ihr.
„Die Tür ist dort", krächzte er und hüstelte.
Laila riss sich die schwarz gelockte Perücke vom Kopf. Blondes, mit Haarspangen fest am Kopf befestigtes, kurzes Haar kam zum Vorschein.
„Eigentlich heiß ich Monika Bauer", stotterte sie erwartungsvoll.
„Schön", brummte er.
„Sei nicht böse, aber ich muss noch aufräumen."
„Schon gut", flüsterte Monika und ging durch die Tür.
Dumpfer Schmerz traf ihr Herz, als sie die Türe einschnappen hörte. Im Stiegenhaus nahm sie die Spangen aus dem Haar. Sie blickte zu ihren schwarzen Schuhen hinab. «Oh Rad des Glückes», bitter klang es nun.
Brennend heiß war die Straße durch die Mittagssonne. Monika verspürte Hunger. Ungeduldig hastete sie über den Gehsteig zu einer Hauptstraße. In einer kleinen Konditorei fragte sie nach Frühstück.
„Gibt’s noch Gnädige Frau. Bis halb eins...", keuchte die Kellnerin, die gerade dabei war, mit einem nassen Tuch über die Tische zu wischen.
„Ja, eins mit Briochekipferl und Melange."
„Gerne, kommt sofort."
Monika nahm am Tisch beim Fenster Platz. Ihre Handtasche war nicht zur Gänze verschlossen, ein paar Haare der Perücke schielten heraus. Das Frühstück wurde gebracht. Knusprig frisch war das Gebäck. Der Zuckerstreuer war verklebt. Monika wollte nicht um einen anderen bitten. Sie nahm einen Schluck Kaffee, um den Bissen Gebäck aufzuweichen. „Ein Frühstück hätte er mir wenigstens anbieten können...", dachte sie.
«Oh Rad des Glücks», immer leiser wurde die Melodie in ihrem Kopf.
Nochmals nippte sie an der Tasse. Der Kaffee schmeckte bitter.